Siebenwindhomepage   Siebenwindforen  
Aktuelle Zeit: 29.06.25, 13:40

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 17 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Willkommen auf Siebenwind. Es regnet. Bist du tot?
BeitragVerfasst: 5.10.09, 14:53 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Für die Möwen gab es wenig Grund zur Klage.

Dass der Wind im Laufe der Herrschaft Bellums an Schärfe gewonnen hatte, störte sie nicht, ganz im Gegenteil: Immer wieder trieben die in dieser Weise aufgebauschten und mit Schaumkronen versehenen Wellen interessante Dinge an den steinigen Strand. Oft taugten die seltsamen Fundstücke für kaum mehr als der Befriedigung von Neugier, wenn nach einigen Schnabelhieben festgestellt wurde, dass der Griff eines abgebrochenen Messers oder ein um eine Planke gewickeltes Segeltuch nicht geeignet waren den stets hungrigen Magen zu füllen. Die in harte Panzer gehüllten Krebse waren ebenfalls eine undankbare Beute, aber immer noch verträglicher als die bedrohlich mit den Zangen klappernden Krabben, die allzu bald in das Meer zurückwanderte.

Auch heute hatte das Meer einen Schatz freigegeben, lockte die Möwen mit einer Verlockung ganz besonderer Art: Was die Wellen da an den Strand gespült hatten, war ein Mensch. Und Menschen, das wußten zumindest die älteren dieser erfahrenen Strandräuber, waren ein verschlagenes und hinterlistiges Volk. Beinahe, nun, tatsächlich beinahe so gut wie die Möwen selbst.

Was als Entdeckung eines Einzelnen begonnen und durch einen erfreuten Schrei leichtsinnigerweise verraten worden war, zog nun einen ganzen Schwarm nach sich: Mehr und mehr der weissbefederten Seevögel mit der feinen Grauzeichnung auf den Schwingen und dem roten Schnabel beäugten sich nun gegenseitig misstrauisch ohne dabei die reglose Menschengestalt mehr als einen Moment aus den Augen zu lassen, was insgesamt ein durchaus ergötzliches Schauspiel bot: Das erregte Hin- und Hernicken all dieser Strand, Sturm, Raub- und Gischtmöwen erinnerte an eine erhitzte Debatte, bei der jede der ungezählten Parteien darauf hoffte den richtigen Moment nur nicht zu verpassen. Ein noch nicht ganz ausgefärbter Zweijähriger war es schliesslich, der mit einem heiseren Ruf für abruptes Innehalten sorgte und dann von der erhöhten Beobachtungsposition herab auf den Strand hüpfte. In Sand hätten die vorsichtigen Schritte die Gestalt einer Schlange geformt: Immer wieder trippelte der Jüngling vor, um dann, überrascht von der eigenen Courage den zumindest zeitweiligen Rückzug anzutreten. Die Zuschauer übten sich derweil in Geduld, nur hier und da wurden Flügel gestreckt um bereit zu sein, wenn der großen Augenblick nahte.

Da der reglose Zweibeiner keine Anstalten machten sich zu erheben, hüpfte die junge Sturmmöwe näher, inspizierte dieses unverhoffte Geschenk und riskierte gleichzeitig einen raschen Blick in Richtung des hungrig wartenden Schwarms. Die Wahrscheinlichkeit mehr als einen guten Happen zu erwischen war angesichts der dort versammelten und schlagbereiten Streitkraft mehr als gering, aber diese Gewissheit trübte die Entschlossenheit des Rotschnabels nicht im Geringste.

Keine der erfahreneren Möwen hätte sich verleiten lassen ähnlich sorglos auf den Rücken des Menschen zu hüpfen, wie der dieser verachtenswerte Halbwüchsige nun tat, denn zuviele von ihnen hatten bereits erfahren, dass die offenbarte Verletzlichkeit reine Täuschung sein konnte.

Fressen oder gefressen werden - davon konnten diese Strandräuber wahrlich ein heiseres Lied singen. Und jetzt war der entscheidende Moment ganz nah.

Der Zweijährige beäugte seine gierigen Artgenossen und taxierte dann die leicht nachgiebige Beute unter den Krallen: Gelbes, wild zerzaustes Fell wuchs auf dem Kopf dieses Menschen, die unbedeckten Hautstellen waren von getrocknetem Salz überzogen. Der auf die Seite gedrehte Kopf offenbarte ebenfalls salzverkrustete Lippen und geschlossene Augen, in deren Richtung der rote Schnabel nun eilig hackte.

Tatsächlich war es wohl diese Hast, die dazu führte, dass der ausgewählte Leckerbissen im ersten Anlauf verfehlt wurde, stattdessen kratzte der Schnabel vom Knochen abgleitend über den äußersten Rand der Augenhöhle und zertrennte, die Haut aufreissend, eine der Augenbrauen. Und dann bewegte der Mensch sich plötzlich.

Der entrüstete Aufschrei des gesamten Möwenschwarms kündete von der Natur dieses infamen Verrates, aber in all den gellenden Vorwürfen fand sich auch ein Gutteil Spott für den voreifrigen Jüngling.

Auf dem Strand regte das angeschwemmte Häufchen Mensch sich ein weiteres Mal, fügte dem ersten guturales Stöhnen ein helles Wimmern hinzu. Aus dem Schlaf gerissen zu werden - da wird der geneigte Leser sicherlich zustimmen - ist schon dann nicht angenehm, wenn es nur durch das Wegziehen der Decke geschieht. Das Attentat eines auf das Auge zielenden Schnabels konnte gleich den ganzen Tag verderben.

Während nun also dickes, von zu viel ohne Trinkwasser verbrachter Zeit kündendes Blut über das Gesicht herabrann und das linke Auge verklebte, rappelte der Mensch sich mühsam mit der schwerfälligen Langsamheit eines Trunkenen auf, der einen Schmerz wohl wahrnimmt, sich aber dessen Ursprung nicht erklären kann. Wäre noch eine der erfahreneren Möwen zurückgeblieben, hätte sie nun anhand bestimmter Merkmale erkennen können, dass es sich hier um ein Weibchen handelte, aber der einzig zurückgebliebene Strandräuber stand selbst dem vorwitzigen Zweijährigen an Erfahrung noch nach und starrte darum nur hungrig im stummen Hoffen, dass dieses hübsche Festmahl vielleicht doch noch die Glieder strecken würde.

Dazu sollte es dann doch nicht kommen.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Jeder Anfang ist auch ein Ende
BeitragVerfasst: 7.10.09, 22:12 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Einem just in diesem Moment den Strand betretenden Wanderer hätte sich ein gar nicht so ungewöhnliches Bild geboten: Noch immer trieb der Wind die Wellen vor sich her und den mit rundgeschliffenen Kieseln übersähten leichten Hang hinauf. Aus der Art dieses beharrlichen Anrennens gegen die Gefilde der Insel könnte er mit genügend Wissen dann auf einen Sturm, irgendwo weiter draussen und wahrscheinlich schon seit Stunden Geschichte schließen, aber dafür gab es auch offensichtlichere Hinweise.

Eine abgebrochene Planke beispielsweise, die es fast drei Schritt weit auf den steinigen Untergrund geschafft hatte und dort zu trocknen begonnen hatte, oder auch ein ganzer Ballen ruinierter Seide, die es irgendwie bis hierher geschafft hatte. Und dann war da natürlich die Frau.

War man bereit war über die ungesunde Färbung der Haut, die zerzausten Haare, das dickflüssig über das eingefallene Gesicht strömende Blut und die unmöglich zerzauste Frisur hinwegzusehen, dann hätte man trotzdem noch keine Märchenprinzessin entdeckt, sondern bestenfalls eines dieser Mädchen, die in den Städten zu Hunderten aufwachsen und doch niemals besondere Aufmerksamkeit erregen. Gewiss, manche von ihnen erobern das Herz nicht weniger durchschnittlicher Burschen, die Umstände wiesen in diesem Fall jedoch strikt darauf hin, dass das offenbare Schicksal als einsame Schiffsbrüchige nichts Gutes für allfällige Bindungen erahnen ließ.

Die in einiger Entfernung hockende junge Möwe hatte sich zwar verliebt, indes: Ihre Wahl war gewissermaßen anspruchslos und die Zuneigung ging stets von der Prämisse eines gut gefüllten Magens aus. Der nun einsetzende Regen störte den Vogel nicht - er konnte nicht ahnen, dass das vom Himmel rinnende Wasser die noch balancierende Waage endgültig in eine der Richtungen ausschlagen ließ.

Tatsächlich war die mitgenommene Blonde zu diesem Zeitpunkt bereits dem Verdursten nahe und in Folge dessen zu keinem klaren Gedanken befähigt. Der Schmerz überanstrengter Muskel rebellierte unter der Oberfläche, ohne sich gegen das viel vordergründige Problem der gänzlichen Ausgelaugtheit behaupten zu können. Unter anderen Umständen hätte das durchaus für eine amüsante Anekdote getaugt, erzählt am besten in einem gemütlichen Armsessel vor einem bollerndem Kamin, mit einem Glas Wein in der Hand und einer ganzen Anzahl kurzweiliger Freunde an der Seite: Zu verdursten, nachdem man vorher dem Ertrinken so nahe gewesen war. Wie ironisch! Welch durchtriebenes Spiel Xans, deren Geschenk sowohl für Fluch als auch Segen taugte!

In diesem Fall jedoch beschränkte sich die Eloquenz auf Ächzen und Würgen, während die ersten zarten Tropfen nach wenigen Momenten in einen regelrechten Platzregen übergingen. Binnen weniger Herzschlage war die Salzkruste von der Haut gespült, verdeutlichte das damit gesiegelte Urteil, das zumindest dieses Mal noch lautete: Lebe!

Pure, kreatürliche Erleichterung bestimmte das nächste halbe Wassermaß, reduzierte den göttlich geheissenen Funken der strebsamen Seele auf rein körperliche Aspekte: Atmen. Schmecken. Hören. Fühlen.

Erst danach bahnte die Erinnerung an die zu diesem Moment führenden Ereignisse sich einen Weg in das Bewußtsein und erschütterte die matte Zufriedenheit. Während der Regen weniger und weniger wurde, um tröpfelnd schliesslich gänzlich zu versiegen, öffneten sich die frisch gefüllten Tränenschleusen und beweinten die Zurückgelassenen, all jene, die gemeinsam mit der "Stolz von Kalamudus" nun der nachtblauen Herrin dienten.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Vom aufrechten Kampfe
BeitragVerfasst: 8.10.09, 21:55 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Erst als die Dunkelheit des nächsten Zyklus wich, gelang es der jungen Frau schliesslich sich aufzuraffen. Für den Augenblick zumindest sollte der Ballast der Vergangenheit zurückbleiben, denn längst schon fraßen ganz andere Nöte an der zuvor überwältigend präsenten Trauer - und das geradezu wörtlich.

Was als einfaches Magenknurren begonnen hatte, war mittlerweile einem schmerzhaften Hunger gewichen und obsiegte letztlich gegen die lähmende Trübseligkeit. Dafür, so mahnte der rumorende Bauch, war später immernoch Zeit.
Dass es daneben nicht mehr zu beklagen gab, musste in erster Linie daran liegen, dass Ventus einen Pakt mit Ignis geschlossen hatte: Die Wärme der vergangenen Monde war zurückgekehrt, Felas gleissendes Strahlen leckte die verbliebene Feuchtigkeit des Regens auf und vertrieb die klamme Kälte aus den Gliedern der Blonden.

Hunger.

Die Untersuchung des wenigen angespülten Strandgutes war ebenso rasch beendet wie begonnen: Weder die geborstene Planke noch der Ballen verdorbener Seide waren geeignet den Magen zu füllen und die immer wieder argwöhnische Kreise drehenden Möwen waren zu schlau, um sich in die Reichweite der unbewehrten Hände zu begeben. Das Meer selbst, von Seemannsgarn spinnenden Fischern gern als der große Ernährer gepriesen, gab sich karg und beschränkte das Angebot auf salziges Wasser und eilig davonhuschende Fischlein um dann wie als Hohn eine dicke Krabbe voranzuschicken.

Die Rettung, so pries die junge Frau in einem Anflug törichter Dankbarkeit diese vermeintliche Gabe Xans, nur um festzustellen, dass die vorsichtigen Annäherungsversuche nicht sonderlich erfolgreich waren. Gewiss hatte sie schon mehr als einmal mit den bewaffneten Panzertieren zu tun gehabt, allerdings waren diese Auseinandersetzungen in einer Küche erfolgt, wo der bereitstehende Kochtopf ebenso wie dicke Handschuhe für eine einseitige Verschiebung der Machtverhältnisse gesorgt hatten. Hier, am steinchenübersähten Strand, sah der Kampf sehr viel ausgewogener aus.

Die Möwen, von Natur aus zu neugierig, um sich lange mit altem Groll aufzuhalten, kehrten Stück für Stück zurück, um das sich darbietende Schauspiel zu bewundern: Flüche, Bitten und zaghafte Belehrungen quollen in einem fort aus dem Mund der Menschin, während sie hüpfend und trippelnd wie ein Kranich versuchte der bedrohlich mit den Scheren klappernden Krabbe den Weg zum Meer abzuschneiden und ihr dabei noch habhaft zu werden. Wo zumindest der erste Teil durchaus von Erfolg gekrönt war, konnte die versammelten Strandräuber erstaunt beäugen, wie die vorsichtig ausgestreckten Hände ein jedes Mal eilig zurückgezogen wurden, sobald auch nur die geringste Chance einer Kollision mit den Kneifern bestand.

Dieses Spiel zog sich ein ganzes Weilchen hin, bis das Blatt sich unerwartet wendete. Die offenbar entnervte Krabbe schlug den direkten Rückweg zum nahen Meer ein, ohne der Menschin noch weitere Aufmerksamkeit zu schenken und so gelang es dieser beherzt zuzugreifen und die Beute mit einem Jubelschrei in die Höhe zu strecken.

Die Ernüchterung folgte rasch: Zwar konnten die klappernden Scheren nun problemlos auf Abstand gehalten werden, aber der schrundige Panzer sah hart genug aus, um ein Messer in eine Existenzkrise stürzen zu können. Nicht, dass irgendeine Klinge zur Verfügung gestanden hätte. Vielleicht wurde die Blonde sich erst jetzt zum ersten Mal bewußt, welchen Anblick sie bieten mußte: Salz und Meerwasser hatten das einfache Hemd, ähnlich mitgenommen wie die Hose, die Schuhe waren in den Tiefen des Meeres verschollen und an so herausragende Errungenschaften der Zivilisation wie einen Hut, Handschuhe oder gar einen Mantel war nicht zu denken. Selbst eine armselige Tempelmaus war noch besser dran - selbst dann, wenn sie keine verärgert zappelnde Krabbe ihr Eigen nennen konnte.

Möglicherweise hätte die junge Frau noch ein Weilchen mit sich und ihrem Schicksal gehadert, aber eine Bewegung fing die Aufmerksamkeit ein und machte all das unwichtig: Ein gutes Stück entfernt war ein kleines Fischerboot hinter einer Landbiegung hervorgekommen.

Enttäuscht ließen die Möwen den Schauplatz des Geschehens zurück, als die Menschin in Trab fiel und die Krabbe dabei mitnahm. Einige von ihnen kehrten zum offenen Meer zurück, um dort Ausschau nach vorwitzig der Oberfläche zu nahe kommenden Fischen zu halten, andere folgten dem Verlauf des Strandes und flogen der Eilenden voraus bis sie die festen Mauern der nahen Siedlung überflogen.

Dass die Menschen diese Stadt "Brandenstein" genannt hatten, hätte den Möwen nicht gleichgültiger sein können.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Brandensteiner Bekanntschaften
BeitragVerfasst: 9.10.09, 16:57 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Vier Monde. Einhundertsiebenundzwanzig Tage seit der Ankunft auf dieser Insel. Jeron war nicht zufrieden, auch wenn er sich einiges darauf einbildete ohne besondere Mühe soweit zählen zu können, denn tatsächlich markierte diese große Zahl nur die immer größer werdende Last des Scheiterns. Das vom Festland kommende Schiff hatte an einem sonnigen Tag in Falkensee angelegt und damals war es in Jerons Herz noch warm gewesen: Fela strahlte, die Menschen lächelten und die ganze Insel Siebenwind erschien voller Verheissung. Zurückblickend war das auch der beste Tag gewesen.

Der auf den Straßen umgehende Atmende Tod verdarb die Geschäfte, machte die Menschen misstrauisch und zurückhaltend. Die ohnehin kümmerlichen Ersparnisse schmolzen dahin. Die Mahnungen der längst verblichenen Mutter höhnten aus der Erinnerung, keiften einmal mehr die allzu vertrauten Vorwürfe: Hättest du etwas ordentliches gelernt, Junge! Hättest du nur etwas ordentliches gelernt!

Als der Orden der Elementardiener Falkensee verließ, folgte Jeron diesem Zug, nur zu bereit Falkensee zurückzulassen und in Brandenstein ganz neu anzufangen, aber auch hier war ihm das Glück bis dato nicht Hold gewesen. Immerhin: Er hatte in der notdürftigen Unterkunft für Besitzlose ein Dach über dem Kopf gefunden und ein stabiles Bett, das er nun jeden Abend aufs Neue mit einer Kerbe verzierte.

Einhunderachtundzwanzig.

"Ist das Bett hier noch frei, Herr?"

Die Wolke düsterer Gedanken zerstob beim Klang der hellen Stimme, brachte Jeron dazu abrupt aufzufahren und die Fragerin anzustarren. Zu grimmig, wie ihm nach einem Augenblick bewußt wurde, als die junge Frau einen Schritt zurückwich.

Was mußte sie sehen? Einen Mann in jenem schwer zu bestimmenden Alter zwischen Dreissig und Vierzig, offenbar seit einigen Tagen nicht mehr rasiert und mit abgetragenen, aber halbwegs sauberen Sachen, der gerade eben noch voll angekleidet auf dem Bett gedöst hatte und sich nun in einer Grimasse versuchte. Umgedreht, machte Jeron sich bewußt, lag die Sache nicht so viel anders: Die noch feuchten schulterlangen blonden Haare kündeten zwar von einem Bad, waren seitdem aber noch nicht in Kontakt mit Kamm oder Bürste gekommen, eine frische Schramme über dem rechten Auge zerteilte die Braue. Dass die junge Frau ein ganzes Bündel offenbar gebrauchter Kleidung vor der Brust umklammert hielt, konnte nicht verleugnen, dass Hemd, Hose und Mantel die Gestalt regelrecht umschlotterten.

'Ein einziger beherzer Griff ...'

Ein weiterer eiliger Schritt nach hinten ergänzte die bereits in die Wege geleitete Flucht und mühsam zwang Jeron seine Züge in die Maske freundlicher Zurückhaltung. Was gerade eben noch düstere Grübelei gewesen war, verwandelte sich bereits in gutgelaunte Erwartung.

"He ... keine Sorge, ich tue dir nichts. Und sicher, das Bett hier drüben ist noch frei. Ich denke voll wird es hier erst, wenn das Wetter schlechter wird und Morsans Frost nicht mehr weit ist. Also, setz dich hin und erzähl mir, wo du herkommst."

Eigentlich, das war ihm bewußt, noch bevor der Satz völlig verklungen war, konnte das gar nicht funktionieren, aber die Blonde neigte tatsächlich erst das Haupt und nahm dann wie geheissen auf der freien Lagerstatt Platz. Fassungslos über das ihm plötzlich zuteil werdende Glück lauschte Jeron der abgedroschenen Erzählung von der missglückten Schiffsreise mit nur teilweise Aufmerksamkeit, beschränkte sich darauf an den richtigen Stellen zu nicken, zu seufzen und betroffen dreinzusehen, bis die immer deutlicher in den Vordergrund tretende Müdigkeit der Erzählerin schliesslich übermächtig wurde und den kruden Bericht unterbrach. Dass irgendjemand die Kleine mit Wein abgefüllt hatte, trug gewiss das Seine dazu bei, dass sie schon schlief, bevor der Kopf richtig auf dem strohgefüllten Kissen zur Ruhe gekommen war.

Und damit hatte das Dilemma sich huldvoll vor dem überhaupt nicht mehr schläfrigen Mann ausgebreitet: Kurzfristiges Vergnügen auf der einen, die Chance auf eine Wiederholung auf der anderen Seite. Dazu kam natürlich die nicht so abwegige Möglichkeit einer Störung durch einen anderen Besitzlosen, der den Weg in diesen Keller der Barmherzigkeit fand.

'Richtig im Kopf ist die eh nicht. Stellt das Bett in die Mitte des Raums. Als würde das gegen die Spinnen helfen.'

Es dauerte beinahe einen Viertel Zyklus, bis Jeron sich endgültig entschloss die Blonde diesmal noch schlafen zu lassen. So blieben jene Träume, die sich um die Ereignisse des Abends drehten, erst einmal ungestört.

Im Großen und Ganzen konnte man diesen Traumbildern weitreichende Genauigkeit zusprechen.

Nun, vielleicht waren die blutig klappernden Scheren der Krabbe etwas größer als tatsächlich und möglicherweise hatte sie während ihrer Flucht auch weder gezischt noch in bestem Endophalidialekt geflucht, aber davon abgesehen waren die Details gar nicht so schlecht getroffen: Brand Windflüsterer sah noch immer aus wie Jemand, dem man keineswegs die Familienkutsche für eine Ausfahrt mit der Tochter anvertrauen mochte. Und Erin, deren Nachnamen die Traumgestalt einer dicken Wolke besaß, trug noch immer einen Rock, der eben besagter Tochter einen mehrwöchigen Hausarrest eingebracht hätte.

Ganz ab von diesen unbedeutenden Kleinigkeiten also, bequemte die Traumlogik sich der durch die Wirklichkeit vorgezeichneten Pfaden zu folgen: Das erste Stolpern auf den Markt, das Getuschel und die teils mitleidigen, teils ablehnenden Blicke angesichts der eigenen mehr als abgerissenen Erscheinung als düsteres, von bedrohlichen Untertönen begleitetes Intro, das durch die Flucht der Krabbe abgeschlossen wurde.

Das anschließende Gespräch mit Erin, die Darreichung des Essens und die Rückkehr Brands mitsamt einem ganzen Stapel alter Kleider - die mehr aus Mottenkugeln, denn aus Stoff zu bestehen schienen - als heiteres Zwischenspiel, das die angedeutete Bedrohung aus der Aufmerksamkeit der Zuschauer entrückte.

Und dann der dritte Akt im Badehaus.

Bis zu diesem Moment war der Schlaf der jungen Frau noch weitgehend ruhig gewesen, jetzt aber rollten die Augen wild unter den geschlossenen Lidern und das unablässig lauter werdende keuchende Schnaufen weckte schliesslich Jeron aus seinem Schlummer.

Während sich das Traumwasser drohend aufrichtete, um die Blonde voll und ganz zu verschlingen, begann der Erwachte seine Güte erst zu bereuen und packte schliesslich die Schulter des Mädchens.

"Wach auf! Du schreist ja noch die gesamte Nachbarschaft zusammen!"

Die Traumlandschaft zerbrach, der düstere Riesentintenfisch, der aus den unendlichen Tiefen des Badebeckens gekommen war, um den entflohenen Tribut für seine Herrin einzufordern, löste sich in verwehendes Wirrwarr aus, aus dem sich schliesslich die zerknittert anmutenden Züge Jerons formten.

Erleichterung.

Ein Weilchen stand der bislang vom Pech verfolgte Glücksritter einfach nur da, ließ zu, dass die Verrückte die Arme um ihn geschlungen und den Kopf an seine Schulter gepresst hielt. Irgendwann wurde das Pochen des heftig schlagenden fremden Herzens schwach genug, um sich nicht länger durch die Glieder fortzupflanzen und als Ada schliesslich ins Bett zurückkehrte, spürte Jeron das erste Mal seit langer Zeit etwas wie Rührung.

Rührung.. und die wohltuende Gewissheit, sich den vorgenommenen Spass nun wirklich verdient zu haben. Nicht, dass das letztlich eine Rolle spielen würde.

Die nächsten beiden Zyklen schlief die Blonde traumlos, unterschlug darin die Begegnung mit der kleinen Heilerin, deren robuste Zuversicht den Abend eigentlich erst zu einem guten Ausklang gebracht hatte. Nun - wie man weiss: Bescheidenheit wird selten gelobt. Nicht einmal in den Träumen.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Feuer und Flamme
BeitragVerfasst: 10.10.09, 19:13 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Einhundertneunundzwanzig.

Die Kerbe anzubringen verbesserte die Laune Jerons nicht im Geringsten: Die über den gesamten gestrigen Tag gesammelten Hoffnungen waren unerfüllt geblieben: Die Kleine hatte ihren Schlafplatz nicht erneut in Anspruch genommen, auch wenn die auf der Bettstatt liegenden Sachen klar und deutlich versicherten, dass sie Brandenstein nicht etwa verlassen hatte. Das konnte nur bedeuten, dass sie irgendwo anders übernachtete - und die Vorstellung, dass es sich bei diesem "irgendwo", um das Bett eines reichen Städters handelte, trieb erzürnte Hitze in das Antlitz des Mannes.

Hatte er sie nicht zuerst gesehen? War er nicht nett gewesen?

Wie ein hungriger Wolf strich Jeron in dem kleinen, für die Ärmsten der Armen gedachten Raum hin und her, bis er sich schliesslich zähneknirschend in sein Schicksal fügte und in einen unruhigen, von ungerichteten Rachegelüsten ausgefüllten Schlummer sank.

Einhundertdreissig.

Während Helligkeit und Dunkelheit einander regelmäßig abwechselten, durchwanderte der Mann die kleine Stadt, lauschte auf das Getratsche der Leute, beobachtete die laufenden Vorbereitungen zur Endtagsfeier Vitamas und ergatterte sogar einen kleinen Krug sauren Weins - aber von der Blonden sah er nichts. Natürlich war ganz Brandenstein mit besser aussehendem Weibsvolk angefüllt, aber weder pralle Busen noch wackelnde Hinterteile, die sich nur notdürftig unter skandalös kurzen Röcken verbargen, vertrieben die düstere Wolke grimmiger Entschlossenheit aus dem Sinn des Herumstreifenden.

Vielleicht, sinnierte Jeron auf dem Rückweg zur Unterkunft der Obdachlosen, hatte sich ein skrupelloser Ork über die Blonde hergemacht und ihr die Kehle bis zu den Ohren aufgeschlitzt, um die geschändete Leiche anschließend ins Meer zu werfen, wo die Fische sich an den Resten gütlich tun würden. Die Vorstellung verbesserte die getrübte Laune nur um eine Winzigkeit - und dann stand er der Gesuchten plötzlich leibhaftig gegenüber.

Ihr .. und der Freundin, die sie mitgebracht hatte.

Dass die liegengebliebenen Sachen gerade zusammengepackt wurden, hätte Jeron nicht gleichgültiger sein können. Auch der helle, ihm zugedachte Gruß von Seiten der Blonden blieb ohne Antwort, während er die zweite Frau anstarrte: Kaum einen Spann lange Haare betonten die Formen des Gesichtes, ganz gegenteilig dazu verhüllte die lange rote Robe die Körperformen beinahe vollständig. Was auf den ersten Blick wie eine Fortsetzung des Stoffes schien, offenbarte sich beim zweiten Hinsehen als Handschuhe - und wenn das Antlitz je lieblich gewirkt hatte, dann verging dieser Eindruck als das Gesicht nun abfällig verzogen wurde. Irgendeine scharfe Bemerkung flog an Jeron vorbei, hätte aber ebensogut einer Strohpuppe gelten können, da alles an ihm in neu fixierter Gier brannte.

Die beiden Frauen waren längst gegangen, als er sich schliesslich wieder fasste und einen Schritt auf die Türe zu machte. Das Zeichen auf der Robe war selbst für ihn eindeutig zu identifizieren gewesen und machte klar, dass alle vorherigen Frauengeschichten im Vergleich zu dem hier nicht mehr als laue Luft gewesen waren. Wie grimmig auch immer die Ignisdienerin geschaut hatte: Sie war heiss!

Und er war genau der Richtige, um in dieser Glut zu baden, daran gab es nicht den geringsten Zweifel.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Einsam
BeitragVerfasst: 12.10.09, 13:46 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Binnen Wochenfrist hatte sich das Leben der Magd völlig verändert, war von verhältnismäßiger Geruhsamkeit und klar definierter Sicherheit in etwas verwandelt worden, das wie eine Sturmflut über sie hereingebrochen war. Die dem Schiffsbruch folgenden zwei Tage auf See blieben der Erinnerung auch jetzt noch entrückt, das mit dem Untergang der "Stolz von Kalamudus" endende Begreifen hatte erst mit dem Schnabelhieb einer vorwitzigen Möwe wieder zu leuchten begonnen und wurde seitdem unaufhörlich gefüttert.

Dankwart Veleurin, der ehemalige Geweihte des wandernden Windes und für ein wenig mehr als drei Götterläufe ihr Dienstherr, war der Letzte gewesen, den Ada an Bord des Schiffes gesehen hatte und es war ihr nicht vergönnt gewesen sich von ihm zu verabschieden. Welch seltsames Schicksal hatte dann gefügt, dass die erste lebende Seele, der sie an Land begegnen sollte, ebenfalls ein Geweihter Ventus' war?
Die Unterschiede zwischen jenem Brand Windflüsterer und ihrem vormaligen Herrn hätten kaum augenscheinlicher sein können, wurden durch die Gemeinsamkeiten nur noch bestärkt und beschrieben damit gleichzeitig den Rahmen einer Veränderung, die durch beständig neue Eindrücke vorangetrieben wurde.

Die Tage waren voller Wunder. Die Nacht aber gehörte unverändert der nachtblauen Herrin.

Noralis Marus, der letztlich Anspruch auf Ada als Schülerin erhoben hatte, war in der Lage gewesen die richtigen Schlüsse aus der drängenden Furcht vor dem Griff Xans zu ziehen. Die kurze Konfrontation zweier einander konträr entgegenstehender Wünsche war durch ihn binnen eines Momentes entschieden worden und hatte die Blonde dazu gezwungen sich ihrer Furcht zu stellen. Wasser und Wind, die sich sonst so mühelos harmonisch verbanden um den Ruhm gleich zweier Enhor zu singen, zogen beide auf ihre Weise. Vielleicht war es überhaupt nur der Gegenwart des Ventuspriesters zu verdanken, dass die die Leichtigkeit der Winde sich gegen die rollende Schwere des Meeres durchsetzte und ihr das Verlangte ein weiteres, vielleicht letztes Mal entzog.

Auch jetzt, da diese Ereignisse bereits drei Tage zurücklagen, verstand die ehemalige Magd noch nicht, was genau Meister Marus zu seinem Urteil veranlasst hatte, aber seine Feststellung, dass sie nun dem Herren Ventus dienen sollte, stand für sie ebenso unverbrüchlich wie der später in Gegenwart der anderen Geweihten erhobene Anspruch. Viel mehr an ihren alten Herren erinnerte sie der Mann mit den spitzen Ohren, der bestritt ein Elf zu sein, erst der seiner Schärfe folgende Trost von Seiten der in flammendes Rot gewandeten Ignisnovizin, machte ihr klar, dass sie allein war. Allein, inmitten einer gutgelaunten Runde verschiedenster Naturen.

Die erste Lektion durch Meister Marus am folgenden Tag änderte daran so wenig, wie die Begleitung Ancabeths zur der nur für eine Nacht in Anspruch genommenen Unterkunft in der Obdach der Besitzlosen. All die Wunder und all die Aufregung der vorüberfliehenden Zyklen verblassten schließlich vor dem Schlaf, denn die Träume gehörten unverändert der nachtblauen Herrin.

Ein um das andere Mal streckten sich Fangarme aus der Tiefe, wanden sich um Hand- oder Fußgelenke und zerrten daran, bis Felas Licht eine trübe Erinnerung in der nachtblauen Umarmung der Wogen war. Wenn der Blick sich dann schärfte, sahen sie das aufgerissene Wrack der "Stolz von Kalamudus", bewacht durch den schwerelos schwebenden Mann, der im Leben den Namen Dankwart Veleurin getragen hatte und seine Magd nun aus toten Augen ansah.

Er wartete.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Auf der Jagd
BeitragVerfasst: 14.10.09, 17:01 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Einhundertvierunddreissig.

Dass es kühler geworden war mit jedem vergehenden Zyklus des Tages, hatte Jeron nicht sonderlich gestört. Wenn die Kälte zu hartnäckig in den Gliedern nistete, dann brach er seine Wacht ab, lief bis die Lungen brannten und Hitze durch alle Glieder pulsierte. Das half für eine Weile - und auch die Langeweile der notgedrungen monotonen Warterei machte ihm nicht viel aus. Früher oder später, dessen war er sich gewiss, würde die Auserwählte wieder zum Vorschein kommen und - verfolgt von ihrem wachsamen Schatten - Besorgungen machen, Zeit vertrödeln oder das Haus der Elementardiener aufsuchen. Und solange dies nicht der Fall war, blieb ihm mehr Zeit die bereits seit vielen Stunden geschliffene Klinge noch weiter zu schärfen.

Dass der Dolch alt war, tat seiner Zweckmäßigkeit keinen Abbruch. Wahrscheinlich hatte die Waffe sogar einst einem Ritter gehört, denn das Metall war von jener ausgezeichneten Qualität, die das ausdauernde Schleifen nicht übel nahm. Um diese Güte zu erkennen brauchte man freilich einen scharfen Blick, denn das Griffstück war bereits vollständig abgewetzt und notdürftig mit einigen dünnen Lederstreifen befestigt, da von der ursprünglichen Nietung nicht mehr viel übrig war.

'Verborgene Qualitäten. Genau wie bei mir.'

Überhaupt in den Besitz dieser Waffe zu gelangen war ein unwahrscheinlicher Zufall gewesen und hatte das für Siebenwind bestimmte Glück gleich am ersten Abend nach der Ankunft aufgebraucht, aber seitdem hatte die zuverlässige Klinge Jeron treu begleitet. Und nun schliff er ausdauernd weiter und weiter, auch nachdem die geringste Spur von Rost dem blanken Glanz erwartungsvollen Hungers gewichen war.

'Bald.'

Jeron hätte gar nicht beschreiben können worauf genau sein Verlangen sich ausrichtete, die drängende Gier beschränkte sich auf eine diffuse Wolke, aus der immer wieder das in Blut getauchte Gesicht der Ignisdienerin mit dem halblangen Haar herausragte. Er mußte sie haben.

Aber nun war zur Kühle auch noch Nässe gekommen und kroch langsam aber sicher unter die Kleidung, trieb die ohnehin beständig zwischen heller erwartungsvoller Freude und brütendem Zorn schwankende Laune des Mannes endgültig in den Keller. Der zäh umkämpfte Entschluss die Verfolgung für den Moment aufzugeben war gerade erst zu Gunsten der Bequemlichkeit einer trockenen Unterkunft gefallen, als sie zum Vorschein kam.

Sie.

Auch heute bedeckte die rote Robe den Körper und die Finger waren unter Handschuhen verborgen, schwangen bei jedem Schritt eifrig. Jeron hatte Mühe sich dem Tempo der jungen Frau anzupassen - offenbar behagte ihr der auf die Pflastersteine herabprasselnde Regen ebenso wenig wie ihm. Finger tasteten nach dem umwickelten Griff des Dolches.

'Jetzt bist du dran. Dirne! Mich mit diesem Kerl zu betrügen!'

Dass die Straßen nicht leer waren, kümmerte Jeron nicht, aber dem Vorwärtsstreben seiner sich beschleunigenden Schritte machte die Eile eines ebenfalls der Nässe zu entfliehend trachtenden Mannes ein abruptes Ende. Die bereits bereitgehaltene Klinge schnitt schmerzhaft in die Handfläche Jerons, als der Ellebogen des Anderen ihn zur Seite stieß. Was für ein Stier! Aus dem Gleichgewicht gebracht durch die eigentlich nur beiläufige Kollision schwankte er zurück, starrte in kochender Wut dem ungerührt Weitereilenden nach.

Und dann war es zu spät.
Das kurze Intermezzo hatte der mittlerweile tropfnassen Ignisdienerin schon gereicht um die Priorei der Ecclesia Elementorum zu erreichen, gerade eben schlüpfte sie durch die Pforte herein. Einige rasche Schritte noch, dann verschwand sie unter dem schützenden Dach, ließ Jeron in bitterer Ohnmacht zurück. Erst ein einziges Mal hatte er wartend ausgeharrt und da war das Ziel erst einige Zyklen später frisch ausgeschlafen wieder aufgetaucht, der strömende Regen dämpfte die Wahrscheinlichkeit, dass es diesmal anders sein würde. Dennoch vermochte er sich nicht loszureissen.

Das aus dem Schnitt tropfende Blut war schon längst fortgewaschen worden, als die Geduld des Mannes schliesslich belohnt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die klamme Kälte bereits bis zum Herzen vorgedrungen, hatte die Lippen sich bläulich verfärben lassen und die Fingerkuppen schrumpelig durch die allgegenwärtige Feuchtigkeit gemacht. Was zuerst an Erregung gekocht hatte, war kleiner und kleiner geworden, bis letztlich nur Verbissenheit geblieben war. Und Entschlossenheit.

-----

Ein Aufschrei drang aus dem Gebäude voraus, zu unartikuliert um gedämpft durch die Mauern noch verständlich zu sein, auch wenn Jeron meinte einen Befehl herauszuhören - aber das war es auch nicht, was die Gedanken dann band: Auf den ebenfalls von Nässe überschwemmten Balkon des ersten Stockwerkes, war die kleine Blonde herausgetreten, jene verpasste Möglichkeit, die durch Geduld und Freundlichkeit zunichte gemacht worden war.

Ada, flüsterte die Erinnerung den Namen zu und beobachtete dabei mit zunehmender Verblüffung wie die junge Frau sich daran machte vom Balkon herabzuklettern. Dass es noch immer wie in Strömen goss und jeder Halt auf dem glattgeschmirgeltenm Holz bestenfalls Glückssache sein mußte, schien sie ebensowenig zu beeindrucken, wie das Fehlen jeder wetterfesten Kleidung: Noch bevor die Füße schliesslich den festen Erdboden berührten, klebte der Stoff schwer am Körper. Und dann sah Jeron die Furcht.

In einem anderen Leben, damals, bevor Siebenwind ihn gelockt hatte, war er in der Lage gewesen ohne besondere Mühe in den Gesichtern seiner Mitmenschen zu lesen. Ob verborgene Ablehnung, Schmeichelei, der Wille zur Lüge oder naives Vertrauen - ganz wie ein geübter Jäger hatte Jeron die Spuren finden und nachverfolgen können. Seit diesem ersten Abend auf der Insel schien diese Fähigkeit erloschen sein sein, erstickt wie ein zartes Flämmchen unter der erstickenden Decke der Nacht, aber in diesem Augenblick, da die blassen Züge der Blonden in seine Richtung schwenkten, spürte er eine schwache Ahnung von Erkenntnis, ganz wie damals.

Ohne Zweifel war sie auf der Flucht vor etwas, aber der Wunsch einer ihm unbekannten Konfrontation auszuweichen, verblasste hier im Regen, kämpfte mit einem Schrecken, der direkt aus dem fallenden Nass resultierte. Als die Magd sich dennoch in Bewegung setzte und die begonnene Flucht fortsetzte, spürte Jeron, wie sein lähmend träger Herzschlag sich beschleunigte. Sie war eigentlich nicht, was er haben wollte - aber die eilende Hast der Flüchtenden rief alle Jagdinstinkte dazu ihr nachzusetzen.

Die Finger suchten den Griff des Messers, während der Blick abschätzend die Fenster des Gebäudes absuchte. Was auch immer seine Liebste dort tat: Es würde gewiss wieder bis zum nächsten Morgen dauern. Und solange konnte er sich auch ein wenig die Zeit vertreiben.

Die Flucht vor dem Zorn Brand Windflüsterers endete in jenem Keller, den die Brandensteiner für die Besitzlosen vorgesehen hatten und der Ada bereits einmal Obdach geboten hatte. Das war erst wenige Tage her, nicht lange genug, als dass sie neben dem langsam abflauenden Schrecken noch Wehmut empfunden hätte. Heute war der Raum nicht leer, quasi gemeinsam mit der triefenden Blonden war ein ganz in Leder gehüllter Mann eingetroffen, der seinen langen Speer nicht ohne Mühe durch den engen Gang mit der niedrigen Decke bugsiert hatte und nun den Schlaf der Gerechten schlief.

Daran war für die Magd nicht zu denken.

Ein halber Zyklus verstrich während die über den Stuhl gehängten Kleider beständig leise in die bereitgestellte Schale tropften, aber dennoch mochte der Schlaf nicht kommen, selbst als die blanke Furcht wich, ließ sie den bitteren Geschmack von Unzulänglichkeit zurück. Die stummen Beschwerden über die Grausamkeit der Welt verliefen sich nach und nach zu eher angemessenen Selbstvorwürfen, aber wenngleich dies das grimme Gewissen erleichterte, versprach die Erkenntnis der alleinigen Schuld doch keinen Trost.

Und doch mußte der kleine Bruder des Todes schliesslich zu ihr gekommen sein, denn der nächste bewußte Gedanke befasste sich mit der über den Mund liegenden Hand, die geradezu überwältigend nach nassem Fell roch und dem um den Leib gelegten Arm, der den ersten Zappelreflex unterband.

"Still, oder ich schneide dir auf der Stelle die Kehle durch!"

Der schwache Widerstand verebbte. Einen Lidschlag später identifizierten die kobaltblauen Augen der so unsanft Geweckten ihren Angreifer.

-----

Jeron war zufrieden.

Den nicht verschlossenen Keller hatte er vor erst fünf Tagen aufgetan und bereits nach allem Nützlichen abgesucht, ohne mehr zu finden als vier alte Münzen, die in einem fleckigen Lederbeutel Grünspan angesetzt hatten. Aber hier war es trocken und die vor die Fenster genagelten Bretter machten klar, dass die Gefahr einer plötzlichen Konfrontation mit dem Besitzer des langsam verfallenden Hauses bei Null lag. Normalerweise hätte ein zweiter Besuch hier nicht gelohnt, aber für das Vorhaben war dieses verlassene Loch genau richtig.

Zu seinen Füßen hockte die hierher verbrachte Magd, geduckt wie ein in die Ecke getriebenes Wildtier und dabei so demütig, wie der niederste Diener vor König Hilgorad persönlich. Es war nicht nötig gewesen sie zu fesseln, selbst den Knebel hatte Jeron sich erspart und bezaubert verfolgt, wie dieses vollkommene Nichts an Gegenwehr jede Bemerkung sofort als Befehl verstand. Sie würde nicht schreien, weil er es ihr verboten hatte - und dieser absurde Gedanke hob die zuvor gedämpfte Laune des Mannes deutlich an. Wie konnte ein Mensch, irgendein Mensch nur so sein?

Darüber hinaus war Jeron zufrieden: Dass die aufgeschnappten Gerüchte nicht der Wahrheit entsprachen hatte die Flamme der eifersüchtigen Mordlust in seinem Herzen auf winzige Glut zusammenschrumpfen lassen und Balsam über den verletzten Stolz gebreitet. Was vorhin noch vergiftete Mordlust gewesen war wich nun, ohne dass er die Verwandlung wirklich bewußt realisiert hätte, lustvoller Begeisterung: Die Angebetete hatte sich als standhaft erwiesen! Nur noch ein kleines Weilchen, dann würde sie ganz von Selbst erkennen, in welche Richtung ihr Herz schlug.

Unter diesen Umständen war Großzügigkeit leicht, ein ohne Mühe dargebrachtes Geschenk.

Erst einen halben Zyklus nachdem die Blonde entlassen worden war, wich das breite Grinsen langsam von den Zügen des Mannes und machte der vorherigen Gespanntheit Platz. Wo hatte er schon wieder die alte Jacke des Fischers abgelegt?


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Zeig mir den Weg
BeitragVerfasst: 16.10.09, 10:42 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Alles war Dunkelheit, erhellt nur durch gemildertes schwaches, von oben her quellendes Licht. Eisige Kälte saugte an den verzweifelt rudernden Gliedern, näherte sich mit jedem der heftigen Herzschläge ein wenig mehr dem Funken des Lebens. Selbst wenn die Zappelnde jemals die Kunst des Schwimmens erlernt hätte, wäre es längst zu spät gewesen zur fernen Oberfläche zurückzukehren, denn das Brennen der lauter und lauter nach Luft verlangenden Lungen war übermächtig genug, um den Schmerz des kalten Wassers gänzlich verblassen zu lassen.

Bald, so ächzte der letzte Hauch bewußten Verstandes in die überwältigende Herrschaft panischen Entsetzens hinein, würde auch sie hier schweben, nur noch bewegt durch das unvorhersehbare Spiel des Wassers - ganz wie der kaum fünf Schritt entfernte Mann, der mit ausgebreiteten Armen den Weg zum aufgerissenen Wrack der "Stolz von Kalamudus" zu versperren schien. Und dessen tote Augen in ungerührter Aufmerksamkeit dem Todeskampf seiner ehemaligen Magd zusahen.

Vor noch nicht einmal zwei Wochen hatte das Schiff noch unversehrt im Hafen von Rothenbucht gelegen, ein stolzer Zweimaster mit einem schiefen Dreieckssegel und jenem typisch erhöht aufgebauten Ruderstand, der kurze Zeit nach der Krönung Hilgorads als besonders fortschrittlich gegolten hatte. Heute befuhren nicht mehr viele dieser damals vom Stapel gelaufenen Segler das Meer und die Wenigsten wagten sich wie die "Stolz von Kalamudus" über die leere Weite herüber nach Siebenwind.

Vor zwei Wochen war die Welt noch so einfach wie überschaubar gewesen und Dankwart Veleurin ein lebendiger Mann voller sich stetig wandelnder Ambitionen. Welche Pläne er aber auch immer für sich und sein Gefolge gehabt haben mochte: Die Intervention der nachtblauen Herrin hatte einen unmissverständlichen Anspruch erhoben und die "Stolz von Kalamudus" mit Mann und Maus zu sich geholt.

Nur ein einziges Leben war dem Urteilsspruch vorübergehend entkommen - aber dieser Fehler stand im Begriff korrigiert zu werden.

Nachgeben.

Kaltes salziges Wasser füllte die Lungen als der Widerstand endlich erlahmte, löste nicht einmal mehr einen Würgereiz aus. Nun endlich still schwebte die Ertrinkende ihrem ehemaligen Herren gegenüber.

Sich öffnende Lippen sprengten das Lächeln der toten Lippen, als er zu sprechen begann.

Sengender Schmerz.

-----

Das in fliegender Hast eilende Herz hämmerte schmerzhaft genug gegen die Rippen, um jeden Atemzug zur Qual werden zu lassen, aber immerhin gab es Luft - köstliche, wunderbare Luft, die Ada voller Gier einsaugte. Die Erleichterung darüber zu leben, verdrängte den hellen Schmerz zunächst, erst nach und nach realisierte die ehemalige Magd, dass sie während des Schlafes aus dem Bett gerollt sein mußte - beim Sturz war der Arm unter dem Körper begraben worden und beklagte sich nun mit dumpf pulsendem Schmerz.

Schmerz - das Privileg der Lebenden.

Dass das Nachthemd klatschnass war, konnte nur die Folge des Angstschweisses sein.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Auge in Auge
BeitragVerfasst: 20.10.09, 12:14 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Für die Möwen gab es wenig Grund zur Klage.

Das Wetter war nicht besser geworden in den vergangenen beiden Wochen, aber letztlich bedeutete der Wechsel der Monde den umtriebigen Seglern nicht viel. Ohne Sorgen, dunkle Ahnungen oder Furcht vor dem Kommenden, beschränkte sich ihr Horizont auf die Suche nach etwas Freßbarem, einem Platz zum Schlafen und dem passenden Brutpartner und trotz aller komplizierten Balzrituale kamen die Vögel dabei gewöhnlich sehr viel rascher zu einer Form von Übereinkunft als die seltsamen Zweibeiner.

Etwas möglicherweise Freßbares hatte nun gerade die Aufmerksamkeit einer Sturmmöwe erregt, deren noch abgedunkelte Schwingenzeichnung sie als Zweijährigen auswies - zu jung, um sich dem Thema des Nachwuchses bereits zu widmen, aber bereits alt genug für Erfahrungen mit diesen Zweibeinern. Selbstverständlich wußte der junge Strandräuber nichts von Deja-Vus, aber während der Betrachtung des Bündels auf dem steinigen Strand regte sich eine dunkle Erinnerung: Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sich schon einmal ein Leckerbissen dieser Güte als köstliches Aas ausgegeben, nur um dann nach dem ersten Schnabelhieb ins Leben zurückzukehren - und das lädierte Erscheinungsbild mit dem wirren blonden Kopfpelz war ganz geeignet das nur schwach glimmende Misstrauen zu empörter Verärgerung aufflammen zu lassen.

Dass das durchdringende Krächzen ein Fehler gewesen sein mochte, dämmerte dem Jüngling erst, als der Schrei von vielen seiner älteren Artgenossen zurückgegeben wurden, das Rauschen vieler Flügelschläge dominierte über die unablässige Beharrlichkeit der den Strand berennenden Wellen. Wie bereits einmal bildete sich auch jetzt ein unregelmäßiger Kreis, rote Schnäbel zuckten nervös nach links und rechts, um nur ja nicht den Moment zu verpassen, da es galt einen Teil der Mahlzeit einzufordern - aber wieder wagte sich keiner der Strandräuber in die Reichweite des Menschen. Ob nun Kühnheit oder Dummheit: Unversehens fand sich der Zweijährige wieder in vorderster Linie und hüpfte, argwöhnisch beäugt von den vielen Augen des losen Schwarms, auf den Liegenden zu. Aus der Nähe betrachtet ließen sich einige Unterschiede ausmachen, aber sie bedeuteten einem Möwenverstand wenig: Dass die Glieder in eine lange, mit Federn verzierte Stoffbahn eingehüllt waren spielte keine Rolle, bestensfalls verhießen die volleren Züge ein etwas länger andauernderes Mahl.

Und dann öffneten sich die Augen des Menschen.

Der erste Impuls verschreckter Enttäuschung verlor sich rasch genug, um die Flügel gerade einmal zucken zu lassen. Weit weniger zurückhaltend lamentierte die sich in die Lüfte schwingende Meute, beklagte den Verfall der Sitten und beschwor, dass früher alles besser gewesen sei an den Stränden Siebenwinds, bevor sie dieses unerfreuliche Ereignis aus der Aufmerksamkeit verbannte und der Suche nach Futter, Ruheplatz und Lebensabschnittsgefährten den Vorzug gaben. Alles wie immer also.

Zurück blieben der eingeschüchterte Zweijährige, der sich doch irgendwie nicht zur Flucht überwinden konnte und der anhand bestimmter Merkmale als Weibchen zu erkennende Mensch, der nun in einem vergeblichen Versuch der Reinigung Schmutz im Gesicht verrieb.

"Seid ihr das, Meister Marus? Seid.. ihr tot?"

Die seltsamen menschlichen Laute blieben für die junge Sturmmöwe ohne jede Bedeutung, dennoch verspürte sie den Drang ebenfalls eine Lautäußerung von sich zu geben und schrie der Menschin ihre Enttäuschung entgegen. Wäre der Vogel in der Lage gewesen Gesichter zu lesen, hätte sie Ernüchterung erkannt und dann das drohende Nahen einer fixen Idee.

"Bist du .. hast du mich gefunden? Hat Herr Ventus dich gesandt?"

Und dann geschah das Wunder, das den Zweijährigen mit seinem Schicksal versöhnte: Der Mensch durchwühlte sein seltsam zerfetztes Fell, bis er dort auf irgendeine Weise einige Streifen Trockenfleisch zum Vorschein brachte und gar nicht so weit vom nervösen roten Schnabel ablegte. Wäre die Möwe mit der Gabe des Verstandes gesegnet gewesen, dann hätte sie verstanden, dass sie es in irgendeiner Weise geschafft hatte diesen Menschen abzurichten, aber auch so war der wesentlich simpler zustandekommende Schluss der Gleiche: Von nun an würde es regelmäßig Futter geben.

-----

Am tiefsten Grunde ihres Herzes wußte Ada, dass sie allein die Schuld an dem Streit der beiden Männer trug.

Zwei Diener des Windes, wie sie es auch sein sollte - beide von einer Leidenschaft und Hartnäckigkeit erfüllt, die ihr gleichermaßen fremd und bedrohlich erschien. Es war nicht leicht sich darüber klarzuwerden, ob Noralis Marus oder Brand Windflüsterer furchteinflößender waren, in jedem Fall schienen sie beide eifersüchtig danach zu streiten möglichst viel Eindruck bei der ehemaligen Magd zu hinterlassen - dann jeweils bemängelt durch den jeweils Anderen, der dann Grobheit oder mangelnde Rücksichtnahme vorwarf, nur um den solcherlei Bekrittelten dann noch kräftig zu übertreffen.

Dass sie dafür edelste Motive hatten bezweifelte Ada nicht einmal, aber es war der freundliche, mitfühlende Trost der die rote Robe Ignis' tragenden Mitnovizin Ancabeth, der die verletzte Seele streichelte und die spitzen Dornen der Enttäuschung aus den Wunden zog.

Rückblickend betrachtet war der Tag bis zu jener Konfrontation in der Priorei durchweg erfolgreich gewesen: Der Unmut Meister Marus über die Zögerlichkeit Adas den befohlenen Aufstieg zum durch einen Schrein Ventus gekrönten Gipfel war zwar so wenig angenehm gewesen wie die folgende Wanderung, aber doch ein absehbares begrenztes Übel. Erst am Fuße des steinernen Walls, als der voranschreitende Priester sich daran machte gewandt wie ein alter Ziegenbock über die Steine zu klettern, verdichtete sich das vage Gefühl von Sorge zu echter Furcht. Die erwartete Katastrophe aber blieb aus. Nur zweimal rutschten die Füße ab, schickten Steine polternd in das Tal zurück und ein weiteres Mal war Ada gezwungen auf allen Vieren wie ein Käfer über eine abfallende Steinplatte zu krabbeln, die Noralis gemütlich spazierend hinter sich gelassen hatte. Furcht, Kälte, klamme Glieder und Erschöpfung verblassten, als sie dann das Hochplateau erreichte.

Scharfe Kanten hatte der Sturm in die Felsen gekerbt, Nadeln errichtet, die nie lange hielten und das Schneefeld geglättet, bis nur noch widerstandsfähiger Harsch geblieben war, der dem Gewicht der beiden Wanderer mühelos widerstand.

Sturm. Lauschen. Stimmen, wie ferne Echos.

Die Kälte kam zurück, als der Rückweg angetreten wurde, umarmte Ada wie ein kalter Geliebter, bis der seltsame Wald sie mit unnatürlicher Wärme umfing.

Als Brandenstein sich vor den den müden Füßen öffnete, wollte die ehemalige Magd nicht mehr, als sich einfach auf ein Bett zu werfen und damit final vor der übermächtigen Erschöpfung zu kapitulieren - und es gab nicht mehr viel, was zwischen diesem heftigen Verlangen stand. Nur noch eine kleine Zeremonie am Schrein Ventus, einige Worte darüber, wie sie die Aufgabe wahrgenommen hatte.

Die Blonde begriff im gleichen Moment, da Brand sein Rätsel stellte, dass sie verloren hatte. Dafür brauchte es weder die wachsende Ungeduld des Mannes noch die schliesslich zornig gehobene Hand - aber erst als Noralis das Wort ergriff wurde ihr bewußt in welchem Maße. Plötzlich lag eine erstickende Spannung in der Luft, brachte die Anwesenden dazu sich aus der Linie zwischen den beiden Windgeweihten zurückzuziehen, deren zunächst eloquente Diskussion rasch alle Grenzen zurückließ.

Etwas geschah. Die sich bis dahin krümmende Furcht wurde zu nackter Panik, wischte jedes bewußte Denken zur Seite, als Noralis zu Boden geschmettert wurde. Die kopflos durch die Straßen Brandensteins geführte Flucht fand erst eine Richtung, als ein ganzer Schwarm Vögel aller Art über der Siedlung zu kreisen begannen und dann nach Westen zog. Am Strand, jener unüberbrückbaren Grenze vor der lauernden Drohung des Meeres ließ Ada sich dann nieder, beinahe zu erschöpft um den Falken noch zu bemerken, der erst drei Kreise um sie zog und dann einen Platz auf der Schulter suchte.

'Meister Marus.'

Erschöpfter Schlaf.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Die Kunst der Erziehung
BeitragVerfasst: 3.11.09, 16:22 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Was vom Sengen der Astraelmonde übrig geblieben war, hatte sich in den Blättern niedergeschlagen. Strahlendes Gelb und kraftvolles Rot fanden sich dort wo vordem Grüntöne in allen Tönen dominiert hatten und der immer wieder auffrischende Bellumswind zerriss die welk gewordenen Verbindungen zu den kahler werdenden Ästen. Der in Haufen abgelagerte bunte Teppich mahnte bereits das Nahen der kalten Monde an und selbst jene Tiere, die zu jung waren den Frost bereits erlebt zu haben, folgten den Hinweisen ihrer drängenden Instinkte: Allerorts wurden Vorräte durch emsige Sammler vervollständigt und durch nicht weniger emsige Räuber ausgeräumt.

Tüchtigkeit und Fleiss waren auch hier, abseits der Menschenpfade, kein Garant für Erfolg.

Etwas in der Art schienen sich auch die Möwen zu denken: Sie spielten mit dem Wind ohne einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden, bewiesen sich gegenseitig tollkühne Flugkünste und stürzten dann und wann zur aufgewühlten Oberfläche des Meeres herab, wo ein silberblinkendes Fischlein von den Wellen zur Beute bestimmt worden war. Das Leben war wundervoll.

Vor nur wenigen Minuten hätte die Blonde dem noch zugestimmt. Soweit von den rollenden Fingern des Meeres entfernt wie nur möglich ohne unter das löchrig gewordene Dach des Waldes zu schlüpfen, hatte die junge Frau einen Ruheplatz auf einem gefallenen Baumstamm gefunden. Ein Sturm mußte die Last der Krone zu schwer für die im sandigen Grund nur ungenügend Halt findenden Wurzeln gemacht haben und die aufstrebende Birke daher niedergeworfen haben. Das war offensichtlich bereits mehrere Götterläufe her: Von den hellen Zeichnungen der obersten Rindenschicht war nichts mehr geblieben, nur wenige oberarmdicke Äste streckten sich noch hilflos in verschiedene Richtungen. Schärfere Augen als die der Blonden hätten mühelos die Spuren der Werkzeugnutzung ausgemacht, wo die kleineren, biegsameren Zweige gekappt worden waren. Die Spuren längst erkalteter Feuer im Sand hätten verraten können, welchen Weg sie genommen hatten - und dass es öfter einmal Gäste gab, die wie diese junge Frau die Leiche der Birke als Sitzplatz nutzten.

Im Augenblick war all das ohne Belang.

Ein zu dieser Stunde zufällig anwesender Beobachter hätte gewahr werden können, wie die kobaltblauen Augen immer wieder zu schmalen, feindseligen Schlitzen verengt wurden, unmittelbar darauf folgte gewöhnlich eine gepresste Schimpftirade, die in ihrer Weise wunderbar dem spöttischen Geschrei der im Wind tanzenden Möwen ähnelte. Den leichtlebigen Seglern galten auch die finsteren Blicke, wobei die Seelenspiegel sich ausnehmend darauf konzentrierten einem bestimmten Flieger zu folgen. Dieser besaß die typisch dunklere Zeichnung der Zweijährigen und unterschied sich darin von den älteren Gefährten, deren Schwingen bis auf einen schmalen Streifen bereits das Gischtgrau des Sturms angenommen hatten.

"Du garstige, garstige, garstige Kreatur!"

Mit dieser Klage beendete die Menschenfrau die Flut von Verwünschungen und wendete sich dem Ballen Stoff zu, der in all der Zeit unablässig durch die unruhigen Hände gedreht, gedrückt und gedehnt wurde. Aus der Nähe war erkennbar, dass es sich hier um einen Mantel handelte, der - wenngleich offenbar abgetragen und weit hinter dem Höhepunkt seiner Glanztage - noch immer durchweg ansehlich war. Gewesen war. Dass es sich ganz eindeutig um ein Männerkleidungsstück handelte, spielte für den Wertverlust keine Rolle, wesentlich mehr Anteil hatte die weisse, erbärmlich stinkende Spur, die anhand verschiedener Merkmale als Hinterlassenschaft einer dieser Möwen zu identifizieren war.

Dass die Dinge nicht immer so liefen, wie es farbenfrohe Tagträume ausmalen wollten, wurde angesichts dieser deutlichen Mahnung zur Binsenweisheit. Dabei hatte es sich gar nicht schlecht angefangen: Der tägliche Weg zum Ufer hin war für die Blonde längst eine Gewohnheit, dass sie ein um das andere Mal eine Portion Mittagessen mit sich trug, war bislang ohne weitere Fragen geduldet worden. Gewiss: Die rollenden Fluten des lauernden Meeres hatten an Schrecken nicht verloren und in den Stunden des Schlafes zahlte sie jedes Mal mit bebender Furcht und zitternden Gliedern dafür, dass sie sich dennoch hierher wagte, aber solange sie sich dem Wasser nicht weiter näherte als unbedingt nötig, war das Entsetzen nur ein mattes Aufbegehren am Rande des Bewußtseins. Und dann war da natürlich die Möwe.

Gesegnet mit dem Grundvertrauen eines Kindes und der Naturerfahrung einer echten Stadtbewohnerin hatte die junge Frau angenommen ihre vorsichtige Zuneigung zu dem gefräßigen Schreihals von Sturmmöwe würde auf Gegenseitigkeit beruhen. Also zweigte sie - Meister Noralis dafür stumm um Vergebung bittend - Kleinigkeiten vom mitgebrachten Essen ab und fütterte den gierig aufgerissenen Schlund des Biestes. Die Folge war, dass der Zweijährige rasch alle Furcht vor ihr verlor und mit Geschrei, Flügelschlägen und Schnabelhieben beständig mehr Nahrung einforderte. Geduldig hatte sie sich den dreisten Forderungen "ihrer" Möwe gebeugt - und nun das!

Wie bitte sehr sollte sie dem Wind lauschen, wenn "Möwi" ihr ins Ohr kreischte, bis die Trommelfelle schmerzten? Wie über den Fluss der Elemente meditieren, wenn unerbittliche Schnabelhiebe sie daran erinnerten, dass der kleine Liebling gefüttert werden wollte? Und wie lernen alles Weltliche loszulassen, wenn dieser kleine Hilfsdämon ihr einfach auf die Schulter schiss?

Der Mantel war jedenfalls ruiniert und die Vorstellung dies Brand Windflüsterer beichten zu müssen, trug nicht gerade zum Seelenfrieden der jungen Frau bei. Immerhin hatte sie miterlebt, was die Wutanfälle des Mannes anrichten konnten.

"Ich bin wie der Wind. Überall. Nirgendwo. Nichts nimmt mich je gefangen."

Das Kreischen der Möwe über dem Kopf der sich Mut Zuflüsternden klang nach höhnischem Lachen.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Zeig mir den Weg II
BeitragVerfasst: 5.11.09, 15:44 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Die Dunkelheit hier unten war dem Gewand der Nacht nur oberflächlich betrachtet ähnlich. Sicherlich: Die Dunkelheit. Der Verlust aller Farben, die nicht das tiefe, ins Indigo fließende Blau und pures Schwarz waren. Aber gleichzeitig war dieser Himmel nah, keine ferne mit Sternen übersähte Ahnung, sondern greifbar. Fühlbar. Tödlich.

Dass es überhaupt etwas zu sehen gab lag nur daran, dass im aufgerissenen Wrack des hier ruhenden Schiffes ein Licht zu brennen schien. Dieser Glanz vertrieb die barmherzigen Schatten der Unwissenheit, zeichnete die scharfen Kanten geborstener Planken nach und umstrahlte den reglos schwebenden Mann wie eine milchige Korona. Die Helligkeit aus unbekannter Quelle war genug um die geöffneten toten Augen des Ertrunkenen sichtbar zu machen, die einst auf einen gutbürgerlichen Stand weisende Kleidung bewegte sich leicht im Fluß der unterseeischen Strömung, welche auch den Schopf offener Haare in eine seltsame zitternde Lebensform zu verwandeln schien.

Zu Lebzeiten hatte die Magd nie Grund gehabt sich vor ihrem ehemaligen Herren zu fürchten, aber nun, da der Schmerz des Ertrinkens sich schon in erfrierende betäubte Gleichgültigkeit gewandelt hatte, erbebte das müde Herz voller Entsetzen, als der wartende Tote die Lippen öffnete. Worte, die keine Luft brauchten um gehört zu werden, drängten sich zwischen ihre Schläfen.

"Komm. Komm. Komm. Komm. Komm. Komm. Komm. Komm. Komm. Komm..."

Die ausgebreiteten Arme des Ertrunkenen blieben wie zu einer Umarmung ausgestreckt, verblassten schliesslich gemeinsam mit der Silhouette der versunkenen "Stolz von Calamudus" vor dem Halbdunkel des Ruheraumes. Das fordernde Rufen verstummte erst einige Minuten später.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Warten
BeitragVerfasst: 12.11.09, 13:44 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Sechs Tage.

Noch immer kehrte Ada jeden Tag aufs Neue zum Strand zurück, aber das Gefühl erfüllter Pflicht hatte vor eben diesen sechs Tagen das letzte Mal für Wärme im Herzen gesorgt. Heute trug der Himmel ein Kleid in der Farbe geschmolzenen Bleis, duckte sich in grauer Gleichförmigkeit, die am Horizont eins mit den steifen Wellen des Wassers wurde. Scharfe, von Norden her wehende Winde rissen an den offenen Haaren und fuhren durch die aus langen Bahnen gewickelte Robe, zupften an den angebrachten Federn und zwangen die Blonde dazu die Augen zusammenzukneifen.

Hier trug der Wind immer den salzigen Atem des Meeres.

Seit dem letzten Besuch war einiges an Strandgut angespült worden, aber nichts davon mochte die Aufmerksamkeit der Wartenden an sich zu binden. Ihr Blick galt den gaukelnden Möwen, die pfeilschnell ihre Kreise zogen und scharfen Spott auf das erdgebundene Menschenwesen herabschrien, das sich kaum aus dem Schutz der Bäume wagte. Tatsächlich wiesen bereits alte Spuren im Sand darauf hin, dass die Besucherin sich stets nur einige Schritte aus dem grünen Dickicht heraus auf die zerwühlte Fläche aus Sand hinauswagte, meist eben bis zu dem gefallenen Baumstamm hin, der auch anderen Gästen gern einmal als Sitzgelegenheit diente. Auch diesmal war es nicht anders: Die zaghafte Annäherung an das mit stetigem Rollen verteidigte Herrschaftsgebiet des Meeres endete an diesem Rastplatz, die Aufmerksamkeit der kobaltblauen Augen band sich an den hier einsam wartenden Korb, der dem eigenen Mitbringsel frappierend ähnelte. Gleich darauf mußte einem allfälligen Beobachter auch klar werden warum: Die geplünderten Bestände wurde ausgetauscht, selbst der offensichtlich unbenutzte Teller und das leicht verbogene Besteck wurden ersetzt: Für wen auch immer diese Gabe gedacht war, er hatte das Geschenk verschmäht.

Sechs Tage.

Genau so lange war auch die Möwe verschwunden, jener ebenso gefräßige wie unverschämte Begleiter, den die Blonde sich ausgewählt hatte. Das war genug Zeit um die Schnabelspuren am Schienbein verkrusten zu lassen, genug auch um den Grimm im Herzen aufrechter Sorge weichen zu lassen. Den einzigen Trost zog Ada aus der Tatsache, dass Meister Noralis und der junge Flieger scheinbar zugleich verschwunden waren - und bei diesem Gedanken zog es den widerstrebenden Blick einmal mehr nach vorn, über den Strand hinweg in Richtung der tanzenden Wellen.

Was auch immer die Meister über die Zusammenarbeit der Enhor erzählen mochten: Für die Blonde blieb das Wasser eine Warnung vor dem nur auf eine Gelegenheit wartenden Unmut der nachtblauen Herrin. Seit der Ankunft auf Siebenwind hatte es noch keine Nacht ohne Alpträume gegeben, ohne das panische Aufschrecken wenn der fordernde Lockruf der Tiefe zu stark wurde und das Gefühl des Ertrinkens alles Sein auf pure kreatürliche Furcht zusammenschrumpfen ließ.

'Ich bin nicht stark. Nicht mutig. Ich will nicht sterben.'

Es brauchte nahezu 10 Minuten bis die Röte der Scham aus dem Antlitz gewichen war und selbst danach spürte die Wartende noch nichts von der Kälte des steif wehenden Nordwindes, der die offenen Haare zum flattern brachte. Erst als Fela dem Horizont entgegensank und die Schatten eilig länger wurden, machte sie sich auf den Heimweg.

Der aufgefüllte Korb blieb gemeinsam mit der Hoffnung zurück.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Es ist alles ...
BeitragVerfasst: 25.11.09, 11:30 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Was von der Wärme der Astraelmonde geblieben war, von denen die Blonde sich ein wenig beschämt immer wieder als "Ignismonde" zu denken zwang, hatte sich mit den ersten in Schnee verwandelten Regentropfen gänzlich in Erinnerungen aufgelöst. In die ohnehin bereits steifen Winde mischte sich nun frostige Kälte, der mit Salz angereicherte Atem Xans strich über das Land und beschrieb einen ersten Anspruch der nachtblauen Herrin auf das feste Land.

Was machte es da schon, dass die ersten gefrorenen kleinen Boten zu tauen begannen hatten, sobald sie einen Ruheplatz fanden? Was der Orkan nicht davonfegte, blieb mittlerweile in geschützten Winkeln liegen und wartete darauf, dass der Kuss Felas genug Kraft gewann, um den ewigen Kreislauf eine Speiche weiterzudrehen.

'Bis dahin wird es noch dauern. Dauern.'

Aller Müdigkeit zum Trotz hatte die Magd noch keinen Schlaf gefunden, aber auch jetzt, da das unruhige Licht des dem Verlöschen nahen Kerzenstummels mehr und mehr flackerte, war sie darob nicht Gram: Jede dem Schlummer abgerungene Stunde hieß auch eine Stunde ohne Alpträume, ohne das allnächtliche Entsetzen, an das es einfach keine Gewöhnung gab. Mancher Schmerz mochte mit der Zeit fahl werden, aber dieser gehörte nicht dazu.

'Was soll ich tun? Was will ich tun?'

Der blakende Qualm der Kerze verriet, dass längst nicht mehr aller Wachs verbrannt wurde und unter anderen Umständen hätte die Blonde sich davon gestört gefühlt - beispielsweise beim Versuch den Brief zu entziffern, dessen mitgenommener Umschlag von einer langen und nicht sehr leichten Reise kündete. Klare, gerade Striche formten die Anschrift, verbargen in den Buchstaben allein schon Hinweise auf herrische Unduldsamkeit und an Arroganz grenzende Selbstsicherheit. Was hätte die Schreiberin wohl empfunden, wäre ihr bekannt gewesen, dass dieser Umschlag der einzige Überlebende der Reise geworden war? Das eigentliche Schreiben war in der Seeschlange zum Raub der Flammen geworden, eingeäschert durch einen kurzen Impuls der künftigen Feuerpriesterin Ancabeth Mertenstein - was gleichzeitig wohl den erbetenen Rat darstellte.

Den erbetenen, nicht aber den erhofften Rat. Nicht, dass die ehemalige Magd in der Lage gewesen wäre zu benennen was genau sie gewünscht hatte - aber das Schreiben sich in Asche verwandeln zu sehen, gehörte gewiss nicht dazu. Der in aufkochendem Zorn geführte Schlag war weder besonders heftig noch sonderlich gut gezielt gewesen, hatte aber dennoch getroffen und die Nase der feurigen Nachbarin in einen Quell dunklen Blutes verwandelt. Die Reue war auf der Stelle erfolgt, paarte sich mit der Überraschung nicht binnen eines Lidschlages in deutlich gewalttätiger Reaktion zu Boden geschlagen zu werden. Es dauerte kaum fünf Minuten bis Ada erkannte, was der Grund für die zivilisierte Zurückhaltung war und vor der sich abzeichnenden Turtelei zwischen der Feuerdienerin und dem Soldaten flüchtete.

Direkt in den Schneesturm hinein, dessen gewaltige dichte Kraft mit gezielter Sicherheit an die Furcht im Herzen der Blonden rührte. All diese wirbelnden Flocken, die ganze weisse Pracht, die das Licht glitzernd zurückwarf: All das war das Wirken der nachtblauen Herrin, das waren ihre Arme, die sich nach der entkommenen Beute ausstreckten, bemüht die Unordnung, den Fehler im Plan endlich zu korrigieren.

"Könnt ihr den Sturm nicht wegmachen?"

Die Stimme Feydis' riss Ada aus dem Wust sich angstvoll verknotender Gedanken, dämpfte die Furcht durch kalte Ernüchterung.

'Das kann ich nicht. Alle wissen was wie tun und wie und warum. Nur ich nicht. Ich weiss gar nichts.'

Das war vor beinahe eineinhalb Zyklen gewesen und die Erinnerung an die mit überschaubaren, bewältigbaren Aufgaben gefüllte Zeit in der Seeschlange wärmte auch jetzt noch das Herz der jungen Frau. Einen Tisch abzuräumen, Teller aufzustapeln und Essensreste zu beseitigen - das war von klarer, bestechender Sicherheit. Richtig oder falsch waren ohne Schwierigkeiten zu unterscheiden, gewährten eine Gewissheit, die dem wandernden Wind völlig fremd erschien.

'Vielleicht sollte ich es einfach dabei belassen.'

Die Vorstellung war tröstlich genug, um den hinausgezögerten Schlaf endlich kommen zu lassen und für die Dauer eines halben Zyklus fand Ada Frieden. Die Kerze war längst schon erloschen als die Träume von nachtblauer Tiefe und erstickender Nässe sie erneut auffahren ließen.

Und während das hämmernde Herz langsam wieder zur Ruhe fand, begriff sie, dass es diesen einfachen Weg nicht gab.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: ... eitel.
BeitragVerfasst: 4.12.09, 16:15 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
'Zwei Monde.'

Oberflächlich betrachtet schien nicht einmal die Stadt gleichgeblieben zu sein: Was sich vormals in zurückhaltendem dunklen Grau oder warmem Schieferrot dem Himmel entgegengestreckt hatte, war nun unter einer langsam tauenden Schicht Schnee verborgen, die an den Rändern der Dächer wachsenden Eiszapfen tropften vor sich hin, bis mit jeder Dunkelheit erneut klamme Kälte den Fluß erstarren ließ.

Keine gute Zeit für Jene ohne festes Heim, keine gute Zeit auch für die Jäger, denn der verharrschende Schnee knirschte unter jedem aus den Gefilden der Stadt herausführenden Schritt. Herausgetretene Pfade färbten sich bald schmutzigbraun, formten über das Land laufende Stränge und Bänder, die nicht unbedingt mit den darunter schlafenden Wegen einhergingen.

Die weisse Pracht, darin stimmte man zumindest unter dem Dach der Ecclesia Elementorum weitgehend überein, gehörte Xan. Dies zu hören war das eine, es auch in das Herz einzuschließen das andere - denn obgleich die angehende Dienerin des Windes sich alle Mühe gab, verspürte sie in der Gegenwart der gefrorenen Flocken nicht das gleiche drängende Entsetzen wie es die prasselnden Regengüsse gezeugt hatten. Ganz im Gegenteil - mittlerweile hatte der kalte Gruß etwas Vertrautes, war weit entfernt von jenem Schrecken, der sie vor der Seeschlange so eisig berührt hatte. Wären die nasskalten Träume einmal ausgeblieben hätte sie zu hoffen gewagt, dass die nachtblaue Herrin ihres Zorns mittlerweile überdrüssig geworden war, aber Vergebung stand - soweit sie verstanden hatte - ohnehin nicht sehr hoch im Kurs bei den viel eher materialistisch als spiritistisch veranlagten Enhor.

Im Stillen hatte sie bereits einen Grund für sich ausgemacht, eine Erklärung, die wie eine gefährdete Flamme sorgsam im Herzen getragen wurde: In Wahrheit gehörte der Schnee überhaupt nicht der nachtblauen Herrin, sondern dem Unsteten, dem geflügelten Wanderer, der - so war Meister Noralis Marus Meinung - sie zur Dienerin gewählt hatte.

Was auch immer das bedeuten sollte. Die Worte des Lehrmeisters waren damals nicht in der Lage gewesen Vertrauen und Hoffnung in das Herz der Blonden zu pflanzen. Die gewiss tröstlich verheissene Sicherheit, dem Herren nie so nahe zu sein wie in jenem kurzen Moment bevor man durch ihn zermalmt wurde, hatte keinen Gleichmut gezeugt. Der Hinweis auf die Notwendigkeit des Zurücklassens aller weltlichen Besitztümer war ebenso wenig geeignet um Vertrauen wachsen zu lassen. Vorher mochte Ventus ein ganz und gar gesichtsloses Prinzip gewesen sein, nun verspürte Ada unbestimmte Unruhe wann immer sie den Namen des Enhor in den Mund nahm.

Zwei Monde.

Oberflächlich betrachtet schien nicht einmal die Stadt gleichgeblieben zu sein, aber die tauende und wieder gefrierende Schneeschicht auf den Dächern war nur Makulatur, Augenwischerei, Ablenkung. In der Summe aller Dinge war Brandenstein unverändert geblieben und der Eindruck des Wandels wurzelte allein im Begreifen der ehemaligen Magd, für die vordem unbekannte Straßen und Gassen, fremde Gesichter und unbekannte Laute zu etwas wuchsen, das den Namen "Heimat" verdiente.

Die Tage, ja selbst die Abende, wenn die Arbeit in der Seeschlange zu klaren und einfachen Aufgaben rief, gehörten unzweifelhaft der Zukunft.

Die Träume indes wurden durch die Vergangenheit beherrscht und die mahnenden toten Augen ihres ehemaligen Herren wurden nicht müde an die Vergänglichkeit alles Seins zu erinnern.






'Komm.'


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Willkommen auf Siebenwind. Es regnet. Bist du tot?
BeitragVerfasst: 13.12.09, 20:50 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Diesmal waren es nicht die Träume von nachtblauer Tiefe und erstickender Nässe, die den geruhsam plätschernden Fluß des Schlafes mit reissenden Stromschnellen versahen bis sie mit pochendem Herzen und einem erstickten Klagelaut auf den Lippen aus dem Schlummer fuhr.

Und doch wäre das Bild für einen von außen kommenden Betrachter nicht zu unterscheiden gewesen - nicht auf den ersten Blick zumindest. Mit ein wenig mehr Aufmerksamkeit konnte auffallen, dass die dem traumgeborenen Schrecken sonst folgende Erleichterung diesmal ausblieb: Hektische Beunruhigung zeichnete Furcht in das Antlitz der Blonden und weigerte sich zu weichen. Selbst ein Glas warmer Milch brachte nicht jene Entspannung, die der Müdigkeit genug Platz verlieh, um das ihr zustehende Recht einzufordern.

Stattdessen flogen die Gedanken zurück an die kaum zwei Zyklen zurückliegenden Ereignisse ...

... Dass es keine gute Idee gewesen war dem Drängen der Feuerdienerin nachzugeben wurde Ada spätestens in dem Moment bewußt, als sich die kantigen Formen des Schiffes mit dem hochragenden Masten und den gerefften Segeln unübersehbar in die Wahrnehmung schoben. Dieser Tage lag der Hafen beinahe verlassen da: Das schlechte Wetter zwang die Fischer entweder gleich daheim zu bleiben, sich der Pflege ihrer Netze zu widmen und andere Ausbesserungsarbeiten vorzunehmen oder Fangorte zu wählen, die weniger durch die kalten Stürme heimgesucht wurden.

Selbst jetzt wetterleuchtete der Himmel beständig in fernem Grollen, das umso erschreckender wirkte, da nicht ein Tropfen Regen zu Boden fiel: Die zuckenden Blitze mahnten an einen gigantischen Kampf, der doch nur ein kraftloses Rückzugsgefecht sein konnte. Gewöhnlich liebte Ada die Gewitterstürme, aber dieser Abglanz gab ihr nichts. Schon gar nicht hier, auf einem der in das Wasser hinausgebauten Stege.

Wenige Minuten zurück hatte der Vorschlag genug wie das geklungen, was die Blonde sich im Inneren selbst beständig sagte: Um eine Furcht zu überwinden, mußte sie bereit sein sich dieser Furcht zu stellen - aber jetzt schmolz die wenige Entschlossenheit mit jedem Herzschlag ein wenig mehr und wandelte sich in klammes, am Grunde des Herzens wucherndes Entsetzen: Hier war es unmöglich die Präsenz der nachtblauen Herrin zu übersehen, selbst wenn man die Augen schloss, blieb der durchdringende Geruch nach Salz und Algen, nach Fisch und Muscheln. Das allein reichte, um alle Bilder jener verhängnisvollen Reise zurück ins Bewußtsein zu rufen und vor der sich windenden Vorstellungskraft der Blonden wandelte sich das vertäut liegende Schiff in ein Abbild der am Grunde des Meeres ruhenden "Stolz von Kalamudus".

Kein Wunder also dass sie vor Schrecken wie gelähmt zurückblieb, als die mit mehr Mut gesegnete Feuerdienerin den Laufsteg erklomm und auf diese Weise an Bord gelangte. Allein. Das kurze blonde Schopfhaar verschwand hinter der Reling und machte Ada klar, dass sie nun allein war, allein auf diesem Steg, der bereits zum Reich der nachtblauen Herrin gehörte.

Und doch - etwas lauschte. Etwas spannte sich in matt entfachtem Misstrauen, witternd wie eine auf die von Mondlicht geflutete Lichtung heraustretende Hirschkuh, deren Instinkt von der Anwesenheit des Jägers flüstert.

'Etwas ist hier..'

'... hier.'

Eine sachte Berührung, mehr Traum als wahrhaftig vorhanden.
Der Flügelschlag eines unsichtbaren Schmetterlings an der Wange, heiss und zugleich eiskalt.
Die feinen Härchen im Nacken der Blonden stellte sich auf, gaben die Warnung weiter an das Schopfhaar in dem blau glimmende Funken kalten Elmsfeuers nervös zu irrlichtern begannen.

'.... hier.'

Die Wirklichkeit erzitterte, bebte unter unsagbarer Gewalt und schmolz dann zu Seiten der sich in sie hineinzwängenden Gestalt. Vage menschlich, von einer geradezu absurden Hagerkeit, die sich mehr als einen halben Schritt über die vor Entsetzen wie gelähmte Schankmaid streckte. Spitze Ohren an den Seiten eines haarlosen Schädels, gierige Augen in denen die Flamme einer namenlosen Gier flackerte. Hände, deren Finger wie Klauen wirkten, einem zum Leben erwachten Schattenriss gleich - aber als sie sich um den Hals Adas legten, waren Quecksilber und Schatten so wirklich wie Fleisch und Blut.

Ein Ruf flog an ihrem Bewußtsein vorbei, ein schriller Schrei, der unmöglich ihr eigener sein konnte, da die langen Finger das Leben aus ihr saugten wie ein gräßlicher Blutegel .. und dann, noch bevor das Herz in die ächzende Panik drängender Atemnot geraten konnte, wurde es dunkel. Der letzte Eindruck, den das versickernde Bewußtsein Adas mit sich nahm, war das sich in den gierigen Augen der Kreatur spiegelnde Bild kalter Funken Elmsfeuers im Haar und der Gestank von Ozon, der dann irgendwie in den Geruch verbrannten Holzes überging.

Ein unbeteiligter Beobachter hätte die Ereignisse durchaus in Zusammenhang zu setzen vermocht: Der Aufschrei stammte aus der Kehle der Ignisdienerin, die - von eigenem Schrecken gescheucht - eilends über die Reling hinwegsetzte, den Laufsteg mehr herunterstürzte als lief und schliesslich der gräßlichen Kreatur und des Opfers in deren Klauen gewahr wurde.

Das reichte um alles zu ändern: Wo jemand anderes nun Hals über Kopf geflohen wäre, erwachte die Flamme des Herren mit ganzer Kraft im pulsenden Herzen, sprang knisternd in die Fingerspitzen und toste von dort aus als brennender Sturm in Richtung der unnatürlichen Wesenheit. Dass diese ihr Heil in der Flucht suchte und zurück in die Falten zwischen der Wirklichkeit schlüpfte, konnte ihr wohl niemand verdenken - die ungezügelte Kraft des Feuers fraß sich hungrig in die von Salz getränkten Planken des Steges und erlosch erst, als die Sorge für die bewußtlose Schankmaid wieder an erste Stelle rückte.

Bild


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Willkommen auf Siebenwind. Es regnet. Bist du tot?
BeitragVerfasst: 23.01.10, 20:41 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Posting in anderem Thread: Ein Tag im Leben eines Dieners


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Willkommen auf Siebenwind. Es regnet. Bist du tot?
BeitragVerfasst: 23.01.10, 20:42 
Einsiedler
Einsiedler
Benutzeravatar

Registriert: 4.10.09, 19:40
Beiträge: 150
Trübes Wasser, geprägt durch dunkle Töne von Grün und Blau. Eisige, an allen Gliedern nagende Kälte, die auf der Zunge nach Salz schmeckte und sich unerbittlich einen Weg in die Kehle herabsuchte. Und die klammernde Umarmung eines toten Mannes, dessen leblose Augen seine ehemalige Dienerin fordernd anstarrten.

'Komm .. Komm .. Komm ..'

Wie gewöhnlich erwachte Ada auch diesmal, als Funken von Helligkeit die Farben der Tiefe auflockerten, aber der lastende Druck des Wassers wich nicht wie sonst von der Brust, erstickte den in der Kehle verhungernden Jammerlaut. Das aus dem Alptraum mitgebrachte Entsetzen wuchs zu lähmendem Schrecken hin, trieb die Blonde an die Grenze der Ohnmacht, bis ein Lichtreflex von außen das Halbdunkel des Zimmers genügend erhellte, um den weit aufgerissenen Augen eine Erklärung zu geben: Was eben noch ein mörderisches Tentakel gewesen war, entpuppte sich als der Arm eines Mannes und eröffnete damit eine ganze Kaskade an abrupt hereinbrechenden Erinnerungen an den letzten Abend.

Das unmögliche Benehmen Brands .. die unsägliche Kälte draussen vor dem Haus, wo nackte Füße zuckend zurückschreckten .. die grimmige Unbeholfenheit des Gegenüber .. und dessen Wärme in einem grausamen Meer der Kälte ..

Wärme.

Plötzlich waren die Schrecken der lauernden Tiefe weit fort, verloren sich vor dem seltenen Gefühl friedlicher Geborgenheit. Während das Herz sich weiter beruhigte, regte die Blonde sich sacht, bedacht darauf den Schlafenden nicht zu wecken. Selbst sein Nacken war warm.

Die unbestimmte Verwunderung über diese kleine Eigenheit begleitete sie in einen diesmal traumlosen Schlummer.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 17 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: FAST Enterprise [Crawler] und 6 Gäste


Sie dürfen keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de