In einer Nacht in Brandenstein
Zu Beginn des frühen zweiten Zyklus geschah es eines Nachts, dass sich nach und nach Männer einfanden in der neu errichteten Bibliothek zu Brandenstein. Einige der Männer waren wohl solche, die dem Herrn Astrael dienen, denn sie waren gekleidet im Habit des Ordo Astraeli.
Ende des zweiten Zyklus waren es wohl neun Männer, die am Tisch saßen, auf dem eine Kerze stand, deren flackerndes Licht die Gesichter der Männer nur schemenhaft erkennen ließ.
„Brüder, ich heiße Euch willkommen im Namen des Allwissenden Astrael und seines Dieners Argionemes, in deren Namen wir tun unser frommes Werk.“ waren die Worte, die Calmexistus Salanus an die am Tisch Sitzenden richtete, nachdem er sich von seinem Stuhl erhoben hatte. „Vieles ist’s, was zu besprechen ist, ist doch viel Zeit vergangen seit unserem letzten Treffen, viel Zeit, in der Vieles geschehen. Doch lasset uns, bevor wir diesem uns zuwenden, ein Gebet sprechen zu unserem Herrn Astrael, auf dass er uns den Weg weise und uns beistehe in unserem Tun.“ Auf diese Worte hin erhoben sich alle von ihren Stühlen, formten mit ihren beiden Händen eine Kugel vor ihrer Brust und sprachen ein Bittgebet zu Astrael.
„Allwissender und allsehender Astrael, gib uns die Kraft, die deine Gnade verleiht.
Erfülle uns mit Eifer, dich zu suchen. Erfülle uns mit Verstand, dich zu erkennen. Erfülle uns mit Weisheit, dich zu finden.
Gib uns zu allem, was du von uns forderst, die Einsicht, den Willen und das Vermögen, es so zu vollbringen zu Deinem Wohlgefallen.
Ael“
Als sich alle wieder gesetzt hatten, sprach Calmexistus Salanus wieder zu den Anwesenden. „Brüder, so will ich es sein, der zuerst Euch berichten will. Beunruhigende Kunde ist’s, die ich Euch überbringen muss. Mit Bruder Hubertus Anverita reiste ich vor einigen Monden auf das Festland, da uns lange Zeit keine Nachricht von unseren Brüdern auf dem Festland erreicht hatte. Wir begaben uns zuerst zur im Herzogtum Sae gelegenen Heiligen Stätte Lafays’ Stab in der Hoffnung, dort einen der Brüder des inneren Zirkels anzutreffen. Doch trafen wir keinen der Brüder an dieser Stätte an. Bruder Hubertus erkundigte sich daraufhin mit der gebotenen Vorsicht in der weißmagischen Bibliothek nach den Brüdern. Er konnte wohl in Erfahrung bringen, dass die Brüder vor schon langer Zeit die heilige Stätte Lafays’ Stab in Begleitung einer Reiterei in Richtung Draconis verlassen hatten. Bruder Hubertus und ich machten uns darum auf den Weg nach Draconis in der Hoffnung, dort die Brüder anzutreffen oder etwas über ihren Verbleib in Erfahrung bringen zu können. Doch auch in Draconis wurde unsere Hoffnung enttäuscht. Allein – wir hörten davon, dass in der Nähe des Klosters zu Nakro in der Baronie Kettel vor einiger Zeit ein schrecklicher Fund gemacht worden war. Zwei grässlich verstümmelte Leichen, verscharrt im Waldboden, waren von einem Jägersmann dort gefunden worden. Eine der Leichen war gekleidet im Habit des Ordo Astraeli, so hieß es. Wahrlich fuhr uns der Schreck durch die Glieder, als wir davon erfuhren, denn sogleich dachten wir daran, dass es sich bei der Leiche vielleicht um Hochwürden Ectus Fuhrenberg handeln könnte, welcher dem Ring des Argionemes stets treu gedient. So machten wir uns auf nach Nakro, um vielleicht dort etwas in Erfahrung zu bringen über den Verbleib unserer Brüder. Doch auch in Nakro war unser Mühen vergeblich. Eine letzte Hoffnung hatten wir noch, in der in der Baronie Kadamark gelegenen Stadt Gofilm die Brüder anzutreffen oder dort etwas über deren Verbleib zu erfahren, da Bruder Gosh dort zu Hause und sowohl Bruder Sanduros Mantaris als auch mich einst im nahe gelegenen Kloster in die ersten Exercitii einführte. Doch trafen wir die Brüder auch dort nicht an, noch konnten wir dort etwas über deren Verbleib in Erfahrung bringen.
Brüder, wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen, dass die Brüder nicht mehr am Leben sind. Allein mag eine kleine Hoffnung bestehen, da wir auf dem Weg nach Venturia uns ein paar Tage in dem kleinen Städtchen Borast aufhielten, um uns etwas auszuruhen. Dort begegneten wir einem der Unsrigen, ein Jüngling noch. Er sagte uns, dass er die Brüder in der Siedlung Titanfels noch gesehen habe und diese in Richtung Draconis aufgebrochen waren, begleitet von einer Reiterei. Doch sagte dieser Jüngling uns, dass er wisse von anderen wie er und wo sie weilten auf dem Festland. Aus diesem Grund blieb Bruder Hubertus auf dem Eiland zurück, um mit diesem Jüngling nach den Unsrigen zu suchen. Ich hingegen setzte allein meinen Weg nach Venturia fort und begab mich auf ein Schiff, das mich zurück auf das Eiland brachte, welches ich vor 5 Tagen wieder erreichte. Bruder Hubertus wird, so hoffe ich, in kommender Zeit sich ebenfalls wieder nach Siebenwind einschiffen. Doch wollte er, wie eben gesagt, mit dem Jüngling nach den Unsrigen noch suchen auf dem Festland. Aber Bruder Hubertus verblieb noch aus anderem Grund auf dem Festland, ist es doch an ihm, die Schwester des Ritter Steiner aufzusuchen und dieser die Bitte vorzutragen, ihn auf das Eiland zu begleiten, um dort wider ihrem Bruder auszusagen, zu berichten davon, wie er sich hingegeben hat den Verlockungen der Brut des EINEN. Doch davon soll später noch gesprochen sein. Somit ist gesagt, was ich Euch zu berichten habe. So berichtet Ihr, Brüder, was auf dem Eiland sich ergab in der Zeit meiner Abwesenheit.“
Calveas Catae ergriff das Wort; seine Stimme zitterte vor Erregung. „Bruder Calmexistus, Brüder! Wahrlich schrecklich ist, was Bruder Calmexistus uns berichtet. Zu befürchten ist, dass unsere Brüder auf dem Festland nicht mehr sind. Und ich sage Euch, so es denn wirklich so ist, dass es das Werk der Canis Belli war. Gleich hochmütig wie verlogen, gleich stolz wie hinterlistig, gleich mutig wie dumm sind sie! Allein diesen Hunden ist alles zuzutrauen.“
Calmexistus Salanus erhob die Hand als Geste der Beschwichtigung. „Gewiss , Bruder, gewiss. Doch wollen wir uns nicht Spekulationen hingeben, wissen wir doch bisher nichts darüber, was den Brüdern auf dem Festland widerfahren ist. So lasst uns die Ankunft von Bruder Hubertus abwarten und schauen, ob er noch etwas in Erfahrung bringen konnte. So berichtet nun, was in der Zeit geschehen auf dem Eiland, in der ich auf dem Festland weilte.“
„Bruder Calmexistus, bevor wir damit beginnen, erlaubet mir, Euch die Schriften zurück zu geben, um deren Aufbewahrung Ihr mich gebeten habt.“ sprach Claffo Ansprand in gedämpftem Tonfall. „So mir ein Wort an Euch noch erlaubet sei, Bruder Calmexistus. Einer der Folianten, die Ihr mir zur Aufbewahrung gegeben habt, ist gewiss ein kostbares Werk, finden sich doch gar sehr interessante, anatomische Skizzen darin, welche wohl den grazilen Körper von Elfinnen darstellen. Doch sollte dafür Sorge getragen werden, dass Anwärter und Novizen des Ordens dieses Werk nicht in die Hände bekommen, da doch die Gefahr nicht gering ist, dass die körperliche Lust und das Bedürfnis, selbige bei einem Weibe zu befriedigen, geweckt werde.“ „Gewiss, Bruder Claffo, man werde Eure mahnenden Worte zu beherzigen wissen.“ „So erlaubet mir, Bruder Calmexistus, aus reiner Neugierde die Frage, ob einer dieser Zeichnungen die Elfe Lynn Ferant darstelle? Mich deuchte, dass es sich so verhalte.“ „Das mag wohl sein, Bruder Claffo.“ antwortete mit einem Räuspern Calmexistus Salanus, während er die Folianten an sich nahm und dann die Brüder aufforderte, über die Geschehnisse auf dem Eiland zu berichten.
Hochwürden Etril Gamatjeff, Hochgeweihter des Ordo Astraeli, ergriff das Wort: „Pflicht und Bürde des Calators lasten nicht mehr auf den Schultern des Bruder Lorence vom Ordo Belli, Bruder Calmexistus. Dem Rotschopf, Bruder Benion, ist nun Pflicht und Bürde des Calators Amt. Was man davon zu halten habe, das wird die kommende Zeit uns zeigen.“ „Besser ist’s gewiss, als dass ein Canis Belli das Amt des Calator innehat.“ warf Calveas Catae mit schneidender Stimme ein. „Eure Worte, Bruder Etril, sind zu harsch und es scheinet mir, dass Ihr Euch all zu sehr durch Euren Hass auf die Brüder des Ordo Belli leiten lasst.“ war mit tiefer Stimme der alte Leomar Bärenstein, Hochgeweihter des Ordo Belli zu vernehmen. „Gewiss mag manche Kritik an den Brüdern und Schwestern berechtigt, doch ist’s nicht so, Brüder, dass wir das Vertrauen der Brüder und Schwestern des Ordo Belli erlangen wollen um des Wohles der Heiligen Kirche, um des Wohles des Eilandes und des galadonischen Reiches willen?“ „Diese wird kaum Früchte tragen, Bruder Leomar, solange sich ihre Demut einzig darin zeigt, der Ritterschaft in den Arsch zu kriechen, statt sich in Demut zu üben vor dein Heiligen Vieren.“ erwiderte Calveas Catae mit schneidender Stimme.
Mit ruhiger Stimme erhob Calmexistus Salanus das Wort: „Brüder, wir sollten beherzigen die Worte des Bruder Leomar und darauf hoffen, dass sich das Verhältnis zum Ordo Belli zum Besseren wende in kommender Zeit. So wollen wir auch darauf hoffen, dass der Allwissende den Bruder Benion weise Schritte tun lasse, auf dass er tun werde, was dieses befördere in kommender Zeit. Doch soll dieses nicht bedeuten, dass wir ebenso tun, wie die Brüder und Schwestern des Ordo Belli und verschließen die Augen vor ketzerischem Tun des Adels und der Ritterschaft. Darum lasset uns zuwenden, wie es stehet um die Schrift, in welcher niedergeschrieben sei darüber, dass jener Ritter Siegried Steiner den Verlockungen der Diener des Ungenannten erlegen war mehrere Male. Es sei mir erlaubet, was ich soeben schon erwähnte, dass Bruder Hubertus auf dem Festland die Schwester des Ritter Steiner aufsuchen und auf das Eiland geleiten werde, auf dass diese bezeuge, dass es wahr ist, was in der Schrift zu lesen. Bruder Gottfried, Ihr wolltet Euch darum mühen, dass die Schrift verfasset werde und alles darin sich finde, was wir über den Ritter Steiner in Erfahrung gebracht haben.“
Der Genannte stand auf, schaute in die Runde und sprach: „So will ich gerne berichten, Bruder Calmexistus, wie es um diese Schrift stehe. Schon 20 Seiten sind geschrieben, dennoch sind noch einige Dinge in dieser Schrift zu ergänzen. Zu erwähnen sei ad primum verschiedene Schriften, welche sich finden lassen in den Archiven der Kirche der Heiligen Viere, von welchen Ihr, Bruder Calmexistus, Abschriften ließet anfertigen. Zu erwähnen seien hier vor allem die Aufzeichnungen des heiligen Kriegers der Ensis Caelestis, Sebastian Tastardes. Auch müssen in der Schrift noch Berücksichtung finden die Aufzeichnungen der Schwertgnaden Ganaen und Lichtwind sowie der Schwester Fuxwell vom Ordo Vitamae.
Ad secundum sind noch in dieser Schrift niederzuschreiben die Aussagen, welche machten die Graugradisten Barius Tehranee und Nuir Ekre. Zudem soll noch einmal seine Magnifizienz Toran Dur befragt werden als auch dessen Tochter, das Fräulein Ankora Dur.“ „So sagt, Bruder Gottfried, ob die zuletzt Genannten wohl auch bereit sind, als Zeugen ihre Aussagen zu bekräftigen?“ „Barius Tehranee und Nuir Ekre werden dieses gewiss tun. Eben dieses wird wohl auch für das Fräulein Dur gelten. Bei seiner Magnifizienz Toran Dur könne man das noch nicht mit Bestimmtheit sagen.“ „So all dieses wahrhaftig ist, was in dieser Schrift bisher niedergeschrieben und ich gelesen haben, muss dieser Ritter Steiner dem heiligen Feuer übergeben werden, auf dass seine Seele gerettet werde!“ warf Hochwürden Gamatjeff in scharfem Ton ein. „Die Gnade der Viere ist unermesslich, Bruder Etril. So wollen auch wir gnädig sein vor diesem Sünder, so denn dieser Sünder Reue zeige und in Demut die Gnade der Heiligen Viere erflehe.“ erwiderte Claffo Ansprand in ruhigem Ton und fuhr dann fort:
„Es stellet sich die Frage, was mit dieser Schrift geschehen solle, so die Arbeit daran denn beendet und die Schrift vollendet ist? Soll diese dem Calator übergeben oder der Truchsess oder beiden zugleich?“ Ein Mann, mit finster Miene dreinschauend, tiefschwarze Kleidung tragend, ergriff nun das Wort: „Was auch geschehen werde mit dieser Schrift und in wessen Hände sie gelegt werde, so denke ich, dass zuvor diese Schrift der Akora Dur und damit dem über Radak herrschenden Triumvirat übergeben werden sollt. Ich will dieses auch begründen. Ihr müsset wissen, dass Radak erstarkt ist und...“ „So haltet ein, Bruder.“ warf Calmexistus Salanus ein. „Die Zeit ist schon fortgeschritten. Man solle uns hier zusammen nicht sehen. Man werde auf einem kommenden Treffen, welches bald sein wird, darüber sprechen. Bruder Gottfried wird derweil weiter an dieser Schrift arbeiten und uns über das Fortschreiten der Arbeit an dieser Schrift berichten. Doch ein Letztes noch. Sind Stab und Ring sicher aufbewahret?“ „Sie sind es, Bruder Calemxistus!“ „Gut. Dann lasset uns nun in die Kapelle zu Brandenstein begeben und dort ein Gebet sprechen zu unserem Herrn Astrael.“
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