Das Heulen des Windes war erstorben, und der Sturm der durch den Wall gefegt war, hatte sich gelegt. Nur noch vereinzelte Stimmen waren von draußen zu hören aber sein Augenmerk war ganz auf das Mädchen auf dem Steintisch gerichtet. Wie sehr hatten diese Wesen sie verletzt? Sein spärliches Wissen reichte nur aus um die Wunde notdürftig zu versorgen. Wie hatten sie sich an einem Kind vergreifen können? Immerwieder kamen diese Fragen in seinen Sinn, während er unablässig betete. Er fühlte sich eigenartig, wie in warme Watte gehüllt. Alles um ihn herum schien im Nebel zu liegen und nur das Mädchen klar aus diesem Dunst heraus zu stechen. Seltsamerweise fühlte er sich wohl. Ihm war seid langem wieder warm und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen während er das Tuch mit der Flüssigkeit aus der Phiole tränkte und es auf die Schulter des Mädchens legte. „Shh... es ist nicht so schlimm. Die Orken sind schon weg... hörst du?“ sprach er leise und beruhigend auf sie ein. Es kam ihm vor als würde jemand anderes durch seinen Mund sprechen, so schwer fühlte es sich an die Worte zu formen. Waren es nur Augenblicke die vergangen waren oder ein ganzer Zyklus? Er wusste es nicht mehr. Starke Arme nahmen das Mädchen auf und versichertem ihm, dass es ihr gut gehen würde. Ein Bett, eine warme Mahlzeit und Pflege. Ja, ihr würde es gut gehen. Er sah sich in dem kleinen Raum um. Es roch noch nach ihnen, all das Blut auf dem Boden zeugte von ihrer Gegenwart. Er schauderte. Langsam führte sein Schritt ihn vor die schwere Eisentür und er sah verwirrt auf das Durcheinander von Menschen und Pferden. Überall waren aufgeregte Stimmen zu hören, verkniffene Gesichter zu sehen. Mit einer Miene des Unverständnisses trat er zwischen ihnen hindurch und sah sie doch nicht. Vage Schemen schienen sie ihm in diesem Moment. Der tapfere Ritter in der ehrfurchtgebietenden roten Insignien seines Ordens, der nervöse Magier mit dem verrutschten Hut, der Löwe mit angespannter Miene und zorniger Stimme, dem Gardisten der still neben seinem Herrn stand. Sie liefen umher, um ihn herum... aber niemand schien ihn zu sehen. Langsam schritt er durch das Chaos hinaus in die Kälte. Seine Füße fühlte er kaum, sein ganzer Körper schien sich ohne sein Zutun zu bewegen aber er lächelte immernoch. Ab und zu sah er die verschneite Landschaft beinahe von oben und sich selbst mitten darin. Klein und schmal – so unauffällig in der beeindruckenden Schöpfung der Viere.
Eine ruhige Worte erreichten seine Ohren. Nicht hier? ... dann nickte er nur und drehte um. Langsam und immernoch als wäre er selbst so weit fort ging er den Weg entlang. Er sah den Vögeln nach, dem Schatten zwischen den kahlen Bäumen. Er fühlte für eine kurzen Moment die Hitze des Feuerflusses, und anders als sonst blieb er dieses Mal nicht stehen um die belebende Wärme zu genießen, nein, sein Weg führte ihn weiter. Er musste sein beruhigendes Lächeln noch einmal sehen bevor er schlafen konnte. Sein Schritt wurde schwerer und ab und zu schien es ihm., als würde er durch knietiefen Schlamm waten. Nur noch wenige Schritte, schon sah er das Haus und den Rauch aus dem Schornstein aufsteigen. Er rief seinen Namen und in diesem Moment schien etwas Dunkles nach ihm zu tasten. Die Beine unter seinem Körper weg zu ziehen und ihm das zu entziehen, was ihn die ganze Zeit geführt hatte. Das, was ihm die Kraft gegeben hatte bis hierher zu kommen. Er sank und sank noch tiefer.
Er sank und er fühlte wie er tiefer in das Wasser drang, wie es ihn weiter hinunter zog und ihm jede Luft nahm. Das wohlige Gefühl von Geborgenheit war gewichen und etwas pochte an sein Bewusstsein. Schmerz. Schmerz? Ein herzzerreißender Schrei drang an sein Ohr – war es sein eigener gewesen? Das Wasser war so tief. Er fühlte Übelkeit in sich aufsteigen zusammen mit dem kalten Gefühl der Angst. „Mir’s nich gut...“ hatte er das gesagt? Ihm war nicht gut. Immer deutlicher traten die Empfindungen durch die dämpfende Schicht aus Benommenheit. Dann sah er sein Gesicht, wieso sah er so besorgt aus? Er musste ihm zeigen, dass es nicht so schlimm war. Er lächelte. „Es geht schon...“ ja, es ging. Er würde beweisen, dass es ging. Dieses Mal würde er nicht versagen. Dann griff die Dunkelheit wieder nach ihm und zog ihn hinab. Noch immer lächelte er.
Das Feuer prasselte im Kamin und er sah dem Flammenspiel eine Weile zu. Er fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Ihm war warm, das nagende Gefühl des Hungers war vergangen und er war bei seinen Freunden. Es könnte so schön sein. Doch sie schienen so abgelenkt, so besorgt. Er sah nicht recht was geschah, fast schien es ihm als wolle sein Blick nicht dorthin wenden. „Tjorven?!?“ Dann wandte sich sein Blick doch und er sah ihn dort kauern. Wieso schaute er nur so? Und wen hielt er da im Arm? All das Blut... wer war so sehr verletzt? „Tjorven!“ ... Tjorven? Das war sein Name. Er hielt ihn im Arm. Ihn selbst. Und als diese Erkenntnis an sein Bewusstsein drang, hörte er auch das Rauschen des Schwingen. Er wandte den Blick nicht, doch er wusste wer immer näher kam. Er wollte sprechen, aber es gelang ihm nicht. Er wollte ihn beruhigen. ‚Mir geht es gut, mir wird nichts passieren. Ich werde es dir zeigen, ich beweise dir, dass ich stark sein kann. Mach dir keine Sorgen. Komm, bitte lächle wieder.’ Er löste seinen Blick nur wiederwillig, dann stieg er auf den Rücken Galtors und warf noch einen letzten Blick zurück. ‚Leb wohl... ich warte auf dich’
Der Wind schien den Federn des Raben nichts anhaben zu können und dieses Mal auch Tjorven nicht. Der Wind hatte seine Macht über ihn verloren.
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