"Verlangt dafür ihr Herz...Ihr offenes Herz"Einen Augenblick lang spannte sich jede Faser seines Körpers an.
Das zerknüllte Pergament unter seinem Fuß raschelte leise, als er es noch weiter von sich schob.
Bilder kamen in ihm hoch. Bilder eines eiskalten Körpers, unter ihm. Ein verzweifelter Blick, ringend nach Luft. Vergeblich. Unterwasser.
Bilder des selbigen Körper. Der Rücken schamlos durchgedrückt, der Kopf hingebungsvoll beiseite geworfen, bedeckt von wallendem Haar.
Wie ein Tier, dass sich dem ältesten Trieb hingab, neben dem Trieb zum töten.
Aber er sah es aus der falschen Perspektive.
"...dass sie euch hineinsehen lässt! Warum es schlägt und handelt, wie es das tut!"Fremd und fern klang die Stimme einer Frau an sein Ohr. Suchte eindringlich Einlass. So fremd, so fern und doch hatte sie einen passenden Schlüssel für seine Welt.
Für ihre gemeinsame Welt.
Er spürte ihre Präsenz, wie sie neben ihm kniete.
Spürte ihren Blick, wie er versuchte, den seinen zu erhaschen.
Sein Zorn zog sich zurück, seine Glieder erschlafften und das Pergament wanderte vom Boden auf den Tisch.
Erst, als er die Zeilen ein weiteres mal las, blickte er beiseite.
"Im süden vor Falkensee..ist das Grab eines ritters...
der starb durch die hand seiner eigenen Frau... er glaubte bis zum letzten Moment, dass ihre liebe obsiegt..."Sie machte eine kurze Pause
"War er nun ein narr oder ein Vorbild?""Er war blind. Blind wie Sie auch.""Und was...wenn sein Tod sie rettete? Wenn es Sie abweichen lies vom verblendeten pfad?"Er schloss seine Augen, antwortete nicht. Am liebsten hätte er sie fortgeschoben. Sie ausgeblendet, wie jegliches Gefühl von Reue. Wie jeden Anflug von Angst. Die nächsten Worte hallten nur dumpf und hohl in seinem Kopf. Er verstand sie nicht...
"Aber wenn ihr hilfe braucht, werde ich für euch da sein"Sie erhob sich. Eine anmutige Gestalt. Zuvor nie als solche betrachtet. Der dunkle Hautton widerte ihn an. Oder war er es, der sich selbst anwiderte?
Rief die Verbundenheit, die er in diesem Augenblick fühle diesen Ekel hervor?
Oder war der bittere Geschmack doch nur entstanden, weil er einsah, dass es keinen Grund gab, sie zu verachten?
Sandfresser! Ehrlose Beutelschneider! Dirnen und Gaukler!
Der Feind! Die Fremden! Endophali!
Es platzten abertausend Gedankenblasen in seinem Kopf. Hunderte Prinzipien, dutzende Vorurteile, Errinerungen, Lügen, die nie als solche erkannt werden wollten.
Blinder patriotismus. Hass. Unergründete Feindschaft.
Wie vor einem imaginären Schreibtisch stapelte sich alles. Bräuche, die ihn anwiderten, Farben, die er hasste, Klänge, die ihm Kopfschmerzen verursachten, Gerichte, die ihm nicht schmeckten.
Er heuchelte Höflichkeit vor und wurde dabei erwischt.
Wollte einen Nutzen aus ihr ziehen und belastete sich selbst.
Probierte Masken und verlor sie alle.
Kein ganzer Zyklus verging und er schob die vermeintlichen Akten auf dem Schreibtisch energisch beiseite...
...und aus einem profanen Gespräch wurde wohl der Grundstein für ein anderes Leben.
Er sah ihr lange nach. Der dunkelhäutigen Schönheit.
Doch alles, was seine Lippen formten war ein lautloses
"Danke"