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 Betreff des Beitrags: Nichts und ohne Pointe: Dorion Hali
BeitragVerfasst: 9.05.06, 11:38 
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I. Kapitel
verlautet in einem vagen Diskurs Dorion Halis durch ein ungenanntes Ereignis geschädigtes Gemüt.



„Erinnerst du dich?“, hauchte die Stimme.


„Nein.“, entgegnete Hali kühl und starrte in den glühenden Kamin, vor dem er im Schneidersitz gekrümmt und in sich zusammengefallen saß.


Die Stimme: „Doch, tust du.“ Ein fadenscheiniges, süffisantes Grinsen machte sich vor Halis innerem Auge breit. Dann wurde das Kaminfeuer zur gewaltigen, prasselnden und heißen Lohe, die Funken schlug und todeslechzende Brünste um sich warf, die den Geruch von brennendem Fleisch schadenfroh verteilten. „NEIN!!!“ – „Schrei nicht so, sonst weckst du noch Akora.“, flüsterte es wieder. Hali führte eine wischende Handbewegung vor seinem Ohr aus. Halbherzig, denn er wusste, das, was da war, das konnte er nicht wegwischen. Das saß tief drinnen. Und dort hauste diese immer wiederkehrende Qual, diese fleischlose Furie, die allnächtlich ihr faules und dunkles Refugium irgendeines Winkels der Seele verließ, um Halis Gedanken und Träume heimzusuchen. Nicht einmal, wenn er die Nächte durchwachte, war er sicher. Er tastete mit zitternder Hand nach seinem Flachmann. Leer. „Das helfe dir auch nicht weiter, tränkest du es ...“, zischelte es von einem Ohr zum anderen. Zu Anfang wurde Hali noch paranoid und schaute nach jedem Schatten, jedem Winkel, jeder Nische. Nun nicht mehr, denn er wusste, der Kampf fand nur in seinem Kopf statt.

Dieser schwarze Keim, er wäre nur halb so schrecklich, wüsste er nicht etwas, was sonst nur Hali selbst wusste und was sonst auch besser niemand wissen sollte. Ja, die Schuld ist eine vielschneidige Waffe mit dürftiger Präzision. Wäre sie wenigstens sofort tödlich, die Betroffenen würden es ihr wahrscheinlich kaum verübeln. „Warum bin ich noch am Leben?“, das fragte Hali sich oft. „Weil du ein gieriger, wollüstiger Hedonist ohne Skrupel und Manieren bist!“, meinte die Stimme spöttisch. Zu sich selbst indessen sagte Hali: „Vielleicht, weil wir von den Göttern mit Hoffnung und Lebenswillen beschenkt sind. Und wäre ich auch gleich einem engherzigen und selbstbezogenen Tier, hätte ich selbst dann nicht noch den göttlichen Geboten nach ein Anrecht auf mein Dasein, selbst wenn viele und vielerlei mich zu verzehren begehrten?“ Hali spürte, dass dieses dunkle und tumorartige Gespinst seines Kopfes Gefahr lief, ein Schössling des Einen zu werden, auch wenn es davon noch weit entfernt war, weil Hali so schwach noch lange nicht wahr. Warum aber war er bis heute nicht zur Kirche der Sahor konvertiert, dem wohl größten Erzfeind Angamons? Denkbar seine Scham, sich jemandem anzuvertrauen. Nicht einmal den Göttern. Obwohl er bislang eher Defizite aus den zweiseitigen Elementen zu verzeichnen hatte, gerade, was das Feuer anging ... Und da stieg es wieder auf. Der Brand, den nicht einmal die widerliche Herbstnässe zu löschen vermochte. Der Geruch des Todes und das Gelächter und Getrappel, die Schreie von Menschen, breitgetragen vom Wind. Schlamm und Dreck, vermengt mit Blut und Fleischfetzen. Eine widerliche und ekelerregende Brühe des Wahnsinns. Hali schüttelte sich kurz, stand auf und legte sich ins Bett, als ob dieses ein gefeiterer Ort sei.

Diesen Teufel musste er sich austreiben, das wusste er bereits vor Jahren. Aber wie, wenn er niemandem das nötige Vertrauen zusprach? ... Auf Dauer würde er diesen inneren Krieg jedenfalls verlieren.

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BeitragVerfasst: 10.05.06, 11:23 
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II. Kapitel
ist der Geschichten zweiter Streich, der zu einem Stücke erklärungsarm obgenannte Handlung fortführt und vom Birkensang handelt.



Hermia. Ja, so hieß jene, die unter vielen ihren Tod fand. Auch wenn Hali nie ganz sicher sein konnte, dass sie wirklich tot war, denn stark verkohlte und zugleich aufgeweichte Leichen lassen nur schwerlich auf den einstigen Besitzer dieser sterblicher Hülle schließen. Nun aber hatte Hali sich Akora anvertraut und ihr vom einstigen Gräuel, das er miterlebt hatte, berichtet, derer Verschuldung Last er meinte zu einem Teil zu tragen. Obschon sie viel zu sticheln hatte, im Nachhinein fragte Hali sich, warum er dies nicht eher erzählt hatte. Er war ein Dummkopf, wo sie ihm doch in vielerlei Hinsicht manchmal mehr vertraut hatte, als er meinte verdient zu haben, ja, er war es ihr beinahe schuldig gewesen. Jetzt, da es eine in die Geschichte Eingeweihte gab, würde wohl in diesem Belang jeder Trost wie Balsam und jeder Tadel wie Stiche sein. Bislang hatte er keines von beiden erhalten, und doch schien ihm alles nun ein kleinwenig erträglicher. Die darauffolgende Nacht fand er sich von neuem Mut beseelt, seinem innersten Feind entgegenzutreten, wie ein Feldherr, dem ein weiteres, stattliches Heerbann zu Hilfe eilt. Auch wenn er gegen sich selbst kämpfte, gegen einen Teil von sich, der Vorwürfe macht, anstatt zu verarbeiten und der Erniedrigung anstelle von Ermunterung säte. Ein Selbsthasser im eigenen Kopf. Hali stand wie vor einem Spiegel, und im Spiegel, da sah er eine Täuschung: Jenen inneren Verhöhner. Doch dieser wiederum wähnte sich auf der Seite der Wirklichkeit und den alten und zweifelnden Hali auf der anderen Seite als ein Trugbild, eine Lüge. Doch keiner wagte sich zu diesem Zeitpunkt abzuwenden, denn noch war die Unsicherheit zu groß, sich irren zu können und folglich ins ewige Nichts zu fallen (denn was sonst sollte auf der unwirklichen Seite sein?), anstatt, vom Spiegelbild abgewandt, zur Wirklichkeit zurückzukehren. Am nächsten Morgen streifte Hali nach dem alltäglichen Bad im Teich durch den Wald, bis er zu einer Birke kam. Sie schien noch nicht sehr alt und maß vielleicht drei Schritt gen Himmel, ihr Stamm war zum Teil von Moos bedeckt. Sachte bog sich der Baum im Wind und die kleinen Blätter raschelten leise, wie sie so wackelten und tanzten. Da stimmte Hali plötzlich ein Lied an, das ihm von früher, der unbekümmerten Zeit seiner Kindheit und Jugend, schlagartig einfiel. Er sang es mit kräftiger, tiefer Stimme und es schallte sicherlich weit über die Wipfel der Bäume hinweg.



Birke, Birke, die du bist
Mein liebster Baum von allen,
Wenn dich auch die Säge frisst,
So sollst du mir gefallen!

Deine Borke ist gar weiß,
Die an Licht erinnern kann.
Ist nicht wichtig wie ich heiß,
Bin doch nur der Weidenmann.

Ja, die Birken fragen viel,
Die Weißen wollen Wissen.
Ihrer Seelen größtes Ziel,
Das suchen sie verbissen.

Suchen es an jedem Moos,
Sogar im Waldmannskissen.
Ihre Nasen wirst nicht los
Und hast du auch geschissen.

Rastest du einst ausgelaugt,
Im Walde nur zu pissen,
Wirst von Birken ausgeraubt
Und Sorgen du vermissen!

Birke, Birke, die du bist
Mein liebster Baum von allen,
Wenn dich auch die Säge frisst,
So sollst du mir gefallen!

Deine Borke ist gar weiß,
Die an Licht erinnern kann.
Ist nicht wichtig wie ich heiß,
Bin doch nur der Weidenmann.




Als er diesen Sang zuende gesungen hatte, da fand sich Hali schon vor Falkensee. Da betrat er wieder das Reich der Menschen und Elfen und anderen zweibebeinten Stadtgeschöpfe (und den vierbebeinten Ratten). So stürzte er sich also ins Gewusel der Massen, um seiner Lieblingsbeschäftigung unter jenen nachzugehen, dem Dummschwätzen und Scherzen.

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BeitragVerfasst: 11.05.06, 14:47 
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III. Kapitel
kommt des Kummers Tröstung näher und berichtet vom Baum des Lebens.



Lacht man, so lacht die Welt mit einem, weint man, dann weint man allein. Aber zwei Schicksale, und stimmen sie auch nur im Kern überein, können doch verbinden, oder wenigstens das Verständnis des einen für den anderen schärfen und vor allem das Gefühl geben, dass man doch gar nicht so einsam in der beklagenswerten grauen Welt, der unbarmherzigen Wirklichkeit des Seins ist. Der eine findet Trost bei den Göttern, ein anderer bei seinesgleichen. Der vergangene Tag war richtungsweisend. An diesem aus Halis Sicht so ironischen Tag der Liebenden führte ihn sein Weg nicht in die Kirche, die Güte und Barmherzigkeit und den Segen der hochheiligen Sahor, der allmächtigen Götter und vor allem der lieblichen Vitama einzuholen. Nein, das Schicksal führte ihn ins Zwiegespräch mit einem Menschen wie jedem anderen. Nicht zu messen an der Macht und Pracht eines Gottes, aber doch so unermesslich und unersetzlich, so greifbar und nah. Jedoch kann ein Gott, so meint man, immer bei einem sein, den Weg geleiten und die Hand reichen um aus dem Schlamassel des Alltags und der Verdrusse zu helfen. Ein Mensch bleibt ein Mensch, dessen Präsenz einen anderen Menschen nur unwesentlich auf spiritueller Ebene begleiten kann. Umso schmerzlicher daher ein Abschied, umso beklagenswerter ein Verlust. Fast schien es Hali, als liefe aus einer Bindung (die jäh und gewaltsam zerbrach) nur einer anderen, obschon sich von ersterer unterscheidenden in die Arme, welche in diesen gefahrvollen Zeiten ebenso zerbrechen könnte, wie jene zuvor. Ein menschliches Laster, ohne Zweifel. Nur wenige vermögen mit der Zeit eine Gleichgültigkeit und Härte gegenüber tieferer Vertrautheit zu entwickeln. Jene die es nicht können (Hali gehört zu ihnen) schöpfen aber sicherlich Kraft aus Freundschaftsbanden (und ähnlichen oder tiefgreifenderen), und stünde diese noch so arg auf Messers Schneide. Leben und Zuneigung. Zwei Dinge, die zwar entfernt etwas miteinander zu tun haben, sich aber im Grunde so schrecklich fremd sind. Hali hangelte sich durchs Geäst des Lebens und mit jedem Fehlgriff oder jeder Resignation stürzte er ins Meer der Depression zurück, um dann abermals hinaufzuklettern – wohin eigentlich? Manchmal ließ er sich einfach unten treiben, wegen eben dieser Frage, deren Antwort sich ihm nicht aufzeigen wollte. Und eigentlich tat sie es immer noch nicht.

So viel Gedankengut, das die Welt nicht weiterbringt. Hali rieb sich die Augen und gähnte. Wie lange hatte er gegrübelt? Fela hatte sich schon geneigt. Er selbst war allein im Ordenshaus des Wachenden Löwen, die anderen trieben sich irgendwo draußen herum. Blinzelnd blickte Hali an sich herab. Er steckte noch immer in der nagelneuen Uniform. Dass er sie selbst zusammengenäht hatte, sah man deutlich an den extrem festen, aber unsauberen Nähten; er selbst erkannte sein Zeug jedenfalls sofort daran. Er legte sich zur Ruhe. Nur schwach drang der übliche Marktlärm durch die Fenster hinein. In der darauffolgenden Nacht hatte Hali einen Traum. Darin sah er einen großen Baum mit Wurzeln, die tief in den Boden reichten. An diesen, tief im Dreck der Erde, hockten die Bauern an festen Orten, während die Heimatlosen von einem Ende zum anderen wanderten und doch nichts erreichten. Nach oben erhob sich ein gerader Stamm, arm an Ästen und Zweigen. Daran gesuchten viele hinaufzuklettern, denn auf luftigerem Astwerk saßen Werkelnde, aber auch Soldaten. Von jenen wiederum bahnten sich manche einen Weg nach weiter oben, wo Leute in feineren Kleidern mit scharfen Schwertern saßen. Schafften sie es, sich irgendwo weiter oben festzuklammern, rückte an ihrem alten Platz einer nach. Manchmal musste der Nestbesitzer auch hinausgeworfen oder umgebracht werden und nicht minder viele stürzten bei ihrer waghalsigen Kletterei hinunter auf die Erde. Ganz oben in der Krone des großen Baumes saßen Herzöge und Fürsten mit güldenen Zeptern und Hochgeweihte, unter ihnen und ebenso auf glatten Ästen saßen Ritter und hohe Beamte. Zu manchen hin war das Holz so glatt wie jenes, das zu den Herzögen und Fürsten führte, sodass man keinen Halt zu finden vermochte. Und ganz oben, auf der Spitze des ganzen, da thronte der König unter luftigem Himmel und heller Sonne.

Hali stand nur als ein Beobachter vor diesem Gewächs mit seinen zahlreichen wuselnden Figuren, die dort eifrig kletterten, schubsten und fielen. Wo er selbst sich befändt, das sah er nicht. Weit oben wäre es jedenfalls sicherlich nicht.

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BeitragVerfasst: 12.05.06, 13:19 
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IV. Kapitel
erzählt vom Wunderding Fela und dem Spiegel im Wasser.



Eines Morgens. Der nächste, um genau zu sein. Hali erwachte, ging in aller Früh zum städtischen Badehaus und spazierte bei spätem Morgengrauen durch den Wald. Auf der Brücke im Westen blieb er stehen und sah zur Stadt zurück. Flammend ging darüber Fela auf. Vom am Tag zuvor niedergebrannten Haus stiegen nur noch ein paar vereinzelte und fahle Rauchwölkchen auf, die sich im Äther verflüchtigten. Fast etwas zynisch kroch das Morgenlicht über den Dächern empor, arglos und schön wie eh und je. Fela, wo gehst du hin, wenn du hinter dem Horizont versinkst? Es ist, als würde dich der Kosmos der Sphären in jeder Nacht von allen Sorgen und Lastern reinwaschen. Und hat man am Vortag auch einen Eingekerkerten mit deinen Strahlen geblendet, geht ein Wald in Lohe auf oder sei auch das Geschlecht der Menschen ausgestorben, du erhebst dich wieder, genährt von einer Urkraft, und lächelst mild auf jene, die noch da sind. Fast als nähme dir jemand Erinnerungen, Ärgernisse und alle Laster ab, auf dass du am Folgetag beinahe neu geboren wirst. „Wahrlich, das ist wundersam! Ein Wunderding bist du.“, meinte Hali, als er so allein auf der Brücke stand und schaute. Wir Menschen gleichen dir wenig, Fela. Zwar besteht das unsere Leben auch aus Tagen und Nächten, wir steigen und sinken zur Höhe des Himmels und in die Abgründe des Ungewissen, aber vermögen wir es kaum zu vergessen, wenn ein Tag uns schrecklich verblühte, anstatt in Würde zu verstreichen (wenngleich uns selbst das wenig beliebt). Zwar merken wir uns auch die schönen Tage, doch was hilft es uns, wenn die Erinnerungen an die schlechten uns quälen. Du aber, Fela, schaust nur voraus. Denkst nicht daran, wie du heute aufgingst, sondern wie du morgen aufgehen wirst. Verschwendest keinen Gedanken daran, wie traurig doch dein Untergang gestern noch war, sondern genießt, wie herrlich und erhaben du eben jetzt ganz Tare erhellst! In der Tat sind wir doch ärmlich. Steigen an der Leiter des Lebens herauf und zerbrechen uns den geschundenen Kopf über Sprossen, alte Stufen, die unter uns liegen, wo doch unser Weg nur vorwärts, nach oben führt. Auf, nach oben, zu den Göttern, zu den Monden, rauf zu Fela! Ein ehrlich Leben, sei’s erfolgreich oder arm, ist Sieg, Triumph, wenn wir nur weitergehen!

Das dunkle Wasser glitzerte orange und gelb und plätscherte glucksend am Uferrand, wo es über Steine stolperte und von Fröschen durchkämmt wurde. Hali ließ seinen Blick nach unten schweifen. Er blickte in sein Spiegelbild, welches über den finsteren Schatten der Brücke hinwegschaute. Eine weile starrte er; das war nicht bloß sein Spiegelbild. Es war sein Feind. Der Selbsthasser, der Welthasser, der Verlogene, der doch so oft recht zu haben schien. Gemein und hinterhältig glotzte er aus dem Wasser heraus, das nun ganz dunkel und glatt wirkte. „Hallo.“, sagte das Spiegelbild mit herablassendem Unterton. Die ganze Welt schien nun im Wasser gespiegelt und man konnte kaum mit Sicherheit sagen, ob man nur in einen Spiegel schaute, oder selbst im Spiegel war. „Du denkst zu viel nach!“, fuhr es fort. „Gib auf, was soll das? Glaubst du wirklich an das gute in der Welt? Glaubst du ernsthaft, dass du jemals wieder aufrichtig fröhlich sein kannst? Es gibt nichts, das liebenswert ist! Man tut besser daran, zu hassen. Es macht beinahe unverwundbar, wenn du allem mit Argwohn und Abneigung entgegentrittst, als dich solchen Kleinlichkeiten wie ‚Liebe’ oder ‚Freude’ hinzugeben. Die beste Freude ist der Spott! Du hast erlebt wie die Welt ist. Sie ist grausam und erbarmungslos. Sie hat dir weggenommen und dich betrogen. Aber das konnte sie nur, weil du einfältig und verletzbar warst. Werde wie die Welt, und du wirst zufrieden sein.“ – Hali senkte die Augenlider resignierend. „Ja. Das stimmt. Dann würde ich wohl zufrieden sein.“ Triumphal lächelte die Fratze im Wasser und glich dem alten Hali in keiner Falte mehr. Doch als diese Fratze von einem Mann sich umwandte, als wolle sie in die Wirklichkeit gehen und als wähne sie den alten Hali nur als ein närrisches Spiegelbild, verzerrt im Tanz des Wassers, da fuhr dieser fort: „Aber ich will nicht zufrieden mit einer Lüge leben.“ Und der Mann im Wasserspiegel fiel tot um, verschlungen vom Nichts, als hätten ihn diese Worte tödlich im Rücken getroffen. Hali blinzelte und hob die Lider wieder. Jedoch war da nichts im Wasser. Nur ein funkelnder Widerschein seiner selbst. Er hatte das Spiel gegen sich selbst gewonnen (wer weiß, ob es das letzte war), auch, wenn ihn das über steinigere Pfade führen würde. ‚Auf rauen Wegen zu den Sternen.’

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BeitragVerfasst: 13.05.06, 14:28 
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V. Kapitel
untersucht Tares unglaubliche Gesetzmäßigkeiten und handelt von theologischer Denkerei.



Wenn Taubenpaare scheinbar liebevoll turteln, dann wirken sie zuweilen geradezu menschlich. Umso menschlicher wirken sie noch, wenn sie urplötzlich übereinander herfallen, um sich mit ihren spitzen Schnäbeln totzupicken. Die Natur mit all ihren Geschöpfen ist auf Tare überaus vielfältig und faszinierend und so tun sich dem eifrigen Beobachter immer wieder nicht minder zahlreiche Fragen auf. Zum Beispiel, wen die Götter zuerst schufen: Die Fliegen und anderes surrendes Getier den Spinnen zum Mahle, oder den Fliegen und dem andren surrenden Getier zur Bremse? In beiden Fällen jedenfalls den Beflügelten zur Tücke. Den Beflügelten zur Tücke – solcherlei ist, Astrael weiß, uns auch nicht gänzlich unbekannt. Ja, es scheint sogar einer der wenigen roten Fäden zu sein, die sich durch die Welt ziehen. „Ei! Den Beflügelten zur Tücke...“, probierte Hali die Phrase einmal laut. Das ist wie, dem Reichen der Kummer, dem Liebenden die Trennung, dem Athleten die Lepra, dem Geistreichen der Schwachsinn, dem Admiral die Blindheit, dem Schönen rascher Verfall – wahrlich, das ist ein Gesetz der Natur! So wie man eine Tugend mit zwei Lastern erkauft, so nimmt einem die unbarmherzige Welt all das, was man zu viel hat. Bei so vielen Wesen ist Tare jedoch zuweilen schlampig und nimmt manchem zu viel und manchem zu wenig. Aber bevor eine Seele auf die Erde entlassen wird, widerfährt einigen Auserwählten besonderer Segen der Sahor. Wurde ihnen zuvor angeborenermaßen mehr gelassen, als genommen, so werden sie in der Regel später Könige und andere Regenten, Ritter oder sonstigen hohe Aristokraten. Bei den alten, buckligen und sehschwachen Eremitenheiligen kam nur das weltliche Geschenk zu kurz. Bei frühsterbenden oder verkannt bleibenden Talenten eher der Göttersegen. Und wem gar nichts zuteil kommt, der stirbt entweder, bevor er geboren wird, oder wird ein Taugenichts und Müßiggänger mit schiefen Zähnen, krummen Nasen und Warzen. Es sei denn, der Eine nimmt sich seiner an, dann verfällt er dem Unglauben. Das müssten wohl alle erdenklichen Extreme sein. Nun stellt sich aber die darauf logisch folgende Frage, ob das Netz des Lebens wirklich so einfach gestrickt sein kann, dass ein Mensch es zu verstehen vermag. Sintemal es sicherlich auch hässliche und dumme Leute aus hohem Hause gibt. Aber vielleicht wurden diese auch nur im Nachhinein als unwürdig erachtet. Die Wege der Hochheiligen sind unbestreitbar unergründlich für all jene, die nicht in den Genuss göttlicher Disputationen kommen können. Und selbst wenn man es als Sterblicher könnte, würde man daraus schlauer werden? Wahrscheinlich nicht!

Hali blinzelte traumtrunken und blickte sich hastig um. Er saß auf einem Baumstamm und starrte ins weite, tote Land. Nichts los. Aber er hatte sich an diesem Morgen als Wachtposten verpflichtet. Eigentlich war es witzlos, denn in der Liga, in der Hali einen Gegner im Kampfe schlagen könnte, waren eiserne Waffen ebenso wenig mit von der Partie wie mordlüsterne Kreaturen. Aber zumindest konnte er laut rufen. Über dem einsamen Lager inmitten dieser kleinen grünen Oase des unwirtlichen Ödlandes lag milchiger, feuchter Dunst. Seine Kleidung war klamm und die Haut schien vom Bad in dem kleinen Teich einfach nicht trocknen zu wollen. Hali wischte sich die unangenehme Nässe auf seinen taubenetzten Unterarmen breit, deren Ärmel er hochgekrempelt hatte. Bald stellte sich eine trockene Briese ein. Sie kam aus Richtung Norden, den Brachen des öden Landes, und drückte den Nebel aus dem im Vergleich dazu geradezu paradiesisch anmutenden Tal. Dieses unheilvolle Land konnte einen viel über Religion lehren.

Dies hatte unweigerlich zur Folge, dass Hali, der unverbesserliche Denker und Träumer, wieder vor sich hin philosophierte und auch über seine eigene Konfession nachzudenken begann. Vom Elternhause an war er im Glauben der Enhor erzogen wurde, obzwar die anderen Religionen Erwähnung fanden. Das, was er wirklich über die Viergöttlichkeit wusste, hatte er damals (bevor er in den Genuss diverser Bibliotheken kam) zumeist von den Geweihten eines nahen Sahortempels erfahren, wenn diese ihn eine Weile festhielten und moralische Standpauken hielten, weil er aus deren klösterlichen Gärten wieder versucht hatte, Birnen zu stehlen. Diskriminierung und gezielte Schikanierung von elementargläubigen Kinder nannte Halis Vater das immer. Hali selbst nannte es später kostenlose Bildung und infiltrationsartige Erkundung für den nächsten Obstklau. Von dieser Sichtweise her war er bei der Viergöttlichkeit immer besser weggekommen. Hali wollte gerade seine guten Erfahrungen mit den Enhor an den Fingern aufzählen, aber da ihm so schnell keine einfielen, begann er erst einmal mit den weniger erbaulichen. „Hm, der Wind, der uns damals das Dach wegfegte... mm, einmal fast im Beborn ersoffen, im Sumpf beinahe draufgegangen, und war da noch das Feuer in ...“ – Hali stockte an der Stelle, um nicht wieder auf schlechte Gedanken zu kommen und schüttelte den Kopf kurz aus, als wäre ihm gerade etwas auf eben jenen gefallen. Es heißt, äußerliche Änderungen lassen auf Innere schließen, beziehungsweise, innere Umschwünge ziehen äußerlich sichtbare nach sich. Verhalten blickte Hali an seiner nagelneuen, blitzblanken und ordentlichen blauweißen Uniform herab. Er machte ein Gesicht, als hätte er sich gerade eben selbst durchschaut. Vor zehn Tagen war er noch wie ein vagabundischer Penner herumgelaufen und vor nicht mal einem halben Götterlauf noch hatte er auf Kirche und System geschimpft. Heute schob er Wache für einen königstreuen und der Kirche der Sahor verschriebenen Orden. Ob es daran lag, dass er eine schlimme Sorge über Bord geworfen hatte (obschon sie nicht vergessen war, aber Akoras Worte waren nicht ganz ohne Wirkung geblieben), oder daran, dass irgendetwas in seinen Kopf oder sein Herz gekommen war, darin war sich Hali nicht ganz im Klaren. Auf jeden Fall zog es einen Rattenschwanz von anderen Veränderungen in seinem Kopf nach sich. Noch nie hat ein Rattenschwanz den Geist eines Mannes derart beeinträchtigt!

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VI. Kapitel
erzählt ein wenig vom Perversen an pragmatischer Religiosität und von der Wertschätzung im Leben.



Es gibt unheimlich religiöse Leute, die fleißig beten, den Tempel besuchen und die Priester ehren, ebenso wie es wiederum Leute gibt, die ihrer kirchlichen Dogmen nicht ganz so ernst nehmen aber vielleicht dennoch fest in ihrem Glauben stehen. Eine Minderheit ist gottlos. Und wieder andere heucheln sich ihre Religiosität mehr oder minder selbst vor und sind eigentlich nichts anderes als Gottlose, denen ihre Konfession eine Art Gewohnheit ist. Hali fand sich nach reichlichem Abwägen irgendwie in keiner Gruppe ganz und gar wieder. Er befand sich, wenn man so wollte, in einer „Glaubenskrise“, obschon auf eher lächerlich platonischer Art. Wobei die Zahl solcher Leute auf der Insel Siebenwind in diesen Zeiten, da die Massen wie Vieh zum Götterhaus getrieben werden müssen, zuweilen doch erheblich größer schien, als man es erwarten könnte. Doch jene, denen ein Gruß im Namen der Götter nur eine Phrase ist, wo stehen sie im Gefüge, im Kampf gegen den Ungenannten? Ist die Angst vor diesem schrecklichen Feind das einzige Band, welches sie noch mit ihrer Religion verbindet? Oder ist es eher die Angst vor göttlichem Zorn am Tag des Zeugnisses? Kommen aber am Ende nicht alle in Morsans Hallen? – Ungeheuerlich. Auf der Basis solcher Gedankengänge wird die Religion zu einer perversen Formsache ohne Spiritualität. Hali, du denkst zuviel, vor allem zu viel Unsinn! Gehe lieber in die Kirche, die Götter um Vergebung für dein blasphemisches Dünken zu bitten, anstatt mit Marienkäfern über den Sinn des Lebens zu disputieren.

Als Hali gerade so sinnierte und durch das Ödland gen Feldlager ritt, von dem er am Morgen zeitweilig fortgeritten war, da stolperte er plötzlich über den scheinbar leblosen Körper eines Banneristen. Noch ehe er absitzen konnte, um sich der für jenen Mann so unglückseligen Situation anzunehmen, da stürmten auch schon wildgewordene Goblins auf ihn zu, sodass er erst nach Einbruch der Dunkelheit (günstigere Zeit fand sich nicht) mit einem Obergefreiten zurückkehren konnte, um den vollgerüsteten Körper samt Gepäck bis zu den Unterkünften des Walles zu schleppen. Was tut man nicht alles dafür, dass ein todgeweihter Körper nicht auf unheiligem Boden vermodert. Einen Dunkelzyklus schwerste Arbeit für den Dank eines Leutnants. Immerhin. Wenn man Ideale höher schätzt als Reichtum (und Hali tat das wohl), so kam unter dem Strich, abzüglich der Rückenschmerzen, des Zeitaufwandes und der Obliegenheit, einen Mann durchs tote Land zu schleifen, doch eine positive Bilanz heraus. Nach der spätabendlichen Patrouille fiel er schließlich erschöpft ins Bett. Einen Dank und einen Kuss auf die Wange hatte er verdient. Er war ein reicher Mann, auch wenn er sich bislang nichts vernünftiges davon kaufen konnte, abgesehen von etwas Selbstzufriedenheit. Hauptsache, er musste nicht verhungern, solange er noch ein paar Vorräte hatte und es da jemanden gab, der ihn durchfütterte. Mit einer anderer Einstellung zu Besitz als dieser könnte er wahrscheinlich nur schwerlich leben, denn wenn man kein wirkliches Einkommen hat, dann hat man es nicht gerade leicht, da es ein recht undankbarer Beruf ist, anderen das Leben oder den Leib zu retten, und die einzige regelmäßige Beschäftigung Halis die beim Orden des Wachenden Löwen war. Allerdings „ehrenamtlich“ (wie Akora es nannte), besser gesagt, hoffnungslos unbezahlt.

„Dieser Tage, da wir leben,
Müssen wir nach Hohem streben.“ – Ein kesser Reim, aber was ist etwas „Hohes“?

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VII. Kapitel
metaphorisiert das Selbstmitleid und erörtert die Frage danach, was etwas Hohes ist.



Aber was ist etwas „Hohes“? Mit dieser Frage ging Hali am darauffolgenden Tag zu Bett und als er erwachte, musste er feststellen, dass ihm über Nacht keine Erleuchtung widerfahren war und sich in seinen Geistesabwesenheiten kein Gott zu diesem Thema geäußert hatte. Die Nachtigall hatte zwar ihren Kommentar abgegeben, aber ihr Lied hatte definitiv von etwas anderem gehandelt. Nun stieg er gähnend aus dem Bett und verließ die fast schon aufdringliche Suhle aus träumerischer Melancholie und erdrückendem Selbstmitleid. Dieser Sud glich einer fetten, triefenden Wurst: Er mundete nur abends, am Morgen war er ekelerregend. Im Selbstmitleid ist das Leben um ein Vielfaches einfacher. Über die eigenen Laster kann man stets mit den Schultern zucken und still vor sich hin schweigen oder es auf die Schlechtigkeit der Welt schieben. Es hängt anscheinend stark von der persönlichen Veranlagung und den jeweiligen Vorlieben ab, ähnlich wie bei der Wurst. Das Selbstmitleid ist demzufolge die Wurst der Armen, das heißt jener, die sich keine Würste leisten können und mehr oder minder am Hungertuch nagen. Über diesen gedanklichen Umweg kam Hali, während er sich gerade im eiskalten Teich wusch, zurück zur eingangs gestellten Frage, was etwas „Hohes“ ist. Fürwahr. Sich umdrehend stellte er fest, dass Akoras Turm recht hoch war. Die Burg in Falkensee war es auch, oder das imposante Badehaus. Ganz zu schweigen von den Mauern der Stadt, dem Tempel und eigentlich allen anderen Gebäuden jenes Ortes auch. Auch der Äther reicht unermesslich hoch, oder der Flug der Vögel. Die meisten Männer Siebenwinds sind auch bemerkenswert hoch. Kam sich Hali mit seinen neun Spann daheim noch wie ein kleiner Riese vor, hatte er in seiner neuen Heimat ständig einen steifen Hals vom vielen Aufschauen. Aber nicht nur davon wurden Gliedmaßensteifheiten verursacht. Auch das erhöhte Vorkommen von bildhübschen, jungen Frauen macht dem gemeinen Manne zu schaffen, die sich zudem noch durch verschiedenerlei weitere Attribute auszeichnen, wie beispielsweise „Lachen mit unbeschreiblicher Wirkung“. Überall wo sich jugendliche Schönheit durch die städtischen Gassen windet, stolpern die übermäßig vorhandenen Herren über ihre eigenen Zungen und müssen ständig ihre herausfallenden Augen vom Straßenpflaster aufheben.

Aber das gesuchte Hohe ist eher etwas Abstraktes. Für den Idealisten jedenfalls. Der Materialist muss weniger weit an die Grenzen seines Verstandes gehen. Er trägt seinen Geldbeutel meist in bequemer Reichweite seines Armes am Gürtel, wahlweise tut es auch der Weg zur Bank. Die Geldpritsche Falkensees einschließlich dem Marktplatz ist der Mittelpunkt des Materialismus. Hier wechseln Waren Tag ein, Tag aus ihren Besitzer. Es ist ein pulsierendes Herz, welches den Reichtum durch alle Adern der Stadt und der Insel pumpt. Der Druck sei so stark, dass man edel gekleidete Mannen gar schon im Schandviertel sah. Ein Schild am Bankhaus dagegen weist dem Besitzlosen sofort, wo er steht: „Zutritt nur mit angemessener Bekleidung“ (sinngemäß). Hier trifft sich die obdachlose Kämpferelite, um ihr Gold zur Schau zu stellen, stolzieren edle Damen in Seide umher, die sich wenige Jahre zuvor noch in nassen Löchern von Rattenschwänzen nährten. Siebenwind, das gelobte Land. Das Land, in dem man kostengünstig unter den öffentlichen Sitzgelegenheiten schläft, um seine neue Mode zu finanzieren. Auf der Insel der Statussymbole gibt es immer wieder erstaunliche Umschwünge, sodass der wahrhaft Wohlhabende sich vom pöbelhaften Neureichen durch zerschlissene Fetzen abzuheben versucht. Den Höhepunkt der Bettlerromantik und Lumpenrenaissance bildeten die mutwillig zerfetzten Roben. Die Ritterschaft steuert solchem Frevel jedoch neuerdings mit findigen Verordnung entgegen. Etwas Hohes ist also überaus vielseitig und seine Bedeutung schwebt in der Ungewissheit des sich stets Wandelnden. Den Sahorgeweihten scheint es etwas Hohes, einen dem Unglauben verfallenen Blasphemischen dem Fegefeuer zu überlassen oder ihn auf der Stelle mit dem gerechten Schwert den Garaus zu machen, um seine verlorene Seele vom Unheil zu läutern. Einige Wankelmütige unter ihnen streben nur nach göttlicher Erfüllung. Die Macht an sich kann auch etwas Hohes sein. Sonst würde wohl niemand ein Ritter oder Beamter seiner Majestät werden wollen.

Viele belustigende Erinnerungen gingen Hali so durch den Kopf, als er mit nassen Haaren wieder die Treppe hinauf in die Stube tapste. Vor dem Spiegel hielt er inne und blickte zur Decke. Da, ziemlich genau über ihm, schlief eine Frau, zu der er seine Beziehung nur schwerlich beschreiben konnte. Mehr als nur bloße Freundschaft, aber auch keine fleischliche Begierde. Demnach eine Art „Liebe“ im Sinne einer engen Bindung (oder auch nicht; wie gesagt, er konnte es nur schwerlich beschreiben), wenngleich dieses Band auf Halis Seite weitaus unnachgiebiger schien, als auf der ihrigen. Er senkte den Blick wieder und schenkte dem Mann im Spiegel einen mitleidigen Blick. Eine imaginäre Person zu bemitleiden ist ein guter Schleier für Selbstprojektion der zugesprochenen Emotionen und Gedanken. Darum sagen manche Leute auch „Armer Irrer“ und meinen im Grunde sich selbst. Ach, warum müssen wir auf Tare nur so viel Leid erdulden? Nun, vielleicht, weil wir leben. Immerfort geht das Gute mit dem Schlechten, das Schöne mit dem Hässlichen und das Erbauliche mit dem Niederschmetternden, ja sogar die Tratschweiber mit der nächsten Görengeneration schwanger. Der Sinn des Lebens scheint nur darin zu bestehen, Morsans Hallen vollzubekommen oder dort, wo auch immer die Seelen der Menschen herkommen, Platz zu schaffen. Doch auf dem Weg dahin wird den ärmlichen Geschöpfen erbittert gezeigt, dass sie im Grunde nichts zu melden haben. Der Austragungsort dieses Dramas ist die erste Sphäre. Es wird erzählt, die Sahor selbst hätten diesen Ort, dessen Größe noch von keinem Scholar oder Geweihten erfasst wurde, nach der Erschaffung der Völker geräumt. Wohl, um ihre Ehrenplätze bei dem Spektakel namens Leben einzunehmen. Man sagt sich aber, dass die Elementarherren ab und an auf Tare vorbeischauen, vielleicht um selbst mitzumischen. Auch wenn Hali nicht wusste, ob er das gutheißen sollte oder nicht, war es doch ein kleiner Trost im öden Dasein. Einzig Morsan schaut nicht zu. Wahrscheinlich, weil er sich mit den Opfern des grotesken Schauspiels herumschlagen muss. Ein netter Kerl, einer muss es ja machen. „Potz, verdammt!“, stieß Hali aus. Jetzt war ihm eine seiner Frühstückskarotten unter den Tisch gefallen und Akoras Mieze missbrauchte sie sofort zur Stillung ihrer Mordlust, dem unschuldigen Gemüse mit einem gezielten Biss das Genick brechend.

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VIII. Kapitel
lässt Gewitztheit außen vor, berichtet vom Dünken eines Verehrers der Trauer und verrät ein erfahrenes Geheimnis nicht.


Es scheint, dass man irgendwann alles schon einmal erlebt hat und sich die Dinge irgendwann nur noch wiederholen. So ging es Hali jedenfalls, als er des Abends wieder mal einen von Akoras unglückseligen Verehrern bergen musste, um ihn dann, natürlich unter Überwindung einer steilen Treppe, in ein Krankenbett zu verfrachten. Wie das Schicksal es so wollte, war das nächstbeste Bett in Akoras Turm. Dass der Betroffene völlig ausgemergelt war, galt Halis Kreuz angesichts der hünenhaften Statur des Mannes nur als ein schwacher Trost. Alashar, ein Schneider, aber verdammt schwer. Nach althergebrachter Fieberbehandlung dann, Hali hätte es sich denken können, musste er die Stätte räumen. Privatunterredung. Cen hatte sich schon davongemacht, wegen Selbstvorwürfen wohl, er hätte den sich vor der Welt Versteckenden nicht früh genug gesucht. Als Hali den ersten Schritt über die Türschwelle hinaus gemacht hatte, passte sich die Welt, anstatt wenigstens einmal Trost zu spenden, situationsgerecht an. Fela ging unter. Dann Regen. Und Kälte. Genau der richtige Zeitpunkt für eine Nachtwanderung, um auf klare Gedanken zu kommen. Er war nicht weit gegangen, da spürte er es schon. Die bekannte Einsamkeit. Ein Gefühl der Verlassenheit in jener erbarmungslosen Welt, die ihn immer wieder einholte. Er ging nach Westen, Richtung Meer, wo Fela irgendwo in weiter Ferne hinter dem Horizont versank. Ihm war, als gliche das Abendrot dem Blut eines abseitigen Mannes, den vom Weltschmerz geschlagenen Wunden entronnen. Die fahle Dämmerung mit ihrem kalten, blauen Licht und die Dunkelheit bargen etwas Mystisches, Trauriges. Eine Melancholie, die Hali einerseits liebte, die ihm andererseits aber eher Leid einbrachte. Manche Bitternis wird mit den Jahren zu Stein. Eine karge, unfruchtbare Brache im Herzen. Im Winter kalt und tot; und im Sommer auch. Eine von einem Tag nichts wissende, ewige Nacht. Und wenn man durch den eigenen Geist wandert, weil man meint, nichts besseres zu tun zu haben, dann trifft man auch wieder auf jene Orte, vor denen normale Leute sonst versuchen die Augen zu verschließen. Aber Hali ist nicht ganz „normgerecht“ (wer ist das schon). Blass fiel das Licht der Monde auf die ruhigen Wogen des Ozeans. Ein tränenschweres Schimmern, ein edler Glanz. Die Unendlichkeit und Weite der See hütete eine geheimnisvolle Stimmung.

Es ist wichtig zu wissen, dass Hali überaus empfänglich für derlei Mysterien ist. Er sucht sie regelrecht, badet sich in Verdruss, vergöttert den Schwermut. Nicht zuletzt darum konnte er seinen jetzigen Gemütszustand kaum jemandem vorwerfen. Weder Akora, die ihn hinausgeschickt hatte, noch Alashar, der sich bis zur Hilfsbedürftigkeit gequält hatte, um dieses Gespräch mit seiner Herzallerliebsten herauszuschinden. Natürlich hatte Hali schwere Zeiten erlebt, und der Verlust, den er hat einstecken müssen, ist unersetzlich, doch man kann nicht sagen, dass er wirklich versucht zu vergessen. Es scheint, als sei es eine Art witzloses Spiel, sich dem Trübsal hinzugeben, um dann (aber bei weitem nicht immer) wieder Wege zur Tröstung zu finden. Ein unverbesserlicher Hang zur Trauer. Freilich nicht, ohne sich so oft wie möglich über die Herzlosigkeit der Welt zu verständigen. Auf dem Nachhauseweg bemerkte er, dass seine „Liebe zur Melancholie“ jener nicht unähnlich war, welche die unnachgiebigen Akoraverehrer auslebten: Im Grunde eine schöne Sache, aber doch hoffnungslos und unbelohnt. Und in noch einem Punkt war beides sich ähnlich; in der Schuldfrage. Sicherlich ist die Liebe auf Vitama zurückzuführen, aber war Hali schuld an seiner Gemütsneigung? Liegt die Schuld nicht vielmehr abseits dem Irdischen? Waren jene Söldnertruppen, die seine einst neugefundene Heimat nieder brannten und seine einstige Frau töteten oder verschleppten, wirklich der Auslöser? Ja, vielleicht waren sie das, aber die Ursache konnten sie nicht sein. Auf der Insel Siebenwind gab es viele Waisen und Gepeinigte, die ein recht sorgenfreies Leben zu führen schienen. Die Ursache musste tiefer liegen, wohl schon in der Kinderwiege, sprich, es ward ihm von den Göttern mit auf die Welt gegeben. Geschenk oder Übel, das war schwer zu sagen. Alles geistliche musste schließlich irgendeinen Sinn haben und zum Guten verhelfen können. Andere Schicksalsgenossen ziehen aus, um Rache zu üben. Hali tat das nicht. Er verabscheute die Gewalt. Es war nicht auszuschließen, dass eben das die Gabe in der angeborenen Melancholie war.

Wieder daheim im Turm entschlief der Kranke gerade ins Reich der Träume und während Hali sich einen schweren Rotwein in den Hals goss, widmete Akora ihm noch einen Augenblick der Aufmerksamkeit. Sie schien nicht recht zu verstehen, als er ihr erzählte, wie er sich fühlte, doch vertraute sie ihm zu seiner Verwirrung ein bemerkenswertes Geheimnis an. Es war wohl als eine Art Trost gedacht, aber mit den gewichtigen Worten entschwand sie in ihr Gemach. Sehr unzufriedenstellend. Er schlief schlecht diese Nacht, verloren in wirren Gedanken und absonderlichen Träumen.

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BeitragVerfasst: 19.05.06, 16:25 
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IX. Kapitel
erläutert die Vorteile von Militarisierung und Feudalismus sowie die auf Siebenwind entstehenden gedanklichen Untriebe.


Es gibt zwei Kategorien von Menschen: Jene, die sich anpassen, und die toten. In einer Welt, da alle Loyalität einer Person, dem König gilt, spielt Hierarchie und Militarismus eine entscheidende Rolle. Denn andernfalls, wenn die verfängliche Freude des Einzelnen, beziehungsweise individuelles Wohlergehen die Ansprüche des Regenten geltend machten, so würde dieser sein Reich mit einem Heer von Kaspern, Schaustellern und Spielleuten zusammenhalten. Das tut er aber nicht. Er setzt auf das Wort seiner Beamten, das unverrückbare Gesetz und die eiserne Faust seiner Soldaten, um seine Macht im Weltimperium zu wahren. Und dahinter steckt ein Jahrtausende altes Erfolgsrezept. Hat man (als König) einmal eine Seele dem Willen der Krone unterworfen, erhält man einen trefflichen Diener, der nach dem Vorbild seiner eigenen Bezwingung weitermacht. Im Gegenzug für seine Gefügigkeit erhält er, was man sich im Leben so alles wünschen kann: Dukaten, Land und Untertanen. Pflichten gibt es wenige, und die höchste ist jene, alle die, die einem selbst untergeben sind, ebenso dem Gesamtkonzept der Monarchie anzupassen. An diese gibt er nun jeweils ein paar Flecken seines Landes weiter, während diese das Prinzip munter weiterführen. Das ist die Geburt eines feudalen Systems. Und es muss zweifelsohne des effektivste sein, denn andernfalls würde unsere Majestät nicht über so ziemlich die gesamte Welt regieren.

Geschieht es nun jedoch, dass völlig neues Land erschlossen wird, wo sich eine neue Gesellschaft bildet, in der die einst Reichen in der Gosse und die einstigen Penner in den Schlössern landen oder zumindest reiche Kanalstrolche werden, da überschlagen sich zuweilen die alten Werte, und viele Einwanderer mit zu viel Zeit kommen auf völlig neue, beinahe widerliche, liberale Gedanken. Da werden ganz banale Verbrecher zu Opfern, wenn sie vom altbewährten Arm der Exekutiven, sprich, dem königlichen Banner, gejagt oder, wie bislang immer üblich und völlig selbstverständlich, schikaniert werden. Sie werden zu Märtyrern für eine Art Klassenkampf, in dem die neue Arbeiteraristokratie ihr eigenes Wohlergehen vor lauter Geld nicht mehr erkennen und die Krieger und Söldner durch ihre reichen Feldzüge gegen immer wiederkehrende Feindmassen an Kreaturen regelrechte Inflationen auslösen. Diese aufbegehrenden Neureichen (wenn auch bei weitem nicht alle von ihnen) scheinen teilweise am Nutzen der adeligen Vormundschaft zu zweifeln, sodass die Ritter der Insel, obzwar selbst nicht von blauem Blute, zum Sinnbild der ausbeuterischen Unterdrückung und dem Joch der Freien und Bürger werden. Diese politischen Verwerfungen und Stürme kommen mit Sicherheit dadurch zustande, dass der ahnungslose Einwanderer von der örtlichen Konsumgesellschaft völlig überrumpelt wird. Hali erging es nicht anders, zumal er von Natur aus als ein ehemals Heimatloser sehr wankelmütig in seinen weltlichen Ansichten war. Mit dem gedanklichen Keim im Herzen, auf dieser so freizügigen Insel etwas für die arbeitenden Massen zu gewinnen, die sich zumindest auf dem Festland tagtäglich abmühen, musste er aber sehr rasch feststellen, dass es auf der anderen Seite des großen Meeres keine arbeitenden Massen gab! Nur kämpfende Massen, und selbst jene lebten und leben in Verhältnissen, über die der gemeine Mann nicht klagen kann. Im Enddefekt passt sich also doch jeder an, es ist nur eine Frage der Zeit. Wenn der Reiche wieder den Konsum gefrönt hat oder der Arme ein Paar Schuhe von der Kirche geschenkt bekommen hat, sind alle wieder für eine Weile zufrieden und kommen nicht in Versuchung, das auf ganz Tare erfolgreichste Gesellschaftssystem in Frage zu stellen.

Die Unlust eines politischen Umsturzes, der bislang ohnehin noch nie irgendwo gelungen wäre, ist durchaus noch anderweitig begründet. Wider aller zeitweiligen Euphorien der Anprangerung der Willkür, welche die Feudalherren wohl ausüben, wird das empfindliche Herz des Materialismus nie außer Acht gelassen. Zu viel Unruhe bekommt ihm nicht gut und sogleich entflammt in jedem, der von ihm abhängig ist, die große Sorge. Lieber ein bisschen unterdrückt und dafür reich und fett, als den eigenen Herren seinen Willen zu diktieren und dafür die Leidenschaft des Einkaufs auf dem Markt zu verlieren, wenn vielleicht alles den Bach heruntergeht und die großen Bedrohungen die Städte überrennen. Hali hätte noch den ganzen Vormittag weiter im Bett rumliegen können, um den Irrgarten seines Hirnes zu erkunden, aber der Hunger trieb ihn jetzt raus. Der Hunger nach Brot; und der Hunger nach neuen Stiefeln.

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BeitragVerfasst: 20.05.06, 17:45 
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X. Kapitel
behandelt das Schicksal der Akoraverehrer sowie die siebenwindsche Nahrungsversorgung.


Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Erst kommt die „Liebe“, dann kommen die Zweifel. Es gäbe wohl bei weitem weniger Akoraverehrer, die mit dem Gedanken des Freitodes spielen, wenn sie gleich zu Anfang (also bevor sie sich am zweiten Tag der Bekanntschaft unsterblich verlieben) mit ihrer Angebeteten über die Begrifflichkeit der Liebe disputiert hätten. Dann hätte der Baumstamm vor dem Turm einige Kerben weniger, die Vögel wären gestern nicht im Umkreis von zwei Meilen davongeflogen und der Wald wäre um einen mit einem Schwert bewaffneten Durchgedrehten ärmer. Hali mochte dem enttäuschten Alashar nicht richtig böse sein, denn eigentlich war dieser lediglich Teil einer sich stets wiederholenden Misere. Er bestätigte nur das Alternieren eben solcher Ereignisse. Auch wenn dieser Ausgang fast etwas Neues war. Akora, das kaltherzige Ungeheuer, welches die Männer in Scharen verzehrt, um sie dann etwas angedaut wieder auszuspucken. Wohl hat es irgendetwas Betörendes an sich, das die Männer blind macht. Es erinnert fast an die seltsamen Frauenwesen, von denen Seefahrer oftmals berichten, dass sie wunderschön singen. Und wenn die lüsternen Matrosen die Ozeandirnen ansteuern, stoßen sie auf irgendein Riff und zerschellen oder ein paar springen einfach von Bord und ersaufen. Manche alten Säcke und Schriftgelehrten sind anscheinend nicht umsonst etwas feindlich gegenüber weiblicher Freizügigkeit eingestellt; aber wahrscheinlich nur, weil sie selbst mehr Schlechtes als Gutes daraus gewonnen haben und sie sowieso keiner haben will.

Dieser Gedankengang büßte allmählich an Intellektualität ein und wurde anspruchslos. Genau der richtige Zeitpunkt, um noch eine Mitternachtsmahlzeit zu sich zu nehmen. Hali tapste barfüßig über den kalten Stein zur übervollen Fresskiste. Eine gute Wurst, das wäre mal wieder was, dachte sich Hali, der in den letzten Wochen eher die Armenwurst (das Selbstmitleid) genossen hatte. Das Objekt seiner Begierde fand er leider nicht. Dafür aber ein Stück gepökeltes Fleisch. Er mochte gar nicht drüber nachdenken, von was für einem Tier das zähe Exemplar stammte. Hauptsache, es war wieder etwas anderes als Karotten und Brot. Und der gute Käse ging auch bald zur Neige. In Wahrheit ist Hali jedoch kein gutes Beispiel, was die Üppigkeit der Ernährung angeht, er hatte schlichtweg nichts Besseres, und das, obwohl Fleisch bald billiger ist als Brot. Wohl liegt dies darin begründet, dass die winzigen Ackerflächen nur von wenigen Bauern bewirtschaftet werden, welche ihre trotzdem mit erstaunlichem Ertrag geernteten Güter zu (nach festländischen Verhältnissen) wucherischen Preisen verhökern. Wer nach Siebenwind einwandert, der wird in der Tat alsbald feststellen, dass es mehr Jäger und Forstschmarotzer gibt als Landgesindel. Darum, dass die Wälder einen schier unermesslichen Schatz an Wildtieren hervorbringen, steht einem jeden ein reichhaltiges Nahrungsangebot zur Verfügung. Auch die Lagermethoden haben sich rasant verbessert, wodurch einmal filetierter und gegarter oder gekochter Fisch sich über mehrere Monde hinweg halten kann. Wohl muss das Geheimnis im Einlegen oder Einsalzen liegen, Hali wusste es nicht, er hatte ja schließlich keine Ahnung davon. Brot ist ebenso mit langer Haltbarkeit gesegnet und wird sogar nach Jahren noch verzehrt und als genießbar bezeichnet. Vielleicht rührt dies daher, dass das Brot ob des recht feuchten Klimas auf der Insel nicht so schnell hart wird und zugleich von der salzhaltigen und reinen Meeresluft vor dem Verderben bewahrt wird. Denn Fleisch wird durch das Pökeln ja auch haltbarer. Überhaupt ist es ein faszinierendes Phänomen, wie und warum Speisen sich auf so widerwärtige und stinkende Art und Weise langsam auflösen, ähnlich wie tote Tiere oder Zweibeiner. So steht zur Debatte, ob der Körper eines Menschen, wenn er sich auflöst, mit in Morsans Hallen gelangt, oder ob aus seiner Materie etwas anderes wird. Doch gingen sie in die dritte Sphäre ein, dann müsste wohl auch das Brot und die toten Tiere dorthin gehen und bald gäbe es nichts mehr auf Tare. Es ist sicherlich am naheliegendesten, dass sie in der ersten Sphäre wieder zu neuem Leben erwachsen. Denn tote Blätter werden auch zu Erde, und Kadaver werden von Würmern gefressen oder hinterlassen staubige Flecken in dunklen Höhlen, wobei nicht auszuschließen ist, dass sie auch dort gefressen wurden. Und wer weiß, vielleicht gibt es noch andere, schwer oder gar nicht sichtbare Wesen, welche das tote Fleisch tilgen.

Unweigerlich frage Hali sich, warum es dann Brauch ist, die Toten in der Erde zu verscharren. Wäre es da nicht bald freundlicher, einen Toten zu verbrennen, damit er nicht zum Madenfraß wird? Oder gelangt der Körper nur dann mit in die Hallen des Schweigenden, wenn man ihn im Boden verbuddelt? Wie auch immer die Antwort lautet, Hali war müde. Er legte sich schlafen.

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BeitragVerfasst: 21.05.06, 12:58 
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XI. Kapitel
handelt von der akoraschen Soziologie und anderen Wissenschaften.


Manche Leute studieren die Historie, das Gefüge des Kosmos, die Theologie, Alchemie oder Biologie. Hali für seinen Teil studierte das Leben; und seit geraumer Zeit auch „akorasche Soziologie“. Die akorasche Soziologie beschäftigt sich mit der gesamten Sozialstruktur, die sich um das als Akora bekannte Wesen herum webt. Es mag als ein sehr spezielles Fach erscheinen und nur Kenner der Materie oder Interessierte und Weltforscher tangieren, aber viele der logischen Schlüsse lassen sich umfassend auch bei generellen Sachverhalten anwenden. Die neuste Erkenntnis lautet: Nichts ist allgemeiner als der Tod. Der Tod geht kausal aus dem Leben hervor. Die Geburt als Ursache zieht demnach immerfort das Ableben als Wirkung nach sich. Kommen wir nun zur spezifischen Auswertung dieser Feststellung. Infolge dessen, dass die Geburt ohnehin den Tod nach sich zieht, erübrigt sich die Frage, ob auch Akora passiv aber ursächlich ein Ableben bewirken kann, da dieses bereits durch das Leben des Betroffenen feststeht. Nach den Gesetzen der Alchemie betrachtet kann Akora jedoch als eine Art Katalysator ähnlich einem Schwert für den Sterbeprozess der in sie Verliebten wirken. Das heißt, sie beschleunigt diesen unter gewissen Umständen, je nach dem, wie die entsprechende Substanz beziehungsweise der entsprechende Schmachtende darauf anspricht. Da Hali eine Weile mit einem gewissen Scholar zu schaffen hatte, konnte er den Sachverhalt laienhaft in chemischen Wortlaut fassen. Unter der katalytischen Einwirkung von Akora reagiert Alashar zu ... Nun kam er gedanklich wieder in den Konflikt, was aus toten Körpern wird. Unter der katalytischen Einwirkung von Akora stirbt Alashar bei verminderter Reaktionszeit. So. Gerade rechtzeitig zuende gedacht, denn Rihan verabschiedete sich in diesem Moment, um auf nimmer Wiedersehen wieder heim zu Mama zu fahren. „Was machen wir nun?“, fragte Hali Akora, „Wieder einer weniger.“ Sie tadelte ihn nur mit den Worten, er spräche, als verlade er Verpackungen oder dergleichen. Gar nicht mal so falsch, wo er doch gerade in Substanzen und Stoffen dachte.

Dieses emotionsarme Denken hatte durchaus seine Vorteile und ebnete den Weg zum Pragmatismus. Hali könnte fast wie jene großen Stoiker werden, die ihren eigenen Söhnen wie gemeinen Bettlern die Hände abhacken lassen, wenn diese eine Magd begrabscht haben. Aber insgesamt war er doch zu emotional und gebrechlich in seinem Denken. Trotzdem ärgerte er sich, dass Alashar die versprochenen Handschuhe nicht mehr gefertigt hatte. Wozu hatte er ihn damals eigentlich wieder aufgepäppelt? Damit er die Kraft besaß, sich wie ein Verrückter aufzuführen und buchstäblich ins offene Messer zu springen? Wohl kaum. Aber wie dem auch sei, nun war er tot. Und Hali hatte Appetit auch Milch. So ein Glas Milch ist eine feine Sache, dachte er sich, als er das Gefäß in der Hand wog und knarrend die Treppe hinaufging. Sie scheint gleichsam den Hunger wie auch ein wenig den Durst zu stillen. Wie sonst auch könnten kleine Lärmbälger oder Kälber überleben, wo sie doch ausschließlich dieses weiße Zeug tranken. Eine faszinierende Einrichtung der Natur, die sich beinahe alle Völker sogleich zunutze gemacht haben, um Tares Ressourcen möglichst auszuschöpfen. Und wenn die Kuh oder welches Tier auch immer keine Milch mehr gibt, dann wird sie geschlachtet und gegessen. Genial. Hali kannte dieses Prinzip schon aus seiner Kindheit in eher bäurischen Landen. Nach kurzem Schwelgen in Erinnerungen, einem Glas Milch und einigen mehr oder minder tröstenden Worten gen Akora mit dem absoluten Erkennen der Antwort auf alle Fragen bezüglich des Menschseins (Weil wir leben.) verkroch sich Hali nun wieder in den Mief der Schlafgemächer. Das Studium der akoraschen Soziologie ist sehr kraftraubend.

Morgen würde er sich vielleicht doch lieber einem neuen Spezialgebiet widmen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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BeitragVerfasst: 22.05.06, 13:24 
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XII. Kapitel
ist ein Blick in die Vergangenheit und eine Auseinandersetzung mit dem Wert des Lebens.


Die Welt ist voller leerer Schrecken. Der Tod, die Armut, die Einsamkeit. Sterben tun wir alle, Wald und Wiese verlangen kein Geld für das Essen und den Frieden, den sie geben. Und die Einsamkeit; sind wir nicht alle einsam? Sind wir in Gesellschaft nicht sogar einsamer, als wenn um uns herum nur die Ruhe ist? Der Tod des Alashar, diese Geschichte zog sich nun schon über mehrere Tage. Nun hatte Cendaric es erfahren. Seine Trauer ließ Hali erst merken, dass er überhaupt gar nichts empfand. Zwar kannte er ihn flüchtig, doch für ihn war er nur einer von vielen, die er hat sterben sehen. Damals, in Malthust ...

„Auf die Beine! Auf geht’s! Loslosloslos!“ Die Papiner hatten in diesem immer währenden Streit das äußere Torhaus irgendeines steinernen Forts im Grenzland erstürmt. Der Befehl des Kommandanten war einfach: „Nehmt dieses verdammte Ding wieder ein, koste es, was es wolle!“ Nun ging der Ausfall los. Der schwerbewaffnete Haufen griff auf direktem Wege und über den Mauerring an, um die noch schwerer bewaffneten Papiner daraus zu vertreiben, oder besser noch, zu töten. Über Trümmer und Leichen rannten sie, das blutbefleckte Banner voran, Hali und ein paar andere Feldscher hintendrein, um ihre grausige Pflicht zu tun. „Die Vier mit uns!“, stieß ein Offizier aus und mit tosendem Kampfgeschrei rannten sie in die provisorische Verteidigungslinie vor dem zerstörten Fallgitter, während die anderen von den Mauern aus über die Leitern in das kleine Bollwerk einzudringen versuchten. Welch Ironie, dass die Papiner ebenso die Gnade Bellums anriefen und alle anderen Heucheleien übten. Sogleich begann das Hauen und Stechen. Schmerzensschreie, das Geräusch von Stahl, der durch Fleisch schneidet, Kettengeklirr und das plumpe, blecherne Knallen von Rüstzeug. Schwertgeklirr, das Sirren von Bogensehnen. Die markerschütternden, lähmenden Fanfaren tönten schauerlich aus beiden Lagern. Auf der zuvor von den Malthustern zur Verteidigung gedachten und vorhin von den Papinern eingenommenen Aufschüttung im demolierten Torbogen lagen schon Dutzende Tote, Blut floss in Strömen herab, überall Gliedmaßen, Erschlagene, Verwundete. Darüber ging der Kampf mit entsetzlicher Gewalt weiter. In verzweifelter Hektik versuchte Hali, die Stöhnenden notdürftig zu behandeln. Dort, wo das Gedärm aus den aufgeschlitzten Leibern quoll, war es hoffnungslos. Dort half es meist nur, mit einem Hammer einen Keil in den Nacken zu treiben, um das Leid zu verkürzen. Ein Akt des Gräuels im Spiel des Lebens. Und die Götter sahen zu. Kalt und untätig schauten sie dem Reigen des Todes der Menschen zu, wie sie einander erbarmungslos erstachen und erschlugen, erdrosselten und bissen, durchbohrten, die Knochen brachen, die Schädel zerschmetterten. Das Leben eines Mannes? Wertlos. Die Gebote der Götter? Ohne Bedeutung, aufgesetzt, nicht existent. Die Frommen und Götterfürchtigen, auf dem Schlachtfeld des Grauens wurden sie zu Zweiflern. Hali umso mehr, wo er doch der Konfession der Sahor nicht einmal angehörte. Das Leben, ein Todestanz. Der Waffenlärm gab stets die Melodie, ein Gebet den Heucheltext.

Hali blinzelte und schüttelte sich. Er stand allein in der Küche. Cendaric und Akora verließen gerade das Haus, um die Leiche zu sehen. Sie solle hier beim Turm begraben werden und nicht mumifiziert in einer Katakombe vermodern, hatte Akora gesagt. Wozu? Was sollte der Körper eines Mannes in dieser Erde, der sich im Wahne selbst ins Messer gestürzt und damit auch noch das Herz eines Kindes belastet hatte, die jene Klinge hielt? Ein Mann, der sein Leben nicht zu schätzen wusste. Fürwahr, auch Hali war mehr als einmal dem Freitod nahe, doch er lebte noch immer. Und mag einem das eigene Leben auch als belanglos erscheinen, so möge man es wenigstens nutzen, um sich für andere Seelen aufzuopfern. „Mhrmm... Dem alten Morsan werde ich was erzählen, wenn der Tag meines Zeugnisses gekommen ist ...“, murmelte Hali leise vor sich hin schenkte sich noch etwas trockenen Wein ein. – Warum sind die Dinge, wie sie sind (so schrecklich)? Nun, vielleicht, weil wir leben.

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XIII. Kapitel
glänzt mit bildhafter Metaphorik und schlechten Vergleichen.



Vögel können wunderbar fliegen. Nicht selten auch gegen Fensterglas. Die (meisten) Menschen laufen nicht dagegen und versuchen auch ihren Kopf nicht durch ein geschlossenes Fenster zu stecken, weil sie wissen, dass dort zwischen den Rahmen etwas durchsichtiges ist, das sie davon abhielte, so sie den Versuch unternähmen. Die Vögel wissen dies nicht und klatschen daher in vollem Fluge dagegen, obzwar die Öffnung das Licht seltsam trüb bricht, sodass ein Mensch es sähe. Mit anderen Dingen geht es den Kindern der Vier jedoch trotzdem gleichermaßen, infolge dessen sie unversehens mit Dingen in Konflikt geraten, nur weil ihnen deren Existenz bislang nicht geläufig war. Die Erfahrung ist und bleibt eben stets etwas, das man nie hat, bevor man es braucht. Und ehe ein Vogel gelernt hat, was eine klare Fensterscheibe ist, hat sie ihm wahrscheinlich schon längst den Schädel zertrümmert. Allen beredsamen Völkern Tares wurde dagegen die Macht des Wortes mit auf den Weg gegeben, um somit ihre Erfahrungen auszutauschen. Dies führt fürder dazu, dass Kinder nicht unbedingt in den Ofen fassen müssen, um zu wissen, dass es dort heiß ist; sie machen es dennoch. Und auch die Götter selbst müssen nicht jedem einzelnen erscheinen, damit diese ihr Dasein nicht leugnen.

Wobei es auch Menschen gibt, die sich der schwer zu ergatternden Erfahrung sogar verschließen und immer wieder gegen die selbe Wand anrennen. Hali war zu einem gewissen Anteil solch ein Depp (gewesen). Eins aufs andere Mal hatte er sich den Hirnkasten am Mauerwerk seiner Vergangenheit zerschlagen, anstatt einfach drum herum zu gehen. Mittlerweile machte es auch in der Tat den Anschein, als sei er auf bestem Wege, die Hürde zu nehmen. Und das, obwohl er sich noch immer auf dem gleichen Gefährt seiner Weltsicht fortbewegte. Er war vielleicht gleich einem gepanzerten Reiter. Dem Feind bot er die Stirn mit unbeugsamer Beharrlichkeit, scharfem Zynismus, tapferem Wagemut und scheinbar unerschütterlichem Gleichmut sowie Pragmatismus und Pessimismus. Von vorne sah er demnach am ehesten aus wie ein „spöttischer Stoiker“. Seinen Rücken sahen wohl nur seine Vertrauten (oder alle, wenn er am Boden war): Wankelmütig, noch melancholischer als nach außen hin, gebrechlich, verletzlich. Doch würde er auch hier noch Rüstzeug anlegen, dann würde er auch keine wärmende Wohltat mehr spüren können. Er wäre unantastbar und kalt. Dieser fiktive Konjunktiv ist jedoch in dem Maße nutzlos, da Hali ohnehin niemals in der Lage wäre, sich mit den schwachen Armen seines Willens auch noch am Rücken stählerne Platten anzulegen. Immerhin hatte er sich seit langer Zeit nicht mehr auf das brüchige Eis der Liebe begeben, in dem man erfahrungsgemäß so rasch einbricht und schwerlich wieder unbeschadet hinauskommt, besonders bei starker Strömung unter dem Winterglas. Die Furt der Sachlichkeit ist um einiges bruchfester, doch am sichersten und bequemsten ist wohl noch immer die Brücke der Freundschaft, vorausgesetzt sie hat keine tückischen morschen Stellen oder eine zu geringe Tragkraft. Leider sieht der Ungelehrte, also alle, die nicht göttlichen Geschlechtes sind, einem üblichen Überwasserbogen seine Statik nicht an.

Es ist, wie man sieht, niemals einfach, über den Fluss des Lebens zu gelangen, und die Tatsache, dass auf der anderen Seite ohnehin der Tod wartet, macht den gemeinen Mann ob dieser Reise auch nicht sonderlich erpicht. Doch irgendwie müht man sich ja doch bis zum Tag der Abrechnung hin ab, um sich die qualvolle Spanne von Geburt bis Exitus ein wenig erträglicher und schöner zu machen. Ewig lange arbeiten und schuften wir, und ehe wir etwas erreicht haben, sind wir alt und grau, weil wir die Dekaden der Jugend hinter uns gelassen haben; lediglich auf Siebenwind kann man binnen Kürze auch als Milchbart schon reich und einflussreich werden, aber den meisten Leuten auf Tare bleibt dies verwehrt. Nur eines haben alle (irgendwann auch die Elfen) gemeinsam: Früher oder später werden sie sterben. So spielt das Leben, nur sind die Karten ungleich verteilt!

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XIV. Kapitel
offenbart eine plötzlich entbrannte Sorge und einen merkwürdigen Traum, sowie einen Hauch von Auseinandersetzung mit Religiosität.



Unsicheren Schrittes tapste Hali durch das schläfrige Halbdunkel des Treppenhauses des Ordensgebäudes, in das von draußen schwammiges Laternenlicht fiel. Der Weg zu den Schlafgemächern, nur mit einem kleinen Umweg zum Büro. Eine Zeit lang starrte er von dort aus über die Dächer der Stadt und gen dunstumhülltes Ödland. Doch als er sich umwandte, was hing da für ein merkwürdiger Umschlag zwischen den Buchkanten aus dem Regel heraus? Hali ging darauf zu und öffnete ihn. Es klimperte metallisch. Ein paar Schlüssel waren darin und ein Brief an Cen. Das, was darin stand, klang verdächtig nach einer Art Abschiedsbrief ohne Wiedersehen, und Hali war umso mehr getroffen, dass sie ihn nichts hatte wissen lassen! Unversehens auf den Gaul geschwungen und die Gassen entlang in den Wald, durch den Wald, zum Turm gedonnert. Nichts. Die ganze Nacht hindurch graste Hali die Insel von Kopf bis Fuß ab. Keine Spur. An welchen Ort könnte sie sich nur verkrochen haben? Als er sich diese Frage so stellte, da erreichte er auf einmal eine merkwürdige Hütte im Wald. Moosig, unheimlich und mit einem akoraschen Pflanzenkübel vor dem Eingang. Keine Frage, wer immer hier hauste, Akora hatte etwas damit zu schaffen. Und da sie das Antlitz der Welt scheinbar getilgt hatte, war die Möglichkeit groß, dass sie sich vielleicht darin verkrochen hatten. Wild hämmerte Hali an der Tür, stemmte sich dagegen, rief; keine Reaktion. Geschlagen und enttäuscht musste er den Rückzug antreten.

Dies sind die Momente, da man versteht, warum die vorbildlichsten Stoiker das vielleicht erfüllteste Leben führen, denn wenn man jedem Menschen mit gleicher kaltherziger Sachlichkeit begegnet, dann hat man zwar keine wirklichen Freunde, aber dafür auch niemanden, ob dessen man sich sorgen oder grämen müsste. An einem solchen wäre Akoras spurloses Verschwinden genauso gleichgültig vorübergegangen wie das des Alashar. Diese Nacht schlief Hali unruhig, und er hatte einen seltsamen Traum ...

„Und seht! Grimmig blicken die Götter auf diesen Tag, denn es ist der Tag, an dem Tare vom Nichts verschlungen wird! Jenes Nichts, dem die Gohor ehedem wie heut die Sahor die Stirn boten, doch die Zeit der Welt ist abgelaufen!“ – Tosend schallte die gebietende Stimme, selbst das Donnern der gegen die felsigen Küsten preschenden Sturmwellen übertönend, um mit diesem dann im Einklang einer einzigen Symphonie das letzte Lied zu spielen. Ein monumentales Getöse. Herrisch und allmächtig. Doch dann umfing Dunkelheit das Land, graue Schatten, die immer schwärzer wurden. Der rasende Lärm verklang und wich einer leisen, traurigen Melodie. Müde und lethargisch kroch der Schall, von der Schwere der Luft erdrückt, in Halis Ohr. Es war, als senke sich der Himmel: Die Wiesenhalme und Blumen ließen die Kopfe sinken, die Blätter der Sträucher hingen kraftlos an den schwachen Zweigen, das Gebälk der Wälder knarrte und ächzte unter der Last des fallenden Äthers. Mutter Erde war alt geworden und konnte all das Leid, all den Schmerz, nun nicht mehr tragen. Haltlos fiel alles hinab und erschlug, was vielleicht schon vor Jahrtausenden gestorben wäre, gäbe es keine Güte in der Welt. Ein sachtes Flüstern ging durch die Lüfte, breitgetragen vom beißenden Wind: „Und hört! Grimmig schimpfen die Götter auf diesen Tag, denn es ist der Tag, an dem Tare vom Nichts verschlungen wird! Und fühle! Fühle, wie die Wärme der Hochheiligen dich verlässt, da sie sich trauerbeladen abwenden.“ Unangenehm eisig prickelte es auf der Haut, Wärme verließ alle Leiber und alle Materie. Mut und Kraft, Liebe und Hoffung, Verstand und Wissen, Frieden und die Träume, alles schwand. Alle Elemente, ungebändigt. Chaos brauste auf. Unfassbar und unerträglich. Ein grollender Ton dominierte und wurde immer lauter. Zu einem Knall steigerte er sich, so wie tausender Blitze Krachen. Dann Stille, ohrenbetäubende Stille, wie in einer einsamen Wüste. Sanft wisperte ein mildes Lüftchen. „Dies ist das Ende. Und du bist tot.“

Hali schlug die Augen auf, drückte sich auf und saß keuchend im Bett. Einsam ist die Welt, trostlos und kalt. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb die frommen Halt darin finden, sich an das dem Diesseits Entrückte zu klammern. Alles wird gut, und spätestens in der dritten Sphäre sehen wir uns wieder, wenn wir in jenem Segensreich erwachen. Wohl sollten wir aber schon zu Lebzeiten den Göttern unseren Huld erweisen, dass sie uns nach der Folter des Lebens derart entlohnen. Und wohl ist es habgierig und eigensinnig, vorzeitig durch die eigene Hand in jenes Land einzugehen, ohne dass man von Morsan berufen wurde. Fürwahr, welch Erkenntnis. Aber als er so in theologischen Gedanken war, da fiel es ihm plötzlich wieder ein: Wo steckt Akora? Und wie spät ist es überhaupt? Ein Gang ins Arbeitszimmer, in dem ein kostbares Exemplar namens „Uhr“ hing, erschien Hali jedoch zu anstrengend. Hm, Uhrzeit ist auch so ein Wunderding ... Aber in jedem Falle war es Nacht, und nachts sollte man für gewöhnlich schlafen.

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XV. Kapitel
beschäftigt sich mit mangelndem Bildungsdrang und einmal mehr mit der Wirtschaft der Insel.



Hali war sicherlich nicht der erste Mensch auf Tare, der sich dies fragte, und eine klare Antwort war noch lang nicht in Sicht. Doch warum nur sind die Tage auf unserer Welt so merkwürdig? Warum wandern Fela und die Monde so hastig durch die Lüfte, dass ein ständiger Wechsel von Tag und Nacht stattfindet? Ja, Tare, die Welt der Gehetzten und Schlafgestörten. Kaum haben sich die Blüten auf dem sommerlichen Flor geöffnet, verschwindet das warme Licht auch schon wieder am Horizont. Niemand wüsste so genau, wann der Kalendertag vorbei ist, wenn niemand die Zyklen zähle. Die Erfindung des Uhrwerkes hat hier zwar eine gewisse Abhilfe geschaffen, doch der Kritiker fragt sich dennoch, was die Götter zu dieser Licht- und Schattenrationierung bewogen hat. Siebenwind ist eine Bildungswüste, sodass man sich hier eher selten den Kopf darüber zerbricht. Im Gegenteil, gedankenlos erfreut man sich der Tatsache, dass man irgendwann einmal im Schlaf gestört wird, zu dieser Zeit aber zufällig Fela scheint und man in ihrer milden Helligkeit bequemer sein Geld zählt, gerade der in Falkensee um sich greifenden Paranoia der Diebstähle wegen. Dass man sich auf unserem sonderbaren Eiland nicht großartig für Akademien und Schulen (abgesehen von militärischen) interessiert muss wohl daran liegen, dass ohnehin fast nur kluge Leute hierher fahren. Sie können lesen, schreiben, rechnen und den Rest erfahren sie von irgendwelchen Freunden oder autodidaktisch. Wahrlich, ein pfiffiges Völkchen, die siebenwindschen Siedler.

Der bemerkenswerte Herr Gilbart Foth stellt mit seiner Art eines festländischen Akademikergesteins zweifelsohne einen Außenseiter dar. Die meisten Leute wollen keine Zeit für Forschung und Gelehrsamkeit verschwenden. Nicht, dass das auf dem Festland so anders wäre, doch dort scheitert es zumeist an der allgemeinen Finanzlage. Auf der Insel der exorbitanten Kapitalanlagen wir die Geldeinfuhr durch einen gewissen Rekar immer mehr geschürt (Hali hat ihn im Verdacht, heimlich Münzen zu prägen, vielleicht ist er aber auch nur ein guter Händler und die Festländer geben ihr letztes Hemd für den Zahn eines Rattenmenschen). Hier hapert es nicht am Geld. Jedoch wird der Reichtum vorwiegend durch die allgemeine Tüchtigkeit bedingt, die keine Zeit für sinnloses Wissen mehr lässt. Der unerschöpfliche Wissensdurst der Völker Tares, auf Siebenwind ist er längst gestillt. Wer hier in einem Mond nicht so viel fabriziert, was anderenorts eine ganze Zunft nicht schafft, der geht unter in der postfeudalen Produktionsgesellschaft. Aber dieses System hat auch seine Tücken: Inflation, allgemeine Wertverluste, Marktsättigung, und dann wieder Rohstoffengpässe. War die Spinnenseide noch vor einem halben Götterlauf der Passierschein für das Tor zum Reichtum, erbarmen sich heuer nicht einmal die Bettler diesem Sekret. Dagegen verschlingen die modernen Herstellungsverfahren der hiesigen Massenerzeugung mittlerweile enorm viel Leder, was wiederum regelrechte Raubjagden begünstigt. Zu Lasten der Fauna.

Die Wirtschaft ist folglich überaus empfindlich und man tut gut daran, Rohstoffe und Dukaten in Massen zu lagern. Oder man zieht aus um absonderliche Kreaturen zu malträtieren, denn der irre Rekar kauft alles, Hauptsache es ist organisch und jemand oder etwas musste dafür sterben. Widerlicher Sadist und Blaubart. Doch auf der Insel des Mörder und Soldaten hat sich eine ganz eigene Moral entwickelt. Verbrecher zünftig bestrafen? Abstoßend! In das Heim einiger primitiver und unterprivilegierter Riesenratten stürmen, um sie zu töten, ihnen einen Eckzahn herauszubrechen und diesen zu verhökern? Ehrliche Arbeit! Freilich, andre Länder, andre Sitten, oder wie man so schön sagt: Gut ist, was nützlich ist. Und was kann es nützlicheres geben, als einen immer zur Verfügung stehenden Sündenbock für alles, dessen fiese und hinterhältige Angriffe auf hilflose Leute einen vorzüglichen Vorwand geben, ihm ordentlich auf die Mütze zu geben und einen Zahn herauszubrechen, die irgendein perverser Souvenirhändler ankauft – was muss das Festland nur von Siebenwind denken?

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XVI. Kapitel
stellt eine weitere Auseinandersetzung mit der Religion dar.



Das Herz eines Mannes ist leichter zu korrumpieren, als man behaupten mag. Umso mehr noch durch demagogische Predigten und vorgehaltene Missionen, obzwar diese manchmal dem Geist des Korrumpierten selbst entspringen! Hali war auf bestem Wege, sich für den frommen Auftrag des Löwenordens begeistern zu lassen, oder besser gesagt, dieser Prozess war schon vonstatten gegangen, schließlich hatte er bereits einen heiligen Eid auf die Götter geschworen und betete tagtäglich für sein Seelenheil und das Wohl der Welt. Er ist gewissermaßen ein Teil der verblendeten Kirchenmassen geworden, würde der blasphemische Aufklärer des Festlandes sagen. Doch auf Siebenwind ist das Blatt etwas anders gemischt. Darüber hatte Hali einst schon so manche Nacht lang sinniert. Für die meisten Leute auf der Insel des geweihten Kampfes gegen den Einen spielt der Glaube keine all zu große Rolle. Zu mehr als religiösen Floskeln „Dieser und jener mit Euch“ kommt es in der Regel nicht. Erst wenn die Horden des Namenlosen einmal mehr aufbegehren, bettelt man schnell um Beistand und Sündenablass, für den Fall, dass man zu Tode kommt.

Mit der Zeit hatte Hali nun einen bemerkenswerten religiösen Fanatismus entwickelt, der mehr oder minder auf göttliche Barmherzigkeit und Erlösung gründete, was wiederum aus schwerwiegenden Umbrüchen seines trauerschweren Lebens resultierte. Generell treibt es die Leute aber aus den unterschiedlichsten Gründen zur Frömmigkeit. „Götter im Himmel, vergebt mir dies, vergebt mir das.“, „Vitama mach, dass meine Holdseligkeit die Kunden zur Zahlungsfreude bewegt“, „Bellum mach, dass ich morgen innerhalb eines halben Dunkelzyklus ein Kettenhemd flechte.“ (wofür andrer ein halbes Jahr braucht), das sind übliche Gebetsphrasen und Wünsche der sogenannten Gläubigen. Da säumt man einen Mond lang die Andacht, aber wenn es drauf ankommt, dann mögen die Götter einem beistehen und der einzige Grund, warum sie ihre segnende Hände über Siebenwind ausschütten ist wohl der Kampf gegen ihren eigenen Erzfeind, den namenlosen Ungenannten, der ja letztlich doch einen Namen hat. Was wohl aus all den nachlässigen Seelen wird, wenn der Eine besiegt worden ist? Vielleicht wird ein mächtiges Donnerwetter schaffen, was die Geweihten gelegentlich durch mühselige Hirtenarbeit zu erreichen versuchen: Die kollektiven Massen in die Kirche zu treiben.

Allerdings hat die Insel der Jugendlichen und Waisen (bei Astrael, leider nicht die der Weisen) keineswegs ausschließlich Schlechtes auf dem Gebiet der Religion zu verzeichnen, führt doch der gemeinsame Götterfeind zu einer zeitweiligen Aussöhnung zwischen den anderen Konfessionen. Nun könnte man meinen, Hali sei durch seine Konvertierung zum Sahorglauben vor eventueller Diskriminierung nach Beendigung des Krieges gefeit, aber darauf sollte besser niemand etwas verwetten, denn zu leicht könnte er vom Kirchendoktrin abweichendes Gedankengut in seinem ewigen Sinnieren entwickeln, sehr zum Nachteil der Glaubwürdigkeit seiner Glaubensfestigkeit. Die Welt steckt eben voller Debakel, Sackgassen und wiederkehrender Ärgernisse. Im Moment jedoch konnte Hali sich nicht beschweren. Er hatte etwas zu Essen, er hatte etwas zum Anziehen und: er hatte heuer keinerlei Antagonismen mit Kirche oder Staat, oder höchstens potenziell, gewiss aber nicht unmittelbar. Zumal er zu Morsan schon eine Bindung verspürte, als er zum ersten Mal von ihm hörte. Wahrlich, mächtig muss er sein, der milde Vater aller Toten und alleiniger Herr über eine unermessliche Sphäre. Doch war da eine quälende Frage, die sich Hali stellte: Welchen Einfluss hat das Zeugnis des Lebens auf den Eintritt in sein Reich? Widerfährt den Ungerechten gleiches Heil wie den Gerechten? Zahlt sich Barmherzigkeit auf Erden aus? Und würde sich am Ende aller Tage je irgendwer darum kümmern, ob dieser und jener mit großem Eifer die göttlichen Gebote befolgt und sich um das Wohl anderer geplagt hatte, oder ein fettes und überschwängliches Leben voller verschwenderischer Genüsse geführt und andere geschunden und verspottet hatte? Bestimmt wohl, ja, sicherlich wird das Leben im Diesseits das Leben im Jenseits lenken – oder vielleicht doch nicht? Hali wusste es nicht. Wie immer.

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BeitragVerfasst: 6.06.06, 19:25 
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XVII. Kapitel
tut dem Glaubenskampf im wankelmütigen Hirn des Zweiflers Dorion Hali keinen Abbruch.



Ein Glaubensbild, noch sehr frisch und verwundbar, da es nicht fest im Geiste eingebrannt ist, kann erstaunlich rasch ins Wanken geraten. Hali für seinen Teil war zwar der Meinung, er hätte seinen wahren Glauben gefunden, doch in Wahrheit befand er sich noch in gefährlicher Schwebe und diese Schwebe war umso anfälliger, da er ein ewiger Zweifler und Denker war und ist. Viele Tage voller tiefer Gebete und scheinbar unerschütterlichen Glaubens, sie schaffen es spärlich, einige Augenblicke kritischer Fragen zu überbieten geschweige denn zu tilgen. Kaum wird Hali zum Denken genötigt und an sein altes, so eingebranntes Weltbild erinnert, fängt die Religiosität an zu flattern. Man mag meinen, bestimmte Leute sind nicht dafür geschaffen, sich ernsthaft einem Glaubensdoktrin zu verschreiben, ja nicht einmal einem auf die eigenen Vorstellungen angepasstem. War Hali ein solcher Mensch? In jedem Falle schien Akora es gar nicht gerne zu sehen, dass er Erfüllung in der Frömmigkeit suchte. Seine Überzeugung gründete sich auf Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, doch ihre schlitzohrig gestellten Fragen ließen in der Tat die Antwort offen, ob denn von den Sahor diese Tugenden ausgehen, bei all dem Leid und all der Gewalt und Ungerechtigkeit auf Tare.

Es schien, als sei Hali der tröstende Schirm der Religion und die Andacht der Spiritualität auf ewig verwehrt, wenngleich er sich bisweilen erfolgreich daran festklammerte. Doch irgendein Stolperstein lag immer Weg zur Bewältigung alten Kummers und allgemeinen Weltschmerzes. Dieses mal hieß er Akora. Allerdings war Halis Schuhwerk auf diesem Pfad seines Lebens von höherer Härte als sonst und seine Schritte entschlossen und sicher. Viele Hindernisse hatte er hinter sich gelassen, aber man weiß nie, was einem so alles zwischen die Beine geworfen werden könnte. „Denk darüber nach.“, hatte Akora gesagt und ihn damit zum ersten mal auf seinem Weg zum Gläubigen mächtig ins Stolpern gebracht. Denken ist eine gefährliche Sache, wenn man Erfüllung im Gebet finden will, sollte man nicht denken. Zu dumm nur, wenn man sein ganzes bisheriges Leben damit verbracht hat, über alle Dinge nachzudenken, vorzugsweise pessimistisch.

In wüsten Gedanken streifte Hali gerade durch die Gegend und sang ...


Was grämst du dich mein Herz
In dieser trostlosen Stunde.
Welch ewiger tobender Schmerz
Öffnet erneut mir die Wunde.

Oh, ihr da draußen seht,
Ich hab’s im Träume vernommen.
Wenn darbend die Welt zugrunde geht,
Sind wir bei den Göttern willkommen.



... als er plötzlich an einem Baum ankam, in dessen Geäst ein Vogelnest zu hängen schien. Unten auf der Erde jedenfalls lag ein kleiner toter Piepmatz mit wirrem Federkleid im Gras, drum herum eine große Menge an Kloakenausschüssen des Geflügels. Eine Weile sah Hali zu, wie die grünlich glänzenden Fliegen sich an dem Kadaver beköstigten. „Ja, die Welt ist doch ein schlimmer und unbarmherziger Ort. Doch wo soll man Anteilnahme und Frieden finden, wenn nicht in Andacht an die heiligen Götter?“, murmelte er vor sich hin und dachte dann weiter. „Akora mag behaupten, es gäbe keine Barmherzigkeit, aber sie muss sich irren. Es gibt dieses Ideal, diese Idee, und in den Göttern hat sie ihr Zuhause.“ Dann sprach er den Verstorbenen an: „Deinen Leib hat Tare gnadenlos getilgt, kleiner Kerl. Doch wo ist deine Seele abgeblieben? Ist sie auch zu Morsan gegangen? Und kehren die Geister der Toten von Sünde und Erinnerung geläutert in einen neuen Leib zurück? Woher rührt die Annahme, dass es unsere letzte Reise sein wird?“ Den abgestürzten Nestflüchtling kümmerte es sicherlich wenig, denn er war erlöst, einzig seine sterbliche Hülle war kalt und angenagt.

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BeitragVerfasst: 14.06.06, 13:43 
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XVIII. Kapitel
mit Vagabundenverhalten und der Arschkarte der Woche.



Der gewöhnliche Freie Siebenwinds, aber auch die Bürger der Städte, verfügen über enormes Lastentragevermögen, scheinen sie doch alles, was ihnen in irgendeiner Alltagslage als wichtig erscheint, mit sich herumzuschleppen. Kämpfer ziehen mit ganzen Kasernen auf dem Rücken durch die Lande, wie es auf dem Festland nicht einmal die gestähltesten der galadonischen Soldaten tun, die Frauenzimmer haben komplette Kleiderschränke geschultert (viele Herren stehen ihnen darin aber kaum nach) und dann wundert sich das siebenwindsche Volk, wenn es auf dem Markt schon bei vergleichsweise geringem Personenaufkommen zu großem Gedränge und Lärm kommt. Jeder wuchtet seine Taschen durch die engen Gassen, es klappert und scheppert, weil dort ein Speer aus dem Rucksack und hier ein Stück Armschiene aus der Gürteltasche guckt und mit den Auswüchsen anderer Transportutensilien kollidieren. Falkensee, ein Ameisenhaufen voller geschäftiger Tierchen, die ebenso das zigfache ihrer selbst umhertragen. Mit dem Unterschied, dass es bei den Siebenwindlern so anmutet, als könnten sie es nirgends ablegen oder als wollten sie sich immerfort bereithalten, die Insel fluchtartig zu verlassen, wenn sie von den Horden des Einen überrannt wird. So ziehen sie gleich den Nomaden durch Land und Städte, um allerorts ihre Jurten aufbauen zu können.

Wie Hali diesen Gedanken so gefasst, da kam ihm Akora über den Weg gelaufen. In die neue Schiffstaverne wolle sie mal und fragte ob er mitkäme, er sagte „Klar.“ Es ist selten, aber es kommt immer wieder vor, dass ein einziges Wort ungeahnte Folgen hat. Zum Beispiel zwei, drei Schläge mit einem Schwertknauf ins Gesicht, einen Tritt in den Bauch und peinigender Alkohol auf den ohnehin schon brennenden Wunden. Freilich nur ein willkürliches Beispiel; dessen Musterperson kürzlich Hali gewesen war. Erst am Vortag (oder Vorvortag) hatte er konstatiert, mit der zweifelhaften Gabe ausgestattet zu sein, immer zuerst und am schlimmsten aufs Maul zu bekommen, wie der Pöbel es so schön formuliert. Und als hätten es die Götter gehört, wollten sie ihm diesen Fakt unversehens bestätigen. Um es ein wenig mathematisch auszudrücken: Y ist gleich Prügel durch drei Kriminelle die eine geheime Unterredung führen (Durchschnittsdresche),. In diesem beschriebenen Falle ist Y gleichsam mit X, eine Strickleiter in einen zur Kneipe umgebauten Schiffsbauch hineinzusteigen, unter der Bedingung, dass sich die entsprechenden Personen darin aufhalten. X ist Element des Pechs. Es sei gesagt, dass Hali ohnehin enge Grenzen in der mathematischen Vorstellungskraft hat, sonst hätte er dieses Ereignis wohl vorhergesehen. Ein Jammer nur, dass ihn im vorangegangenen Gebet kein Gott, nicht einmal der allwissende Astrael, vor diesem üblen Schicksal gewarnt hatte. Woher haben die Menschen überhaupt ihr wissen über die Götter, woher wissen sie, dass Astrael allwissend ist, wo er doch über sein Wissen schweigt?

Still und heimlich schlichen sich wieder einmal grüblerische Zweifel in das Herz des wankelmütigen Halis, der ohnehin gerade im Tal der Melancholie herumgeisterte. Die harten Schläge auf den Schädel und die resultierenden unheimlichen Kopfschmerzen machten den Sachverhalt zudem nicht wesentlich leichter, im Gegenteil. Das Leid fungiert gar als ein Förderer des Weltschmerzes. Auch wenn Hali es sich anders vorhielt, war es doch nur ein schwacher Trost, dass er durch seine Begleitung Akora wieder ins Bewusstsein zurückgeholt hatte (sie hatte auch eins auf die Mütze bekommen), nachdem er mit klaffenden Wunden zu sich gekommen war. Die Ausbeute der Ganzen: Ein paar mitleidige Blicke, eine hässliche Wunde auf der Wange und unbeschreibliche Folter in der Hirnschale. Körperlicher Natur. Aber gewissermaßen auch seelischer. Eine Bestätigung nicht nur für seine oben genannte Annahme, sondern auch für sein Weltbild, ist Tare doch, wie er stets wiederholt, gnadenlos und unbarmherzig, und jene, die versuchen gegenteilig zu sein, mit denen wird als Erstes kurzer Prozess gemacht. Es lebe die Gerechtigkeit!

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BeitragVerfasst: 16.06.06, 15:59 
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XIX. Kapitel
beinhaltet ungewollte Zufälle, moralische Entgleisungen u.a.



Wie viel Pech kann ein Mensch haben? Hali wurde zunehmendst in einen Kleinkrieg der Unterwelt involviert, den er nie haben wollte. Für Akoras grausame Racheakte musste er nun bluten. Wie der Rattenfänger bestialisch malträtiert worden war, hatte Hali miterlebt und dies zugleich damit verbunden, sich für den Alkohol auf den Wunden durch Schadensrückzahlung zu bedanken. Von Akoras Unerbittlichkeit am Zweiten der Bande erfuhr Hali erst kürzlich.

Denn er hatte nichtsahnend im Viertel gesessen, als die beiden gepeinigten Kriminellen an ihm vorübergingen, seinen Namen wohl wissend, ihn vielleicht sogar suchend. Schon waren sie fast weg, da kam doch wie ein böser Schicksalswink eine flüchtige Bekannte des Weges, mit den freundlichen Worten „Hallo, Herr Hali!“ auf den Lippen. „Hallo. Herr HALI.“ Die beiden Herren, fast hinter der Hausecke verschwunden, hielten inne. Potz Blitz! Flucht wie der Donner, ab in die Kanäle, quer unter der Stadt hindurch, die Schritte der Verfolger dicht hinter sich, ihren kalten Atem spürend, um kurz vor dem Ziel geschnappt zu werden. Übleres als Schläge, Schnitte und ins Gossenwasser tauchen hätten sie vielleicht noch mit ihm angestellt, wäre Lothar nicht zufällig augrund einer Kelleruntersuchung des Weges gekommen. Noch kurz zuvor hatten die beiden Diener des Einen gespottet. „Bete... Hali.“, hatten sie gesagt und gefragt, wo denn die Viere blieben, um ihn retten. Waren sie es letztlich, die ihm Lothar schickten? Aber warum hatten sie ihn dann erst so viel Pech und Unbill erdulden lassen? So viel Angst und Marter? Wo war die Barmherzigkeit geblieben, die ihn an die Sahor band? Zweifel kamen wieder auf, und andererseits auch Dankbarkeit und Hoffnung, da letztendlich ja doch noch Rettung erfolgte.

Als Hali im Bette saß und seine Wunden leckte, führte er den Gedanken ausführlicher fort und wie üblich taten sich vielerlei Rätsel auf. Was war Zufall, wo hatten vielleicht die Götter ihre Finger im Spiel? Dass Hali, der geschickt sein Gesicht verbarg und dann ausgerechnet in diesem Moment beim Namen genannt wurde: Zufall oder Bösartigkeit der Götter? Womöglich gar des Einen? Oder alles Teil seines Schicksals? Und Lothars Aufkreuzen. Ein reiner Glücksfall oder göttliche Gunst? Wer wusste das schon. Abgesehen von Astrael, aber der redete ja nicht mit Hali. Nun, auf dem Weg ins Reich der (Alp-) Träume, sinnierte er darüber, was sie da überhaupt angestellt hatten. Die Kehle hatte Akora einem der Männer durchgeschnitten, um ihn dann wieder ins Leben zurückzuholen (so sagte man es jedenfalls). Dem anderen hatte sie das Gesicht entstellt, während Siegfried sich an einigen Handgebeinen zu schaffen gemacht hatte. Mit diesem furchtbaren Handeln waren sie nicht besser als diese Verblendeten selbst, waren sie nicht besser als ihre Opfer, die vorher noch Hali gepeinigt hatten. Umso mehr war er über sich selbst erschüttert, dass er nicht eingeschritten war, als es dem Rattenfänger an den Kragen ging. Selbstzweifel und Vorwürfe schlichen sich in sein Herz und die Frage, wie alles begonnen hatte, woher Akora diese Gestalten kannte und was passiert sein musste, dass sie zu Derartigem fähig war. Eine Spirale der Gewalt war ins Rollen gekommen. Zwar konnte Hali die Namen Siegrieds und Rihans verschweigen, doch war er sich wenigstens bei Zweiterem nicht sicher, ob der Rattenmann ihn sich nicht gemerkt hatte, wo er doch unvorsichtigerweise in seinem bewussten Beisein genannt worden war. Und dass Lothar nun ein Mitwisser war und das Problem zu allem Überfluss auch noch im Orden ansprechen wollte, war aus Halis Sicht dergestalt unpässlich und machte die Sache nicht einfacher.

Lieber heimlicher Leser dieser tagebuchartigen Dokumentationen des Lebens und Denkens des Dorion Hali, wenn Euch jemals jemand fragt, ob ihr ihn mit in eine neue Spelunke in einem zwielichtigen Viertel begleiten wollt, dann überlegt es Euch zweimal, bevor Ihr „Klar“ sagt. Ein einziges Wort oder ein einziger Entschluss vermag ungeahnte Folgen zu haben. Eine Bestätigung für die Chaostheoretiker.

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BeitragVerfasst: 19.06.06, 14:21 
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XX. Kapitel
ist nichts und ohne Pointe.



Erschöpft und niedergeschlagen wandelte Hali durch die Welt. Dieser entfesselte Kleinkrieg im Dunkel schien nicht aufhören zu wollen. Zu allem Überfluss stellte Akora ihn nun auch noch vor quälende Glaubensfragen, auf die er keine Antwort wusste. Alles, was er sich die letzten Monde mühselig in seinem Kopf zurechtgeschustert hatte, war im Verfall. Wahrlich hatte er sich vieles vorgemacht, dachte er doch tatsächlich, die Götter wachten über ihre Gläubigen. Nur hatte seitdem unsagbar viel versucht ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Mit Erfolg, war er doch kein Mensch von langanhaltender Inbrunst für eine Sache. Sein heimatloses und unbeständiges Bardenleben mochte weit zurückliegen, in seinem Geist ging es aber weiter; und in dieser Form schien es weitaus härter. Vielleicht hatte er Unrecht, doch war ihm der Gedanke, einzig darum mehrmalig in die Fänge dieser Anhänger des Angamon gekommen zu sein, weil er in diesem polarisierten Glaubenskampf Partei ergriffen hatte. Von den Sahor anscheinend fallen gelassen musste er den Marter ihres ärgsten Feindes spüren. Halis Geist war gebrochen und anfällig, allmählich begann er zu glauben, was Akora sagte: In Bellums Namen werde nur getötet, Astrael gäbe seine Gaben nur wenigen, der Rest bliebe unbeschenkt, und so weiter. In den Göttern könne er keine Barmherzigkeit finden. Sein Opfersinn für sie, nicht mehr als ein unbedeutendes Lüftchen im Äther. So begann er wieder zu denken. Denken, das war womöglich seine größte Leidenschaft und sein größtes Verderben zugleich. Nun spann er Akoras Garn weiter. Er musste dabei feststellen, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, wann Vitama ihm zuletzt hold gewesen war (oder zuletzt hold gewesen schien).

Trüber Gedanken ritt er nach Hause, um in der zwischenmenschlichen Konversation etwas Ablenkung zu erfahren. Die Freude währte nicht lange, da nahm das Schicksal wieder seinen Lauf. In eine Falle vor der eigenen Haustür geraten waren Akora und Hali abermals in der Gewalt der unberechenbaren Kerle aus der Unterwelt, Sajan und Ulf, so erfuhr er ihre Namen, auch wenn er sie eigentlich gar nicht wissen wollte. Zwei Verrückte, die der Eine selbst gesandt hatte, um ein paar Menschen zu drangsalieren. Nun wollten sie sich eine Beendigung des Streites, dessen Ursprung noch immer nicht ganz einleuchtend war, gegen Geld bezahlt haben. Weiß der Ungenannte, warum sie so lange brauchten um die Übereinkunft abzuwickeln, denn quälend musste Hali sich indes von dem anscheinend völlig irren Ulf besäuseln lassen, stets mit der aufreibenden Angst im Nacken, durch ein einziges falsches Wort den Tod zu finden. Es zermürbte ihm vollends die gebrechliche Seele. Dass er es überstand, eine Gunst der Götter? Nein, wohl eher ein Funken von Glück im allgemeinen Übel. Ein winziger Stern, der durch ein kleines Loch in den finsteren Wolken hindurchschien.

Bei seinem letzten Besuch der Kirche hatte er entgegen aller sonst praktizierten Gewohnheiten beim Herausgehen dem Altar den Rücken gekehrt. Er tat, was die Götter bereits längst getan hatten. War dies schon das Zeichen, dass sie und Hali wieder getrennte Wege gingen? Auf jeden Fall mutete es an, als bräuchten die Vier niemanden wie ihn in den Reihen ihrer Anhänger. Einen Zweifler und Denker, einen wankelmütigen Idealisten. Nun war die Zeit wieder gekommen, da er nicht nur allein in der Welt war, sondern sich auch ebenso fühlte. Nicht völlig verlassen aber, denn ein paar wenige Seelen gaben ihm doch noch Halt. Gleichwohl steckte er bis zum Hals in dem allzu bekannten Schwermut, Gefangen im Wirrwarr seiner Gedanken. Angst und Pein durch die Diener des Namenlosen waren zwar zunächst vorüber, doch stand er nun dort, wo er seine Reise in den hoffnungslosen Traum einer gerechten und versöhnlichen Welt im Zeichen der Götter begonnen hatte: In Melancholie und Bekümmernis.

Des Nachts wachte er einmal auf und starrte, ruhig im Bett liegend, an die kahle Decke. Ihm war, als sei sein Leib kälter geworden als sonst, als verließe ihn der Atem des Daseins gänzlich, gäbe ihm die friedlich schlummernde Akora neben ihm nicht lebensbringende Wärme ab. „Es ist vorbei, Hali.“, hatte sie am Abend gesagt, „Ich bin bei dir.“



Hier endet die erste lange Geschichtenreihe. Ohne Resultat, und ohne Pointe. Niemand weiß, wie es weitergehen mag.

...

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Gespräch unter Fischen:
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sagte der eine fisch zum anderen

blabb
sagte der andere fisch zum einen

blubb
sagte ein weiterer fisch zum dritten

da haben sich alle gestritten


Zuletzt geändert von Hali: 19.06.06, 16:11, insgesamt 1-mal geändert.

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BeitragVerfasst: 27.06.06, 13:03 
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weil es so schön war.



Es schien Hali, als seien sie allen alteingesessenen Siebenwindbewohnern verhasst: die Neusiedler. Jenes Pack, das sich auf der Suche nach Glück und Reichtum auf das Eiland begibt und auf die in blutigen Kriegen errungenen Siegespreise aufbaut, als wollten sie den alten Haudegen Ruhm und Land streitig machen. Sie fallen sofort auf, wenn sie unsicherer Schritte und neugieriger Blicke über den Marktplatz wanken. Wenn sie ankommen, tragen sie noch den peinlichen Festlandsschick, diese auf der Insel der neugeborenen Kultur verrufenen hellblauen und braunen Stoffwesten, diese potthässlichen grauen Wollhosen, die ausgelatschten Fußkleider. Auf dem Rücken schleppen sie ihr ärmliches Gepäck, gebrandmarkt durch ihr Erscheinungsbild, mit dem sie sich argwöhnische Blicke einfangen. Wer auf Siebenwind weder Umhang noch Robe trägt, der ist entweder eine modisch gewagt Frau, ein ziemlich verarmter Penner oder ein Einwanderer. Umso lächerlicher, welch minderwertige Waren sie feilbieten, gefertigt aus mitgebrachten Rohstoffen aus Galadon, Endophal oder wer weiß woher. Alles was sie sagen zeugt von einfältiger Naivität, alles was sie tun von Blödigkeit, kaum des Spottes, mehr eines müden Schmunzelns würdig. Wer nicht mitreden kann, wie dies und das früher mal war (alles besser) und welche Schlachten und Begebenheiten er miterlebt hat, der gehört schlichtweg nicht dazu! Arme Unwissende, die noch erschrecken, wenn ein Myte durch die Stadt spaziert oder Oger Steine gegen die Stadtmauern werfen.

Gänzlichen Unbill erwerben sie sich, wenn sie anfangen, Fragen zu stellen: „Entschuldigt, könnt Ihr mir sagen wo oder wie ...“ Ein genervtes Seufzen zeigt den Verunsicherten sogleich, wo sie stehen. Im Abseits nämlich, so lange, bis sie etwas ordentliches zum Anziehen haben. Bis dahin aber schlurfen sie freud- und orientierungslos durch Falkensees Gassen, bis sie sozial assimiliert wurden, um die nächste Generation von Einwanderern zu verunglimpfen. So ist er, Tares wilder Westen! Völlig nutzlos sind sie aber dennoch nicht, wem sollte man sonst seine Heldentaten und Erlebnisse vergangener Tage berichten? „Damals, als vor Brandenstein noch die Palisaden standen...“, „Damals, im Krieg...“, „Damals, als wir mit Schwert und Schild im Ödland...“ usw. Da erblüht der Siebenwindveteran plötzlich in feuriger Nostalgie. Und nach dem zweiten Schnaps stellt sich schließlich doch die Gastfreundschaft ein. Schade nur, dass man die weichen Neusiedler dann schon unter den Tisch getrunken hat, die vertragen ja schließlich nichts!

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