Siebenwindhomepage   Siebenwindforen  
Aktuelle Zeit: 12.07.25, 09:49

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 8 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: V. D. Duargs letzte Reise...
BeitragVerfasst: 30.10.02, 17:47 
Edelbürger
Edelbürger
Benutzeravatar

Registriert: 14.12.01, 13:08
Beiträge: 1012
Wohnort: Vandrien
Sein Blick schweifte an den beiden Novizen, welche auf der anderen Seite des Tisches ihren Platz hatten, vorbei und sah leicht abwesend wirkend nach draußen, soweit der Balkon mit den bedrohlich wirkenden Zinnen es zuließ. Es war wieder einmal Nacht und der Regen fiel geradezu stürmend auf die Insel und die Feste darauf ab als wollte der Regen sie alle erschlagen und hinfort spülen.
Man fand sich beieinander, um über aktuelle Geschehen zu sprechen und natürlich die Novizen zu befragen, sie in ihren Ansichten und Glauben zu prüfen. Varg selbst nahm dies äußerlich gelassen hin... doch innerlich rissen die Fragen des Satais, welcher diese an seine Schülerin Amuri stellte aus seinem verträumten Schein und sein Körper spannte sich an, hoffend, dass sie das richtige sagen würde, denn ein jeder Tardukai bürgt für seinen Schüler mit Leben, dass dieser auch für eine Ausbildung fähig sei. Varg vertraute ihr und war fest davon überzeugt, dass sie es einst schaffen würde, allerdings wurden in letzter Zeit auch seinem Vertrauen Grenzen aufgezeigt, weil er fühlte wie sehr sie auseinander gedriftet waren, sich kaum sahen und er auf Grund dessen kaum lehren konnte. Der Gedanke oder eher die Ahnung, welche ihm kam, wenn er sich nach dem „warum“ fragte, bereitete ihm Unbehagen... ein viel zu großes, dass er den unbequemen Gedanken stets beiseite schieben mochte.
Sein Name fiel... Varg dreht sich zum Satai, denn nur diesem wäre dies in der Runde erlaubt gewesen und voller Achtung vor diesem und Demut vor dem was dieser repräsentierte, sah Varg den Satai an, der ohne Umschweife sofort weitersprach:
“Varg, ihr werdet noch heute aufbrechen... nach Vandrien“
Ein Schrecken ließ sein müdes Blut in seinen Adern rascher strömen, was die Monate zuvor gerade noch reichte, dass er sich an dem Leben festkrallen konnte... wollte. Vandrien? Die weiteren Worte seines Bruder verblassten in Vargs Geist und blieben nur als ein Wispern, obwohl er ihm doch so nahe war... Es war nur so seltsam... fremd... Vandrien, Vargs Heimat... nun solle er zurückkehren, nicht um seinetwillen, sondern um einen Auftrag zu erledigen... Seine Augen waren nun arg geweitet und in ihnen konnte man lesen, wie sehr seine Gedanken zu dem Land abschweiften... das so fern war, doch in seinem Herzen stets so nahe blieb.
„Er wird Draconis erreichen, ohne dass ihm das geringste Leid zugefügt wurde.“ Sprach Varg fest und selbstsicher und erhob sich bereits von seinem Stuhl. Er nahm den Auftrag an, denn es war seine Pflicht, eine Ehre, aber insgeheim sein sehnlichster Wunsch, dorthin zu gehen, wo all sein Leid und seine Freude ihren Ursprung hatten.
Bruder Thalion hinter sich, der schwach und gebrechlich die Treppe hochgekommen war, schien er gar nicht mehr wahrzunehmen... Ein einfaches „Gehabt euch wohl!“ und mahnende oder vielleicht besorgte(?) Worte an Amuri kamen ihm über seine Lippen und er wandte sich raschen, festen Schrittes ab... Nie war der Gang aus der Feste so schwer und bereitete ihn so viele Gedanken. Wie lang wird er wohl fort sein? Kann er sich nun endlich rächen? Wird er überhaupt zurückkehren? Sarah! Varg blieb abrupt stehen und zuckte zusammen als würde der Name und Gedanke zugleich sich wie eine Klinge in sein Fleisch schneiden. Tief musste er einatmen, um sich wieder zu fangen und nun wurde ihm seine Schuld bewusst, dass er sie zurücklassen musste, sie und das Kind, doch blieb ihm eine Wahl? Nein, denn es ging mehr als nur Leben oder Tod, mehr als um Liebe oder Hass... Im Namen des Fürsten hatte er seine Pflicht zu erfüllen... Allein dies stand über allem... über sein Leben, über seine Liebe und auch über seine Seele, denn diese war es, die „ihm“ gehöre – dem Fürsten.
Wenige, doch fast ewig lange Schritte, die im Gemäuer der Feste laut und eisig einsam wiederhallten, ließen die Feste Varg dann dem tosenden Sturm offenbaren, welcher sich ihm annahm als wollte er ihn unter sich verstummen lassen. Varg griff über die Schultern hinweg, um seine Kapuze über den Kopf zu ziehen und wickelte sich im Mantel tief ein. Im Sturm und Regen ging es ihm nicht anders als einem Bettler einer Großstadt oder einem rastlosen Landstreicher im Gebirge. Er war vereinte nun beide in sich... nur seine Klinge und nötigste Kleidung bei sich habend und auf suchender Wanderschaft.
„Brandenstein...“ kämpfte Vargs Wispern gegen das laute Gebrüll des Sturmes an, um den Bootsführer anzuweisen und setzt sich, ohne auf eine mögliche Antwort zu warten, in das Boot.
Während der Überfahrt schlugen die Wellen gewaltsam gegen das Boot und vom Salz verdicktes Wasser peitschte Vargs Gesicht... und ließ ihn mehr schwach als müde werden.
Als er wieder aufwachte, geweckt vom Kreischen der Möwen über ihn, welche den strahlenden Himmel lobpreisten, schien er wie noch im halben Schlaf und kämpfte sich auf den Steg. Der Bootsführer machte ohne Abschied kehrt. Varg sah dem Segelboot nach wie es vor seinen Augen friedlich fortfuhr und immer kleiner wurde bis es weg zu sein schien.
Langsam drehte er sich um. Er müsste nun wen aufsuchen, um ein Schiff begehen zu dürfen, doch wen? Sein Blick fiel auf die Frage folgend auf das Schild der Reederei. Varg schmunzelte, was eher gezwungen wirkte, schob sich die Kapuze wieder auf die Schultern und ging auf diese Reederei zu. Fest umgriff er den einfachen Knauf der Holztür und zog sie auf... Wider Erwarten saß dort kein Brandensteiner, die man an ihrem Auftreten leicht erkennen konnte, sondern ein alter, gebrechlicher Mann... „Ja, so endlich! Ich wartete lang auf euch. Man nennt mich Kera...“ Seine Stimme wirkte irgendwie vertraut auf Varg, der Keras Deut auf die Liste folgte. Er sollte sich dort für das Schiff „Thorn“ eintragen. Dieser Name... ein Zufall? Wie dem auch sein, Varg wollte nun fort und ohne sich mit Kera weiter auseinandersetzen zu wollen, setzte Varg seinen Namen auf Liste: „V. D. Duarg“.
„Lasst mich euch noch zum Schiff führen!“ erklang Keras vom Alter kratzige Stimme in Vargs Ohren... wenige später begann Vargs letzte Reise.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 4.11.02, 10:44 
Edelbürger
Edelbürger
Benutzeravatar

Registriert: 14.12.01, 13:08
Beiträge: 1012
Wohnort: Vandrien
Die Thorn war ein Segelschiff mit drei Masten und gab einer Mannschaft von weniger als zwanzig Mann einen Lebenssinn, denn jedenfalls schien Varg es so als hätten die Männer nie etwas anderes getan als das was sie auf dem Schiff taten. Egal ob bei Tag oder Nacht, Varg wanderte stets über das Deck des Schiffes, sah sich das Schiff aus jedem Winkel an und beobachtete die Matrosen bei ihrem Tun. Es war mehr als Neugierde, die Varg dazu bewegte. Er war von der Thorn fasziniert, denn ganz gleich wie alt und geschunden sie auch wirken musste, sie war etwas eigenes und auch sie hatte etwas vertrautes... aufwühlend war dieses Gefühl. Zu fühlen, etwas zu kennen, aber nie zu verstehen, was es nun war... nicht fähig dem Gefühl einen Gedanken zuzuordnen, welchen man sich in seinem Gedächtnis einzuprägen versucht als würde man Zeichen in eine Steintafel schlagen, war fast quälend unerträglich für ihn.
Die Matrosen nahmen ihn nicht wahr, genauso wenig wie der Kapitän. Varg schien unauffällig und dies war auch sein Wunsch. Am liebsten hätte er sich in seine Kajüte verkrochen, die Tür versperrt und mit sich allein die Überfahrt so verharrend überdauert... doch zu sehr mochte er die frische Brise von dem Meer her und so trieb es ihn immer wieder an das Deck. Nachts stand er dann da, an der Reling, krallte sich mit seinen Händen in das fast morsche Holz und sah auf das schwarze Meer hinaus... schweifte mit dem Blick über das finstere Wasser bis dieser das Spiegelbild des Viatamalin traf, daran hängen blieb und in einem Traum, mit offenen Augen geträumt, versank, während das Knarren der Masten, welches in der stille Nacht lauter und bedrohlicher klang, als ob das Schiff auseinander zu brechen drohte, einen steten Schauer fühlen ließ.
In seinen Träumen sah er Vandrien zu einer Zeit, in der es erblühte und er den Namen „Eolor“ mit Glück verband. Nun war sie nicht mehr als eine Erinnerung, das wozu er sie immer haben wollte... Tag für Tag, Traum für Traum schien die Erinnerung an sie zu verblassen. In seinem Herzen war schon lang kein Platz mehr für sie... für niemanden außer Sarah selbst...
„Warum speist ihr nicht mit der Mannschaft?“ Varg drehte sich ruhig um, obwohl diese Worte wie raue Gewalt ihn aus seinen Träumen, seinen Gedanken rissen. Leicht grollend sah er zu der Gestalt auf, mit der Rechten instinktiv sein Schwert suchend, doch es war fort... er musste es wohl in der Kajüte liegen gelassen haben – ein Unachtsamkeit, über die Varg selbst überrascht wahr und ungläubig zu der Stelle sah, wo die Schwertscheide am Gurt befestigt war. „Varg?“ Sprach man wieder zu ihm, doch als Varg dann zu diesem aufsah und erkannte, dass es nur Kera war, schien Varg erleichtert, was er diesmal äußerlich nicht verbergen konnte. Nun war es gar so als käme Varg nicht nur Keras Klang seiner Stimme bekannt vor, sondern auch seine Kleider... doch Varg wollte es einfach nicht in den Sinn kommen, woher die Vertrautheit herrühre. Ironisch, dass manchmal eine Vertrautheit so stark und unbekannt sein kann, dass sie einen wieder beängstigt, misstrauisch macht, dachte sich Varg und sah Kera nachdenklich an, ohne auf die Frage von ihm zu antworten, da er sie zu vergessen schien. „Warum esst ihr nicht mit uns?“ sprach Kera wieder in einer völligen Ruhe. „Ich habe keinen Hunger...“ „Ich werde euch etwas vor die Kajüte stellen“ Der Alte lächelte matt und drehte sich um als Varg es schon längst getan hatte. Als die Schritte auf dem alten Holz des Deckes nicht mehr zu vernehmen waren, drehte Varg sich halb um und mit einer leicht gerunzelten Stirn sah er Keras nach...
Mondzyklen vergingen während der Überfahrt, aber nicht so schnell wie Varg es sich wünschte, sondern so quälend langsam, dass es eine betäubende Wirkung hatte. Jeder neue Tag auf der Thorn war wie der vorige und der folgende. Es wurde ein unerträglicher Alltag, jeden Morgen, wenn die Dunkelheit sich vor dem Licht beugen musste, von dem Wippen des Schiffes auf den übermächtig erscheinenden Wellen aufgeweckt zu werden. Sobald man das Deck betrat, überkam einem die Sehnsucht nach dem „fort“. Das Licht blendete die Augen, schmerzte, ließ sie nach einer Zeit rötlich geschunden wirken bis einem das Licht alles um einen herum nur noch matt und verschwommen sehen ließ. Die Matrosen schienen nach all der gemeinsamen Zeit immer noch fremd und waren eher seelenlose Statisten in Vargs Augen – es beruhte auf Gegenseitigkeit.
Den ganzen Tag über wanderte er von einem Ende des Decks zum anderen, gehüllt in seine einfachen Kleider, die er im Laufe des Tages enger zog, bevor die Kälte der einbrechenden Nacht ihn hätte überwältigen können.
Sein Ringsherum nahm er kaum noch war, zwar sah er stets auf das Meer, doch schien es als würde er in Träumen versunken, durch dieses hindurchsehen und noch bevor der „Höhepunkt“ der Nacht erreicht war und er einsam am Deck dem allmählich vertrauteren Knarren des Geisterschiffes lauschte als würde es eine niemals endende Geschichte erzählen, resignierte Varg... und ging unter Deck, seine Kajüte aufsuchend. Das Tablett mit dem Abendmahl darauf vor seiner Tür ließ er wie alle anderen zuvor auch unberührt. Nie sah Varg denjenigen, welcher sein Gönner war, Kera... nur Schritte, die Varg im Halbschlaf vernahm, deuteten auf Kera, der das Tablett wie jede Nacht, fast emsig, wieder forttrug.
Gedanken an das Kommende und das Zurückgelassene wurden in der dunklen Kajüte zu Sorgen, welche tief in sich hineingefressen wurden und auf ewig unausgesprochen blieben und bleiben würden. Ihm war bewusst, dass je länger die Reise dauern würde, auch sein Geist und sein Leib sich nach einer Erlösung sehnen würden – die Sehnsucht nach einem Tod als ob dieser attraktiv wäre und in weiblicher Gestalt ihn zu sich winkte. Inneres Wehklagen und oberflächlicher Schmerz nahmen ihm den Wunsch... Er würde noch wahnsinnig werden, dachte sich Varg und sah wie die Kajüte sein Blut in sich aufsog...


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags: Verloren...
BeitragVerfasst: 6.11.02, 17:34 
Edelbürger
Edelbürger
Benutzeravatar

Registriert: 14.12.01, 13:08
Beiträge: 1012
Wohnort: Vandrien
Die Möwen kreischten Varg an jenem Morgen aus dem Schlaf als die Überfahrt an ihrem Ende schien wie alles was mit dieser zu tun hatte. Aus der unruhig wippenden Thorn wurde ein tot scheinendes Schiff ohne Segel und Mannschaft, die bereits mit Hilfe der Boote an Land gegangen war. Kera und Varg waren allein auf dem Deck als sie den Booten nachsahen und Varg zum letzten Male über das Deck schritt. Es war als wollte er sich von dem Schiff verabschieden und Varg schmunzelte als er mit seinen Händen den Mittelmast berührte und die Augen schloss. Er war erleichtert, dass diese Etappe überstanden sei ohne auch nur einen Gedanken an die kommenden zu verschwenden. Varg drehte sich in Richtung der Küste, jedoch war es nicht die Küste Vandriens, die er erblickte – es war die Malthusts. Ein ihm anwidernder Anblick, der in ihm großen Groll hervorrief und seinen Leib vor Zorn zittern ließ als er die Stadt nahe der Küste sah... Dorgasz. Hier endete das Leben seiner geliebte Eolor und das seines Sohnes und mit ihnen sein verblendetes Leben, um in den Armen Angamons die Wahrheit wissend wiedergeboren zu werden.
Das Lächeln Keras ließ Vargs Kopf zu ihm herumreißen, doch brachte Varg kein Wort über die Lippen und je länger er in Keras alte Augen sah, desto ruhiger wurde Varg selbst als wolle er ihm den Triumph nicht gönnen, den man in Keras Augen lesen konnte. Warum Kera lächelte und warum Varg ihn nicht sehen lassen wollte, war für Varg unerklärlich oder wollte es sich nicht eingestehen – es war wohl einfach nur Eitelkeit.
Als ein Klopfen zu hören war, als Zeichen eines zurückkehrenden Bootes, gingen beide zur Strickleiter hin und kletterten diese ab, Varg als erster, gefolgt von Kera, der die Strickleiter am Ende mit sich riss. Es war bereits sehr kalt dachte sich Varg als er sich in das Boot setzte und zum grauen Himmel aufsah, der bereits seine Schneeflocken nieder schweben ließ.
Je näher der Boden Malthusts rückte, desto grauer und trüber schien alles um Varg herum zu werden, der die Augen leicht schloss, um die Zeit der kleineren Überfahrt von sich zu weisen.
Der ruckartige Stopp des Bootes an der Küste kündigte ihm die Ankunft an und mit einem bedrückenden Gefühl stieg er aus dem Boot und betrat zum ersten Male seit „damals“ den Boden, den er so hassen lernte.
Keras Männer trugen all ihre Sachen zusammen und brachen nach Norden auf. „Varg, ich dachte ihr wolltet nach Vandrien?“ sprach Kera hörbar amüsiert und winkte jedoch ab als Varg nicht reagierte und die Stadt Dorgasz vor den Augen sich auf dem Weg zu dieser machte.
Der Weg war einst befestigt, doch schienen die Steine fortgetragen zu sein, was einzelne Brocken und zerbrochene Wagen verrieten.
Dorgasz begrüßte Varg gegen Abend mit stärker werdenden Schneefall. Er ging die Straße auf wie er sie vor langer Zeit abging und empfand sich wie in einem vergessenen Traum, deren Details ihn klagend einholten.

„Der Abend dämmerte und der Schleier der Nacht legte sich über das regnerische Dorgasz, meiner "Heimatstadt", in der viele Lichter die Stadt zu beleben versuchten. Doch scheint mir die Nacht heute wie die dunkelste all meiner Nächte, in welcher mein Sohn geboren werden sollte.“

Der Weg zum alten Bettlerviertel war beschwerlich, der Steigung und des abstürmenden Schnees wegen. Doch all dies schienen die Menschen um ihn herum nicht zu stören als wäre es für sie nicht existent wie es für Varg war. Auf dem halben Weg machte er vor dem Rathaus halt, vor welchem sich der Marktplatz ausbreitete und die Menschen ihrem gegebenen Tun nachgingen. Sie sollten alle sterben... egal ob Frauen, Alte oder Kinder... sie sollten alle sterben, gerichtet durch Schwert und Feuer, gerichtet von ihm.
Mit jedem Schritt zu der alten Behausung hin wuchs der Zorn und der Hass auf die Stadt und jedem, der in ihr lebte. Dann krallte er sich mit seinen Händen in die eigenen Kleider und zog den Mantel aus Tüchern fester an seinen Leib und sah zu der maroden Holzhütte auf, umgeben von mehreren gleicher Art, in denen viele Familien an der Pest verendeten, die scheinbar stets die Armen und Kranken heimholte.

„So lag sie schon lang da und je mehr sie sich quälte, desto größer wurde meine Angst um sie. Ich sah flüchtig zum Mond, der am Fenster vorbeizog und ballte die Faust, auf dass durch meinen Zorn die Hilfe doch endlich kommen möge, nach der ich vor Stunden schon schickte.

Eolor flehte nach meiner Hand... ich nahm sie und küsste diese sanft.“


Varg trat in das alte Haus ein, in welchem der geschmolzene Schnee von den Balken auf ihn abtropfte. Er musste gezwungen schlucken als er endlich den Schritt auf die erste Stufe der Treppe tat, dessen Knarren ihn an die Schritte der Hebamme erinnern ließ.

„Die Tür sprang auf, gestoßen durch einen Durchzug. Ich lief zu der Tür und lehnte mich dagegen, doch dann hörte ich das Knarren müheselig ausgeübter Schritte, die sich an der alten, hölzernen, und an manchen Stellen angebrochenen, Treppe hochgequälten...“

Oben angekommen kam der Schmerz zurück, der ihn damals lähmte und schließlich sein Leben auszulöschen drohte. Er wagte es nicht, auf das Bett zu sehen, in dem sie gelegen hatte. Das Fenster war noch immer offen und über ihn hatten sich die dunkeln Vögel von einst wieder eingenistet.

„Das Geschrei Eolors riss mich aus meinen Gedanken und vor mir ergoss sich Blut... Die Hebamme hielt meinen Sohn in ihren Armen, doch er schrie nicht, denn er war tot geboren.

Ein Schaudern überkam mich. Der Regen ließ etwas nach und das Wasser tröpfelte von der Regenrinne auf den Fenstersturz. Die Hebamme legte den kleinen toten Körper neben meiner Liebsten. Meine Augen wurden trübe vor Tränen.

Ich brach auf dem Holzboden zusammen, dass es laut krachte und die Krähen, die unter dem Dach vor dem Regen Zuflucht suchten, mit ihrem kreischenden Gesang davonflogen.
Ich kämpfte mich auf und schleppte mich zu Eolor... Sie war so schön anzusehen... ihr quälender Gesichtsausdruck ging dahin. Sie bat mich näher zu kommen und ich hielt meinen Kopf an ihre Stirn. Sie flüsterte seufzend: "Ich liebe dich, Varg."
Meine Tränen fielen sachte auf ihre Lippen. Ich kostete nochmals von ihnen...

Dann starb sie... „


Sein Innerstes schrie vor Schmerz und Trauer, verursacht durch Erinnerungen, die er sich doch mit so viel Leid und Entbehrungen wegschneiden wollte. Was tat er nicht alles, um zu vergessen, doch war all jenes was ihm zu dem machte was er nun war – ein Tardukai – Trug. Er hatte sich selbst belogen und verraten. Tränen rannen ihm die nun bleichen Wangen ab und er stürmte die Treppe ab, deren Stufen hinter ihm leicht wegbrachen, und machte vor der alten Kiste halt... er riss sie rasend vor Zorn auf und wühlte und warf das Werkzeug beiseite bis er wie gegeben das fand, was ihn in seiner Wut zufrieden stellen sollte – eine Axt.

„Ich konnte Eolor noch nicht rächen! Nicht jetzt! Keiner ihrer darf ungesühnt weiterleben... Ihre Zeit wird kommen... „

Die Zeit war wahrlich gekommen und im Schutze der Dunkelheit lief er den Weg zu dem Rathaus ab, in welchem der Rat der Stadt auch bei Nacht verweilte. Ohne sich nach den Stadtwachen umzusehen, begann er mit arger Gewalt auf die Tür einzuschlagen bis sie aus den Angeln gerissen wurde. Sein Blut begann zu kochen wie er dem Flur entlang rannte und die Kerzenständer hinter sich auf den Teppich stieß, der Feuer fing, welches stechend die Wände hoch eilte und die prunken Wandteppiche und Gemälde verzehrte während aus scheinbar allen Türen Bedienstete sprangen und beim Anblick des Feuers aufschreiten und verstummend kreischten als Varg ihnen mit der Axt das Leben nahm und mit ihren Blut und Leibern das Feuer nährte. Es gab kein Halt für ihn und er setze mit jedem Zimmer und jeder Person im Hause fort wie er begann, ohne auf das selbst gelegte Feuer zu achten, welches ihn am Ende einzukesseln drohte, ihn an die Wand drückte und Varg dazu zwang auf dem Hinterhof aus dem Fenster zu springen. Kleider zerrissen, Fleisch wurde geschnitten und Knochen brachen, doch konnte er nicht von der Axt loslassen.
Wachen und gaffende und zugleich ungläubige Bürger schrieen auf dem Marktplatz als das Feuer auf die umstehenden Häuser übersprang und die Menschen tanzend unter sich begrub, deren unendliches Leid in ihren, aus vollem Halse geschrieenen, Wehklagen wie ein grausames Lied zu Varg drang, der auf der Anhöhe außerhalb Dorgazs mit leeren Augen vor dem Grab seiner Eolor niedergekniet war...

„Jeder einzelne Atemzug schmerzte als ich meine Liebsten auf einer Lichtung eines nahegelegenes Waldes niederlegte. Es war vielleicht kein schöner Ort, aber ein friedlicher. Ich nahm einen Gesteinsbrocken und schürfte den Boden weich. Ich grub und grub bis der Stein auch meine Hände blutig schürfte... und legte meine Liebsten nieder.
Ich ließ die nasse Erde auf den Sinn meines Lebens nieder und hielt inne.“


Damals wurde sein Schmerz erhört und er fand Trost in dem Drang nach Rache. Diese Nacht wurde er nicht erhört und mit verbitternden Tränen, die sich mit Vargs Blut im Schnee vermischten, fand er endlich seinen Frieden... auf Kosten seines Herzens.


Zuletzt geändert von Varg: 6.11.02, 17:42, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 12.11.02, 00:03 
Edelbürger
Edelbürger
Benutzeravatar

Registriert: 14.12.01, 13:08
Beiträge: 1012
Wohnort: Vandrien
Das Schlagen der Pferdehufe auf den befestigten, steinernen Weg ließ sein Bewusstsein wieder erwachen. Mit trüben Augen, wie man sie von der einfachen Schläfrigkeit her kennt, sah er sich um. Varg lag auf einer gepolsterten, dunkelgrünen Bank in einer überdachten Kutsche, die von zwei Pferden angezogen wurde. Er richtete sich auf und sah eine kurze, verträumte Weile auf die leere Bank vor sich. Die Kabine war durch tiefblaue Gardinen vor den Fenstern von innen verdunkelt und wirkte mehr von geübten und geschickten Händen geschnitzt als von groben Schreiners Händen erbaut. Über den Lehnen beider gepolsterter Bänke sah man das farblose Wappen Vandriens mit einer geschwungen und sogar kunstvollen Schrift darunter - In nomine Angamonis adqu honoros regis Razieli et Tardukaiorum.

Mit der Linken wischte er den Vorhang etwas zur Seite, um auf fast vorsichtige Art und Weise hinauszusehen. Er sah über weite verschneite Felder, auf denen Krähen mit ihren Schnäbeln auf den gefrorenen Boden einhackten, wohl nach letzten Spuren der längst gewesenen Ernte suchend, bis sein Blick weiter über die Ebene fuhr und auf das blaugraue Meer traf. Das Meer zu seiner Linken? Varg rutschte zu der anderen Seite der Kutsche und sah auch hier aus dem Fenster. Wieder sah er trostloses, verschneites Ackerland, so einsam und leer, auf welches aber ein gewaltiger Schatten lag – der Schatten der Klauenberge, das sich vor Varg Augen weit zum Himmel aufbaute und über das Land wachte und es vor allem jenseits des Gebirges schützte.

Nun wusste Varg wo er war, doch nicht wie her dorthin gekommen war. Ja, er war in Vandrien... dachte er und lehnte sich zurück während sein Blick wieder auf das Wappen vor sich fiel, das er ansah als wollte er in diesem die Antwort finden. Doch das einzige was ihm das Wappen verraten wollte, war die eigene Unwissenheit über das Vergangene. Er konnte sich nicht erinnern.

Nur vage blieb ihm die Thorn in Erinnerung und die Reise auf dieser mit all der schrecklichen Einsamkeit, so einsam wie er auch nun war.
Egal, sprach er resignierend zu sich. Wen sollte es schon kümmern, er habe einen Auftrag. Diesem sollte er sich widmen und nicht trivialer Einzelheiten aus der Vergangenheit. Varg wurde wacher wie er sich gedanklich auf seine Aufgabe in Vandrien konzentrierte, aber auch dadurch als ihm das angebrochene, linke Handgelenk schmerzte. Er musste irgendwo gestürzt sein. Damit war auch dies für ihn erledigt und das getrocknete Blut unter seinen Fingernägeln wollte ihm ebenfalls nicht auffallen.
Er sei im Hafen Thajs angekommen und mag sich dort von der Manschaft getrennt haben, von welcher Kera ihm die Kutsche zukommen ließ.
Varg hielt sich leise stöhnend die Stirn. Es schmerzte ihn, klare Gedanken zu finden, so dass er entschied, seinen Schlaf fortzusetzen, auf dass es ihm danach besser ginge – so hoffte er.

Und er schlief auch ein, so tief, dass das rhythmisch stete Schlagen der Hufe und das Poltern der Räder ihn nicht aus einem dunkelsten Traum reißen könnte.
Ein Traum, der einen Moment eines Augenblickes gleichkäme, aber vor dem geistigen Auge wie ein ewiger Schatten vorbeizog und Gefühle vermittelte, geradezu aufzwang, welche die verlorene Seele bluten ließ. Ein umnachteter Traum voller Schreie und Wehklagen, in dem das Feuer aufloderte, um das Blut an den eigenen Händen zu erhellen, während die Fratzen der Toten Dorgaszs um ihn herum wanderten und mahnend für sich selbst standen.

Wispern und Gemurmel schlichen sich allmählich in den Traum ein, die mit diesem keinen Zusammenhang ergeben wollten. Aufschreckendes Licht, dass durch das Fenster der Kabine eintrat als der Kutscher den Vorhang beiseite schob, ließ Varg vollends aus dem Traum erwachen. Das Licht kniff in den Augen und Varg erhob sich rasch, um sich schnell ein Bild von dem zu machen, was ihn umgab.
Der Kutscher sah ihn abwartend an, der vor der Kutsche verweilte und durch das Fenster sah. Die Kutsche selbst stand still... keine Hufschlagen mehr, kein Poltern. Dafür unzählige Stimmen, die einander überkreuzten und das Kreischen von verspielten Kindern. Varg nickte dem Kutscher zu, der ihm daraufhin die Kabine öffnete. „Wir sind angekommen?“ fragte Varg, noch halb im Schlaf, da die Frage überflüssig gewesen wäre, hätte er sich umgesehen.
„Nein, Herr... nach Weteka darf nur die Reiterei des Fürsten. Ihr habt zu Fuß die Stadt zu erreichen“
Varg nickte darauf während er sich die Augen rieb und als er diese öffnete, türmten sich vor ihm die Klauenberge auf, ein wahrlich finsteres Gebirge als bestünde es aus Obsidian wie die Gebirge wie sie in Yerrodon aussehen mussten. Hoch oben musste es so eisig sein, dass das Blut gefriere und dort verende. Ja, der Anblick Vandriens Zauber erfreuten Varg, der einmal tief Luft holte und sich bereits aufmachen wollte als der Kutscher hinter ihm hastig rief und ihm unterwürfig Vargs Bündel gab. Er hatte es vergessen... oder er konnte sich einfach nicht daran erinnern.
Der Kutscher machte kehrt und stieg auf die Kutsche, vor welcher die Menschen auf dem Markt wegrannten, der Rücksichtslosigkeit des Kutschers oder der Ehrfurcht vor dem Wappen Vandriens wegen, dass auch außerhalb der Kabine zu sehen war.


Als das Marktleben von dem kleinen Vorort sich beruhigte, dessen Namen Varg nicht einfallen wollte und auch die Kutsche nicht mehr zu sehen war, wickelte er das Bündel leicht auseinander, dass Varg einen Blick auf das Gut werfen könne.
Varg zuckte inmitten der Menschenmasse zusammen als ihm die Axtblätter entgegen starrten. War es mehr als ein Traum? NEIN... Dies konnte einfach nicht wahr sein. Es hätte keinen Sinn ergeben. Es musste ein fauler Zauber sein, der Vargs Sinne trübte... oder es ihm erleichterte, sich selbst zu belügen.

Was blieb ihm schon anderes übrig, als die Axt wieder in die dunklen Leinentücher einzuwickeln und sich dann auf den Weg zu machen?

Er nahm das Bündel unter den Arm und zwängte sich zwischen die vielen Menschen durch, die wirr vor den Ständen umher liefen, an denen allerlei vandrische Waren angeboten wurden. Es waren Waren wie man sie überall erwerben könnte. Äußerlich ohne Besonderheiten, doch war es in Vandrien stets anders. Hier wurde man mit der Liebe zu dem Land geboren und alles was diesem entsprang und in diesem endete. Nirgendwo anders mögen die Menschen so stark an ihre Heimat gebunden sein wie hier und nirgends ist man dem einen wahren Regenten loyaler ergeben, der stets für sie sorgte, dass niemand Hunger leiden musste. Man wuchs streng vandrisch auf, beäugte jeden Fremden, vor allem Fremdvölker, misstrauisch und war ein einfach stolz auf seine Herkunft, auf sein Blut, das durch den Familiennamen seinen Ausdruck findet.
Varg ward hier geboren, wuchs wie diejenigen auf, die ihn nun umgaben und mit sich rangen, doch war er denn noch wie sie? War er nicht selbst zu einem Fremden geworden? Varg fühlte sich leergebrannt und alt als er den Pfad nach draußen folgte in Richtung Weteka. Doch waren es nicht die kleinen Falten um den Augen oder die ergrauten Strähnen im langen und sonst so tiefschwarzen Haar. Es war etwas anderes...

Der eisige Wind hier ließ Vargs langes Haar seine Gestalt umwehen, die angespannt sich gegen den Wind, der gegen Abend hin fast sturmähnliche Züge annahm, richtete. Gegen diesen sogar ankämpfen musste. Sein Leib schmerzte, jeder Atemzug war ein kleines Leid und eine ungeheure Leere machte sich in ihm breit. Seine Erinnerungen waren weniger als finstere Rauchschwaden... Sie waren nun fort, weggebrannt... nur noch ein Nichts deutete stumm daraufhin, dass es etwas gegeben haben muss.
Etwas erfüllte ihn mit tiefster Trauer. Er trauerte aber um niemanden, um nichts. Sie war einfach da und dass sie ewig bei ihm sein würde, hatte etwas tröstendes an sich.

Ein Donnern war in der Ferne zu hören... der Wind ließ nach und das Donnern war so nah wie die monumentalen Stadtmauern Wetekas. Es flößte Ehrfurcht ein, die Stadt zu sehen, welche am Fuße des Gebirges wie aus diesem gehauen schien. Hinterrücks von den Klauenberge natürlich geschützt und davor von einem gewaltigen Wall umgeben, der bis zu zwanzig Mann hoch und hausbreit sein musste, glich Weteka einer monströsen Festung, die bis in alle Ewigkeit Bestand haben müsste.
Durch das gewaltige Tor drangen Massen von Menschen aus und ein. Einer unter vielen war Varg...


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 19.11.02, 16:47 
Edelbürger
Edelbürger
Benutzeravatar

Registriert: 14.12.01, 13:08
Beiträge: 1012
Wohnort: Vandrien
In Weteka waren die Pflasterstraßen schmal und glichen eher den Feldwegen wie man sie in Dörfern zu sehen bekommt. Nahe an den Straßen erhoben sich bereits die Gebäude, welche hochgebaut waren und deren Größe von außerhalb, der gewaltigen Stadtmauer wegen, nicht einmal erahnbar war. Obwohl er gerade erst am Anfang der gassenreichen Stadt stand, schien er bereits in ihr verloren, so groß und sogar monumental schien sie. Weteka lag im ewigen Schatten des Gebirges, dass es hier eisig und finster gewesen wäre, hätten nicht in regelmäßigen Abständen große Feuerbecken gestanden, welche die Stadt erhellten, aber mit ihrem aufsteigenden Rauch an den Fassaden der Häuser fraßen. Wenn Varg aufsah, um vielleicht den Sternenhimmel zu erblicken, wurde er enttäuscht, weil die hohen, eng aneinander gereihten Bauten die Sicht nahmen, dass der Eindruck entstand, über Weteka gäbe es keinen Himmel.

Varg entschied, bevor er die zu eskortierende Person aufsuchen wollte, eine Taverne aufzusuchen, um seine Wunden vergessener Tage pflegen zu lassen und so ging er immer weiter in die Stadt hinein, deren Stadtplan wie ein Labyrinth wirken musste, wobei er nie auf ein Stadtzentrum traf oder etwas was man als solches hätte bezeichnen können – eine Stadt ohne Herzen.

Die Menschen, die eng an ihm vorbeigingen, waren äußerlich geschunden mit hageren Gesichtern, dreckigen, zerzausten Haaren und zerrissen Kleidern. Irgendwie wollte er es nicht wagen sie so lang anzusehen, zu mustern, bis sie den Blick erwiderten und einen auf eine vorwurfsvolle Weise ansahen, als hätte man etwas arg fremdartiges oder sogar unsittliches getan.
Schnell beschlich Varg somit ein Gefühl des Unbehagens, da er versuchte, jeden Augenkontakt zu vermeiden, was noch einengender auf ihn wirkte wie es die Gassen schon taten. Nein, dies war nicht die Heimat, die er in Erinnerung hatte, in Erinnerung haben wollte... ungewiss, ob es je anders war und nun so kam, oder er Vandrien gegenüber fremd ward und es aus Augen sah, die mehr wussten als die Sklaven ihres grauen Alltages in Weteka.
Ein Schreien!
Varg sah sich nach der Quelle des Klagens um, während die Geißeln Wetekas weiter dem Pfad ihrer eigenen Sorgen folgten. Varg bog in die nächste Gasse nach rechts ab, aus welcher er das Rufen zu hören glaubte und tauchte mit seinen nachflatternden, dunkeln Gewändern in das Gewand der Dunkelheit selbst, bestehend aus Qualm und Asche. Als er hinter diesen niederen Rauchschwaden auftauchte, waren diejenigen fort, welche das Mädchen zum schreiben brauchten. Es mussten Räuber gewesen sein, doch war dies nichtig, denn seine Sorge galt dem Mädchen, was neben zwischen alten Fässer zusammengekauert war.

Langsam trat er durch die Pfützen, in denen das schwarze Wasser keine Spiegelbilder erlauben wollte, und kniete sich vor dem Mädchen nieder, dass jammernd die Hände vor dem Gesicht hielt. Ihre Kleider waren durchnässt und sie schien leicht zu zittern.
Varg verharrt ruhig vor ihr, ohne dass ein Wort über sein Lippen fand. Das Weinen des Mädchens, das nicht älter als vierzehn Jahre schien, verstummte und nahm langsam sie ihre Hände von den tränengepeinigten Wangen.

Ihr Antlitz ließ Vargs Augen sich weiten, welche ihren gleich zu sein schienen. Ihre strahlend hellbraunen, aber noch jugendlichen Augen sahen in seine ebenso glasigen, hellbraunen, aber verbitterten und vom Alter müde geworden Augen. Ihr Haut war im dämmrigen Licht so weiß wieder der Schnee, wodurch ihr schwarzes, langes Haar noch dunkler wirkte als es schon war.
Sie war es... Alesandra. In ihren Adern strömte das gleiche Blut wie in denen Vargs. Es war lang her, dass er sie sah und ein kleines Wunder, dass er sie wiedererkannte. Aber erkannte sie ihn denn auch?

“Bruder...?“ kam es ihr zittrig über die Lippen und sie richtete sich etwas auf. Varg schrak zurück. Wie sehr wünschte er sich, dass sie ihn vergessen hätte. Er fürchtete in dem Moment die Fragen, die sie hätte stellen können... Wohin er gegangen sei... und... was aus ihm geworden sei.
Sie sprang auf und freudig lachend um klammerte sie seine Beine, krallte sich mit ihren kleinen Fingern geradezu in seine Beine als wollte sie ihn nicht mehr loslassen.

Als sie von ihm abließ und mit ihren fragenden Augen zu ihm aufsah, sprach sie keine der Fragen aus, die sie innerlich plagen mussten und er so fürchtete. Sanft griff er nach ihrer kleinen, linken Hand und führte sie aus der düster, rauchigen Gasse.

„Du bist groß geworden...“ sprach er, während sie ihm zu einem Tavernenschild deutete. Er wusste nicht wirklich, was er zu einer verlorengeglaubten Schwester sagen sollte, nach der er nicht lang genug suchte, dass es einen Zufall bedurfte.
Sie mussten ein sonderbares Paar abgeben wie sie in die Taverne eintraten und sich die Nässe aus dem Haar schüttelten.
Die Taverne war von dem rauen Lachen und den tiefklingenden Stimmen fremder Männer erfüllt. Die Luft war stickig und der warme Qualm von den Speisen und dem Rauch der Pfeifen begann einen zu würgen. Varg sah durch die Räumlichkeiten, um einen Platz auszumachen, der sich in einer dämmrigen, fast völlig unbeleuchteten, Ecke anbot. Sanft drückte er die Hand des Mädchens uns zog sie sanft mit sich, gefolgt von den Blicken der Gäste, die einen auf eine seltsame, ablehnende Weise nachsahen als sei man ein lästiger Splitter in der Haut, der durch Eiter vertrieben werden musste.
Erst als Varg sich setzte und seinen Blick über den Eiter Vandriens schweifen ließ, schien der Mann neben ihm auf der Bank aufzutauchen, den Varg wohl nie bemerkt hätte, wenn dieser nicht die Worte zu ihm gesprochen hätte. „Seid gegrüßt... Varg.“

Ein kleiner Zorn, so könnte man es ausdrücken, überfiel Varg bei dem Klang dieser Stimme, denn es war die Keras. Der alte Mann, welcher Varg nach Vandrien überführte... „Oder Malthust?“ flüsterte es wie von einem unsehbaren Geist in Vargs Innern.
Kera schmunzelte als Varg ihn einfach nur ansah, anstelle dem Gruß zu entgegnen. „Wollt ihr mir nicht eure kleine Freundin vorstellen?“ Alesandra sah bei den Worten und dem widerlich, aufgesetzten Lächeln auf und musterte Kera eine kurze Weile, um sich dann ohne ausgesprochene Worte, aber ihm vielsagende Blicke, wegzudrehen.

„Was tut ihr hier, Kera?“ sprach Varg in einem arg auffordernden Ton zu ihm. „Ihr wartete auf euch, Tardukai. Ihr habt Wes Kerantis zu suchen, um ihn nach Drakonis zu begleiten... nach einem kurzen Abstecher in Thaij.“
Woher wusste er davon? „Ihr habt ihn gefunden, Tardukai.“ Varg schwieg... und nahm das selbstgefällige, triumphierende Lächeln Keras hin... das Lächeln des Wes Kerantis.
Der Wirt kam auf den Tisch der drei zu und warf sich ein Tuch über die linke Schulter, sie abwartend ansehend. Kerantis winkte leicht ab und erhob sich mit verzeihenden Worten, da sie nun schon gehen müssten und sah zu Varg und dem Mädchen ab. „Nun tut was ihr zu tun habt...“ zischte Kera nun plötzlich giftig und schritt zur Tür hin. Varg sah ihm erst nach... und griff gezwungen nach der Hand seiner Schwester, um ihm zu folgen, seinen Leib zu schützen vor dem was ihm hätte gefährlich werden können.
Kerantis schritt eilig Richtung Westen durch die Massen der Menschen , welche selbst bei Nacht nicht weichen wollten, aber was machte dies schon in einer Stadt, in der die Nacht ewig weilte und man Feuer auflodern ließ, um den ungewissen Pfad zu erleuchten.

Der Weg war lang... jedenfalls nahmen sie ihn so wahr, denn auf diesem Weg gab es nichts, was den Blick auf sich zog oder hätte Interesse wecken können. Langsam begannen Regentropfen vom Himmel zu fallen... der über die Stirn plätscherte und auf den Lippen salzig schmeckte, dass man diesen Regen lieber von sich wischte. Ja, Varg hatte Vandrien anders in Erinnerung, aber war ihm dies auch gar nicht mehr bewusst... und sehnte sich auch nicht mehr nach den verlorenen Erinnerungen wie nach den verlorenen Tränen in regnerischen Nächten wie dieser.
Am Westtor angelangt, wartete dort wider Erwarten eine schwarze Kutsche mit einem ebenso schwarzen Stoffdeck, aber nichts ungewöhnliches vom Aussehen her, da in der Regel alle Kutschen hier so aussehen mochten. Wes Kerantis saß bereits darin. Er verlor an seiner Überheblichkeit und der Arroganz in seinen braunen Augen, gewann hingegen aber an Nervosität und sah auffordernd aus der Kutsche hinaus. Varg half Alesandra zur Kutsche auf, obwohl sie es auch ohne Mühe geschafft hätte. Zusammen setzten sie sich Kerantis gegenüber. Sie zuckte leicht zusammen als die Peitsche des Kutschers erklang und die Kutsche in Bewegung versetzt wurde. Varg sah Kerantis an, aber er fragte ihn nicht nach dem Stand, warum die Kutsche die Stadt verlassen dürfe, wobei dies doch verboten sei... auch war dies eigentlich nicht wirklich von Interesse, sondern nur ein kleines Detail.
Wer mochte dieser Wes Kerantis sein, dass er so wichtig sei, dass man einen Tardukai ihm zur Seite stellen müsste... oder war es eher das, was er nach Draconis zu überführen habe? Diesen... „Gegenstand“? Und warum machte sich Kerantis nicht gleich in Brandenstein als dieser erkenntlich... oh, wie Varg diese Spielchen hasste. Er wurde getäuscht und allein dies grämte ihn... Magier und sonstige Lakaien konnten sonst wie viel Irrsinn betreiben und sich ihren nichtigen Spielen hingeben, aber das einer wie er sich von einem Lakai hat täuschen lassen... das zerrte wahrlich.

Die Zeit vergeht rasch, wenn man sich mit den Fragen auseinandersetzt, auf die man keinen Antwort findet so wie während dieser Reise in der Varg die Landschaft ganz außer Acht ließ und das Auge für Vandriens „Schönheit“ verlor.
Thaj war nahe Thorn gelegen, der Hauptstadt Vandriens, wo er einst dem Fürsten diente und... „vergessen“.
Rauch stieg von Thorn auf... von den ewig brennenden Feuern, die nach dem ketzerischen Fleisch hungerten, das von der Inquisition auserwählt worden war. Es regnete nun stärker... aber dies sollte niemanden daran hindern, den Geruch verbrannten Fleisches wahrzunehmen und verschloss auch nicht die Schreie derer, welche den Flammen heim fielen, selbst wenn man sich manchmal solches wünschte.

Selten fühlte sich Varg in einer regnerischen Nacht so unwohl wie in dieser, so nahe an der Wurzel seines Leidensweges. Alesandra blieb in der Kutsche zurück.. ja, fast brav schien sie und so vertraut, obwohl mehr als sieben Jahre vergangen sein mussten. Varg seufzte... er sollte es nicht mehr wagen, nach Thorn zu gehen, nun wo der Auftrag schon fast erledigt war.
Kerantis fasste Varg an der rechten Schulter an, dass dieser umschrak und ihn entgeistert ansah. Sie standen vor der Kutsche in Thaj. Varg war wie aus einem Traum gerissen, in dem er sich noch in der Kutsche wusste und an seine wahre Heimatstadt dachte. „Ich habe es.“ Sprach Kerantis knapp und nüchtern und wandte sich der Kutsche zu, in welcher er mit einem zufriedenen Stöhnen einstieg und sich in der gepolsterten Bank geradezu eingraben wollte. Varg sah nochmals nach Thorn... dann zum tiefschwarzen Nachthimmel. Kein Stern wollte ihm die Nacht leuchten und so stieg er, begleitet von seiner stillen Trauer, in die Kutsche.

Wieder begann die Kutsche sich zu bewegen, eingeleitet durch die Peitschenhiebe, welche die Pferde aufwiehern ließen. Forschenden Blickes sah Varg zu dem Bündel, das sorgfältig von Kerantis entwickelt wurde. Varg grollte als er sah weshalb er sich die Reise aufbürdete... „Ein Schmuckstück?!“ Kerantis antwortete nicht darauf und wickelte es mit einem Lächeln wieder ein. Varg lehnte sich zurück und schnell wurde ihm das Amulett oder der Reif, er konnte es nicht genau erkennen, ganz gleich.
Die Reise verlief nun als würde sie schnurgerade dem Ende zurasen und bereits nach wenigen Tagen, ohne Rast und Schlaf, erreichten sie den Dornenpass nördlich der Klauenberge nach Bernstein. Der Pass verlief mitten durch das Gebirge und sah ungewöhnlich aus, wider der Natur, als sei dieser einst in das Gebirge hineingeschnitten worden und war so schmal, dass er gerade genügend Platz einräumte, dass die Kutsche nicht stecken blieb.
Von den obsidianschwarzen Felswänden bröckelte Gestein ab und ließ stets die Sorge im Geiste wach, dass ein Steinschlag sie hätte ereilen können, doch war die Sorge umsonst wie sich herausstellte als sie dann endlich den Pass, die Klauenberge und mit ihr Vandrien hinter sich ließen.
Nun befanden sie sich auf dem Pfad, der umso einsamer schien, je länger die Reise andauerte und mit dieser Einsamkeit, begründet auf das Schweigen Kerantis’ und dem lieblichen Schlaf Alesandras wuchs die Sehnsucht dermaßen nach Sahra... dass sie mit der, die ihn nach Vandrien lockte, nicht mehr vergleichbar war.
Kerantis schwieg die gesamte Reise über und erschien Varg mehr als suspekt, der gezwungenermaßen selbst schweigen musste und Kerantis beobachtete, wie sich dieser an das Bündel krallte als wäre es sein Leben selbst.

Dann stoppte die Kutsche abrupt ohne vorherige Andeutung von Zurufen des Kutschers... Kerantis schrak auf und sah aus dem Fenster als Varg dies schon längst tat.
Draconis!
Wes Kerantis stieg recht gehetzt wirkend aus... sah sich dann jedoch um und sprach:
„Lebt wohl Varg... ihr seid befreit!“
Wie recht er doch hatte.


Zuletzt geändert von Varg: 4.02.03, 20:27, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 4.02.03, 20:28 
Edelbürger
Edelbürger
Benutzeravatar

Registriert: 14.12.01, 13:08
Beiträge: 1012
Wohnort: Vandrien
*Tardukai Varg Diakon Duarg von Vandrien, Geweihter Angamons, Heiliger Krieger des Fürsten Raziels zu Vandrien, Schwertarm Jeduras’ – Tar bedeutet Krieger, Dukai bedeutet Wahrheit – der „verlorene“ Krieger der Wahrheit ist tot.

Egal wie es einem Tardukai ergeht, die Zeit vergeht wie im Fluge, ob in Freude oder im Leid. Der Winter neigte sich bereits langsam dem Ende hin und auch dieser verging eigentlich so schnell wie er auch mit seiner Kälte über das Land hereinbrach.
Gedanken über das Vergangene plagten lange Zeit den verbitterten Paladin und horchend auf seine Gefühle, der inneren Stimme, ließ er sich von ihr verführen. Edel wollte er sein... die Tugenden hoch halten und in tiefster Überzeugung, das richtige zu tun, dem Fürsten dienen.

Doch wohin hatte ihn sein Glaube geführt? Hatte er das Unrecht, was ihm und seiner Familie einst wiederfuhr, vergolten oder gerächt? Mordete er wirklich Unschuldige im Namen eines Monstrums oder tötete er, weil er dem Recht zu seinem Platz verschaffen wollte wie es im Codex Noctis geschrieben steht?

Man ist nicht seiner Selbst wegen ein Paladin, um durch Ehre und Mut zu Ruhm zu kommen wie man es von den Streitern Bellums kannte... ein Paladin wird aus seinem Opfer heraus geboren – Fleisch, Blut und Seele.

Ruhm war ihm stets zuwider, denn dieser ging seiner Meinung nach Hand in Hand mit der Eitelkeit... denn irgendwann wird jeder Name und jede Tat vergessen. Auf niedergeschriebene, heuchlerische Worte und Namen legt ein Tardukai keinen Wert. Er lebte für seinen Fürsten und starb für diesen – dies ist die größte Ehre die einem Vandrier zuteil werden kann.

Die Pein war der ewige und mahnende Begleiter, der sich in die Adern schlich und schmerzte, wenn die schärfste Klinge, der Zweifel, sich in das Fleisch schneiden wollte. Trauer und Schmerz wurden mit der Zeit etwas, was er brauchte, wonach er sich sehnte. Seine Trauer und sein Leid machten ihn zu dem was er war... ohne kam er nicht aus, ganz gleich wie oft er sich deswegen verwünschte.

Trauer...
Die Satai und Sakai,
Seine Brüder und Schwestern, vor allem Recon Thanatos, Somates Takiri, Talisha de Zareh und Alun Tringad
Der Traum, der ihn in die Arme Angamons trieb – Miriamel „Siehe das Meer“
Varkra – sein schwerster Verlust
Seine Liebsten...

Ein leises, heiseres Auflachen in der Nacht der Gassen... geflüsterte Worte, fremden Klanges... verstummende Schritte auf dem nassen, kalten Asphalt der Stadt... „Tot geglaubte leben länger.“


Zuletzt geändert von Varg: 4.02.03, 20:32, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 22.06.06, 10:21 
Edelbürger
Edelbürger
Benutzeravatar

Registriert: 14.12.01, 13:08
Beiträge: 1012
Wohnort: Vandrien
„Träumen bedeutet vom Tod zu kosten.“


‚Ein Kind von gerade einmal 4 Jahren sitzt auf einem kalten wie eisigen Marmorboden in einer gewaltigen, schier unendlich erscheinenden Halle, deren Decke so unerreichbar auf einen hinabblickt wie es der weite Himmel bei Nacht pflegt, wenn seine Sterne gleichgültig auf schlaflose Wanderer hinuntersehen.

Ein Dolch, dessen Länge eine Elle misst, liegt vor dem Schoß des Kindes, dessen Haut so weiß wie der Marmor und Haar so finster wie die gähnende Weite der Halle ist. Dennoch kann man die Gesichtszüge des Kleinkindes nicht deuten. Sie verschwimmen in einem nebeligen Schleier, der das Kind umgibt. Es lacht nicht, jedoch scheint es zufrieden mit sich und dem Rest seiner eigenen Welt. Es spielt mit dem Dolch. Etwas unbeholfen legt es den Dolch von einer Hand in die andere. Nichts geschieht. Kein Schnitt, kein unschuldiges Blut.

Im Hintergrund werden die Umrisse einer bizarren Gestalt deutlich. Es muss ein Thron sein. Erst ist ein Raunen aus der Ferne zu vernehmen. Je deutlicher die Konturen werden, desto näher kommt das Raunen und die Kakophonie der Stimmen greift mit einer klammen Hand um das eigene Herz, in welches Kälte zu fließen beginnt. Auf dem Thron sitzt das personifizierte Schweigen - die Ruhe und der Frieden. Es ist eine in völliges Schwarz gehüllte Gestalt, dessen Antlitz die Unendliche Wahrheit ist. Klopfend stößt der Verhüllte mit der Linken seinen Stab auf den Marmorboden, dessen Erklingen einem ins Mark kriecht und wie ein Gong, das etwas einläuten will, ruft es einen zunehmenden Nebel hervor, der aus den Fugen des Bodens entweicht.

Man blickt ruckartig nach oben. Das Krächzen eines Raben macht auf sich aufmerksam, der sich kreisend über dem Kind in den Nebel begibt. Alles verschwimmt. Es wird düster und einsam. Die Kälte ergreift vom Herzen Besitz. Es folgt ein langes Seufzen und die freundliche Erkenntnis, dass nichts umsonst gewesen sei und dass nun endlich die herbeigesehnte Ruhe folge.

Das Seufzen kehrt ein in die unendliche Dunkelheit der Halle.’

„Was vermag das Leben zu bieten, wenn ein gewisser Hauch ausbliebe?“

Vor 23 Jahren starb in einem Dorf vor den Toren Andaras eine junge Frau namens Eolor noch bevor sie ihren neugeborenen Sohn erblicken konnte. Zusammen mit ihrem Mann Varg war sie Monate zuvor vor einem Aufstand geflohen, dessen Ort und Gründe für diese Geschichte so unbedeutend sind wie die Vorgeschichte des Paares für die Geschichte des Jungen ist, der kurz nach Mitternacht die Kälte des Lebens empfing.

Die Hebamme stellte keine Fragen, als der Vater, vom Leid gezeichnet, noch in der gleichen Nacht mit der Morsanhülle seiner geliebten Frau verschwand. Sie nahm an, er würde schon heimkehren, um sich seinen Sohn anzunehmen und so nahm sie vorerst den Jungen an sich, wusch ihn und wickelte ihn warm ein. Der Säugling war gesund zur Welt gekommen und hatte die helle Haut seiner Mutter und das schwarze Haar seines Vaters, der es versäumt hatte, ihm einen Namen zu geben.

Die Hebamme schlief in dem kleinen Raum so friedlich bis zum Morgen wie schon lang nicht mehr. Sie erklärte es sich durch die Anstrengungen der vorigen Nacht und der Tatsache, dass der Säugling nach dem anfänglichen Schreien ins Leben sich schnell beruhigte und tief einschlief und ihr so eine geruhsame Nacht gönnte.
Der Vater war nicht zurückgekommen und sollte er dies auch nie wieder, womit sich die Hebamme, die sich vornahm, sich vorläufig um das Kind zu kümmern, abfand.

„Wir bedauern die Toten, als fühlten sie den Tod, und die Toten haben doch Frieden.“


Monate später in dem Waisenhaus, gestiftet von der Viergöttlichen Kirche in Andara, hatte man sich vor wenigen Wochen einem Säugling angenommen, das vor ihrer Türe ausgesetzt worden war.
Andara war eine prachtvolle Stadt, die einst durch ein schweres Erdbeben zerstört, mit viel Blut und Schweiß wieder aufgebaut wurde. Berühmt war sie in ganz Galadon auf Grund des größten und wundervollsten Morsanackers Falandriens inmitten der Stadt.
Dem Kind hatte man ein kleines Zimmer eingerichtet, in welchem es in einer notdürftigen Wiege schlief bis man endlich Pflegeeltern für ihn finden würde. Eine Novizin Vitamas kümmerte sich hingebungsvoll um ihn, von dem man nichts wusste, außer dass er keine Vergangenheit haben durfte.
Eines Morgens begab sich die Novizin auf dem Weg in das Stübchen, bei dessen Eintreten sie plötzlich zu schreien begann, die Milch fallen ließ und das singende zerspringende Glas die Krähe ebenso so misstönend krächzen ließ, der auf der Wiege saß und zuvor neugierig in das schlafende Gesicht des Jungen blickte. Die Krähe blickte auf das Geschrei hin zu der Novizin und sie sah, dass der schwarze Vogel, einen Skorpion, dessen eigener Stachel im eigenen Rumpf steckte, im Schnabel hielt. Die Krähe krächzte sie auf eine feindselige Weise an, wobei ihm der Skorpion aus dem Schnabel auf das Bettchen des Jungen fiel. Dann breitete die Krähe seine Schwingen aus, flog über die sich duckende Novizin aus dem Stübchen und über den freien Hof in den seine Arme öffnenden Himmel.
Die Novizin blickte mit halbgeöffneten Mund und noch starr im Leibe der Krähe nach ehe sie sich fasste, sofort an die Wiege eilte und den toten Skorpion von dem weißen Laken fort stieß.
Der Junge sah mit seinen dünnen hoch angezogenen Brauen zu ihr auf und sein naives Lächeln erschien ihr in dem Moment eher wie ein Schmunzeln.
Fortan nannte man ihn in Anlehnung an die beiden Zeichen des Schweigenden „Scorvus“, aber die Frommgläubigen sahen nur das was sie sehen wollten in ihrem Dogmatismus. Denn war es doch kein Rabe, was wahre Wappentier des Schweigenden, sondern der Bote eines anderen vor ewigen Zeiten ausgestoßenen Kindes…

„Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen über dieselben beunruhigen die Menschen.“

5 n.H. Das Waisenhaus Andaras unweit des Stadtrates.
Eine Frau mittleren Alters eilte, während sie mit beiden Händen bemüht war, das Kleid anzuzupfen damit dieser nicht den Boden wischte, durch die Korridore des zweistöckigen Gebäudes. Das Waisenhaus war 15 Jahre zuvor von den wohlhabenderen Bürgern der Stadt gespendet und erbaut worden, vornehmlich waren es Handwerker und Händler gewesen und die Frau, die es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht hatte, mehrmals in der Woche hysterisch durch das Haus zu laufen, um den berüchtigten Ausreißer des Hauses zu suchen, war wieder einmal in ihrem Element. Es war bereits kurz vor Mittag und wieder einmal hatte er sich doch vor dem Unterricht drücken können. „Scorvus?! Verlauster Bengel. Wo treibst du dich wieder herum?“ rief sie als sie den Hof des Hauses betrat, der von dem Gebäude ringförmig umgeben wurde. Sie seufzte, sich wohl bewusst, dass sie dies immer fragte, aber noch nie zum Erfolg geführt hatte, denn Scorvus hatte sich in den 12 Jahren seines Lebens zu einem eigensinnigen, manchmal auch frechen, aber vor allem sehr verschlossenen Jungen entwickelt, der den Umgang mit den anderen Kindern scheute oder die Kinder den Umgang mit ihm.
So ging die suchende Frau wachsamen Auges durch den Hof, der mehr Gemeinsamkeiten mit einem Garten oder Park hatte. Es war die Jahreszeit der Vitama und die Rosen waren seit langem aufgeblüht. Sie selbst machte sich keine Mühe, zu schleichen, denn was es erfahrungsgemäß nie die Absicht Scorvus’ gewesen, sich vor ihr zu verstecken oder wegzulaufen. Die Prozedur war immer die gleiche gewesen in den letzten Jahren. Zur sechsten Stunde aufstehen, noch vor der siebenten folgte das gemeinsame Frühstück und die Aufteilung der Kinder in die Klassen. Das war dann der Zeitpunkt, in welchem sich Scorvus unbemerkt ausgliederte und wie vom Erdboden verschluckt wurde. Er war nicht faul oder desinteressiert. Im Gegenteil...

Oft sah man ihn brüten über Bücher, Erzählungen und Botenblätter von Siebenwind, der entlegenen Insel, und er studierte intensiv die Vorkommnisse der angeblichen Reiter des abtrünnigen Fürsten und immer wieder war von einem Namen die Rede, der zu ihm zu sprechen schien, ihm einflüsterte, dass es mehr geben müsse als die Mauern des Ordens.

„Da bist du ja!“ rief sie als sie sich zu dem Dornenbusch niederkniete und durch die Zweige lugte. Scorvus saß in seinen dunklen Gewändern, die er von der Geweihten Vitamas, die ihn vor 7 Jahren hierher gebracht hatte, bekam, inmitten eines Dornenbusches, der ihn von außen mit Rosenblättern vor oberflächlichen Blicken zu schützen versuchte.
Er drehte ihr langsam sein Gesicht zu, man hatte ihn auf seinen Wunsch hin sein rabenschwarzes Haar lang wachsen lassen, dessen Spitzen die Frau ihn regelmäßig schnitt. Sie brauchte nicht zu fragen, warum er fort gegangen sei und was er denn so lang getan hätte. Das erste konnte oder wollte er nicht beantworten. Das zweite… er saß stundenlang einfach nur da, in sich gekehrt und mit sich allein.
Seine grünen Augen blickten sie aus seinem gleichgültigen Gesicht strahlend an. Dann schmunzelte er plötzlich und es schien ihr immer als ginge die Sonne auf. Sie liebte dieses Lächeln.
„Scorvus, warum kannst du „dies“ nicht nach dem Unterricht machen? Sieh doch ein, dass es eine Bürde ist, die du dir durch die zusätzliche Arbeit antust.“ Er rappelte sich auf und kroch aus dem Busch. Sie putzte ihm den feinen Schmutz von seinem Gewand und nahm ihn an der linken Hand während sie sich in Richtung Waschküche begaben. Ihre Schritte waren gewollt klein und langsam und selbst nachdenklich wirkend, schien sie auf seine Frage zu warten. Er antwortete nicht, denn empfand er ihre Frage keiner Antwort mehr wert. Er hatte diese schon einmal beantwortet und waren seine Antworten doch absolut. „Niemand außer _IHM_ hat zu entscheiden, wann ich mich ihm hingebe.“
Sie seufzte.


„Ich werde überhaupt nicht für mich sterben, sondern nur für andere - für die Zurückbleibenden, aus deren Verbindung ich gerissen werde; für mich selbst ist die Todesstunde Stunde der Geburt zu einem neuen herrlicheren Leben.“

Weitere vier Jahre vergingen und man trat im Waisenhaus an Scorvus heran und legte ihm offen dar, dass er nun gehen könne und die Freiheit habe zu tun und zu lassen wie es ihm beliebe, wenn es im Einvernehmen mit der Viergöttlichkeit und der weltlichen Ordnung sei. Eine stille Weile sah Scorvus mit seinen grünen musternden Augen die beiden alten Frauen an, die diese Sätze soeben zu ihm gesprochen hatte. Es wirkte fast andächtig wie er nur dastand und sie ansah als hätte er nicht ganz verstanden. Sein Schweigen wirkte auf die beiden Frauen zunehmend beklemmend und als sie dann fragen wollten, ob er denn verstanden hätte und was er denn machen wolle, drehte er sich um. Mit einer einfachen halben Drehung wandte er dem Waisenhaus den Rücken zu und ohne ein Wort an die Frauen und Kinder trat er vor die Tür, denn seine Stimme galt nun allein dem, dessen Anwesenheit er so oft spürte aber niemand zu sprechen wagte, und wurde hier nicht bedurft. Ja, sie waren gut zu ihm und er war dankbar. So segnete er sie im Stillen.

- - - Eine unbestimmte Zeit zuvor, Monate, vielleicht auch ein Jahr, erreichte ein Schiff von Siebenwind den Hafen von Vandris. Es war Milena, die nach einer ihr scheinbar nicht mehr fassbaren Zeit wieder den Heimatboden ihres Herren und den ihres Schülers betrat.

Obwohl sie schon seit den Anfängen auf der Schicksalsinsel, wie Milena die Insel gern nannte, für ihren Fürsten und ihre verlorenen Brüder und Schwestern gestritten hatte, erprobt war im manchmal hoffnungslos erscheinenden Kampf gegen das Übel, das ihren Herren bedrohte, war sie nun doch gezeichnet von einem Kummer, der von innen heraus ihre Erscheinung wie gesprungenes Glas gleichsetzen wollte.

Es war schon lang her als sie auf ihren späteren ersten und bis heute letzten Schüler traf als hätte der Wind sie an die Hand genommen und sie zu ihm geführt. Er war alles andere als ein Krieger wie Milena es schon immer gewesen war. Er war ein Stallbediensteter, ehemals am Hofe in Vandrien, der vor Schmerz des Verlustes seiner Frau wegen einen Weg suchte, Gerechtigkeit an denen zu üben, die es verdienten im Namen der Bruderschaft. Der Name des einstigen Schülers war Varg und sie war eine Tardukai.

Sie lehrte ihm das was er bis dahin versäumt hatte zu lernen und das was er einmal als gleichgestellter Bruder benötigen würde. Auf ihrer gemeinsamen Reise des Pilgern und nach der spirituellen Suche nach dem Band mit dem Herren lernte sie ihn besser kennen und erfuhr von seiner Frau und dem Kind, dass in vom Trauer geleiteten Irrglauben, der seine Sinne betäubte, er in Stich gelassen hatte. Dies war seine große Schuld und die Bürde die er bis zu seinem Tode mit sich führen sollte.

Das Leid und seine Sünden, die er sich täglich in Erinnerung rief, waren sein Antrieb und so wurde er schließlich einer von denen, die sich in alter vandrischer Zunge die Krieger der Wahrheit nannten.

Varg wuchs mit seinen Aufgaben und schließlich gipfelte sein Dienst am Herren mit der Ausarbeitung der Pläne zur Eroberung der damaligen Hauptstadt Siebenwinds Rohehafen, was ihm in einer Vision in Finsterwangen aufgetragen wurde. Ein Unterfangen, das bedauerlicherweise die vollständige Zerstörung der Stadt nach sich zog.

Dies war der Beginn des Abstieges Milenas einstigen Schülers. Durch die vielen direkten Verbindungen mit dem Fürsten aus der Kriegsdomäne kam er vom Weg des Kodex ab, wurde hochmütig und einzelgängerisch. Seine Todessucht gepaart mit dem Glauben, man könne ihm kein Leid mehr anfügen und seiner endlich gestillten Rachsucht wurde er zur Gefahr für seine Brüder und Schwestern.
Letztlich führte dies zu seiner Verbannung nach Vandrien vom Fürsten selbst. Gequält von der Tatsache, in Ungnade gefallen zu sein, wählte er schließlich den Freitod, was den Verrat an den Fürsten bedeutete.

Milena traf diese Nachricht wie ein Dolchstoß zwischen ihre Schulterblätter. Was hatte sie falsch gemacht? Hatte sie ihn nicht genügend auf die zahlreichen Prüfungen des Glaubens vorbereitet? Er war dem Hochmut erlegen und musste dafür büßen, aber Milenas Überzeugung nach wie sie gleichermaßen an dem Unheil beteiligt. Sie war schuldig. Sich war dem Fürsten, ihrem Schüler und sich selbst etwas schuldig. Es war ihre eigene Pflicht, den Kreis nun zu schließen. Sie musste den Kreis schließen, was bedeutete, den Sohn zu finden, wenn er noch lebte… - - -



„Der Tod gleicht dem Untergange der Sonne, die nur scheinbar von der Nacht verschlungen wird, wirklich aber, selbst Quelle alles Lichtes, ohne Unterlass brennt, neuen Welten neue Tage bringt, allezeit im Aufgange und allezeit im Niedergange.“

Somit begann Scorvus seine Reise in ein anderes Leben, das von den einengenden Mauern eines Waisenhauses befreit war, auch wenn ihm diese nie ein Hindernis gewesen waren, war er seiner Meinung nach jetzt erst in der Lage zu erfahren wer er sei und wo sein Platz in dieser Sphäre sei. Soweit er sich zurückerinnern konnte, liebte er nichts mehr als das Lied der Stille und die Kraft, die aus dieser Stille resultierte. Seine Besonnenheit war wie die Farbe Schwarz des Obsidians und seine Eloquenz das reinste Schweigen. Er wandelte nun über die erste Sphäre, durch Galadon, um zu sehen was das Leben war und was er diesem geben und abverlangen konnte. Scorvus sah Aufstände, Scharmützel, Kriege und das Elend und Leid was die Überlebenden und Hinterbliebenen befiel, aber nicht den Trost und den Frieden, den der Tod mit sich bringen sollte wie es die Ordensschwestern immer gepredigt hatten. Das Flüstern und das Schweigen in ihm wurden stärker. Wer war er wirklich? Welchen Platz hielte das Schicksal für ihn bereit?
Das korrumpierende Flüstern wurde stärker mit jeder Grenze der Provinzen, die er überschritt, mit jeder Stadt, in die er einzog und die Heuchelei der edlen Viergöttlichkeit lag wie ein schmieriger Film über das Leben, das ihn umgab.


Scorvus verstand sich immer mehr als ein Diener des Ziellosen, der von Heuchelei und Lüge gerufen wurde wie die Krähe von der Perle, um zu sehen, um zu erkennen.

Er liebte es, heimlich in Tavernen zu sitzen oder auf Märkten im Hintergrund zu lauschen. Er sinnierte über die Worte, Sorgen und Nöte wie ein Genießer über Rotwein, allerdings ambitioniert zu lernen, indem er ihnen zuhörte. Und wenn er den Menschen lauschte und ihnen als Gesprächspartner diente ohne ein einziges Wort gesagt zu haben so fühlte er sich wie gestorben und kurz darauf wiedergeboren, in einer Welt, die ihn krank zu machen drohte bis er schließlich durch die Tore Wetekas schreiten sollte… die Stadt in die er durch einen geheimnisvollen Verfolger gerufen wurde.

- - - Lang und intensiv verfolgte sie die Spur des Jungen, angefangen am Grabe Eolors in einem Dorfe Malthus’. Von dort aus trieb es sie schließlich nach Andaras, eine Stadt, die sie als jene Morsans in Erinnerung hatte. Dort wurde wie fündig als man ihr Einblick in die Dokumente des Waisenhauses gestattete. „Scorvus…“ hallte es in ihrem Geiste wider. Ein wahrlich zynischer Name, dachte sie sich. Nun wusste sie, dass er noch lebte, da sie nur wenige Monate nach Scorvus’ Entsendung dort eingetroffen war. Vor ihrem geistigen Auge zeichnete sich das Bildnis des Knaben und sie nahm die Spur wieder auf.

Durch zahllose Befragungen und Sichtungen folgte sie ihm auf Schritt und Tritt, wenn auch um Monate verzögert. Aber aufgeben konnte sie nicht. Sie wurde besessen von der Idee, die Schuld, die sie sich einredete, dadurch zu begleichen indem sie es mit Scorvus besser anstellen würde.

Schließlich kam sie ihm an der südlichen Grenze Vandriens so nahe wie noch nie zuvor. Sie erkannte ihn sofort als Milena ihn in einer Taverne sitzen sah, allein ohne Trank und Speis und sie fühlte sich wie in alte Zeiten zurückversetzt. Es war wie ein Traum, den es noch zu deuten galt.

Nun konnte sie sich ihm noch nicht offenbaren. Sie war unsicher, unschlüssig und noch nicht mutig genug. So schrieb sie einen Brief, indem sie ihn aufforderte nach Weteka zu kommen, die Stadt, in welcher sein Vater so oft gereist war, um ins Reine mit sich und seinem Glauben zu kommen. Sie legte ihn diesem Brief ihm offen, dass sie wüsste, wer er sei, wo er herkam und vor allem, dass sie ihm viel über seinen Vater berichten könnte, den sie lange Zeit sehr gut gekannt hatte.
Außerdem wollte sie ihm etwas verheißen. Sie werde ihm etwas anbieten, was niemand zuvor ihm hätte anbieten können und es auch niemand mehr tun würde, wenn er denn nicht käme.
So vertraute Milena ganz der Neugierde Scorvus’, die sie schon ihn seinem Vater einst ausgemacht hatte und verließ die Taverne Richtung Nordosten. - - -





Nasskalte Haarsträhnen hafteten auf seiner ihm fast glühend heiß erscheinenden Haut seiner hohen Wangenknochen und bevor er das große ovalförmige Stadttor durchschreiten wollte, drehte er sich leicht zurück, um in die sich verdunkelnden Straßen, die sich eng durch die ganze Stadt zogen, zurückzublicken. Ein wehmütiges Seufzen.

Stadt aus Fels... Weteka. Scorvus konnte sich nicht erklären, wer ihn sehen wolle. Ein Jemand, der etwas über ihn und seine Herkunft erzählen könne. Andernfalls hätte es wohl nichts gegeben was ihn dort hätte halten können und das kalte, karge Vandrien war wahrlich der letzte Ort, wo er sich hätte aufhalten wollen, denn von einem kurzen Tag zum kürzeren darauf folgenden Tag wurde der Wind eisiger, der flüsternd um die Stadthausecken kroch. Das sanfte Platschen in den Pfützen, an denen er vorbei trat, kündigte den einsetzenden Regen an und er stellte sich den Kragen des Mantels auf, um seinen Hals vor der unangenehmen Nässe zu schützen, die es ihm kalt über den Rücken laufen ließ.

So ging er durch die Straßen dieser kalten Stadt, in der große Kohlebecken und zahlreiche Laternen Wärme und Licht zu spenden hatten, damit man in dieser belebten Einöde aus Stein und Dunkelheit überleben konnte. Dicht drängten sich die Menschen an ihm vorbei. Gesichter ohne Namen, überall – sie rempelten, waren in Unterhaltungen vertieft, in Gedanken verloren oder nach ihrem täglichen Handwerk körperlich erschöpft und suchten nur noch ihr Heim. Es schien fast so als wäre Scorvus der einzige auf seinem eingeschlagenen Weg. Wie ein Lachs, der sich entgegen dem Strom eine halbe Unendlichkeit zum Laichplatz vorkämpft, schritt er unerbittlich voran bis die lang gezogene Masse sich lichtete und zu verschwinden schien. Er hörte etwas rhythmisch Quietschendes über sich.

Scorvus blickte auf und er sah ein Gasthausschild, dass rostig in den Angeln hing. Das von ihm herrührende Geräusch war grässlich, dachte er sich bis er es schließlich so hinnahm als er das Bildnis darauf erblickte.

Seine Pupillen weiteten sich in Ungläubigkeit. Dies musste es sein, wovon in der Nachricht, die ihm der Wirt einer Taverne nahe der südlichen Grenze Vandriens überreicht hatte, die Rede war! Er blickte prüfend hinter sich, ehe er das Pergament aus dem linken Ärmel zog, und die Beschreibung des Fremden mit dem Bildnis verglich. Von der Neugierde ergriffen, drückte er schließlich die Tür zu dem Gasthaus auf, aus welchem ihm ein Dunst verrauchten Krauts und der Geruch von Absinth sowie Rum entgegenkam. Die Luft war von Braten und sonstigen fettigen Gerichten warm und bedrückend stickig.

Scorvus ging nur wenige Schritte zur Mitte des Gasthauses hin. Die Menschen um ihn herum ignorierten sein Eindringen und ließen sich von einem unbedeutenden neuen Gast nicht stören. Er blickte über die Gesichter, der an den Tischen Sitzenden. Alles Unbekannte. Bis er im Dunkel einer Ecke die Umrisse einer ihm Gestalt zu erblickten glaubte, die ihn zu sich winkte. So trat er auf diesen Tisch und je näher kam, desto klarer wurde das Bild von dem Sitzenden als sei Scorvus das Licht selbst.
Es war Milena, eine große, drahtige Frau, die an ihn herangetreten war. Sie schob den Dunst, der hier vorherrschte mit einer bedächtigen Handbewegung beiseite und erklärte ihm mit einer Stimme, die Widerworte nicht zu akzeptieren schien, dass sie wisse wo er herkäme und dass sie ihm dies noch zu gegebenen Anlass eröffnen wolle, wenn er nur mit ihr käme, denn sie sei es, welche die Antworten auf seine Fragen hätte. Hätte Scorvus dazu „Nein“ sagen können?

So nahm sie ihn schließlich mit sich als einen Khetai, der zu unterrichten war, aber anders als Scorvus es aus Andara kannte. Als erstes unterwies sie ihn im Festigen seines Wesens durch absolute Abstinenz und den Regeln eines Kodex, der ihm in Fleisch und Blut überging. Niemals die Sinne vernebeln zu lassen! Stets die Wahrheit zu sprechen, selbst wenn es den Tod nach sich ziehen würde! Die fehlgeleiteten Brüder zu ehren als seien sie die eigenen und vor allem niemals den zu leugnen, der das Heil aller war. Der Fürst, der weltliche Statthalter und Gebieter seines Vaters, der den Tod wählte als dieser vom Weg abgekommen war und seinen Herren enttäuscht hatte.
Dies zu erfahren, war wie eine Erlösung für Scorvus, wenn auch eine schreckensreiche und fortan war der Zweifel und die Angst, die Fehler seines Vaters zu begehen die alltägliche Bürde, die er sich selbst auflastete.
Zudem lernte er wie er mit den Täuschungen der Kirche umzugehen hatte, deren Lehren er auf Grund der Erziehung im Orden auswendig kannte. So kam es, dass er die Prüfungen und Listen seiner Schwester und Mentorin Milena bestand und von ihr in den Stand des Morotai erhoben.

„Sterben! Was heißt das? Siehe, wir träumen, wenn wir vom Tode reden.“

‚Es heißt, dass das, was die Vernunft und der Scharfsinn nicht mächtig sind uns zu zeigen, offenbart der Herr in unseren Träumen. Vieles was unsere Sinne nur unbewusst wahrnehmen, zwischen den Zeilen geschrieben steht und die Wahrheit hinter falschen und giftigen Worten verborgen bleibt, dreht sich in einem Traum. Plötzlich liest sich alles auf dem Kopf und von rechts nach links. Was wir noch nie kannten, ist uns längst vertraut. Das was wir erst seit kurzem kennen, wird uns in der Ferne verblassen sehen. So ist es mit den Träumen. Manchmal redet man sich ein, man könne sie deuten, aber auch dies ist eine Illusion.
Jene, die sich nach dem Tode sehnten, wollten nie mehr als Einsamkeit mit sich selbst und tot stellen sie dann fest, dass ihnen der Zutritt zu den Hallen verwehrt ist und die absolute Einsamkeit nach dem Freitod ihr Frevel war und sie in alle Ewigkeit verdammt sind.

Was soll dies nun bedeuten?

[color=darkred]Es bedeutet, dass der Tod groß ist und die Seinen lachenden Mundes sind. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. Das ist Tod wie Traum.’


Mit einem stummen Aufschrei reißt Scorvus seine Augenlider auf. Wieder war es einer dieser Träume, die ihm in letzter Zeit keine Ruhe gönnen wollten. Flach atmend verbleibt er eine zeitlose Weile in dem Bett seiner Kajüte. Das Schiff, auf welches er sich einige Wochen zuvor in Rothenbucht begab, will ebenfalls nicht zur Ruhe kommen. Der Sturm, der seit Tagen andauert, trägt für das unstete Wippen des alten, knarrenden, hölzernen Monstrums Sorge. Scorvus’ Blick hat sich auf das pendelnde Licht der Öllampe gerichtet, das an der Decke aufgehängt ist. Rhythmisch bewegt es sich mit einem missklingenden Quietschen hin und her und lässt den Eindruck erwecken, dass über dem Gesicht des jungen Mannes heller Haut von links nach rechts und rechts nach links Schatten huschen und stellvertretend bizarre Gesichtszüge bilden, die der Nachdenklichkeit Scorvus’ wegen nicht real sind.

So setzt er sich auf und greift nach dem schwarzen ledernden Band, den er hinter sich unter dem Kopfkissen hervorzieht. Seine grünen Augen betrachten das einleitende Symbol, das Wappen des Fürsten, einen Moment ehe er es aufschlägt und sofort muss er das Buch fester greifen, weil ein scharfer Luftzug es ihm zu entreißen versucht. Die Seiten werden von Ventus’ Schergen peinigend geblättert während weitere triviale Aufzeichnungen vom Tisch der Kajüte zu Boden wehen. Die unsichtbaren Hände lassen von dem Buch ab und Scorvus’ wird die nächste zu beschreibende Seite seines Tagebuches offenbart, dessen Datum „15. Onar 16 n. H.“ schon notiert war. Er schlägt das Buch wieder zu und hinterlegt es dort, wo er es hergenommen hatte.

Zu unentschlossen und seiner Gedanken nicht ganz Herr machen ihn die Träume. Träume, die ihn ursprünglich dazu brachten, den Weg einzuschlagen, den er nun eingeschlagen hatte. Immer und immer wieder hatte er von dem Eiland fern des Kontinents geträumt, auf dem ein Krieg tobte, der die viergöttliche Ordnung von Tare fegen und ein Zeitalter der Gerechtigkeit und Wahrheit einleiten sollte.

‚Nacht. Sturm. Regen. Heeren marschieren aufeinander zu, unter deren metallen scheppernden Rüstungen verliert sich das Antlitz der Natur. Sie stürmen aufeinander zu und aus der Ferne beobachtet fließen sie ineinander über, um dann wie zwei Männer auszusehen, die miteinander ringen und den Ausgang der Schlacht ungewiss gestalten. Die Diener der Dunkelheit – die Treuesten der Treuen schicken sich an, in die Schlacht einzugreifen. Scorvus ist als würde er schweben. Er will laufen und handeln, kann aber nicht. Hilflosigkeit lässt seine Lunge brennen.’

Scorvus’ Glauben nach sind Träume mehr als die Verarbeitung des unbewusst aufgenommenen. Sie sind Normen, die lehren wollen. Bilder, die manchmal trügen, aber auch vor allem fordern. Jeder eine Prüfung für sich.

Dieser Traum fordert. Scorvus entschied sich für die Reise nach Siebenwind als in Galadon das achte Jahr seines Auszuges aus Andara angebrochen war und die Bilder des Schlafes ihn lang genug getrieben hatten. Es war nun an der Zeit, sich der Lüge zu stellen, dem es auf Siebenwind zu entgegnen galt und den zu vergelten, dem er sein Leben verdankte.

Blitz und Donner zirpen über den Horizont, der das Meer ist, als Scorvus das Deck betritt. Die Mannschaft sind Sklaven des Unwetters und lassen sich von ihm peitschen weil sie seiner Ansicht nach sich widerstandslos ihrem Schicksal hingeben. Mit den schlanken, dürren Fingern zieht er sich die Kapuze in das nun finstere Gesicht, damit die Peitsche ihn nicht allzu sehr plage. Er sieht zum Ende der Welt. Ein erneuter Blitz hüllt Land in einen schummerigen Schein, der im Angesicht der aufblitzenden grünen Augen unter der Kapuze „Siebenwind“ gerufen wird.
Nun ist Scorvus seiner Erfüllung näher gekommen. Dem Dienst seinem neuen Herren, dem er sich noch zu beweisen hatte…


Zuletzt geändert von Varg: 22.06.06, 10:52, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags: Re: V. D. Duargs letzte Reise...
BeitragVerfasst: 10.07.08, 23:15 
Edelbürger
Edelbürger
Benutzeravatar

Registriert: 14.12.01, 13:08
Beiträge: 1012
Wohnort: Vandrien
„Es hat mit Blut begonnen und es wird mit Blut enden. Es ist der unhemmbare Gang einer von unzähligen Geschichten, der nun begonnen haben mag. Mannigfaltige Gegebenheiten verweben nun miteinander wie auch andere sich davor miteinander verwoben hatten und andere es darauf noch tun werden.
Sie alle sind nun Statisten in einem vom Göttlichen gelenkten Gang der Ereignisse.“


Er vollführt jene letzten Zeilen zu einem kunstvoll verschnörkelten Ende und kann sich eines spöttischen Lächelns darüber nicht erwehren. Vergnügt blickt er von der Terrasse eines Gebäudes nahe der Hafenanlage über die Stadt und erfreut sich lustvoll über die Bewegungen derer Bürger, deren Antrieb er noch mühselig zu entschlüsseln versucht. Der Gedanke daran, dass diese Geschichte einmal seinem Willen zugeschrieben könnte, erscheint ihm süß und verheißungsvoll… zu verheißungsvoll.

Er wischt sich mit den dürren Fingern seiner linken, vernarbten Hand einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, welche durch die Brise ihm streichelnd ins Gesicht getrieben wurden. Der Augenblick der Schwäche ist vorüber. Er verschränkt die Unterarme hinterrücks, tritt hinunter und mischt sich ruhevollen Gesichtsausdruckes und frommer, doch unheilvoller Gedanken, wieder verschwindend unter die Schäfchen - seine Schäfchen.


Nach oben
 Profil  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 8 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste


Sie dürfen keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de