Mittentag, 8. Seker
... die arme Hanna! Als ich sie gestern endlich im Lager antreffen konnte, standen die Kunden in Doppelreihen vor der Theke...! Geschäftig eilte die kleine, und doch so kräftige Frau hin und her und bemühte sich, die Wünsche der Anwesenden zu erfüllen. Ich hatte es nicht eilig, war doch mein Anliegen eher peinlicher Natur, und es wäre mir recht gewesen, wenn es gar keine Zuhörer dabei gegeben hätte. Schliesslich hatte ich keine Ahnung, wie die gute Frau Wildblum reagieren würde, wenn sie erfährt, dass ich mich unerlaubterweise an ihren Stoffen vergriffen habe, und einen Skandal vor allen Leuten wollte ich doch mit allen Mitteln verhindern. So war ich froh, als einmal etwas Bewegung in die Reihe kam, und eine junge Dame sich vor mich stellte. Auf diese Weise war es mir noch einfacher, den Blicken der "Hobytlan", wie sie von sich sagte, zu entgehen.
Doch dann, kurz bevor ich an die Reihe kam – die Sonne war längst untergegangen und ich hatte mich schon gewundert, wie lange Hanna heute zu arbeiten gedenke – da sackte die gute Frau doch tatsächlich vor aller Augen zusammen! Ich erschrak und versuchte besorgt, über die Schultern der beiden vor mir hinter die Theke zu spähen und rief nach ihr – als der Elf, den sie gerade bediente, ein paar leise Worte murmelte und auf sie zeigte. Im selben Augenblick schlug sie die Augen wieder auf und stützte sich etwas verwirrt auf. Der Junge, der mir schon einige Male über den Weg gelaufen ist, schob sich an uns vorbei, zog sich an der Theke hoch und lehnte darüber, und begann mit erfrischend kindlicher Art die Hobytlan auszufragen. Schliesslich wendete er sich mit ernster Mine an alle Anwesenden und bat sie, den Laden zu verlassen, nachdem er der Frau, die ihn von der Körpergrösse her kaum überragte, empfohlen hatte, sich schlafen zu legen!
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, musste dem Kleinen aber Recht geben, auch wenn es wohl für den einen Herrn hinter mir nicht einfach war, dies einzusehen. Rasch legte ich die wenigen Stoffbahnen auf die Theke und wartete einen Augenblick, bis Hannas Blick auf mich fiel. Zumindest wollte ich ihr kurz meine Schuld eingestehen, noch länger zu warten wäre wohl noch schlimmer! Und so blass und müde, wie sie aussah, durfte ich damit rechnen, schnell mit der Angelegenheit fertig zu sein. – Doch Hanna beschämte mich aufs Neue! Ich hätte keine Schulden bei ihr, murmelte sie mit leiser Stimme... Der Junge drängte mich wieder, das Lager zu verlassen und die anstehenden Dinge später zu besprechen, wenn Hanna ausgeruht sei. Ich erkannte, dass die gute Frau tatsächlich fast im Delirium sprach, sonst hätte sie ihre Worte sicherlich überlegter ausgesprochen. Wahrscheinlich hat sie gar nicht wirklich erkannt, wie wenig Stoff da liegt. – Ich nickte also dem Jungen zu und wünschte Hanna gute Besserung, ehe ich rasch den Laden verliess. Wenn ich sie das nächste Mal antreffe, werde ich hoffentlich in Ruhe mit ihr sprechen können.
*mit etwas veränderter Handschrift sind noch ein paar weitere Zeilen angefügt*
Dinge geschehen hier, wie ich sie noch nie erlebt habe! Als ich mit Lupo später noch ein wenig spazieren wollte – der Kleine hat wirklich Spass daran, im Schnee herum zu tollen! – traf ich vor dem Haus auf eigenartige Szenen. Ein Mann schien sich verletzt zu haben, und wenn ich die Worte des Mannes neben ihm richtig verstanden habe, dann musste er wohl geistig etwas verwirrt gewesen sein und sich mit seinem eigenen Dolch absichtlich Wunden zugefügt haben! ... Derweil klang plötzlich die sehr erzürnte Stimme eines Zwergen zu uns herüber, der sowohl einen Mann, wie auch Aisha als Hexer und Hexe betitelte! Daraus entstand eine heftige Diskussion, in der sich der Zwerg mehr und mehr in Rage steigerte – und schliesslich sogar seinen Wolf auf den Mann hetzte! .... Oder hatte der Mann das Tier zuerst angegriffen? Ich sah es nicht, da ich gerade versuchte, zu erfahren, worum es hier überhaupt ging. Jedenfalls bemerkte ich, dass der Mann einige fremde Silben murmelte, und erschrak. Denn so erzürnt, wie der Dwarschim war, und so aufgeladen die Atmosphäre, fürchtete ich das Schlimmste, wenn das offenbar zahme und sehr folgsame Tier Schaden erleiden würde!
Ich hatte genug damit zu tun, Lupo zu beruhigen, der auf die angespannte Stimmung sehr empfindlich reagierte, und so ging ich in einem grossen Bogen um die Versammelten herum. Der Zwerg rief zum Glück seinen Wolf wieder zu sich, doch war die Stimmung noch immer sehr geladen. Plötzlich entdeckte ich Samain, der dem Wolf mit seinem Blick folgte und leise auf ihn einredete, ohne den Zwergen zu beachten. Ich hatte den Eindruck, als ob er versuchte, das Tier zu beschwichtigen... Auch eine Frau war hinzu gekommen, die offenbar dem Zwergen Paroli bot. Als dieser sich weiter in Rage steigerte, entschloss ich mich schliesslich, doch in das Geschehen einzugreifen und zu versuchen, die Gemüter zu beruhigen. Doch als ich mich umwandte, stapfte der Zwerg gerade missmutig in seinen Bart brummend, an mir vorüber.
Sein Blick streifte mich und er fragte verstimmt, ob ich auch noch etwas von ihm wolle. Und da nun seine Aufmerksamkeit auf mich gerichtet war, versuchte ich mein Bestes, ihn nicht noch mehr zu reizen. Während ich langsam auf ihn zutrat, beobachtete ich den Wolf, der bereits wieder friedlich und neugierig in die Umgebung schnupperte. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen begann ich, den Zwergen bei seinem Stolz zu packen und lobte ihn für das wunderschöne und offenbar sehr intelligente Tier, das mit seinem Herrn so verbunden ist... Und wieder einmal ging mein Plan auf, denn die Schmeicheleien schienen den Zwergen sichtlich zu beruhigen. Ein anderes Gesicht, andere Gedanken, und von der ehemaligen Wut ist kaum mehr was zu spüren.... Als er mich fragte, womit er mir helfen könne, antwortete ich wahrheitsgemäss. Verwirrt verstand er im ersten Moment nicht, was ich mit "ablenken" meinte, und so sprach ich ihn vorsichtig auf seine gerade zurück liegende Verstimmung an. Er fasste die Geschichte nochmal in seinen Worten in einem Satz zusammen und bestätigte dann mit einem kurzen Dank, dass die Ablenkung geholfen hatte. Was er genau vor sich hinmurmelte, als er die Hand hob und mir zuwinkte, während er sich abwendete, verstand ich allerdings nicht. Die Sprache der Zwerge ist etwa so kantig und gedrängt, wie die stämmigen Burschen selbst.
Ich liess ihn zufrieden ziehen und kümmerte mich nicht mehr darum, sondern lenkte nun meinerseits mich selbst ab und spielte mit Lupo "Stöckchen holen". Als unser Spaziergang mich zum Brett führte, entdeckte ich dort die Nachricht, die wohl den Beginn des ganzen Dramas beschrieb! Auf einem blutverschmierten Zettel stand eine Warnung. Jemand schrieb, dass sein eigener Dolch, offenbar verflucht und mit einem eigenartigen Leuchten versehen, ein Eigenleben entwickelt und sich gegen ihn selbst gewendet hat und der Schreiber nur mit Hilfe eines Magiers davor bewahrt werden konnte, dem Tod zu entgehen!
So unglaublich diese Geschichte klingt, so passt sie doch genau zu dem, was ich gesehen und gehört habe! Und auch der Zorn des Dwarschim passt da wunderbar hinein. Sicherlich hat er die Lage verkannt und den Helfer als gefährlichen Hexer eingestuft!
Die gut gerüstete Dame (?) allerdings, die mich eben im Vorraum wütend angeschnauzt und mir befohlen hatte, Lupo in die Kälte hinaus zu setzen, um mich kurz darauf mit schreiender Stimme zu fragen, ob ich gesehen hätte, wohin der Dwarschim mit seinem Wolf gezogen sei, .... sie war das bisher bedrohlichste, was mir hier auf Etriska begegnet ist...
Ausser der Spinne natürlich.
Zuletzt geändert von Elicandro: 6.11.02, 03:01, insgesamt 1-mal geändert.
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