Er trat die spärlich beleuchtete Treppe hinab, vorbei an dem kleinen, mit allerlei Fläschchen angerichteten Bad, geradewegs hinein in die nahezu kahle Kammer. Gerade einmal ein Bett, das mehr einer Pritsche im Feldlager glich, und eine kleine Kommode fanden hier Platz. Der Boden musste als Kleiderschrank herhalten, war förmlich übersät von allerlei – immerhin ordentlich zusammengelegten – Kleidungsstücken. Das Bettgestell knarzte widerwillig in der Dunkelheit unter seinem Gewicht auf und durchbrach die gespenstische Stille in jenem Kellerraum, den er nun schon seit einigen Wochen sein Zuhause nennen musste. Zugegeben, er war froh darüber, einen Rückzugsort angeboten bekommen zu haben, jetzt, wo Südfall immer noch vollkommen überwuchert zu sein schien und ein Durchkommen nahezu unmöglich war. Einige, wenn nicht gar die wichtigsten, Habseligkeiten konnte er retten, auch wenn der Preis so seine Spuren am Körper hinterließ. Die tiefen, von den Dornen gerissenen Wunden begannen allmählich durch neue, blassere Haut ersetzt zu werden. Er griff in die Tasche, die am Fuße des Bettes abgestellt wurde, und betröpfelte ein Stück Stoff mit einer nach verschiedensten Kräutern duftenden Mixtur. Die Bandage, die sich durch die Flüssigkeit dunkel verfärbte, bahnte sich sorgsam ihren Weg über die Narben hinweg. Er dachte an diejenige, die ihm einen ordentlichen Vorrat an Tränken hinterlassen hat. Diejenige, die er einst noch Schwester nennen konnte, und nunmehr nur noch eine traurige, ausgelaugte, seelenlose Schattengestalt war, die er zu den Dunkelzyklen in den Wäldern treffen musste. Er wusste um die, die ihrer habhaft werden wollten. Um die, die sogar ihren Tag danach richteten, Ketzer zu jagen, erst recht, wenn sie in direkter Verbindung zu den Tardukai standen. Es überraschte ihn, dass niemand hinter seinem Rücken tuschelte oder ihn gar selbst konfrontierte. Es schien alles wie immer zu sein. Je mehr er über sie nachdachte, desto bewusster wurde ihm, dass die gelegentlichen Treffen auch für ihn eine Gefahr darstellten. Immer wieder stellte sich ihm die Frage, ob es das wert war. Immerhin kannten sie sich nicht allzu lange, wenngleich sie durch das gleiche Blut schon immer verbunden waren. Dennoch opferte sie sich all die Zeit für ihn auf, immer noch überhäufte sie ihn mit so manchem Prunk, den sie – laut ihrer Aussage – ohnehin nicht mehr verwenden durfte.
Doch was wäre, würde man ihn gezielt nach ihr befragen? Ihn möglicherweise als Lockvogel nutzen wollen? Einer einfachen Person könnte er sich womöglich entwinden können, doch wie stand es um die Kirche oder die Armeen? Würde er einen Diener der Viere anlügen wollen… können..?
Oder was, wenn sie ihn verraten würde? Ausnutzen? Bestechen? Ihn vielleicht auf ihre Seite ziehen wollte, ohne dass er sich dessen überhaupt bewusst war? Die Diener des Einen verstanden sich wunderbar auf Manipulation und Intrigen, das musste man ihnen lassen. Was, wenn sie nur vorgab, keine andere Wahl zu haben, als diesem Wege zu folgen, obwohl sie es angeblich gar nicht mehr wollte?
Er schüttelte den Kopf und reinigte seine Gedanken genauso rasch wie er es mit der Bandage in der kleinen Waschschüssel tat. Der Kleidung wurde sich entledigt und selbige sofort gewissenhaft zusammengelegt auf dem Boden aufgetürmt. Für heute stand nur ein Entschluss fest ...
...Er würde ihr weiter zureden, weiter versuchen, sie in seine Obhut zu bringen, mit dem Wissen, dass sie zweifelsohne mit einer Aussage recht behielt: Sie würde sterben. Es war nur eine Frage der Zeit. Er wusste es, er hatte dem bereits – wenn auch nur innerlich – zugestimmt. Doch so lange konnte er ihr eines für die heimlichen, zweisamen Momente geben – ein Stück aufrichtigen, wahren Zusammenhalt.
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