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 Betreff des Beitrags: Abendstille
BeitragVerfasst: 20.09.12, 10:06 
Einsiedler
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Es war eigentlich ein Tag wieder jeder andere auch. Zumindest wie jeder andere in der letzten Zeit. Vom Aufstehen am Morgen bis zum Schlafengehen am Abend. Haus, Stall, Garten, Taverne und überall dabei und zwischendrin - Mira. Beim Streifzug über die Insel um das Fallobst auf den Wiesen aufzusammeln, beim Verarbeiten der Früchte für das nächste Fass frischen Apfelmost, beim Füttern der Hühner, bei der Ernte auf dem Feld und natürlich auch am Abend beim Ausschank.
Nun saß sie neben dem Bettchen mit dem Holzgeländer und betrachtete den kleinen Krümel beim Schlafen. Sie sah so friedlich aus und zart strich sie ihr noch eine schwarzgelockte Strähne aus der Stirn. „Sternchen“ flüsterte sie zärtlich dazu. Wie konnte so ein Wirbelwind, der den ganzen Tag mit Leben füllte und ihr manchmal einiges an Geduld abrang, so friedlich aussehen?

Noch eine ganze Weile sah sie dem kleinen Mädchen beim Träumen zu, hing dabei ihren Gedanken nach und fragte sich immerwieder wie es weitergehen würde. Auf eine irritierende Weise hatte dieses Leben etwas von dem, was ihre Eltern stets für sie gewollt hatten, und doch ganz anders. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, wäre sie nun Vorstand einer ganzen Armee von Dienstboten. Hausdame. Stets gut gekleidet und zurecht gemacht, die Zügel fest in der Hand und gleichzeitig eine zärtlich, liebevolle Ehefrau. Um ihre Kinder hätte sie sich auch nie kümmern müssen, dafür gab es Ammen und Kindermädchen. So wie ihre Mutter es gehandhabt hatte. Jeder Tag wäre wie der andere gewesen und irgendwann hätte sie sich damit wahrscheinlich arrangiert. Ja, wenn nicht alles anders gekommen wäre.
Nun war sie von ihrer Familie getrennt, und das wahrscheinlich für alle Zeiten. Ihre Brüder, ihr Vater, ihre Mutter. Keinen von ihnen würde sie je wiedersehen. Sie ahnten nichts von dem, was geschehen war und in ihren Köpfen war sicher sie es, die all das Unglück verursacht hatte. Womöglich hatte der Skandal die Familie einiges an Ruf einbüßen lassen – das würden sie ihr nie verzeihen.
Sie hatte schon so viele Briefe angefangen und nie zum Ende gebracht. So oft hatte sie den Drang verspürt „aufzuräumen“. Doch stets hatte sie der Mut verlassen. Ein einziger Brief nach Hause konnte bedeuten, dass ihr Leben hier zerstört werden würde. Die Hand ihrer Eltern reichte weit. Womöglich gar bis Siebenwind. Wenn sie einen ihrer Brüder schicken würden um sie zurück zu holen, oder Vater gar selbst kommen würde. Sie würde als Mörderin vor ihnen stehen. Wer würde ihr schon glauben? Und selbst wenn sie es glaubten - eine Frau hatte zu ertragen. Die Gründe wären nie triftig genug gewesen.
Manchmal glaubte sie das sogar selbst, doch diese Momente wurden zum Glück immer seltener.
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Ein tiefer Atemzug entrang sich ihrer Brust und sie stützte den Kopf auf die Hände. Sie hatte so viel verloren. So vieles. Selbst hier auf der Insel gab es kaum jemanden, der ihr nahe stand. Lange hatte sie niemanden wirklich an sich heran gelassen, und jetzt schien niemand mehr ein Interesse daran zu haben. Sie war Wirtin. Sie hatte ein Kind. Genug um abzuschrecken. Ob sie es zugeben wollte oder nicht, oft fühlte sie sich einsam.
Der Blick wanderte zum Fenster und stumm betrachtete sie die kleine Burgsiedlung, die im tiefen Schlaf zu liegen schien. Es musste doch etwas geben, was sie tun konnte. Irgendetwas abseits des Alltäglichen. Sie sehnte sich nach etwas Neuem.

Wäre er nicht, hätte sie wahrscheinlich inzwischen alles hingeschmissen und wäre irgendwohin gereist um einen neuen Anfang zu wagen. Auch wenn sie die Insel inzwischen eigentlich gern hatte. Auch die Menschen hier. Doch oft kam sie sich vor, als würde sie das alles von außen betrachten, kein Teil von all dem sein. Nur er durchbrach manchmal die Seifenblase, die um sie herum zu bestehen schien. Er schaffte es immerwieder sie entweder zu beruhigen oder sie aufzuregen. Stets das was sie brauchte, auch wenn sie es in dem Moment vielleicht nicht wusste. Er brachte sie dazu nachzudenken, aus dem Alltag auszubrechen und einige Momente Luft zu holen um neue Kraft zu sammeln. Und doch entwand er sich ihr, ließ sie nie wirklich hinter die sorgsam gepflegte Fassade blicken. Nur ab und zu ein kleiner Blick, gerade genug um die Sehnsucht nach mehr zu schüren. Aber vielleicht war es gerade das, was es so faszinierend machte, was sie herausforderte und sie verlässlich aus dem Alltagstritt brachte. Ob zum Guten oder zum Schlechten.
Heute aber war er nicht da. Und sie saß alleine am Bett der Kleinen. Der Kopf sank ihr auf die verschränkten Arme und beinahe Übergangslos verwoben sich ihre Gedanken mit ihren Träumen. Ein weiterer Tag war vorbei.


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 Betreff des Beitrags: Re: Abendstille
BeitragVerfasst: 23.09.12, 12:56 
Einsiedler
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Sie hasste das Gefühl gleichsam wütend wie traurig zu sein. Es machte sie unruhig und ließ ihre Gedanken in ewigen Kreisen ziehen, aus denen sie keinen Ausweg fand. Stets kam sie wieder bei den selben Gedanken an und eine Lösung war auch nicht in Sicht – zumindest keine die ihr behagt hätte.
Sie lief sicher schon das zehnte Mal durch das Haus, blieb an einem der Fenster stehen und sah hinaus, nur um sich wieder herum zu wenden und irgendeine Art von Beschäftigung zu suchen. Sie wischte in der Küche über, fegte die Stube durch oder klopfte die Kissen aus. Aber die Arbeit beschäftigte nur ihre Hände, nicht aber ihren Kopf.

Warum, bei den Vieren, machte sie sich eigentlich so viele Gedanken darüber? Im Grunde sollte es ihr doch egal sein mit wem er zusammen sein wollte. Mit wem er Tuschelte. Wessen Berührungen er fühlen wollte. Es konnte ihr völlig egal sein. WENN, ja, wenn er das verdammt nochmal nicht in IHRER Taverne tat. Sie verpasst dem Besen einen Tritt, so dass er klappernd auf den Holzdielen aufschlug.

Sie ließ sich matt auf die weichen Kissen des Sofas sinken und barg das Gesicht in ihren Händen. Was hatte sie falsch gemacht? Hatte sie ihn unbedacht verärgert? Oder ging es, wenn er bei ihr war, im Grunde nur um Mira? Zürnte er ihr immernoch wegen der alten Geschichte? Was sollte sie denn noch tun? Mehr als mit ihrem Verhalten zu beweisen dass sie es ernst meinte konnte sie doch nicht. Oder? Sie konnte doch nicht jedes einzelne Wort auf die Goldwaage legen, nur damit er zufrieden war. Sie hatte lange genug den Kopf eingezogen. Und er hatte sie doch früher stets dann geschätzt wenn sie Selbstbewusstsein und Stärke gezeigt hatte. Und jetzt?

Sie wischte beinahe ärgerlich die Tränen von ihren Wangen. Sie hatte sich nicht so verhalten. Vor seiner Nase mit einem anderen herumgeturtelt. Sie hatte sich entschieden und die Situation geklärt. Er nicht. Natürlich nicht. Er war ja der Mann und für einen Mann war es ja verzeihlich wenn er auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzte. Im Grunde war sie ja auch selbst Schuld. Sie hatte es hingenommen. Aber nicht so, nicht in ihrer Taverne. Das ging ihr gegen den Strich. Elender…

… sie vermisste die Verbundenheit so sehr. Das Gefühl dieselben Gedanken zu teilen. Das gegenseitige Abtasten. Das Spiel mit den Worten. Mal gewann er, mal sie. Sie wollte ihm in die Augen sehen. Auch wenn sie missbilligend dreinschauten. Sie wollte seine Hände auf ihrem Körper spüren. Sie vermisste ihn so sehr. Wie machte er das?

Leise betrat sie das Zimmer der Kleinen. Sie schlief unruhig als würde sie die Unruhe ihrer Mutter spüren und wiederspiegeln. „Es tut mir leid, Sternchen.“ Flüsterte sie fast unhörbar und holte tief Luft. Wahrscheinlich war ohnehin alles nicht so schlimm, wie es ihr jetzt erschien. Warum aber kamen ihr dann wieder diese verfluchten Tränen...

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 Betreff des Beitrags: Re: Abendstille
BeitragVerfasst: 23.09.12, 23:44 
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Der ganze Abend war schon ruhig gewesen. Die kurze Zeit in der Taverne, nur ein Gast, Mira friedlich spielend mit ihrer Schmusekatze und sie selbst nutzte die Zeit um einige Zeilen zu Papier zu bringen. Sie hatte sich etwas vorgenommen und heute hatte sie die Ruhe gefunden um damit anzufangen. Sie hatte den Kopf auf einer Hand abgestützt und führte die Gänsefeder. Immerwieder tunkte sie diese in das Tintenfass, doch diese Unterbrechungen waren kaum der Rede wert. Wenn doch nur diese Kopfschmerzen nicht gewesen wären.

Erst als Mira sich auf dem Teppich einrollte um zu schlafen, schreckte sie aus ihrem Schreibfluss auf. War es schon so spät dass die Kleine müde wurde? Der Tag war doch gar nicht so anstrengend gewesen. Im Gegenteil. Sie räumte ihre Sachen zusammen, drehte das Tavernenschild aus „Geschlossen“ und trat zu ihrer Tochter. Behutsam strich sie ihr das feine, schwarzgelockte Haar aus der Stirn – und erschrak. Miras Stirn war glühend heiß. Wie hatte sie das übersehen können? Sofort löste sie den Umhang von ihren Schultern, wickelte die Kleine darin ein und nahm sie auf die Arme. Es kam ihr vor als wäre sie den Weg von der Taverne zu ihrem Haus noch nie so schnell gelaufen. Sie wollte ihre Kleine nicht länger als nötig der auffrischenden Bellumsluft aussetzen.

Drinnen legte sie das fiebernde Kind auf das Sofa, zog ihr die weichen, ledernen Schühchen von den Füßen und betrachtete sie besorgt. Was hatte sie? Bisher war sie noch nie krank gewesen. Zu Anfang war sie zart, etwas zu dünn und schwach gewesen, aber krank? Nein.
Unruhig sah sie sich um. Kalte Wickel um die Waden sollten helfen. Eilig machte sie sich an die Arbeit. Der ruhige Abend wurde nun von quälender Unruhe abgelöst. Wadenwickel, eine Tasse Kräutertee, welche sie der Kleinen geduldig, Schluck für Schluck, einflößte. Sanfte, beruhigende Worte, auch wenn sie sich selbst alles andre als ruhig fühlte. Was, wenn das Fieber noch weiter stieg? Wen würde sie um Hilfe bitten können? Wirkliche Heiler gab es hier doch kaum. Vielleicht würde sie Mira zu seiner Eminenz Sandelholz und seiner Frau bringen. Sie kannte das kleine Haus bei Falkensee. Oder vielleicht war doch jemand im Hospital. Oder eine der Weißmagierinnen – Frau Gropp. Sie hatte doch sicher Erfahrung mit kranken Kindern.

Zyklus um Zyklus blieb sie bei der Kleinen. Das Fieber stieg nicht, sank aber auch nicht und Laynas Kopfschmerzen wurden immer heftiger. Sie fand keinen Schlaf und ihr war fast übel vor Sorge. Bis zum nächsten Morgen würde sie sich und Mira noch Zeit geben – wenn es bis dahin nicht schlimmer wurde. Dann würde sie Hilfe suchen. Vielleicht war es ja auch ganz harmlos. Kinder wurden ja ab und zu krank, oder? Das musste nicht immer etwas Schlimmes bedeuten. Aber sie hatte auch schon oft davon gehört, dass Kinder so schnell starben. So wenige Reserven hatten. Als sie das Gefühl hatte vor Sorge fast verrückt zu werden, fing sie ohne groß darüber nachzudenken an zu beten. Kauernd neben dem Bett der Kleinen. Stunde um Stunde.

… als der Morgen kam, war der Fieber ein wenig gesunken. Der Herrin sei Dank.


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