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 Betreff des Beitrags: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 30.04.09, 02:24 
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Ihre Eltern sagten ihr, dass die beiden kleineren Geschwister ihr altes Zimmer bräuchten und dass sie wieder im Zimmer ihres Bruders schlafen sollte. Das störte sie nicht, sie war gern mit ihrem Bruder abends zusammen, (sie war ja auch erst sechs Morsan alt), weil sie dann stets die Vorhänge aufzogen und sich im fahlen Schein der Sterne, wenn die Wolken es zuließen, Geschichten erzählten.

Mal waren es abenteuerliche Geschichten über Fabelwesen und ferne Welten, Diskussionen, wie man einen kleinen Streich organisieren könne oder es waren Gruselgeschichten.
Awa hatte Angst vor diesen Geschichten. Sokro machte dabei unauffällig unter der Bettdecke unheimliche Laute, natürlich so leise dass die Eltern nichts hörten, sie sollten doch schlafen. Und das Mädchen gruselte sich so sehr, dass ihr dabei eine Gänsehaut über den Nacken lief.
In dieser Nacht erzählte Sokro ihr von seinem Tag draußen am Ufer, wo er mit gemeinsamen Freunden geangelt hatte und berichtete in jungenhafter Faszination, wie die Harken der Angeln durch die Augen der nach Luft schnappenden Fische stachen.
Awa fand das barbarisch, aber sie musste trotzdem zuhören und nachfragen.

Nun war es aber schon so spät, dass der ältere Bruder eingeschlafen war und Awa mit offenen Augen im Bett lag und die Decke anstarrte. Normalerweise war das Zimmer oft düster... aber in dieser Nacht war der Himmel klar und beide Monde erstrahlten zur jeweils halben Pracht. So konnten die fahlen Nachtlichter durch das Geäst des Apfelbaumes tänzeln und ein Abbild dessen an Wand und Zimmerdecke werfen.

Das wache Kind streckte das dünne Ärmchen aus und kniff eines der bernsteinschimmernden Augen zusammen, während sie sich vorstellte mit dem ausgestreckten Finger die Blätter nachzeichnen und die Schatten berühren zu können. Eine Täuschung ihres Geistes, die ihr Spaß machte. Der Schatten des langen, dicken Astes, an dem zu anderer Jahreszeit die dicksten Äpfel hingen, wippte hin und her, als ob ein Wind ihn rüttelte und schüttelte. Doch es ging gemächlich voran und Awa sah es als ein Spiel, mit dem Finger der Bewegung exakt zu folgen.

Ein Rascheln.

Awa versuchte ihren Kopf leicht aus dem Kissen zu heben und über das Holz am Fußende hinweg nach ihrem Bruder zu schauen, der gegenüber in der Kammer schlief. Sie wollte nicht dass er fragt was sie macht und nahm den Arm wieder herunter. Zuerst sank der Ellebogen auf das Laken zurück, dann sollten die Finger auf der Bettdecke zu ruhen kommen... Awa schreckte auf und hielt die Luft an. Ihr Herz raste und sie blickte panisch zur Seite. Sie war sich sicher, ihre Finger hatten eine Hand berührt!
Sie riss die Bettdecke über den Kopf und zog die Beine an. In ihren Füßen kribbelte es, da sie die Vorstellung nicht losließ, dass ein Monster nach ihren Zehen packen würde, wenn sie diese nicht ganz nah zu sich brachte. Oh, es könnte nun von allen Seiten nach ihr greifen und Krallen würden unter die Bettdecke kommen und...

„Schätzchen, erschreck dich doch nicht so...“, ertönte eine sanfte, leicht brüchige Stimme einer Frau.
Dass Awa ihre Stimme hörte, machte ihr Angst... aber sie dachte in diesem Moment nicht so rational, wie ein Erwachsener es tun würde. Die Frau klang so ähnlich wie ihre Großmutter... ja, eine alte Frau. Aber es war nicht ihre Großmutter. Natürlich dachte das Mädchen nicht nach, wie eine Fremde in ihr Haus kommen sollte.

Ein Knarren.

Awa blieb unter ihrer Decke.
„Wenn du Albträume hast, mein Kind, dann hab keine Angst davor. Lass uns ein Spiel spielen... Schau dir den Schatten noch mal. Du bist ein kluges Kind.“


Wieder hörte sie ein Knarren und ein Scharren, als ob etwas Schweres über den Holzboden gezogen würde. Das Mädchen befeuchtete ängstlich ihre Lippen.


„Schlaf gut, Liebes. Kinder müssen viel schlafen...“


Schwer atmend blieb das dürre Mädchen unter der Decke, zusammengekauert, die Knie bis unter das Kinn gezogen.
War sie weg? Musste Awa nun so lange hier unter der Decke bleiben, bis ihre Mutter kam und sie weckte? Würde sie bis dahin nicht ersticken?! Sie müsse doch irgendwann mal die Decke irgendwo hochheben und Luft reinlassen...
Nein. Sie musste nachschauen.

Die Finger wanderten wie eine Spinne über die Matratze. Tief durchatmen... Awa glaubte schon zu spüren, wie ihre Augen ganz heiß und feucht wurden...
„Bitte lass sie weg sein...“, flüsterte das Kind betend zu den Göttern. Die Finger spreizten sich, die Decke wurde ein Stück angehoben.
Ein Stuhl! Bei den Göttern, da stand ein Stuhl neben ihrem Bett!
Des Kindes Herz raste. Die Decke wurde weiter angehoben. Niemand. Niemand der hinter dem Stuhl stand und sie erschrecken wollte, niemand auf der anderen Seite oder am Fußende... vielleicht unter dem Bett? Awa traute sich gar nicht mehr sich zu bewegen, damit das Bett ja nicht knarrte und das Monster nach oben kam! Was sie allerdings nicht daran hinderte, ihre großen, kindlichen Augen gen Zimmerdecke zu heben. Weiterhin wippte und schwankte der krüppelige Astschatten vor sich hin, spielte mit dem Wind. Die bernsteinfarbenen Iriden wanderten bis zum äußerten Rand ihrer Augen. Als das nicht reichte um einen Blick aus dem Fenster zu werfen, musste sich Awa doch auf den Rücken drehen und bei jedem Knarren glaubte sie ihr Herz stände still. Nein... hinter den eingefassten Glasscheiben des Fensters war nichts. Alles war ruhig, nichts regte sich, es musste wohl windstill sein. Kein Ast, kein Blättchen...nichts was ihr hätte Angst machen können. Auch keine Geistergesichter, die sich wiederspiegelten...

Awa presste ihre Lippen zusammen und blickte wieder auf zum Schatten, wo der Ast gemächlich hin und her schwankte. Sie riss vor Schreck ihre Augen auf.
Windstill...windstill...
Nein, das Spiel machte ihr keinen Spaß. Überhaupt keinen!




(Drei Tage später, als Fela den Boden wärmte und die Insekten in der Mittagshitze zirpten, schlug der dickste und stabilste Ast des Apfelbaumes ohne Vorwarnung nieder und zerbarst eine abgestellte Kiste mit Lieferungen an die Schneiderei. Die Splitter zerstörten etliche Schritt an Seide. Welch glücklicher Zufall, dass wenigstens keiner auf die Idee gekommen war, die Mittagspause im Gras unter dem rauschenden Blätterdach zu verbringen und den Vögeln zu lauschen... Zumindest war Awa die Lust darauf gewaltig verdorben worden.)


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 26.05.09, 20:12 
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Sie glaubte zu ersticken, griff um den dürren Hals, keuchte und würgte.
Als ob jemand einen Strick um ihre Gurgel gelegt hätte und daran zerrte, als ob man einen sturen Esel in die rechte Bahn zwingen wollte. Mit einem Ruck fiel sie zur Seite, glaubte in das Schwarz zu stürzen, das sie wie ein Kerker mit all seiner Finsternis umgarnt hatte.
Der Fall war so unwirklich wie die lichtlose Dunkelheit.
Die Schmerzen beim Aufprall... ebenso irreal?
Sie wollte aufschreien, als die nackten Arme und Beine auf dem Stein aufschlugen und die Haut an ihren Knien aufplatzte, doch war das Mädchen zu perplex um noch Laute über die Lippen zu bringen, wo doch gerade wieder Luft über diese in des Kindes Lungen geströmt war. Atmen, sie konnte wieder atmen...
Ihre Umgebung war verschwommen, keine Kontur war klar und die Farbmassen verlaufen. Braun und grau... etwas blau oben drüber, dunkle Flächen... eine Stadt.. eine Stadt vielleicht?
Schwindelnd krabbelte das Kind voran mit den blutigen Knien und jammerte leise vor sich her. Gesichter? Waren da Gesichter? Nein...Fratzen...unklare Fratzen und unheimliche Masken. Sie starrten alle auf sie herab. Angsterfüllt hielten ihre jämmerlichen Fortbewegungsversuche inne. Schwarze, leere Augen...überall um sie herum.
Kein Laut.
Keine Stimmen.
Die Luft stand still.
Als das Mädchen sich mit zittrigen Beinen erhob und den zarten Leib zu voller Kindeshöhe aufstreckte, zogen sich die Fratzenträger zurück...und ihre Blicke wanderten allesamt wie gelenkte Puppen in die eine Richtung.
In dem Moment zuckten die Nasenflügel des Mädchens und ein beißender Geruch von dichten Rauch bemächtigt sich ihrer Sinne. Sie presste beide Hände auf Mund und Nase, erstickt hustend und drehte sich um...drehte sich in die Richtung, in welche die leeren Augen blickten.
Und sie blickte auf ein Feuer, das bis zu den Wolken hinaufragte und den ganzen Himmel schwarz färbte.

Für einen kurzen Moment wurde alles klar. Für einen Herzschlag konnte sie die Konturen erfassen. Dort brannte ein Mensch. Und der Gestank verkohlten Fleisches trieb ihr die Übelkeit in die Gedärme.



Wiedereinmal fiel sie in die Dunkelheit. Wie immer wenn sie diesen Traum hatte.
Das Kind wusste, dass es noch mehr erfahren sollte, aber seine Angst riss es stets aus dem Inferno heraus.

„Wenn du Albträume hast, mein Kind, dann hab keine Angst davor. Lass uns ein Spiel spielen... "


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 30.05.09, 14:08 
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Auf nackten Sohlen wanderte sie bereits eine Zeit, die keine Einheiten kannte. Der Gang könnte ein paar Zyklen gedauert haben oder ward erst begonnen worden.
Es war einerlei und nichts trübte sie mehr, nichts weniger. Denn weiches, grünes Gras ergoss sich einem Teppich gleich unter ihren Füßen. Weich, geschmeidig, leicht kühl.
Wenn einem Fela den Leib wohlig wärmt, dann mag selbst kaltes Bodengewächs dem nur Vollkommenheit bringen.

Sie war wieder acht Götterläufe alt. Stand in ihrem weißen Leinenkleid auf einer Wiese, die keine Grenzen kannte. Keine Bergketten oder Waldgürtel, die den Horizont bezeichneten.
Unter der weiten Krempe des Hutes wellte sich das rostbraune Haar, das mit jedem Lebensjahr mehr und mehr den roten Schimmer verlor, der dem Kind zur Geburt in die Wurzeln gelegt worden war.

Lachend hielt das Mädchen ihren Hut fest und begann zu rennen. Sie rannte und rannte, die dünnen Kinderbeinen flogen nur so durch die Luft.
Sie lief und lief und spürte, dass sie langsamer wurde. Schließlich stellte das Kind fest, dass es sich eine Schräge hinaufbewegte. Der einzigen auf dieser weiten Ebene. Der Horizont wurde rund. Und erst mit jedem neuen Schritt konnte es erkennen, was es erwarten würde.

Ein Mann. Mit nichts weiter bekleidet, als einem langem, schlichten Hemd, das jedem Luxus entsagte. Sein Haar war lang und dunkel und sein Gesicht kantig, obgleich es Wohlgefallen ausdrückte. Die Augen des Fremden strichen über die Landschaft, suchten nach etwas.

Das Kind störte sich daran, dass jemand hier war. Aber gleichermaßen war es verwirrt.
Bei Morsan, war es nicht ihr Traum? War es also doch kein Traum, wenn jemand hier war? Oder war es gerade deshalb einer?

Sie sprach ihn an.
Aber er reagierte nicht.
Sie stellte sich zu ihm.
Aber er schaute sie nicht an.

Also ließ sie es. Ihr Blick folge seinem über die Ebene, dann hinauf zum Himmel.
Und auch das letzte Lächeln verließ nun des Mädchens Antlitz.

"Die Ersonter Herren sind ein überheblicher Menschenschlag, Sie sind falsch und knechten ihr Volk, lassen es an den Grenzen Khalandras ausbluten."

Schade.
Sie hatte gehofft es wäre ein schöner Traum. Ein nüchterner Gedanke in Anblick dessen, was sich droben abspielte. Als ob jemand die Zeit schneller laufen ließe, tobten graue Wolkenfetzen wie an Bändern gezogen über das Azur der Decke Tares.

"Die Malthuster, sie sind falsch, diese Hunde haben uns, als wir für das Reich bluteten hintergangen und unseren Handel abgegraben, nur um sich selbst zu bereichern."


Die Wärme Felas wich, denn wie die Wolken tanzten die Schatten gespenstisch über die Wiese, deren Halme sich im bittren Windzug wiegten. Und dieser stahl dem Mädchen den Hut vom Kopf.
Die Krempe stieß gegen die athletischen Beine des Mannes, ehe der Hügel hinab verschwand.
Der Fremde reagierte nicht, als ob ihn niemals etwas berührt hätte.
Also reagierte das Kind auch nicht auf den Mann.
Er war nicht echt.
Die Stimmen waren auch nicht echt.

"Stahl auf Stahl, Blut für Blut, Leben für Leben, Hass auf Hass."

Dann folgte nur noch Kampfgebrüll.


Awa erwachte. Sie war nicht mehr im Körper eines Kindes, sondern im Leibe einer Frau, deren Nachtbekleidung ihr wie eine zweite Haut an den Gliedern klebte. Schwer hob sich die Brust unter hektischen Atemzügen. Ihr Blick huschte über die Silhouetten, die sich im Dunkeln des Zimmers auftaten und dennoch dauerte es, bis sie sich orientiert hatte.

Sie war in ihrem Zimmer. Sie war auf Siebenwind.
Sie hatte zu viel gearbeitet.
Sie hatte zu viel den Menschen und ihren Unheilsbotschaften gelauscht.

Es war nur ein Traum gewesen.
Es war einfach nur ein merkwürdig klarer Traum gewesen.





„...Lass uns ein Spiel spielen...“


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 3.06.09, 01:56 
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„Ich habe die Stadt brennen sehen...“


Es war nicht mehr als ein Hauch, denn sie konnte es selbst nicht glauben, dass sie es übers Herz brachte, einem Fremden, der sie im Tempel angesprochen hatte, dieses zu offenbaren.
Sie erzählte ihm, dass sie in einem Traum eines anderen gewesen war. Und fragte... fragte, warum die Götter zwei Menschen den selben Traum haben ließen. Denn Awa war sich mittlerer Weile sicher geworden. Sie hatte den Mann aus ihrem Traum auf der Insel gesehen. Vor zwei Tagen. Aber war er es wirklich gewesen?
Awa hatte nur Angst.
Angst vor Beschimpfung.
Angst vor Verachtung.
Angst vor der Hilflosigkeit.
Dennoch erzählte sie dem blinden Bruder von dem ersten Traum und dann auch vom zweiten. Von den Ruinen, den Bränden, den Leichen der Ersonter und Malthuster und dass sie erneut diesen jungen Mann gesehen hat. Aber nicht die Details.
Nichts von ihrer Gestalt.
Ein Kind in weißem, reinen Leinenkleid, mit einem Sonnenhut. Völlig fehl am Platz zwischen den blutverschmierten Recken, die ihren Kampf gefochten haben. Sie konnte die heiße Asche spüren, die körperwarmen Blutlachen unter ihren nackten Sohlen. Es war ein erbärmlicher Gestank, der die Luft erfüllte, und ein grauenhaftes Stöhnen der Verletzten und Sterbenden. Ein Mann in ritterlicher Rüstung, mit Lanze und Schild, führte sein Pferd den Schutt überlagerten Weg herab, direkt an ihr vorbei. Sie erinnerte sich, wie sie zu ihm hochschaute. Aber er sah sie nicht. Sie wollte ihm etwas sagen, ihn etwas fragten. Aber er reagierte nicht.

„Manchmal sind zwei Seelen sich so ähnlich,
dass Lifna ihnen die selben Bilder
für die gleiche Botschaft sendet.
Oder viele haben den gleichen Traum, wenn ihnen
selbiges Unheil droht.


Zu beiden Seiten seiner Gestalt marschierte das Kronregiment und sie musste zur Seite weichen, wobei sie über ein paar Steine stolperte und nach hinten fiel. Zwischen dem Geröll saß sie da, wollte aufspringen, hinterher eilen. Aber sie kam nicht davon. Eine feste Hand hatte ihr Fußgelenk umfasst und sie stürzte auf ihre Knie herab. Panisch glitt ihr Blick nach hinten zur Ursache. Für das Mädchen war es nur eine unklare Fratze, übersät von Rot und Schwarz, die Angst vor dem Sterben lag den Überresten dieser menschlichen Gestalt in den aufgerissenen Augen geschrieben. Das Kind riss sich schreiend los, trampelte nach hinten und schaffte es über den Schutt auf die Straße zu gelangen.
„Hörst du mich denn nicht?!“, rief sie dem Reiter hinterher.
„Warum hörst du mich nicht! Ich bin doch da!“ Ihre Kinderstimme hallte ihm laut hinterher. Aber niemand drehte sich um. Oder hatte der Reiter ihr doch seine dunklen Augen zugewandt?


Fürchtet Euch nicht...
Nun... werte Tochter... es könnte
nun auch jenes bedeuten...
welches nun eine große Bürde für Euch wäre...
Dass jener, der Buße tut, diesen Konflikt
heraufbeschworen... dass es an Euch,
ihn zu finden...
ihn zur Vernunft zu rufen.
Oder... dass jener zumindest fürchtet...
einen solchen Konflikt heraufzubeschwören.


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 10.06.09, 02:50 
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Der Weg war weit. Weit und bei weitem nicht sicher. Awa überlegte es sich mehrere Male zu welchen Zwecken sie die Reisen zwischen Falkensee und Brandenstein antrat. Bisher hatte sie Glück mit ihren Begegnungen gehabt, aber irgendwann zeigten sich die auf Brücken lungernden Gruppen vielleicht nicht mehr als friedlich. Sie beweinte es nicht, dass die Orken Stadtverbot hatten, was nicht hieß, dass sie Streit mit ihnen suchte. Immerhin, so musste sie eingestehen, hatte sich manch Mensch ihr gegenüber ungehobelter benommen.

Normalerweise wurde sie auf den weiten Fußmärschen von ihrer Anspannung entlastet, wenn sie das Lager des Seeberges erreichte und diese kleine Feste passieren konnte, wenn nicht sogar irgendwo am Rande eine kleine Pause einlegte. Wo nun der große Umzug stattgefunden hatte fand sie bei den Wachestehenden so manch bekanntes Gesicht wieder, welches zuvor die Stadttore Falkensees gesäumt hatte. Aber wahrscheinlich erinnerte sich keiner von ihnen an sie. Und dies war der Grund, warum dieser Zwischenhalt auf der weiten Strecke ihr nun mehr Unbehagen als Entspannung schenkte.

Sie hoffte, dass auch ‚er’ sie vergessen haben würde... irgendwo zwischen dem ungekehrten Wunsch, der nach Aufklärung der Geschehnisse lechzte.
Zwischen den Holzstapeln der Baustelle, hinter einem Zelt, durch die Eingänge zum Berg... von irgendwo dort könnte der Mann aus ihrer Traumwanderung auftauchen. Oder der, den sie dafür hielt. Immerhin hatte sie ihn mit völlig unklaren Worten darauf angesprochen, so dass es ihr selbst peinlich wurde. Er hatte nach ihrem Namen gefragt, sie hatte ihn, noch im selben Moment als verkehrt empfunden, genannt.

Awa hatte die ganzen Tage nichts von ihm gehört oder von irgendeinem anderen seines Umkreises. Also musste er sie für verrückt halten oder sie vergessen haben. Wenn sie recht hatte, mit ihrer Vermutung, dass er es sei, so musste es ihn wohl wenig stören, dass jemand in seine geheimen Ängste blickt. Oder hat er den Abend wirklich nicht realisiert, was sie von sich gab? Es wäre verständlich... ihr auch vielleicht recht.
Aber wenn sie unrecht hatte... dann durfte sie ihn nicht noch einmal belästigen. Solcherlei Geschehnisse sollte sie für sich behalten. Ob ein Mann der Kirche ihr nun sagte die Götter hätten ihr eine Aufgabe gegeben oder nicht...
Immerhin eine Woche ohne diese Träume.

Getrieben von der festen Überzeugung, dass es nun aufhören würde, trugen ihre Stiefel sie weiter voran.
Ihr zyklenlanger Marsch endete erst auf einer Bank. Einer steinernen Bank vor dem Altare Falkensees Tempel.
Aber ihre Gebete ergaben für sie nicht das gewünschte Ergebnis.
Es würde wieder eine belangreiche Nacht werden unter den wachenden Gesichtern der Monde.


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 15.06.09, 17:48 
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Sie hörte die Vögel. Das Flattern, wenn ihre Flügel durch die Luft stießen.
Aber es war kein Gesang, es war gieriges, bösartiges Krächzen.
Langsam schlug sie ihre Augen auf und blinzelte, bis die verschwommene Masse vor ihr eine vage Gestalt annahm. Grünes Gras, eine saftige, mit kleinen weißen Blümchen durchwobene Wiese. Zaghaft ächzend stemmt sie mit den dünnen Armen den Oberkörper hoch und reckte das Haupt. Der Himmel war grau, zugezogen gar ein eine kühle Briese Hauchte der horizontlosen Wiese stilles Leben ein. Wie die Wellen des Meeres es tagen so bogen sich auch die Halme. Schon wieder dieser Ort?

Mit wackeligen Knien schaffte sie es auf und bettete die nackten Füße auf dem angenehm kühlen Gras.
Beschwerlicher als beim letzten Mal war der Aufstieg, denn die Kuppe des einzigen Hügels wollte auch dieses mal vom Kinde erklungen werden.
Stolpernd schaffte sie es hinauf, und war fast enttäuscht.
Wo war er denn? Die bernsteinfarbenen Augen wanderten umher, suchten huschend nach einem fixen Punkt. Nichts in dieser Weite offenbarte sich ihr, außer einer herumschwirrenden und schimpfenden Krähe.
„Warte! Wo fliegst du hin?“, rief das Mädchen zum Himmel hinauf und folgte dem schwarzen Tier einige Schritt die Hügelkuppel entlang, bis es wieder abwärts ging.
Abwärts. Ins Tal.

Das Kind konnte seinen Lauf nicht so schnell enden, wie der Schrecken ihm durch Mark und Bein geglitten war. Stolpernd fiel es auf den Hintern und starrte auf das Feld... Hunderte von Krähen schwirrten über dem Boden. Nein, nicht über dem Boden...über einem Meer aus Leichen. Dicht an dicht gedrängt lagen leblose Körper quer, drunter und drüber. Hier und da glänzte das Metall verschmierter Rüstungen unter zerrissenen Waffenröcken hervor. Wäre dieser grausame Anblick nicht schon genug gewesen, erkannte das Mädchen, wie die Vögel bereits begonnen hatten, den Toten die Augäpfel aus den Augenhöhlen zu picken und Fleisch aus den Wunden zu ziehen.
Das Mädchen würgte. Es schloss die Augen, wollte tief durchatmen, aber der Geruch des Schlachtfeldes ließ sie nur mehr schwindeln.

„AAAAAAH!“
Ein wütender Ruf aus kräftiger Kehle ließ eine Schar von duzenden Aasfressern aufscheuchen, krächzen, schimpfen und davon fliegen. Ein dumpfer Aufprall.
Das kleine Mädchen rappelte sich wieder auf und erkämpften Mutes schweifte der Blick erneut über die Masse. Bis sie jemanden ausmachte, der trotz kniender Haltung über den Toten hinausragte. Nicht zu letzt, da ein stolzes Reittier neben dem Gerüsteten verweilte.

War es Angst? Aus irgendeinen Grund wanderte das Kind den Hügel herab und passierte das Feld. Es stieg über Leichen hinweg, und wenn es gar nicht mehr anders ging, setzten die Füße auch auf den kalten Leibern auf. Das Gras war durchtränkt mit Blut, dass sich seine Fußsohlen Rot färbten. Ein widerliches, lauwarmes Gefühl. Das Mädchen unterdrückte die Tränen, die voller Ekel in ihre Augen gestiegen waren.

Nur noch wenige Schritt entfernt kniete der dunkelhaarige Gerüstete. Sie lief nun schneller und es war ihr gleich, ob sie nur ein unsichtbarer Besucher war oder nicht.
Das Kind hatte Angst und war froh, dass der Unbekannte noch am Leben war und sie somit nicht völlig allein da stand. Ihre dürren Kinderarme legen sich von hinter um seinen Hals, wobei sich die Kanten seiner Rüstung hart gegen sie pressten.
Es vergingen einige Sekunden, und überrascht stellte sie fest, dass der Mann sich regte. Seine Hand legte sich um ihren Unterarm.

Und unter ihnen... unter ihnen verschwand das Gras und ließ einen toten Boden zurück.

„Steht wieder auf...bitte...“, erklingt die Kinderstimme an seinem Ohr, den Blick auf das sterbende Gras unter ihnen gerichtet.


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 19.06.09, 01:32 
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Dass sie gerne einmal die Nächte durcharbeitete, das dürfte sich für die wenigsten als Neuigkeit offenbaren. Sie wurde schon häufiger mitten auf der Straße von fremden Gesichtern angesprochen, ob sie nicht etwas herstellen könne. „Die fleißige Schneiderin“.
Und sie konnte sich nicht entsinnen, wann zuletzt jemand in ihre Schneiderei gekommen war und seine Bestellung nicht gleich mitnehmen konnte.


Habet Ihr gefunden, was Ihr suchtet?

Zugegeben... hatte ich schon beim
letzten Mal eine Ahnung... aber
ich habe noch nicht mit ihm gesprochen...


Man ahnte etwas ähnliches bereits.
Was treibt Euch also her?


Ich habe wieder geträumt.


Nun aber erreichte sie langsam aber sicher ihre Grenzen. Die Übernächtigung stand der jungen Frau ins Gesicht geschrieben, wie auch der Mangel an Nahrung sich wieder ins Gesamtbild einfügte. Normalerweise waren es Stimmungsphasen, die Awa nur in Maßen beunruhigten, aber dieses hier? Es graute sie zu jeder Stunde, sie könne einschlafen und wieder von diesen Träumen heimgesucht werden. Ja, eine Heimsuchung. Mag der Bruder im Tempel darüber gesprochen haben, es sei eine Warnung, ein Zeichen Lifnas... Awa wollte diese Bilder nicht ertragen. Es stand außer Frage ob sie es könnte oder nicht.


Es wird immer schauriger.

Noch schauriger gar, als zuvor?
Lifna scheint Euch drängen zu wollen..


Wenn Ihr einen Leichenberg von aber
hundert Toten schaurig nennen wollt...



Aber was blieb ihr übrig? Es lag sicherlich nicht an ihr, einer Schneiderin, die Schreckensbilder zu verhindern. Wie also die Götter zufrieden stellen.... gerade sie?
Wenn Awa daran dachte, wie sie daran gescheitert war, Menschen die sie liebte vor ihrem Unheil zu schützen... seien es jene aus Rowa und Venturia gewesen, oder jene aus Falkensee... wie dann die, die ihr fremd waren? Nein. Das war nicht ihre Aufgabe. Vielleicht war es auch keine.

Jedoch.. kann ich seine Rolle leider nicht
erblicken... Zumal ich nicht weiß, wer es ist.
Denn.. sei er nun nur Beobachter.. So muss seine Person
und sein Charakter nun die Verbindung zu diesem
Kriege sein, wenn es nicht die Schuldfrage ist.


Ich würde mich für die Bestätigung seiner
Unschuld lebendig verbrennen lassen.

Der Knappe. Da hatte der Bruder mit den verbundenen Augen recht gehabt. Es musste sich um ihn drehen. Um ihn und seine Person. Oder es waren alles Hirngespinste. Reine Ideen, damit der Bruder sich das ganze erklären konnte. Aber warum verriet sie dann des Knappen Namen nicht? Aus dem selben Grund warum sie nicht vor ihn treten konnte. Niemanden in etwas hinein ziehen. Wer wusste ob es seinem Namen nicht schaden würde? Außerdem... Krieg mit den Orken. Da gab es wohl andere Sorgen als ihre schlaflosen Nächte.


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 7.07.09, 02:12 
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Sein Kuss schmeckte nach dem Wein, den er getrunken hatte. Und neben dem warmen Gefühl auf ihren Lippen war ein jener Geschmack das einzigste, was er nach dieser kurzen, sanften und gar völlig unerwarteten Geste zurückgelassen hatte. Zu kurz, um sich des Gefühls bewusst zu werden, zu lange, um es zu vergessen und zu verdrängen.
Als seine Lippen sich lösten und er ihren Arm wieder los ließ, an dem er sie festgehalten hatte um sie auch physisch zur Antwort zu drängen, war dort nur Überraschung und Leere. Bei den Vieren, so war er nicht der erste Mann, der ihr einen Kuss abgerungen hatte. Aber niemals war ein jener, der vom Bekanntschaftsgrad doch noch ein Fremder war, so übermannt worden, ohne es sich selbst erklären zu können. Aber wie sollte Awa es sich erklären?
Am Tresen musste sie sich stützen, als ob es ihr die Beine erweicht hätte.
Es musste diese Ausnahmesituation sein... eine verwirrende Intimität zwischen Fremden, die von Lifna durch drei gemeinsame Träume geführt worden waren. Das allein aber sollte doch nicht der Grund für derlei sein... ob er sich gezwungen fühlte und glaubte die Götter würden ihm Awa gar aufdrängen?
Sie konnte ihm nicht einmal böse sein. Sie hatte seine schneidenden, verletzenden Worte schon verziehen, bevor er sie ausgesprochen hatte. Sie wusste von seiner Zerrissenheit, schon bevor er sie verbalisieren musste und sie hatte seine Maske erblickt... diese unbewegten Gesichtszüge.
Als er endlich gegangen war fegte sie die Weingläser zu Boden und sie zersprangen in Tausend Stücke. Langsam sackte sie am Holz der Theke herab. Was machte sie nur falsch?
Stumm schluchzend versank sie in ein langes Gebet an die Götter, sie mögen ihr doch den rechten Weg weisen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 15.07.09, 05:53 
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19 nach Hilgorad


Die Luft stand und war schwer und stickig. Bissig war der Geruch der Essenzen, der sich mit dem Duft von Rauch vermischte.
Ein Licht nach dem anderen verschwand, als die schmalen, faltigen Lippen der Alten sich rund formten und dem Raume die sanfte Dunkelheit schenkten.
Die Kerzen erloschen.
Viel mehr würde sie nicht mehr tun können. Schlürfenden Schrittes bewegte sie ihren buckligen Körper zurück in Richtung des Krankenbettes und zog mit ihren lederhäutigen Fingern den gestrickten Überwurf vor der Brust zusammen.
Sie hob den ergrauten Kopf und mitleidige Augen lagen auf der schwachen Gestalt auf dem Lager, das mühsam von der Mutter des Mädchens gesäubert wurde.
Ein leises, verzweifeltes Schluchzen durchbrach das Rascheln der blutig roten Laken, die vom Bette gezogen und zusammengerollt wurden.
„Oh ihr Götter...“, murmelte die Schneiderin immerzu und berautete sich bei jeder Stofflage, die in den Korb geworfen wurde. Sie würden die Sachen verbrennen.
Raunend blickte die alte Heilerin zur Zimmertür, die sich einen Spalt öffnete. Zwei Mädchengesichter perlten sich aus der Dunkelheit des Flures und versuchten einen Blick ins Innere zu erhaschen. War denn das ganze Haus wach? Bei dem vergangenen Geschrei kein Wunder.
„Kschhh, Kinder, fort... das ist nichts für euch....“, sprach sie so denn mit den Händen die Brut verscheuchend. Sie mussten ihre Schwester so nicht sehen. Es hatte sie schon zu genüge empört, dass der Bruder sich nicht vom Bett seiner Schwester bewegt hatte. Der dunkelhaarige junge Mann saß noch immer am Kopfende und sah kreidebleich aus. Sie wolle ihm dies nicht verübeln. Die Geburt war blutig gewesen und vor allem sehr schwer. Das Mädchen hatte lange gegen das Fieber gekämpft... aber ihr Kind hatte den Kampf verloren und war wohl schon vor zwei Tagen in die Hallen Morsans gereist. Heute Nacht hatte die Stunde geschlagen die weltliche Hülle aus dem Leib des Mädchens zu befördern, um sie der Erde zu übergeben.
Gegen den Willen der Götter gab es keinen Weg.
Wieder wurde die Tür geöffnet.

„Der Geweihte ist auf dem Weg zum Tempel!“, keuchte ein Mann mittleren Alters. Schwer rang er nach Luft und seine Stiefel zeugten von einem weiten, schlammigen Weg.
„Dann bringe ich das Kind zusammen mit dir dort hin, Vater...“ Der junge Mann erhob sich vom Bett.
Der ältere Mann schluckte und nickte.
„Was wäre...ist...“, fragte er zögernd als man ihm ein winziges Bündel in die Arme legte
„Ein Junge.“

„Kräuterweib... Awa hat das Bewusstsein verloren!“ Die Mutter eilte an das Bett und auch die Alte schlürfte mit ihren hölzernen Schuhen näher an das bleiche Geschöpf heran, das fast gar völlig vom Fleisch gefallen war. Ächzend beugte sie sich zu den trockenen Lippen herab und hielt das Ohr über jene.
„Morsan wird sie schlafen lassen... Lifna wird ihre Seele trösten. Aber... wenn sie übermorgen die Augen nicht geöffnet hat...“ Sie sprach nicht weiter. Denn das war nicht nötig. Wenn die die junge Frau bis dahin nicht wiederkäme, dann hatte sie ihr Leben aufgegeben."
Diesen Satz auszusprechen ersparte sie den Familienmitgliedern.


Querler, 20 nach Hilgorad


Senkrecht saß sie im Bett und hatte die weichen Kissen im Rücken. Auf Grund der Umbauarbeiten im obersten Stockwerk der Schneiderei roch es hier angenehm nach frischem Holz. Ansonsten war es totenstill. Sie hatte die schweren, dunklen Vorhänge vor dem breiten Bett zu allen Seiten zugezogen. Bald schon würde ein neuer Tag anbrechen... und sie weilte wachen Zustandes, weil Träume sie weckten. Träume die sie veranlassten im Halbschlaf panisch die Decken zur Seite zu schlagen, als befände sie sich noch im vergangenen Götterlauf und entdecke die Blutungen, denen die Totgeburt ihres Sohnes gefolgt war. Aber nun war sie ganz ruhig.
Irgendwie hatte sie das Gefühl nicht alleine gewesen zu sein.
Sie hatte das Gefühl dass ihre Trauer von etwas anderem überwogen wurde. Und diese Gefühle konnte sie kaum erklären. Sie streckte ihre Hand nach vorne aus, als würde sie etwas berühren.
„Wie alleine sind wir wirklich?“, wisperte sie in die Stille hinein.
Ihre Fingerspitzen fühlten sich feucht an und als sie jene an ihre Lippen führte glaubte sie gar, dass die Haut dort salzig schmecke.


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 15.07.09, 17:27 
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Sie hatte über Archies Worte nachgedacht. Natürlich war es eine sehr suspekte Situation gewesen. Die beiden jungen Männer, die sie auf der Insel in Freundschaft empfangen hatten, ihr Liebe geschenkt hatten und sie dann in einem Meer aus Chaos zurückgelassen hatten, wollten sie nun zurück in ihrem Leben haben.

„ Wenn du denkst, dass ich das einfach so weggesteckt habe, dann irrst du aber auch, Awa.“


Die beiden waren Geister ihrer Vergangenheit und sie war sich nun unsicher, wie sie nun mit diesen Geistern umgehen sollte. Lange Zeit hatte sie sich selbst die Schuld gegeben, dass der eine sie verlassen und der andere sie erpresst und hintergangen hatte. All ihren Kummer aufgrund des Geschehenen hatte sich gegen sie selbst gerichtet, bis ihr beinahe der letzte Funken Lebensfreude verloren gegangen war.

„Bist du der Meinung dass ich mir nicht noch jeden Tag Vorwürfe mache? Dass mich nicht noch jede Kleinigkeit an diesen Vorfall erinnert?“

Irgendwann ließ es nach. Sie machte sich selbst weniger Vorwürfe, aber sprach sich nicht von der Mitschuld frei. Eine Weile hatte sie enge Kontakte vermieden und doch erwische sie sich stets dabei, wie sie den verschiedensten Leuten einen Teil ihrer Geschichte zukommen ließ. Niemanden erzählte sie alles.

„Aber ich will weiter machen, Awa. Ich habe genug von alle dem.
Kommst du auch voran? Tust du das?“


Sie kam voran. Aber das wollte sie ihm nicht ins Gesicht sagen. Nicht sagen, dass es ohne ihn weiterging. Das es ihr schlecht gegangen war, dass sie Wochen voller Angst um ihn verbracht hatte und dennoch nicht aufgegeben hatte.
Viel musste sie alleine schaffen. Sie hatte sich das Zimmern beigebracht und die Schneiderei so gut es ging alleine eingerichtet. Sie konnte ihren Lebensinhalt darauf richten, zum ersten mal etwas wie Selbstständigkeit zu erkämpfen.
Manche Menschen gingen nun mal. Und ihnen folgten andere. Wenige machten es ihr schwer, aber bei den meisten fand sie herzliche Hilfe.

Die beiden Freunde, die nun in ihren Alltag zurück wollten, waren bisweilen die schlimmste Ausnahme gewesen. Sie hatten ihr Leben über eine gewisse Zeitspanne hinweg zerstört... und nun würde sie den beiden helfen ihr gemeinsames Geschäft einrichten, damit sie ihr Leben wieder in die Bahnen bekamen.
Irgendwas stimmte da doch nicht.

Sie würde irgendwann darüber hinwegkommen müssen.
Es wäre zu schade, nun aufzugeben.
Vielleicht hatte man auf Siebenwind auch nicht aufzugeben.

Und sie nahm sich vor zu meistern, was auch immer noch auf sie zukommen würde. Die Geschichte mit den Träumen würde sie so schnell nicht loslassen. Sie wusste nicht, was noch auf sie und den Knappen zukommen würde. Wenn sie einen Weg wüsste, würde sie die Last alleine tragen und ihn von unheilvollen Träumen fernhalten. Aber sie kannte den Weg dazu nicht.
Also was tun? Die beiden konnten den Weg alleine gehen oder zusammen nach einer Lösung suchen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 4.08.09, 18:02 
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Die Sonne zwang die Augen einige Male zu einem Niederschlagen der Lieder, es war Hell. Als er sich an die Sonne gewöhnt hatte blickte er voran, fast wie ein Vorhang aus Silber, so hing der Wasserfall mit seinem klaren, sich in der Sonne strahlenden Wasser da.


Die drei stufenförmig angeordneten Kerzen loderten in aller Stille vor sich her. Der Ständer weilte unbewegt auf dem kleinen, hölzernen Tischchen neben ihrem Bett. Doch im Gegensatz zu ihrer starren Halterung tanzten die Flammen wild umher, verkrümmten sich und stießen dann wieder in die Höhe. Ihr Licht war gleißend, doch Awa blickte ohne ein Blinzeln in die Helligkeit, die sie verströmten. Ihre dunklen Wimpernkränze ließen die Bernstein leuchtenden Augen der Hitze ausgesetzt. Als ob ihre Iriden selbst Feuer gefangen hätten, loderten die verschiedenen Farbfacetten in der Dunkelheit des Raumes auf.
Der Atem der jungen Frau ging sehr langsam und ließ den Brustkorb nur unwesentlich erschüttern.


Hinter sich das stete Rauschen des Wassers und vor sich eben selbiges nochmal welches sich immer und immer wieder dumpf an den Wänden des langen dunklen Ganges brach und aus den tiefen des Selbigen zurück geworfen wurde, dem Knappen entgegen. Erneut kämpften die Augen mit der Umstellung, nunmehr aber vom grellen Licht draußen hin zu der hier drinnen herrschenden Dunkelheit.


Nach einer schier unendlichen Weile ging wieder eine Regung von ihr aus. Die schlanken Finger streckten sich nach dem Wasserkrug aus, der mit auf dem Nachtisch stand. Sie verfehlte den Griff und der Glaskrug kippte mit einem dumpfen Aufschlag auf das Holz, riss dem Kerzenständer scheppernd mit sich. Die Kerzen fielen herab auf den Boden und noch bevor die Flammen den Holzfußboden ruinieren konnten, strömte das klare Wasser des Kruges wie ein kleiner Wasserfall von der Holzplatte des Nachttisches herab und erstickte die Flammen.
Dunkelheit.


Gerade wollte er sich aufrichten als aus einem anderen Gang ein Trommeln auftauchte. Es wurde lauter und lauter, schneller und schneller und endete schließlich in einem lauten Knall. Stille kehrte wieder ein und an Felsen gelehnt dasitzend strich sich der Knappe durch das Haar. Für einen Moment nachdenkend...


In einem rhythmischen Klang schepperte das Geschirr gegeneinander, als sie die Seiten des Mann hohen Regals umfasste und mit ganzer Götter gegebener Kraft das Möbelstück von der Holzwand rückte. Der Inhalt rutschte stets von einer zur anderen Seite. Noch einmal presste sie die Zähne zusammen und hob die untere Kante des Regals über die Schwelle zum Teppich, ähnlich einem lauten Knall kam das Möbelstück nun zu ruhen.
Schwer atmend griff die Schneiderin zu der weißen Kreide, die sie sonst zum Einzeichnen von Schnittmustern verwendende und setzte sie trotz nächtlicher Dunkelheit an der Wand an.

Nach einigem Klettern, über von der Decke gefallene Felsen, und dem Slalomlauf um hoch gewachsene Stalagniten hatte er eine Höhle erreicht. An der Wand konnte man einige Zeichnungen erkennen, verworren, doch bei genauerem Hinsehen erkannte er einen Hügel auf weiter Steppe, einen Festungsring in dem leblose Körper lagen und noch einige andere ihm vertraut vorkommende Zeichnungen.



Zunächst dachte Awa voller Entsetzen, dass eingebrochen worden sei. Das Chaos konnte sie sich nicht im Geringsten erklären. Kerzenwachs auf dem Holzbalken am Boden, ein dunkler feuchter Fleck... wie sollte sie das heute noch reinigen? Und dann der Schrank, der mitten im Raum stand? Skeptisch wanderte sie nackten Fußes zum Regal hin und wagte einen Blick dahinter. Und sie glaubte nicht was sie sah. Atemlos wanderte ihr Blick von der Zeichnung zur Tür. Sie war noch abgeschlossen und von innen steckte der Schlüssel. Die Finger benetzt von einem weißen Pulver... die Kreide auf dem Boden... Bei Morsan, wer sollte ihr jetzt noch helfen können?


ooc: Kursives wie auch sonst zitiert


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 Betreff des Beitrags: Re: Geister der Vergangenheit
BeitragVerfasst: 2.09.09, 01:37 
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Kein Laut.
Keine Stimmen.
Die Luft stand still.
Als das Mädchen sich mit zittrigen Beinen erhob und den zarten Leib zu voller Kindeshöhe aufstreckte, zogen sich die Fratzenträger zurück...und ihre Blicke wanderten allesamt wie gelenkte Puppen in die eine Richtung.
In dem Moment zuckten die Nasenflügel des Mädchens und ein beißender Geruch von dichten Rauch bemächtigt sich ihrer Sinne. Sie presste beide Hände auf Mund und Nase, erstickt hustend und drehte sich um...drehte sich in die Richtung, in welche die leeren Augen blickten.
Und sie blickte auf ein Feuer, das bis zu den Wolken hinaufragte und den ganzen Himmel schwarz färbte.

(ooc: s.o.)

Als sie aufwachte, wusste sie nicht mehr was sie geträumt hatte. Ihr war speiübel, der Magen krümmte sich, die Kehle zog sich zusammen. Blass und zittrig stolperte sie vom Bett und riss ein Fenster auf. Sofort schlug ihr die kalte Luft entgegen, biss ihr ins Gesicht, so wie der Regen ihr in jenes peitschte. Nach Luft riegend beugte sie sich halb aus dem Fenster. Ein widerlicher Geruch hing ihr in der Nase... rauchig... verbrannt... verbranntes Haar... Keuchend wandte die junge Frau sich vom offenen Fenster fort und sackte an der Wand herab.
Der Regen wurde vom Wind in ihr Schlafzimmer hineingetrieben, erste Tropfen zersprangen auf dem Holzboden.

Kurz verzogen sich ihre Züge. Die Übelkeit wich, doch etwas schmerzte sie am Arm. So wurde der Ärmel des Nachthemdes hochgeschoben. In der Dunkelheit konnte sie kaum etwas erkennen, tastete über die weiche Haut der Innenseite ihres Unterarmes... und zuckte erneut vor Schmerz zusammen. Erst als ein Blitz die Nacht erhellte sah sie in jenen wenigen Wimpernschlägen einen schräg verlaufenden ...Strich... ja... dunkel... wie eine leichte Brandwunde. Irritiert wanderte ihr Blick durch den Raum.

War ihr Ofen nicht schon seit Zyklen kalt gewesen? Nein, sie musste sich irren... sie hatte bestimmt nachgeheizt... sicher... ganz sicher....


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