Nur hin und wieder hallten irgendwo ferne Schritte in dem düsteren Bauwerk, in dem die Schatten so lang und finster wirkten, als wollten sie alles, was sich darin befand, verschlucken. Manchmal schien es ihr, als höre sie irgendwo den Wind rauschen, doch es konnte auch Einbildung sein. Es war ein seltsamer Ort, ein Ort, an dem alles einen Deut abseits schien, abseits von dem, wie es sein sollte, abseits von Tare.
Die rechte Hand an dem kleinen Kettenanhänger mit dem Kelchsymbol Vitamas, verharrte sie mit geschlossenen Augen, lauschte der unheilvollen Stille um sie herum. Die sturen Gebete an die Viere, als er... etwas ... bewirken wollte, was es auch war, hallten im ihrem Kopf und ihrem Herzen wieder. Wenn ihr eines an diesem Ort helfen konnte, dann die Viere. Ein seltsames Gefühl war es gewesen, als sei da noch jemand, erst um sie, dann immer näher, dann in ihrem Kopf. Ein Schlag aus dem Nichts hatte sie getroffen, als sie ihre Gebete begonnen hatte, doch nach kurzer Benommenheit hatte sie weiter die Worte geformt, die ihr von kleinauf ein Gefühl von Schutz vermittelt hatten - und diesmal war nichts geschehen. Dann war das Gefühl, die Präsenz, das Fremde in ihr wieder fort.
Spott war den Tardukai so eigen wie der sprichwörtlichen Drossel. Ira war sich nie sicher, ob sie spotteten, weil es das war was man tat, wenn einem Argumente fehlten - oder weil sie tatsächlich nicht verstanden. Im Grunde war es auch egal. Es lag ihr fern, irgendwelche Beweggründe oder Gründe für irgendetwas mit ihnen zu debattieren.
Ein einzig Gutes hatte die ganze elende Entwicklung:
Bisher hatten die Tardukai sich alle Mühe gegeben, so zu handeln, dass alle Regeln der Ehrbarkeit geboten, sie doch zumindest anzuhören ehe man ihre Ansinnen abwies, ihnen höflich aber bestimmt den Weg zu verwehren, statt sie ohne Warnung anzugreifen - sie wie ehrbare Feinde zu behandeln, auch wenn alles, das sie vertraten, danach verlange, sie umgehend auf einen Scheiterhaufen zu stellen.
Zumindest das hatten sie sich nun verspielt. Vielleicht machte das in Zukunft Manches leichter.
Als keiner von ihnen mehr im Zellentrakt war, hatte sie sich in die Ecke der Pritsche fallen lassen, den Kopf in den Nacken gelegt und die finstere Zellendecke angestarrt. Weder wollte sie sich der Erschöpfung hingeben, noch hätte sie es gekonnt, wenn sie gewollt hätte. Das Unheil klebte diesem Ort nur so an. Es war kein Ort um zu schlafen. Schon gar nicht in dieser ersten Nacht des Dunkeltief.
Morgen - heute - war es schon heute? - wollte man sie "mitnehmen", zum Auftakt dessen, was die Schergen des Einen geplant haben mochten. Aus ihren Wortfetzen hatte sich kein klares Bild ergeben von der Rolle, der sie ihr zugedacht hatten, aber es hatte gereicht, sie bis ins Mark zu beunruhigen. Doch zumindest für den Moment fehlte ihr das Wissen, um damit zu planen, um weitere Maßnahmen zu erwägen als jene, die ohnedies der erste Schritt sein mussten.
So blieb ihr nichts, als still ihre Gebete an die Viere fortzusetzen, sie fest im Herzen zu bewahren und dessen zu harren, was der Tag bringen mochte.