Er war hier. Felis hielt ihre Augen geschlossen, lauschte ab und an den Geräuschen von außerhalb der kleinen Kammer. Teils glaubte sie zwischen den Stimmen von außerhalb der Kammer seine zu hören, was in ihr ein seltsames Gefühl hinterließ. Schwankend zwischen Verachtung und der Hoffnung auf Versöhnung. Doch dann lauschte sie wiederum dem steten, gleichmässigen Rauschen des Meeres, den geschäftigen Rufen der Seeleute und dem Kreischen der Möwen vom Hafen her, der vor der Tür des Hauses lag. Eine gänzlich andere Geräuschkulisse, als die der letzten... sie stockte, denn sie war sich selber nicht mehr sicher, wie lange sie im Hospiz zu Falkensee gelegen hatte. Viel hatte sie geschlafen und wenn sie wach war, dann hatte sie nur das Nötigste erledigt, ehe sie erschöpft zurückgefallen war ins Bett. Appetitlos hatte sie dagelegen, sich nur von Tee und Säften ernährt, die ihr vor allem Alassea reichte. Irgendwann hatte man sie in die ehemalige Schule gebracht, dort warm eingepackt und dennoch spürte sie, wie trotz all der Fürsorge ihre Kräfte von Tag zu Tag schwanden. Sie wurde dünner, die Farbe war ihr mehr und mehr aus dem Gesicht gewichen und immer stärker schien der Husten zu werden, so dass sie sich teils vor Schmerzen schon krümmte. An diesem Morgen hatte sie dann die erste Beule am Arm gefühlt. Felis machte sich nichts mehr vor. Es war keine Erkältung. Keine Lungenentzündung. Sie hatte wahrhaftig den Atmenden Tod und mit dieser Erkenntnis überkam sie eine seltsame Ruhe, die nur dann und wann von einer Sorge unterbrochen wurde - sie hatte Quentin noch nicht alles erzählt und noch nicht alles über ihr Leben offenbart. Allein er kannte ihren Geburtsnamen und ihre Herkunft, was schon etwas wert war. Er tat ihr leid. Würde er das verkraften können, wenn sie nicht mehr bei ihm sein könnte? Sie hatten noch nicht genug Zeit miteinander verbracht, noch nicht alles miteinander erleben können, was sie gerne erlebt hätten. Bitter dachte sie an seinen Wunsch zurück - Kinder. Wenn sie gewusst hätte, wie endlich das Leben auf einmal sein könnte... Und doch hatte das Abweisen dieses Wunsches einst, als er ihn äußerte, auch gerade mit der Endlichkeit des Lebens zu tun. Linya. Auch an dieses kleine Wesen, was nur so kurze Zeit lebte, musste sie zurückdenken, doch wollte sie den Gedanken wieder fortwischen, spürte sie in diesem Moment doch immer einen Schmerz im Herzen, der so tief ging, dass es schien, keine Heilung konnte ihn erreichen. Kein Lachen, kein Scherzen, keine Feste, keine Liebe, keine Freundschaft, keine Heimat konnten diesen Schmerz lindern, sondern blieben nur eine schöne Fassade, hinter der stille Trauer versteckt ruhte. Mit dem Gedanken an ihre kleine Tochter, die nur zu kurz Tares Licht erblickt hatte, ehe Vitama sie unter ihre ewige Obhut nahm, kehrten ihre Gedanken auch zurück zu deren Vater. Es war ein Stich im Herzen, als sie ihn erblickt hatte und er war nicht einmal allein. Sie dachte an Alasseas Worte zurück und am liebsten hätte sie diese sogar hinüber gerufen, doch sie war zu schwach und letztlich war es nicht mal sicher, ob es wirklich Heilung gab. Vielleicht würde er sterben, vielleicht würde sie, Felis, ebenso sterben. Warum dann noch für einen Keil sorgen? Frieden. Das war es, wonach sie sich nun mehr denn je sehnte. Frieden, Ruhe, einfach nur daliegen und warten. Vielleicht würde sie sogar noch Alassea all das erzählen, was sie Quentin erzählen wollte und sie bitten, es ihm zu sagen, sollte... Nein, nein. Sie wollte nicht sterben und sie hatte doch mit Vitama eine Abmachung. Blinzelnd schlug sie ihre Augen auf, ließ den Blick an den dunklen Balken der Decke entlangwandern und ein Gedanke reifte tief in ihr. Vielleicht... lass mir etwas Zeit, Liebliche. Aber denkbar wäre es, aye. Ein flüchtiges, müdes Lächeln huschte über ihre erschöpften, blassen Züge und während sie so noch für sie beruhigende, stumme Zwiesprache hielt, schlief sie allmählich ein, nur unterbrochen immer wieder vom schweren Husten, der ihren Körper schüttelte.
_________________ Q: I've always tried to teach you two things. First, never let them see you bleed. James Bond: And the second? Q: Always have an escape plan.
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