Am Ende der Welt
Er wollte nur noch die Augen schließen und verschwinden. Nach diesem Moment der absoluten Blamage vor sich selbst gab es nicht mehr viel, was ihn noch am durchhalten hielt. Immerhin wurde er nicht sofort von einem Blitz getroffen oder in den Erdboden gesogen, so wie er sich das beizeiten gerne vorstellte. Andererseits dachte er, wäre das gar nicht so schlecht gewesen in dieser Situation. Einfach aufhören. Dieses vermaledeite göttliche Spiel nicht mehr mitspielen. Aber war das überhaupt möglich? Eher nicht. Alle waren ein Teil, alle hatten irgendwo ihren Sinn und ihre Aufgabe, ihre Pflicht zu erfüllen. Also warum konnte er die seine nicht erfüllen? Wobei... tat er es nicht? Zweifel sind doch etwas menschliches. Gibt es überhaupt einen "richtigen" Weg, um seiner Bestimmung gerecht zu werden? Oder liegt die Erfüllung unseres Schicksals tatsächlich in unseren eigenen Händen? Gibt es keinen vorherbestimmten Pfad? Nur eine aneinanderreihung von Zufällen und äußeren Einflüssen die am Ende unser Sein bestimmen? Woher kamen die Zweifel? Wieso nicht einfach handeln, folgen, so wie es diejenigen taten, die in dieser Hinsicht bereits weit mehr Erkenntnis aufzuweisen hatten als er?
So trottete er eine Weile gedankenverloren dem hellichten Pfad entlang, der direkt zum Schloss auf der Anhöhe führte. Es war ein weiter weg, aber bedachte man die schier endlos wirkenden Treppen von vorher, war dieser Weg hier wesentlich einfacher zu bewältigen. So etwas wie körperlichkeit stellte sich ein, er spürte seine Füße, wie sie auf den steinigen, gut gepflegten Weg auftraten. Schritt für Schritt. Es war ohnehin ein wundervoller Tag. Felas Strahlen blendeten ihn leicht, es musste Morgen sein, zumindest ein früher Hellzyklus. Seine Laune besserte sich, ohne das er es sich wirklich erklären konnte. Er begann sogar leise zu pfeifen, ein altes Wanderslied das ihm noch aus friedlicheren Zeiten bekannt war. Es tat gut, sich einmal wieder Gedanken über diese Dinge zu machen. Die Tardukai, die ihm ins Becken geholfen hatte, hätte ihn vermutlich sofort für diesen Schwachsinn geköpft. Hier fühlte er sich irgendwie sicher. Aber war daran nicht etwas verkehrt? Was machte er überhaupt noch hier? Sollte er nicht wachsamer sein? Warum war es ihm plötzlich egal geworden, was ihn erwarten würde? Hatte er aufgegeben? "In was für einen Mist du immer hineinstolperst." sprach er noch zu sich selbst, mit einem angestrengtem Lächeln im Gesicht. Wenn es wirklich so etwas wie Schicksal gab, hatte es ihm überaus schlechte Karten auf den Tisch gelegt.
Er hob den Blick etwas an, sah gen Himmel. "Du bist schon ein Träu.." noch bevor er den Satz beenden konnte, stutzte er, und blieb stehen, die Hände stemmten sich in die Hüften. Die Zunge wurde im Mund seitlich an die obere linke Zahnreihe geschoben, etwas, dass er selten tat, und ein physischer Ausdruck seines Erstaunens wars, begleitet von einem schnörkellosen, feststellendem "Hah. Seltsam." Der Doyaron hang tief, sehr tief. Und war groß, unfassbar groß. Er legte ungläubig den Kopf zur Seite. Er hätte schwören können - nachdem was soeben vorgefallen war - das ihm der Blick auf den heiligen Mond verwehrt gewesen war, doch da war er. Die üblichen Konstellationen schienen außer Kraft gesetzt, vom Astreyon oder dem Vitamalin war weit und breit nichts zu sehen. Er musste nah sein, verdammt nah an Tare. Ein warmer, starker Wind erfasste das Tal, in dem er sich befand. Eine starke Brise, wie sie sonst nur in Küstennähe vorkam. Doch weit und breit war keine Spur eines Meeres auszumachen. Wieder fiel ihm auf, dass es erstaunlich ruhig war. Kein Vogelgezwitschere, kein Tier weit und breit. Nur Landschaft, Szenerie. Menschenleer, aber malerisch anzuschauen. Wo waren sie alle? Er kam sich zurückgelassen vor. Allein auf weiter Flur. Er sah hinab auf das Schwert in seinen Händen. Nichts - als wäre es das normalste Schwert, dass er je in den Händen gehalten hatte.
Ein ungutes Gefühl machte sich langsam in ihm breit, erst schleichend, doch dann erfüllte es ihn mehr und mehr, wie eine schmerzhafte Erinnerung längst vergangenen Zeiten, die ihn nun wieder einzuholen drohte.
"...zeig mir, wovor du dich wirklich fürchtest.Ein markerschütterndes Donnergrollen erfüllte die Landschaft, durchdrang scheinbar jeden Stein, jede Faser, die kleinsten Teile - überall auf Tare. der Knall durchdrang sein innerstes, alle Gedanken, alles hadern mit sich war vergessen, schlagartig. Ein süßes Gefühl von Erlösung. Absolute Klarheit erfuhr er in diesem Moment. Es war Zeit. Das Ende der Zeit hatte begonnen. Das vierte und letzte Zeitalter war angebrochen, das ewige. Wie ein steter, langsamer Herzschlag durchbrach das laute Pulsieren die Stille. Der Augenblick, nachdem er sich so sehr gesehnt hatte, war gekommen. Eine Antwort auf all die Fragen, der Kreis würde sich endlich schließen. Was einst getrennt war, würde nun wieder Eins werden. Die einzige Lösung. Alles würde endlich enden.
In unmittelbarer Umgebung des Doyarons woben sich seltsame Luftgewirre auf, arkane Gewebe die Zeit und Raum zu zerfetzen schienen. Hell glimmend brachen die Grundfesten der Gesetzmäßigkeiten dieser Welt auseinander, und der dunkle Mond läutete, den Himmel verdunkelnde, ewige Finsternis ein. Heerscharen an geflügelten Bestien, Kreaturen jenseits seiner Vorstellungskraft - teilweise Turmhoch brachen hindurch. Welch beachtliches Heer. Welche gigantische Macht Gottkönig doch tatsächlich besaß. Dieser Krieg würde nicht lange dauern, niemals. Endlich frei. Endlich eins. Aber etwas stimmte nicht. Ein prüfender Blick an sich herab - und was er sah, gefiehl ihm nicht wirklich. Er stand auf Siebenwind. Irgendwo im Ödland. Über die Kettenrüstung trug er die den Waffenrock des Löwenordens. An seiner Seite Ritter, Geweihte, Regimenter des Königs. Elfen, Dwarschim, Nortraven, gar die Orken. Sie alle waren hier. Ganze Heerscharen. Starren, nur mehr starren. Auf die Katastrophe, die sich vor seinen Augen entfaltete. Das hatte er sich anders vorgestellt.
"...Sieg oder Niederlage?"Ein lauter Schrei erfüllte seine Schlachtreihe, und die Helden der Viere stürzten sich in ihre letzte Schlacht, bereit, alles Seiende bis auf das letzte zu verteidigen. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit, fest entschlossen, alles, was sie besaßen, dem Einen entgegenzuwerfen. Alles, was sie waren. Bis zum bitteren Ende. Sein Schwert blieb gesenkt.
"Für wen kämpfst du wirklich, Krieger?"Langsam hob er das heilige, noch immer Stille Schwert. Der rasche Gang wurde zu einem Lauf, die Flecken am Himmel wurden größer und größer. Auch am Boden, wohin man nur schaute, walzte eine Lebendige Masse Unheil in Richtung der Schlachtreihe.
"Wer bist du? Und was suchst du?"Gewaltige Beben erschüttertenden den wahrhaften Boden des alten Drachen Tare, mit hoch erhobenem Schwert prallte er in die schier unbesiegbar anmutende Horde des Gottkönigs - Ein schwerer Schlag an der Schulter, dann einer direkt an den Schädel. Die Sicht verschwamm, ein lähmender Schmerz durchfuhr seinen gesamten Körper. Können wir überhaupt gewinnen? Im Angesichte des nahenden Untergangs...? Sollten wir nicht... siegreich sein? Wir alle?
"...niemand wird siegen. Denn dies ist das Ende allen Seins."