Siebenwind
Severin holte tief Luft, als er von der morschen und glitschigen Planke des kleinen Beibootes gestiegen war und seinen ersten Fuß auf das noch fremde Eiland Siebenwind gesetzt hatte.
Die Wochen der Überfahrt hatte er größtenteils unter Deck verbracht, nur durch ein schmutziges Tuch als Zugeständnis an die Privatssphäre von anderen Passagieren getrennt.
Zumeist hatte er auf der harten Pritsche gelegen, die Decke angestarrt und die Worte der Hohen Priester und Gelehrten im Geiste memoriert, sich in höhere Gedankenssphären verirrt und wieder herausgefunden.
Im stummen Zwiegespräch mit den Horwen Astraels verging die Zeit für Ihn wie im Fluge – aus Tagen wurden Nächte, aus Nächten wiederum Tage, nur unterbrochen durch die Befriedigung der nötigsten menschlichen Bedürfnisse.
Manch einer an Bord empfand Unbehagen, wenn dieser hagere, streng und verschlossen dreinblickende Mann von seiner Schlafstatt aufstand und sich, zumeist in den Stunden der Nacht, auf das obere Deck wagte um den Lauf der Gestirne zu betrachten.
Bei diesem Anblick zeigte seine ansonsten abweisende Miene eine gewisse Ausgeglichenheit und er ließ sich gar zu manch kurzen, wenn auch profanen Gesprächen mit den anderen Reisenden und der Besatzung herab.
Nur selten erschien er am Tage an Deck, zeigte dann eine mürrische Miene, holte sich eine Schale Suppe oder füllte seinen Schlauch mit Wasser auf, eh er wieder wortlos unter Deck verschwand.
Manch einer hielt ihn für einen Priester Astraels, andere wiederum für einen Magier, doch seine alte, ausgeblichene Robe enthielt keinerlei Stickereien oder Abzeichen, welche den anderen Reisenden hierbei Klarheit hätten verschaffen können, denn auch das Blau der Robe war verblichen und erinnerte nur noch entfernt an die Farben des Ordo Astraeli.
Niemand hier an Bord wusste mehr von Ihm, als er in den kurzen nächtlichen Plaudereien preis geben wollte.
Dass er nahe Mendel im Herzogtum Bernstein aufgewachsen war und eine gewisse Zeit auf Wanderschaft verbracht hatte, viel mehr verriet er nicht und daran tat er sicher gut.
Siebenwind hatte sich schon einige Zyklen vor ihrer Ankunft durch Möwengeschrei und einen ganz bestimmten Geruch der die Seeluft nun würzte angekündigt.
Die Unruhe unter den Reisenden und auch der Besatzung war deutlich zu spüren.
Die Soldaten, die zur Ablösung ihrer Kameraden oder zur Verstärkung vom Festland gesandt worden waren und in einem eigenen Zwischendeck die Reise verbracht hatten, marschierten nun erstmals in Uniform auf dem oberen Deck auf und ab und versuchten die vielen Wochen der körperlichen Erschlaffung durch militärische Übungen wett zu machen.
Andere die auf der fremden Insel ihr Glück versuchten, klaubten ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und schauten mit leuchtenden Augen voller Hoffnung zum Horizont.
Severin aber lag auf seiner Pritsche und betrachtete die Maserung des Holzes, versuchte darin eine Ordnung zu erkennen, die vielleicht auch anderen Dingen inne wohnte und stellte Überlegungen über die Erkenntnisfähigkeit eines Baumes an.
Siebenwind in Sicht