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 Betreff des Beitrags: Blutschwert
BeitragVerfasst: 4.12.09, 17:47 
Altratler
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Anmerkung: Hier wird die Geschichte von Benions Vater weitererzählt, die hier nachzulesen ist: http://schnellerwind.mind.de/Foren/phpBB3/viewtopic.php?f=27&t=28117.
Veridon ist ein Spion der Oculus Ecclesiae, ein Geheimbund der Viergöttlichen Kirche dessen Aufgabe es ist "Probleme zu lösen". Dazu werden Geweihte Astraels und Bellums rekrutiert, die fortan unter eine Tarnidentität leben und Aufträge am Rand der Legalität erledigen. Sein letzter Auftrag jedoch wird Veridon zum Verhängnis. Eine Gruppe der Diener des Einen kommt hinter seine Identität und macht daraufhin Jagd auf ihn und seine Familie. Seine Frau Delia und sein kleiner Sohn können auf ein Schiff fliehen, aber sie werden von einem Attentäter verfolgt. Delia fällt dem Attentäter zum Opfer und Benion wird auf der kleinen Insel Hügelau einem Kloster Vitamas übergeben. Veridon kann nur mit viel Glück einem magischen Angriff entkommen. Zwar gelingt es ihm die Verräter zu töten, aber für die Oculus gilt er als verstorben. Seit dieser Zeit sind viele Jahre vergangen.


Blutschwert

Vandrien, irgendwo zwischen Vandris und Pas

Schon von weitem konnte man das metallische Klirren der Kettenhemden hören. Eilig wichen die Flüchtlinge von der Straße zurück und traten in das vom Dauerregen sumpfig gewordene Feld. Gerade rechtzeitig, denn im nächsten Augenblick marschierte eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten die befestigte Handelsstraße entlang. Es handelte sich um einen Trupp der gefürchteten Schwarzen Legion. Sie war während der Wirren des Bürgerkrieges von einigen fanatischen Anhängern Angamons gegründet worden und terrorisierte seitdem im Namen des Gottkönigs die Bevölkerung. Ihren Namen hatte sie von ihren einheitlich schwarzen Uniformen: Über die mit Ruß geschwärzten Kettenhemden trugen sie eine Tunika mit dem blutroten Zeichen des gezackten Dolches, der ein Herz durchstößt. Ihre Gesichter wurden von ebenfalls schwarzen Vollhelmen verdeckt, die nur winzige Schlitze zum Atmen und Sehen aufwiesen. Es hieß das jeder, der das Gesicht eines Schwarzen Soldaten sehen würde, unweigerlich dem Tode geweiht war. Manch einer munkelte sogar, dass sich Dämonen in den Rüstungen verstecken würden. Vielleicht erklärte das auch, warum es den Truppen des Königs und der Viergöttlichen Kirche bisher nicht gelungen war die Schwarze Legion aufzureiben.
Zum Glück für die Flüchtlinge hatten die Soldaten am heutigen Tag einen anderen Auftrag und so marschierten sie ohne die Flüchtlinge auch nur zu beachten an ihnen vorbei. Eine Frau in zerschlissenen Kleidern brach vor Angst weinend zusammen. Doch keiner der Flüchtlinge wagte es sich zu rühren und nach ihr zu sehen. Nur einer, ein Mann gekleidet in eine dreckige graue Robe, trat zu ihr und tätschelte ihre Hand um ihr ein wenig Trost zu spenden. Er beugte sich zu ihrem Ohr.
„Psst, versucht leise zu sein. Ihr dürft die Aufmerksamkeit der Soldaten nicht auf euch ziehen.“
Schwach nickte die Frau und es kam nur noch ein leises Wimmern von ihr. Schließlich waren die Soldaten vorbei gezogen und die Flüchtlinge kehrten langsam auf den Handelsweg zurück um ihre beschwerliche Reise fortzusetzen. Sie alle wollten fort aus Vandrien. Sie hatten sich für den Weg nach Norden entschieden, da seit kurzem das Gerücht umging die Schwarze Legion würde sich im Süden sammeln und einen Angriff auf Vandris vorbereiten.
Der Mann in der dreckigen grauen Robe half der Frau auf und zurück auf die Straße. Dankbar sah sie ihn an.
„I…ich danke euch.“
„Wir alle haben es schwer, da sollten wir zusammen stehen.“
„Mhm… das hat mein Mann auch immer gesagt.“
„Wo ist euer Mann jetzt?“
Traurig schlug die Frau die Augen nieder.
„Sie… sie haben ihn getötet.“
„Das… tut mir leid. Bitte verzeiht meine Neugier.“
„Nein, nein, schon gut. Wir hatten eine Taverne in einem kleinen Dorf südlich von Vandris. Vor zwei Wochen kam ein Spähtrupp der Legion zu uns. Sie verlangten Essen und Trinken und Hafer für ihre Pferde. Ich eilte hinaus um die Pferde zu versorgen, während mein Mann ihnen das Gewünschte brachte. Vermutlich hat er ihnen dabei ins Gesicht gesehen… Worald war immer so stur. Er ließ sich von niemandem herum schuppsen. Als ich den Hafer in die Tröge der Pferde gab hörte ich von drinnen meinen Mann schreien. Ich eilte schnell zurück, doch er lag tot vor einem der Soldaten am Boden. Ich konnte nur seinen Hinterkopf sehen…“
Sie machte eine kurze Pause und schauderte.
„Sein Kopf war ganz glatt rasiert und mit Tätowierungen versehen. Seine Kameraden wurden auf mich aufmerksam. Da bin ich davon gerannt und habe mich im Wald versteckt. Einen Tag lang habe ich mich um mein Leben gefürchtet. Dann kehrte ich in das Dorf zurück, doch von der Taverne standen nur noch die Grundmauern... den Rest hatten sie abgebrannt. Also habe ich beschlossen aus Vandrien zu flüchten. Meine Familie lebt hier schon seit Jahrhunderten, aber ich kann es einfach nicht mehr ertragen…“
Sie hob den Blick und betrachtete den Mann in der Robe, der neben ihr einher ging. Sein Gesicht war von etlichen Narben gezeichnet, das schwarze Haupt- und Barthaar verfilzt und ungepflegt. Doch als sie seine Augen sah, wunderte sie sich sehr.
„Ihr seid nicht von hier.“
„Wie kommt ihr darauf?“
„Eure Augen… sie glänzen. Ich habe schon seit Jahren keine glänzenden Augen mehr bei einem Einwohner Vandriens gesehen. Der Blick der Bewohner dieses einst so stolzen Landes ist gebrochen. Nein, ihr seid kein Vandrier. Wer also seid ihr dann?“
Erschrocken blieb sie stehen und wich dann etwas von ihm zurück.
„Ihr seid doch kein Späher der Kirche oder des Königs, oder? Wenn die Dunklen mich in eurer Begleitung finden, werden sie mich sofort töten!“
Beruhigend hob der Mann seine Hände.
„Nein, ich gehöre nicht zur Kirche, jedenfalls… mhm.“
Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber schwieg dann. Die Frau beruhigte sich etwas und trat wieder näher. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort.
„Aber wenn ihr nicht von der Kirche oder vom König seid, was macht ihr dann in diesem von den Göttern verlassenen Land?“
„Was macht euch so sicher, dass dieses Land von den Göttern verlassen ist?“
„Ihr macht mir Späße… schaut euch doch einmal um. Die Hälfte der Bevölkerung ist obdachlos und versucht das Land zu verlassen. Die andere Hälfte dient entweder dem Einen oder der Kirche – oft auch abwechselnd.“
„Die Viere sind überall, gute Frau. Auch hier in diesem dunklen Land. Sie wachen über uns, wohin wir auch gehen.“
Die Frau schnaubte.
„Also seid ihr ein Missionar. Habe ich es doch gleich gewusst.“
„Ich bin kein Missionar, das versichere ich euch. Mein Name ist übrigens Veridon.“
„Veridon… aha… nun ihr werdet verstehen, dass ich euch nicht meinen Namen nenne. Versteht mich nicht falsch, ich bin euch sehr dankbar für vorhin. Aber in diesen Zeiten weiß man nicht wem man vertrauen kann und wem nicht.“
„Ihr geht mit mir zusammen diese Straße entlang.“
„Ich habe keine andere Wahl. Das hier ist der kürzeste Weg nach Pas. Angeblich soll es dort eine Stellung der Ersonter Ritter geben. Wenn ich erst einmal dort bin, werde ich sicher einen Händler finden der mich mit nach Ersont nimmt.“
„An eurer Stelle würde ich mich nicht darauf verlassen. Die Ersonter mussten sich vor fünf Tagen zurückziehen. An eurer Stelle würde ich lieber den Weg nach Norden Richtung Khalandra wählen. Die dort lebenden Stämme sind zwar rau, aber sie haben ein gutes Herz. Sie werden euch aufnehmen, wenn ihr bereit seid für euer Essen und eure Unterkunft zu arbeiten.“
Stirnrunzelnd blickte sie ihn an.
„Wer seid ihr? Woher wisst ihr das alles?“
„Ich bin ein Mann ohne Vergangenheit.“
Sie verstummte und blickte ihn verwundert an. Was sollte sie darauf auch erwidern? Ganz offensichtlich wollte dieser Mann… Veridon… nicht über sich sprechen. Also Schritt sie einfach weiter stumm neben ihm her und hing ihren Gedanken nach.
Am Abend schenkte der Regen den rund dreißig Flüchtlingen eine kleine Verschnaufpause und sie fanden sogar ein kleines Waldstück, in dem sie rasten konnten. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, hätten sie sich wohl nicht getraut ein Feuer zu entzünden. Viel zu groß war die Gefahr von einer umherziehenden Söldnerbande oder der Schwarzen Legion entdeckt zu werden. Vandrien war kein Land in dem es gut war aufzufallen.
Veridon und Siljana – ihren Namen hatte sie ihm inzwischen verraten – liebten sich in dieser Nacht. Siljana rutschte zu ihm in den Schlafsack. Nicht weil sie ihn liebte. Siljana fand ihn nicht einmal besonders begehrenswert. Sie waren einfach nur Mann und Frau, zwei Wanderer durch ein Land das von einem brutalen Bürgerkrieg in zwei Hälften gerissen wurde… Und insgeheim sehnte sie sich nach etwas Nähe, nachdem sie ihren Worald verloren hatte.
Als sie am nächsten Morgen erwachte war er fort. Seinen Schlafsack hatte er ihr überlassen.

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Benion - vita et amor - Pater Brown Verschnitt, Häretiker und Lord der Vitamith - Geburtshelfer: 8 mal - Ehejahre-Rekordhalter
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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 6.12.09, 20:59 
Altratler
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Vandrien, etwa eine Tagesreise westlich von Pas

Tief in Gedanken versunken stapfte Veridon durch den dichten Tannenwald. Nebel ließ ihn kaum zehn Schritt weit sehen. Es war beinahe unmöglich sich nicht zu verlaufen. Doch das störte den Mann in der dreckigen grauen Robe nicht. Verlaufen kann sich nur, wer ein Ziel hat. Gerade daran mangelte es dem einsamen Wanderer. Sieben Jahre schon streifte er durch das Land. Sieben Jahre war es her, dass er sich von seiner Frau verabschiedet hatte. Sieben Jahre das er zum letzten Mal in das kleine Gesicht seines Jungen gesehen hatte…
Er schämte sich wegen letzter Nacht. Er hatte nicht mit der Frau schlafen wollen, doch sie hatte in ihm etwas geweckt das er lange für verloren geglaubt hatte. Was war nur aus ihm geworden? Einst war er ein stolzer Diener Bellums gewesen, doch die Oculus hatte aus ihm einen Attentäter gemacht. Er hatte seine Ehre verkauft und dafür Frau und Kind verloren.
Seine Schritte wurden langsamer und er hob den Blick um sich umzusehen. Wohin er auch sah, es gab nur dutzende von Bäume und dahinter eine weiße Wand. Seine Hand glitt durch sein zotteliges Haar. Der Nebel hatte sich wie ein Leichentuch über das vom Krieg heimgesuchte Land gelegt und verschluckte jeden Ton. Doch halt! Hatte er nicht eben etwas gehört? Suchend drehte er seinen Kopf nach links und rechts. Wieder etwas. Stimmen? Ja, es waren Stimmen. Er konzentrierte sich und versuchte zu verstehen was die Stimmen sagten. Waren es einfache Holzfäller? Oder waren es Räuber? Vielleicht sogar eine Patrouille der Schwarzen Legion? Glücklicherweise war seine Robe grau. Dadurch war er in diesem dichten Nebel kaum zu erkennen.
Die Stimmen wurden lauter. Kamen die Sprechenden näher? Nein, sie veränderten nicht ihre Position. Dann ertönte der schmerzerfüllte Schrei eines Mannes. Veridon war hin und her gerissen. Dies hier war nicht seine Angelegenheit und in diesem Land war es gefährlich zu neugierig zu sein. Andererseits geboten ihm die Viere stets den Wehrlosen beizustehen. Wenn er noch ein Rest von Ehre in sich besaß, so musste er nachsehen. Während er noch dastand und grübelte, ertönte ein zweiter Schrei, dieses Mal von einer Frau. Veridon gab sich einen Ruck, griff sich einen am Boden liegenden dicken und etwa armlangen Ast und eilte in Richtung der Geräusche. Er musste nicht weit laufen, da sah er vor sich das flackernde Licht von Fackeln. Die Stimmen waren nun deutlich zu vernehmen.
„Na wird’s bald?!“
Eine raue Männerstimme, gefärbt von dem übermäßigen Genuss von Tabak und Schnaps.
„Herr… bitte, habt erbarmen! Mein Mann sagt die Wahrheit, wir haben nichts von Wert bei uns!“
Das war die Stimme der Frau die kurz zuvor geschrien hatte. Veridon schätzte sie auf Mitte dreißig. Dazu vernahm er ein leises Husten und Keuchen.
„Halt’s Maul Süße! Wenn du nichts habt, dann nehmen wir eben dich!“
Ein mehrkehliges lautes Lachen schallte durch den ansonsten so ruhigen Wald. Waren es vier Stimmen gewesen oder fünf?
„Ja, und zwar alle nacheinander!“
Wieder eine tiefe Männerstimme. Sie klang leicht nuschelnd, vermutlich war dem Urheber in der Vergangenheit der Kiefer gebrochen worden. Gefolgt wurde es erneut von dem rauen Lachen mehrerer Männer. Vier Männer, wenn sich Veridon nicht täuschte.
„Ihr… Schweine… lasst meine Frau… in Frieden!“
Die Stimme war leise und gepresst und voller Schmerz. Offenbar hatte der Mann schon einiges abbekommen.
„Falsche Antwort, Abschaum.“
Ein dumpfer Schlag ertönte, gefolgt von einem schmerzerfüllten Aufkeuchen und einem unterdrückten Frauenschrei. Wieder ertönte die Stimme der Frau, jetzt weinerlich und angsterfüllt klingend.
„Bitte… bitte… lasst ihn in Ruhe… wenn ihr mir das versprecht, dann werde ich… ihr dürft dann…“
„Ist sie nicht süß, Männer, sie glaubt tatsächlich sie hätte eine Wahl!“
Das war wieder die erste Stimme. In geduckter Haltung schlich Veridon näher. Er konnte nun vereinzelte Schemen erkennen. Vier Männer in lumpiger Fellkleidung standen um eine Frau herum. Drei von ihnen trugen eisenbeschlagene Holzknüppel bei sich, der vierte hatte ein Messer auf die Frau gerichtet. Sie hatte Veridon den Rücken zugekehrt, so dass er nur ihr braunes schulterlanges Haar sehen konnte. Am Boden neben der Frau lag zusammengekrümmt ein Mann und hielt sich den Bauch.
Der ehemalige Diener Bellums schickte ein schnelles Gebet zu den Vieren, dass die Räuber ihn nicht zu früh bemerken würden. Die Kerle waren aber viel zu sehr auf die Frau konzentriert. Der hinter ihr stehende packte sie an den Schultern, während der Mann mit dem Messer eben jenes hinter seinen Gürtel klemmte und begann an seiner Hose herum zu nesteln. Die beiden links und rechts von ihm johlten und feuerten ihn an.
Mit großen Sätzen überwand Veridon die letzten Schritte zu der Gruppe, achtete dabei sorgfältig darauf nicht im letzten Moment noch über eine Wurzel zu stolpern. Seine Robe schützte ihn bis zuletzt vor neugierigen Blicken. Dann war er heran, holte mit seiner improvisierten Waffe aus und schlug sie kraftvoll gegen den Hinterkopf des Abschaums, der die Frau gepackt hielt. Sein Kopf prallte nach vorn gegen den Kopf der Braunhaarigen. Deutlich hörte man die Wirbelsäule des Mannes brechen. Die Frau schrie erschrocken auf. Die Kameraden des Toten waren zu überrascht, um auf den plötzlichen Angriff reagieren zu können. Der Messerträger hatte eine Hand immer noch tief in seiner Hose vergraben. Das nutzte Veridon aus und rammte ihm kräftig das Ende des Astes in das Gesicht. Seine Nase brach, Blut spritzte und ohnmächtig sackte er nach hinten zurück. Von den zwei noch stehenden Räubern bekam einer es mit der Angst zu tun und nahm die Beine in die Hände. Der andere erholte sich von seinem Schock und ging nun seinerseits zum Angriff über. Veridon musste einen kräftigen Schlag mit der Keule abwehren. Ein gefährliches Knacken von brechendem Holz erklang und er Begriff, dass seine Waffe kurz davor war den Geist aufzugeben. Wieder holte der Räuber zu einem mächtigen Schlag gegen seine Hüfte aus und dieses Mal brach der Ast in zwei. Der Aufprall der Keule wurde dadurch abgebremmst, dennoch taumelte Veridon zwei Schritte beiseite und fand sich in den Ästen einer jungen Tanne wieder. Er war noch dabei sich von der nadeligen Umklammerung zu befreien, da holte der Angreifer erneut aus. Im letzten Moment gelang es Veridon sich zur Seite zu rollen und der Schlag ging ins Leere. Hastig sah er sich um. Er brauchte eine neue Waffe, denn er würde den Schlägen nicht ewig ausweichen können. Sein Blick blieb an der Frau hängen, die wie erstarrt da stand und den Kampf verfolgte.
„Schnell, das Messer!“, rief Veridon ihr zu.
Es dauerte einige Augenblicke bis sie zu begreifen schien und sich aus ihrer Starre löste. Kostbare Zeit, die der Räuber zu einem weiteren Angriff nutzte. Hauchdünn pfiff die Keule über Veridons Kopf hinweg, als er unter dem Schlag weg tauchte. Ein kurzer Blick zu der Frau sagte ihm, dass es ihr inzwischen gelungen war, dem Bewusstlosen mit der gebrochenen Nase das Messer abzunehmen. Doch sie stand zu weit weg. Der Räuber hatte das erkannt und vertrat Veridon den Weg. Ein löchriges dreckiges Grinsen breitete sich auf seinem von Warzen übersäten Gesicht aus.
„Du kämpfst wie ein dummer Bauer.“, meinte er mit rauer Stimme in Richtung des Waffenlosen.
„Wie passend, du kämpfst wie eine dumme Kuh.“
Wutschnaubend ging der Räuber erneut zum Angriff über.
„Das Messer! Werft es mir zu!“, schrie Veridon, dann musste er der Keule ausweichen. Er konnte nur kurz zu der Frau sehen, dann zog das beschlagene Holz wieder seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Frau ziemlich ungeschickt ausholte und das Messer in seine Richtung warf. Der Wurf war zur kurz und das Messer landete zwei Schritte von ihm entfernt im nassen Laub. Erneut sauste die Keule heran, dieses Mal von oben schräg gegen seinen Kopf. Veridon sprang zur Seite, nutzte den Schwung und rollte sich auf dem Boden ab. Er bekam das Messer zu fassen, nur leider bloß an der Klinge. Tief schnitt sich das schartige Metall in seine Finger. Er hatte allerdings keine Zeit den Schmerz an sich heranzulassen, sondern drehte sich herum, zielte und schleuderte das Messer gegen den Räuber. Das Messer schabte an der erhobenen Keule vorbei, wurde dadurch leicht in der Richtung geändert und bohrte sich tief in die Kehle des Angreifers. Mit einem gurgelnden Laut brach er zusammen.
Keuchend ging Veridon in die Knie und schnappte nach Luft. Nach den Jahren des Umherziehens war er ziemlich eingerostet. Jetzt erst wurde er des Schmerzes in seiner rechten Hüfte und Hand bewusst. Da er noch gehen konnte war wohl nichts gebrochen, aber es würde vermutlich einen ziemlich üblen blauen Fleck geben. Der Schnitt in seiner Hand hingegen war nicht so schlimm wie gedacht. Bei den Schwertübungen während seiner Zeit als Novize hatte er sich schon schlimmere Verletzungen zugezogen.
Als er wieder zu Atem gekommen war, erhob er sich und sah nach dem Ehepaar. Die Frau hatte sich über ihren Mann gelehnt und tupfte ihm mit einem Tuch über das Gesicht. Als Veridon herantrat, sah sie zu ihm auf. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und Furcht hatte sich tief hineingefressen, dennoch brachte sie ein schwaches Lächeln zu Stande.
„Danke, oh Herr. Ihr habt mir und meinem Mann das Leben gerettet…“
„Wie geht es ihm?“
„Die Männer haben ihm das Bein gebrochen und er hat einige üble Schläge in den Bauch abbekommen, aber er ist am Leben.“
„Er muss zu einem Heiler. Kommt, ich werde euch helfen ihn fort zu bringen. Wer weiß, vielleicht kehrt der entkommene Räuber mit ein paar seiner Kumpanen zurück.“
Die Braunhaarige nickte und gemeinsam zogen sie den halb-bewusstlosen Mann in die Höhe. Als sie seine Arme über ihre Schultern gelegt hatten, wandte die Frau den Kopf in Richtung Veridon.
„Nicht weit von hier wohnt eine alte Frau. Sie ist eine Kräuterkundige. Am besten bringen wir sie dort hin.“
„Einverstanden.“
Langsam gingen sie voran und der Verletzte gab sich alle Mühe zumindest zu Humpeln. Als sie an dem bewusstlosen Räuber mit der gebrochenen Nase vorbei kamen, wurde die junge Frau langsamer.
„Wartet einen Augenblick.“
Veridon sah ihr stirnrunzelnd nach, als sie den Arm ihres Mannes von ihren Schultern gleiten ließ. Sie eilte hinüber zu dem Toten, der kurz zuvor mit Veridon gekämpft hatte. Ohne Scheu griff sie hinab, zog das Messer aus der Kehle des Mannes und kam dann zurück geeilt.
„Eine gute Idee, vielleicht können wir das Messer noch… halt, was tut ihr da?!“
Als die Frau näher kam, ging sie über dem Bewusstlosen in die Hocke und rammte ihm das Messer zwischen die Rippen. Dann spuckte sie ihm ins Gesicht und erhob sich.
„Seid ihr von allen Vieren verlassen? Was sollte das? Der Mann war bewusstlos und stellte keine Gefahr mehr da!“
„Ihr seid nicht von hier, oder?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 12.12.09, 17:42 
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Vandrien, eine Hütte im Wald westlich von Pas

Die drei kamen nur langsam voran. Nach dem Ende des Kampfes hatte Veridons Hüfte schon bald zu Schmerzen begonnen. So humpelten sie gemeinsam dem Ziel entgegen.
Der Nebel hatte sich ein wenig gelüftet, da wurde Veridon sich eines Schattens bewusst am Rand seines Gesichtsfeldes bewusst. Als er den Kopf in die Richtung der Bewegung drehte, konnte er ein großes Geschöpf ausmachen, das in einigen Schritten Abstand neben ihnen her lief. Der Größe nach musste es sich um einen Bären handeln, doch die Art wie es sich bewegte passte besser zu einem Wolf. Hastige Bewegungen vermeidend wandte er seinen Kopf zu seinen Begleitern.
„Scheint als wäre ein Bär auf uns aufmerksam geworden. Hoffen wir, dass wir nicht in das Gebiet einer jungen Mutter eingedrungen sind.“
„Das ist kein Bär.“, antwortete die junge Frau und schien sich auch sonst nicht um den stillen Begleiter zu sorgen.
„Aber wenn es kein Bär ist, was...“
Noch ehe er den Satz beenden konnte, traten vor ihnen drei weitere mächtige Geschöpfe aus dem Wald. Jetzt erkannte Veridon seinen Irrtum. Es waren tatsächlich keine Bären, sondern geradezu riesige Wölfe. Riesige Wölfe, deren Nackenfell sich sträubte und die bedrohlich knurrend zu den drei Wanderern sahen. Nein, viel mehr sahen sie zu Veridon. Ein besonders großes Tier, über dessen linke Gesichtshälfte sich eine alte Narbe zog, trat vor.
„Macht jetzt keinen Fehler.“, zischte die Frau neben ihm und wandte sich dem Wolf zu.
„Er gehört zu mir.“
Widerstrebend wichen die Wölfe beiseite und gaben den Weg frei. Erst als Veridon die Tiere hinter sich gelassen und sich vergewissert hatte, dass sie ihm nicht folgen, wagte er es wieder die Stimme zu erheben.
„Was waren das für... Viecher?“
Aus dem Hintergrund ertönte ein lautes Knurren.
„Ihr solltet die Klauenwölfe besser nicht so nennen in ihrer Gegenwart.“
Klauenwölfe? Veridons Gedanken überschlugen sich. Irgendwo hatte er diesen Namen schon einmal gehört. Ein Wirt hatte ihm vor zwei oder drei Jahren ein Schauermärchen erzählt. Ja, er erinnerte sich. Klauenwölfe waren der Legende nach ein uraltes Geschlecht. Ihre Blutlinie reichte bis weit zurück in die Vorgeschichte Tares, als die Amulettkriege noch in ferner Zukunft lagen. Wenn es so etwas wie Könige unter den Wölfen gab, so waren diese Tiere es. Sie zeichneten sich durch Kraft, Schnelligkeit und Intelligenz aus. Ihren Namen hatten sie vom Klauengebirge, dass den letzten ihrer Art als Rückzugsort dienen soll. Wie ihr richtiger Name lautete war nur ihnen selbst bekannt. Angeblich waren sie vor den Amulettkriegen sogar ein Volk gewesen wie Elfen, Menschen und Zwerge auch. Doch der Eine und seine Dämonen hatte fast alle von ihnen ausgelöscht. Seit dem versteckten sie sich in den engen Tälern und dichten Wäldern.
„Klauenwölfe?“
Nun, scheinbar war an der Legende mehr dran, als Veridon gedacht hatte.
Kurze Zeit später kamen sie zu einer kleinen, schiefen und vom Moos überwachsenen Hütte mitten im Wald. Veridon hatte sie auf den ersten Blick gar nicht erkannt und wäre beinahe an ihr vorbei gelaufen, hätte seine Begleiterin ihn nicht angehalten. Sie ließ das Gewicht ihres Mannes nun ganz auf Veridons Schultern ruhen und trat vor um an eine verwitterte Türe zu klopfen.
Es dauerte einige Augenblicke, dann war aus dem Inneren ein Schlürfen zu hören. Schließlich öffnete sich die Türe mit einem markerschütternden Knarren. Ein Schwall warmer Luft stieß ihnen entgegen und in dem Türspalt erschien das Gesicht einer uralten Frau. Jedenfalls vermutete Veridon, dass es sich um eine Frau handelte. Das Gesicht war mit so vielen Falten bedeckt, dass es jedem Faltenrock am Bernsteiner Hof Konkurrenz machen konnte.
„Ah, da seid ihr ja, Narbenschnauze hat euch schon angekündigt. Nun, was wollt ihr von der alten Ilja?“
Veridons Begleiterin deutete einen Knicks an.
„Oh Ilja, mein Mann und ich wurden von mehreren Räubern überfallen. Dieser Herr hier eilte uns zu Hilfe und vertrieb und tötete die Räuber, aber meinem Mann brachen sie ein Bein und schlugen ihn mehrmals in den Bauch.“
Die Alte richtete ihre erstaunlich klaren Augen auf Veridon und den an seinen Schultern hängenden Mann.
„Mhm... mhm... das wird dich einen Monat kosten, wenn die alte Ilja sich darum kümmern soll.“
Die Frau wurde etwas bleicher, nickte aber dann. Die Alte schien damit zufrieden zu sein, stieß die Türe weiter auf und winkte die drei Wanderer herein. Als die Frau wieder neben Veridon trat, um ihm einen Teil der Last abzunehmen, wandte er sich leise Flüstern an sie.
„Einen Monat? Was meinte sie damit?“
„Ilja ist nicht mehr die Jüngste... wenn jemand etwas von ihr will, muss er ihm Gegenzug einige Zeit bei ihr verbringen und den Haushalt für sie machen. Es ist harte Arbeit, aber wenn sie meinem Mann dafür hilft...“
Gemeinsam betraten sie die Hütte, die nur aus einem einzigen Raum zu bestehen schien. Die Alte dirigierte sie zu einem Bett, dass durch einen Vorhang vom Rest des Raumes abgetrennt war. Vorsichtig legte Veridon den Verletzten darauf ab, dann wurde er davon gescheucht. Der Vorhang wurde zugezogen und Veridon blieb allein im Raum zurück. Nachdenklich sah er sich um. An der Seite loderte ein wärmendes Feuer im Ofen. Darüber war ein kleiner Topf angebracht, in dem eine Flüssigkeit blubberte. Als er näher trat, erkannte er, dass es sich um Hühnersuppe handelte. An der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand ein kleiner Tisch, der über und über mit staubigen Gläsern bedeckt war. Beinahe schon vermutete Veridon in den Gläsern schwimmende Augen und Echsenschwänze, doch es handelte sich nur um verschiedene getrocknete Kräuter und Blumen. Skeptisch betrachtete einen wackeligen alten Stuhl, entschied dann aber das er sein Gewicht aushalten würde und ließ sich darauf sinken.
Die Behandlung des Verletzten zog sich hin und so wandte sich Veridon wieder seinen eigenen Gedanken zu. Aus einer kleinen Tasche zog er einen metallischen Flachmann, entfernte den Verschluss und nahm einen kräftigen Schluck. Der Schnaps brannte ihm angenehm in der Kehle. Früher hatte er nicht viel von solchen Dingen gehalten. Alkohol schwächte den Körper, doch nachdem er seine Frau und seinen Sohn verloren hatte, hatte sich vieles geändert...
Nachdem er die Diener des Einen besiegt hatte, war er nach Hügelau gereist. Angeblich hatte ein Bote der Oculus seinen Sohn dort hin bringen sollen. Doch dieser Bote war niemals auf Hügelau angekommen. Er hatte sich umgehört, versucht herauszufinden ob eines der Schiffe ein kleines Kind mitgebracht hatte. Schließlich hatte er erfahren, dass ein Matrose davon berichtet hatte, wie Mann der dem Aussehen nach dem des Boten entsprach, auf dem Meer über Bord gegangen war. Sein Sohn Benion blieb aber weiterhin verschwunden. So hatte er annehmen müssen, dass auch sein Sohn der Intrige zum Opfer gefallen war. Nach mehreren Wochen gab er die Hoffnung auf und reiste ab. Seitdem zog er ohne Ziel durchs Land, verdingte sich mal als Feldarbeiter und mal als Kesselflicker. Sein Schwert hatte er schon vor einer ganzen Weile gegen eine Flasche Schnaps eingetauscht. Der Alkohol half ihm dabei zu vergessen. Und je mehr er davon trank, umso mehr vergaß er, dass er einst ein stolzer Diener Bellums gewesen war – bevor ihn die Oculus zum Meuchelmörder ausgebildet hatte und bevor er alles was ihm Lieb war verloren hatte. Bellum war ihm schon lange nicht mehr Hold.
Wieder nahm er einen großen schluck aus dem Flachmann. Da wurde der Vorhang beiseite gezogen und Ilja kam hervor. Im Hintergrund sah er, wie die Frau über ihren Ehemann gebeugt stand und ihm zärtlich über die Wange strich. Es zerriss Veridon beinahe das Herz zu sehen wie andere Glücklich waren...
Ilja bemerkte den Flachmann in seiner Hand und bestrafte ihn dafür mit einem missbilligendem Blick.
„Das Mädchen hat der alten Ilja gesagt, dass du auch getroffen wurdest. Die alte Ilja will sich das ansehen.“
„Was wird mich das kosten?“
„Einen Gefallen, meint die alte Ilja.“
„Ein Gefallen?“
Die alte nickte und deutete mit ihrem krummen Zeigefinger auf ihn.
„Zieh deine Hose aus.“
„Ich glaube nicht, dass ich solch einen Gefallen...“
„Dummkopf! Die alte Ilja will sich deine Verletzung ansehen.“
Zögerlich kam Veridon der Aufforderung nach. Er verzog das Gesicht, als die Alte mit ihren trockenen Fingern über den blauen Fleck an seiner Hüfte tastete. Es fühlte sich an als würde man von einem Skelett gestreichelt. Leise murmelnd schlürfte Ilja zu einem Regal in der Ecke des Raumes und zog einen Tiegel mit einer dreckigen gelben Salbe hervor.
„Die alte Ilja wacht schon seit vielen Jahren über diesen Wald. Sie und ihresgleichen bindet ein uralter Schwur an die Klauenwölfe. Doch der alte Jüngling hat dieses Bündnis befleckt. Du, Nebelklinge, wirst diesen Fleck beseitigen.“
„Nebelklinge?“
Veridon runzelte die Stirn.
„Ich glaube ihr verwechselt mich da mit jemandem...“
„Schweig und lausche den Worten einer Alten. Wir leben nicht ewig und können unsere Zeit nicht mit dummen Geplapper vergeuden.“
Die Alte nahm einen Klecks Salbe und verschmierte sie auf dem blauen Fleck. Zuerst brannte es ein wenig, doch beinahe sofort verschwand das Brennen und mit ihm der Schmerz.
„Wer ist dieser Jüngling von dem ihr redet? Muss ich einen Bauernburschen verprügeln?“
„Der alte Jüngling!“, erwiderte Ilja scharf.
„Niemand hört mehr richtig zu, was die alte Ilja sagt. Es ist der alte Jüngling. Du wirst es wissen, wenn du ihm gegenüber trittst.“
„Und was macht euch so sicher, dass ich das werde?“
„Du hast keine andere Wahl. Doch sei gewarnt: Wenn Nebelklinge dem alten Jüngling entgegen tritt, wird jemand sterben müssen.“
„Wäre es dann nicht sehr unklug, ihm gegenüber zu treten?“
„Du hast keine andere Wahl.“, wiederholte die Alte und schlürfte zurück zum Regal um den Tiegel mit der Salbe dort abzustellen.
„Der Wald hat es der alten Ilja geflüstert.“
„Der Wald...“
„Der Wald, ja! Der Wald war hier schon bevor unser Geschlecht über Tare wandelte und er wird es auch dann noch sein, wenn die goldenen Türme von Draconis zu Staub zerfallen sind. Seine Wurzeln reichen tief bis zum Herzen Tares.“
Veridon wusste nicht was er darauf erwidern sollte. Ganz offensichtlich war er in das Haus einer Verrückten gekommen. Immerhin hatte die Salbe ein wahres Wunder bewirkt, denn von dem Schmerz war nichts mehr zu spüren. Langsam zog er die Hose wieder nach oben und schloss den Gürtel. Es wurde Zeit, dass er von hier fort kam. Sollte die Frau ihn doch ruhig für diesen „Nebelklinge“ halten, er jedenfalls würde schauen das er sich von allen Problemen fern hielt.
„Nun, jedenfalls vielen Dank für eure Hilfe... Ilja.“
Die alte Vettel schenkte ihm nur ein schwaches Nicken.
„Ich denke ich werde jetzt weiter ziehen. Richtet meinen beiden Begleitern bitte meine Entschuldigung und die besten Wünsche aus. Die Viere mit euch...“
„Möge die Mutter über deinen Weg wachen, Nebelklinge.“
Seufzend trat Veridon hinaus in den Wald. Er sah nicht, wie sich ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht Iljas breit machte.

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Vandrien, ein kleines Dorf nicht einmal einen Zyklus vor Pas

Mürrisch blickte der Wirt des kleinen Gasthauses zu dem Mann an dem Ecktisch gleich neben der Türe. Er kannte solche Leute. Kamen hier her, betranken sich ordentlich und machten dann Ärger. Die wenigsten von ihnen hatten genug Geld um die Zeche zu bezahlen. Seufzend erinnerte sich der dicke Mann mit dem fettigen Hemd an die gute alte Zeit vor dem Bürgerkrieg zurück. Zwar war das Dorf Sturmloch auch damals nicht größer gewesen, aber die Lage des Dorfes am Handelsweg zwischen Vandrien und Ersont hatten ihm und seinen Bewohnern zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen. Es fanden sich immer Händler die hungrig waren oder von den plötzlichen Wetterwechseln am Rand der Klauenberge überrascht wurden. Doch seit dem der Krieg ausgebrochen war, kam kaum noch jemand hier her. Vor kurzem dann mussten sich die vereinten Truppen des Königs und der Kirche weit hinter Pas zurückziehen. Damit war das Dorf nun schutzlos Räuberbanden oder noch schlimmeren ausgeliefert.
Brummend nahm er zur Kenntnis wie der Mann in der dreckigen Robe seinen Krug hob um nach Nachschub zu verlangen. Er füllte einen Krug mit dem alten schalen Bier statt dem guten frischen – den Unterschied würde der Fremde in seinem jetzigen Zustand eh nicht mehr bemerken – und brachte es hinüber zum Tisch. Dort angekommen knallte er es dem Sitzenden vor seiner Nase auf den schweren Holztisch.
„Geht mich ja nichts an ob du dich wirklich schon so früh am Tag besaufen willst oder nicht, aber ich hoffe du kannst wenigstens dafür zahlen.“
Ohne Kommentar griff der Mann in eine Umhängetasche, die er nach dem dritten Versuch auch traf, und kramte einige Dukaten hervor. Achselzuckend strich der Wirt das Geld ein und kehrte zu seinem Tresen zurück.
Veridon griff nach dem neuen Humpen, hielt kurz an um aufzustoßen und setzte den Holzkrug an seine Lippen um einen kräftigen Schluck zu nehmen. Er versuchte gar nicht erst Zeit darauf zu verschwenden etwas von dem Gerstensaft zu schmecken. Das bisschen Verstand, dass ihm noch geblieben war, sagte ihm, dass der Wirt ihm sicher nicht mehr sein bestes Bier gab. Eigentlich hätte er deswegen ärgerlich sein müssen, doch ihm kam es nicht auf den Geschmack an. Die Begegnung im Wald und der anschließende Abstecher zur Hütte der Kräuterfrau hatte zu viele alte Erinnerungen in ihm geweckt, die er nun versuchte hinweg zu spülen. So wie es aussah war er auf gutem Weg dorthin. Dabei war ihm völlig klar, wie falsch sein Handeln war. Es fehlte ihm die Stärke dem Alkohol zu entsagen. Und verdammt, war der Rausch nicht eine süße Gabe Vitamas? Er hatte alles Recht dazu sich so zu betrinken.
Vermutlich hätte Veridon mit seinem Unternehmen tatsächlich Erfolg gehabt, wenn in diesem Augenblick nicht die Tür aufgeflogen wäre. Herein kamen vier Männer in dunklen Rüstungen, ihr Gesicht durch einen Helm verdeckt. Soldaten der Schwarzen Legion. Der Wirt erstarrte hinter seinem Tresen und senkte hastig den Blick. Der vorderste der Soldaten, offensichtlich so etwas wie der Anführer, ergriff das Wort.
„Das Volk dieses Dorfes wird aufgefordert sich auf dem Brunnenplatz einzufinden. Wer sich weigert oder Widerstand leistet wird getötet.“
Soweit es möglich war, wurde der Wirt noch ein Stück blasser und rief nach seiner Familie. Veridon hingegen blieb ruhig sitzen. Sollten ihn die dreimal verfluchten Soldaten doch töten, dann wäre wenigstens endlich alles vorbei. Er reagiert selbst dann nicht als der Anführer des Trupps direkt hinter ihm Stellung bezog.
„Das gilt auch für dich Abschaum!“
Erst jetzt wandte Veridon seinen Blick über die Schulter und blickte direkt hinauf zum vom Helm verdeckten Gesicht des Soldaten. Dieser zögerte nicht lange, holte mit seiner Hand aus und ohrfeigte den Betrunkenen so stark, dass er das Gleichgewicht verlor und vom Stuhl kippte. Seine Kameraden quittierten den Schlag mit rauem Gelächter.
„Schnappt euch den Trunkenbold und bringt ihn raus zum Platz. Er wird sicher ein gutes Beispiel abgeben.“
Benommen am Boden liegend nahm Veridon war, wie zwei der Soldaten auf ihn zu kamen, ihn bei den Armen packten und dann hinaus schleiften. Das grelle Licht blendete ihn und Schreie brannten sich in seinen Schädel wie heiße Nadelstiche. Er brauchte einige Zeit, bis er Begriff was los war. Die Soldaten der Schwarzen Legion trieben alle Dorfbewohner auf dem Platz vor dem kleinen Brunnen zusammen. Dort angekommen wurde er wie ein Mehlsack fallen gelassen. Es kostete ihn zwei Versuche, bis es ihm gelang sich endlich in die Höhe zu drücken.
Unterdessen nahmen die Soldaten der Legion um die Dorfbewohner Aufstellung. Eine Fanfare ertönte (die Veridon erneut höllische Kopfschmerzen bereitete) und ein es bildete sich eine Gasse für eine Gruppe von Reitern. An ihrer Spitze ritt aufrecht ein Mann mit schwarzem Haar und unnatürlich blassem Gesicht. Im Gegensatz zu den anderen Soldaten trug er keinen Helm. Seine schwarze Rüstung war auf Hochglanz poliert. Die Arm- und Schulterschoner wurden von spitzen Dornen gekrönt und an der Seite des Reiters baumelte ein blutrotes Schwert.
Auf das Zeichen des Reiters hin hielten die Reiter an. Die Soldaten nahmen Haltung an und brüllten alle wie aus einer Stimme:
„Gruß euch, Herzog Blutschwert!“
Ein süffisantes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Schwarzhaarigen. Veridon wagte einen kurzen Blick und musste unwillkürlich erschauern. Das Gesicht des Mannes war von makelloser jugendlicher Schönheit. Durch die Hautfarbe gewann man den Eindruck einer Puppe gegenüber zu stehen. Doch am absonderlichsten waren die Augen des Mannes. Wie sein Schwert waren sie blutrot und ohne Pupille. Hastig senkte Veridon seinen Blick wieder.
Im Gegensatz zu seinem Aussehen schalte die Stimme des Herzogs kräftig über den Platz.
„Bürger Vandriens! Freut euch! Die Schwarze Legion ist gekommen, um euch von der Tyrannei des Königs und den verräterischen Vieren zu befreien! Euer Dorf wurde dazu auserkoren einen Teil unseres wachsenden Reiches zu werden. Gemeinsam werden wir die Besatzer aus diesem Land vertreiben zu Ehren des Gottkönigs! All‘ jene von euch, die stark genug sind und willig ihm zu dienen werde ich in eine neue, eine bessere Zukunft führen. Die Schwachen aber werden zu Grunde gehen. Für sie ist kein Platz in dieser neuen Welt. Es ist eine Welt der Ehre und Stärke!“
Er gab seinen Soldaten ein Zeichen, darauf schwärmten sie aus. Zwei von ihnen kamen direkt auf Veridon zu und zogen ihn von den anderen Dorfbewohnern fort. Außer ihm wurde noch ein weiterer Mann aus der Menge geholt. Er trug Kleidung die ihm viel zu groß war und sein Gesicht war von einfacher Natur. Er schien nicht recht zu Begreifen, was die Soldaten von ihm wollten. Veridon vermutete, dass es sich um den Dorftrottel handelte. Wieder ergriff der Mann Namens Blutschwert das Wort.
„Seht diese Säufer und diesen Idioten. Für sie ist kein Platz in der neuen Welt des Gottkönigs! Es ist unsere Pflicht sie zu töten, denn sie sind wie Ratten. Sie nisten sich bei uns ein und stehlen unser Essen. Doch der Gottkönig ist großzügig. Er glaubt daran, dass Leute sich bessern können! Darum frage ich euch: Wer von den beiden soll leben und die Möglichkeit bekommen sich zu beweisen?“
Schnell war Veridon klar, dass seine Situation ziemlich ausweglos war. Wenn die Dorfbewohner eine Wahl zwischen einem fremden Säufer und einem aus ihrer Mitte hatten, so würden sie sich eindeutig für jenen Mann aus ihrer Mitte entscheiden. Und so kam es dann auch. Erst waren die Rufe nur verhalten, doch dann gewannen sie zunehmend an Lautstärke. Sie forderten ihren Nachbarn leben zu lassen und den Fremden zu töten. Der Reiter hob die Hände um die Menge zu beschwichtigen.
„Ich habe euren Wunsch gehört!“
Mit einem Nicken gab er dem Soldaten neben Veridon ein Zeichen, der daraufhin sein Schwert zog – und den Dorftrottel niederstreckte. Ein Aufschrei ging durch die Menge, was von dem Herzog mit einem kalten Lächeln beantwortet wurde.
„Glaubt ihr wirklich, dass der Gottkönig sich von euch etwas sagen lässt? Ihr seid seine Untertanen! Von euch wird Gehorsam und Disziplin erwartet! Arbeitet hart! Hört auf meine Worte und die Worte meiner Soldaten! Werdet stark! Dann werden wir gemeinsam in die neue Zukunft schreiten. Ich werde einige meiner Soldaten bei euch lassen, damit sie euch bei eurem Weg unterstützen.“
Erneut gab er ein Zeichen und die Soldaten der Schwarzen Legion machten sich daran geordnet vom Platz ab zu marschieren. Erst jetzt wurde Veridon zweier Klauenwölfe gewahr, die hinter den Reitern zum Vorschein kamen. Sie näherten sich dem am Boden liegenden Toten und machten sich über ihnen her. Weder Veridon noch die Dorfbewohner wagten es sich zu bewegen. Hin und wieder ertönte ein lautes Knacken, als ein Knochen brach. Als sie fertig waren, kehrten sie zu den Reitern zurück, die daraufhin kehrt machten und ohne den Dorfbewohnern noch einmal Aufmerksamkeit zu schenken davon galoppierten. Veridon eilte hinter die nächste Hütte und übergab sich.

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 6.01.10, 21:01 
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Vandrien, ein kleines Dorf nicht einmal einen Zyklus vor Pas

Schwer keuchend stützte sich Veridon an der Holzwand der Hütte vor ihm ab. Aus Richtung des Brunnenplatzes tönten die Geräusche der Soldaten zu ihm heran. Den Geräuschen nach begannen sie damit sich im Dorf einzurichten. Davon bekam Veridon jedoch nicht viel mit. Das Blut rauschte ihm in den Ohren und pochte heftig in seinen Schläfen. Als er sich nach einiger Zeit wieder beruhigt hatte, richtete er sich auf und überlegte was als nächstes zu tun sei. Er konnte unmöglich hier im Dorf bleiben. Welche Möglichkeiten blieben ihm dann? Im Westen lag das Feindesland. Würde er sich nach Norden wenden, könnte er versuchen sich bis zu den Barbaren nach Khalandra durchzuschlagen. Im Süden warteten die Klauenberge mit ihren hohen schneeverzierten Spitzen auf ihn. Und im Osten lag Pas. Zwar war die Schwarze Legion scheinbar noch nicht dorthin vorgedrungen, doch angesichts des Rückzugs der Eronster würde die Stadt bald fallen. Konnte er hoffen die Schwarze Legion zu überholen und noch vor ihnen durch den Pass zwischen den Bergen zu gelangen? Wohl kaum. Also blieb nur der Weg nach Norden.
Seine Gedanken schweiften ab zu den Ereignissen auf dem Brunnenplatz. Noch immer sah er den toten Mann vor Augen. Bei den Vieren, das hätte er sein können. Seine Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis und er stand eine ganze Zeit lang wie eine Statue zwischen den Häusern. Dann besann er sich an seine Ausbildung zum Diener Bellums. „Liebe vor Lieblosigkeit, Denken vor Gedankenlosigkeit, Tat vor Untätigkeit, Ruhe vor Ruhelosigkeit.“, hatte sein alter Lehrer immer gesagt. Er atmete einige Male tief durch, um sich zu beruhigen. Jahrelang hatte er diesen Spruch vergessen, doch jetzt kehrte er in sein Bewusstsein zurück. Er fühlte sich dadurch gestärkt und ging die nächsten notwendigen Schritte im Kopf durch…
Als die Dunkelheit einem Schatten gleich über das Dorf hereinbrach kam Veridon aus seinem Versteck. Ein Großteil der Legion war weitergezogen, nur etwa zwanzig Mann waren zurückgeblieben. Sie hatte sich zwei der Häuser der Dorfbewohner zur Unterkunft auserkoren. Jetzt, da die Nacht hereinbrach, teilten sie Wachen ein, die jeweils zu zweit an den Grenzen des Dorfes mit Fackeln patroulierten. Veridon nahm sich einige Zeit das Muster ihrer Bewegungen in sich aufzunehmen. Dann passte er einen geeigneten Augenblick ab und verschwand hinaus in die Dunkelheit.
Nachdem er ein gutes Stück zwischen sich und das Dorf gebracht hatte, wagte er es innezuhalten um sich zu orientieren. Die Viere mussten ihm hold sein, denn Ausnahmsweise war der Himmel einmal nicht von dicken Wolken verhangen und so konnte er die Sterne erkennen. Er versuchte sich erneut an seine Ausbildung zurück zu erinnern. Damals waren sie mitten in der Nacht zu einem Marsch in voller Waffenmontur aufgebrochen. Als sie weit genug vom Ausbildungslager entfernt waren, wurden sie „zufällig“ von ihrem Anführer getrennt. Nur mit Hilfe der Sternbilder mussten sie sich orientieren und den Weg zurück finden. Das war eine der vielen kleinen Prüfungen gewesen, die man den Anwärtern des Bellumsordens damals auferlegt hatte. Doch das war Jahre her…
Es dauerte einige Zeit, dann glaubte er ein vertrautes Sternbild zu erkennen. Etwas links von ihm, etwa zwei Hand breit über dem Horizont befand sich „Vitamas Kelch“. Wenn das stimmte, waren die Sterne ein Stück weiter rechts „Der Hammer“ und gleich darunter „Der Amboss“. Wenn man die gedachte Linie zwischen Hammer und Amboss verlängerte, brachte das einen unweigerlich zu „Dem Trabenden Pferd“ und von dort aus ein wenig nach oben musste sich ein Stern Namens „Astraels Wille“ befinden. Er wies verlässlich nach Norden. Veridon konnte sein Aufjauchzen nicht verhindern und wurde sich erst zu spät bewusst, dass er immer noch in Hörweite des Dorfes war. Er hielt einige Augenblicke inne und lauschte in die Nacht hinein. Zum Glück schien ihn niemand bemerkt zu haben. Ein Blick über die Schulter sagte ihm, dass die Wachen noch immer ihren Routen folgten, erkennbar an den Fackeln die ein gespenstisches Licht auf die Häuser der Dorfbewohner warfen. Entschlossen sein Glück nicht noch länger auf die Probe zu stellen, wendete sich Veridon „Astraels Wille“ zu und beschleunigte seine Schritte.
Er lief bis zum Morgengrauen, dann wagte er es nicht weiter zu gehen. Es war nicht auszuschließen, dass die Schwarze Legion Späher entsandt hatte. Also suchte er sich ein Versteck unter einem Brombeerstrauch und verfiel dort in einen von wilden Träumen geplagten Schlaf. Er sah sich selbst auf dem Brunnenplatz des Dorfes, vor ihm der Mann den sie „Blutschwert“ genannt hatten. Er lachte ihn aus. Plötzlich erschien die Kräuterfrau Ilja neben ihm und flüsterte ihm ins Ohr.
„Du hast den alten Jüngling entkommen lassen, Nebelklinge.“
Er wandte sein Gesicht ihr zu, doch sie war verschwunden. Statt dessen ertönte ihre Stimme jetzt hinter ihm.
„Wegen dir musste der Mann sterben, Nebelklinge.“
Schnell drehte er sich herum, doch wieder war sie verschwunden. Als er sich wieder Blutschwert zuwendete sah er sie neben ihm stehen.
„Weißt du wer du bist?“, fragte sie.
Und Blutschwert wiederholte die Frage.
„Weißt du wer du bist?“
Beide sprachen sie nun wie aus einem Mund.
„Weißt du wer du bist? Weißt DU wer du bist? Weißt du wer DU bist? Weißtdu wer dubist? WeißtDUwerDUbist?“
Ihre Stimmen gingen über in ein Donnern, so dass Veridon sich gequält die Hände an die Ohren presste. Im nächsten Augenblick erwachte er schweißgebadet – und sah sich der Spitze eines Schwertes gegenüber, das auf seinen Hals gerichtet war.
Erschrocken versuchte er sich auf zu stemmen, doch die Klinge kroch noch etwas näher an seinen Hals heran.
„Das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen.“
Blinzelnd folgte Veridons Blick die Klinge hinauf zum Gesicht ihres Besitzers. Der Mann hatte graues ungepflegtes Haar und sein Gesicht war mit grüner Farbe beschmiert. Überhaupt schien so ziemlich alles an ihm in verschiedenen Grün- und Brauntönen gefärbt zu sein. Er schien allein zu sein, zumindest konnte Veridon in seinem beschränkten Gesichtsfeld niemand anderes ausmachen.
„Wer…?“, krächzte er fragend.
„Schweig! Hier stelle nur ich Fragen. Und wenn mir deine Antworten nicht gefallen, werden es die letzten sein die du gibst. Du wirst nur dann sprechen wenn ich dich dazu auffordere. Hast du das verstanden?“
„Ja.“
„Wunderbar. Wenn du mitspielst sollte das nicht all‘ zu lange dauern und du kannst deinen Mittagsschlaf in aller Ruhe fortsetzen. Fangen wir also an: Name?“
„V…“, Veridon hustete kurz, sein Hals fühlte sich trocken an. „Veridon.“
„Veridon. Klingt nicht sehr Vandrisch. Woher kommst du?“
„Ursprünglich oder im Moment?“
Die Klinge senkte sich noch näher an seinen Hals heran und ritzte Veridon leicht die Haut.
„Darf ich dich an unsere Abmachung erinnern? Ich stelle die Frage, nicht du. Woher kommst du ursprünglich?“
„Bernstein.“
„Ah… Bernstein, ein schönes Land. Und was machst du hier? Du kommst wohl kaum wegen der frischen Luft und der Ruhe.“
„Ich… bin auf der Durchreise.“
„Auf der Durchreise. Wohin?“
Veridon zuckte schwach mit den Schultern, so gut es ihm in seiner Lage möglich war.
„Ahja…“
Der über ihm stehende Mann begutachtete ihn skeptisch.
„Du siehst mir nicht wie ein Herumtreiber aus. Auf den ersten Blick vielleicht, aber du hast etwas an dir, was ich nicht im Moment nicht zu deuten weiß. Das ist schlecht. Ich mag keine Überraschungen.“
Unruhig sah Veridon nach oben. Er war verdammt noch mal nicht aus dem Dorf entkommen, nur um von einem Fremden im Schlaf überrascht, niedergestochen und ausgeraubt zu werden. Er wog seine Möglichkeiten ab, doch mit der Klinge an seinem Hals sahen diese nicht gerade rosig aus.
„Was also soll ich tun? Du könntest ein Spion der Legion sein. Dann wäre es wohl das beste dich zu töten. Du könntest ein unbescholtener Bürger sein, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Dann wäre es vermutlich ein Fehler dich zu töten. Andererseits siehst du nicht so aus als würde dich jemand vermissen. Was wiederum dafür spricht dich zu töten, rein aus Sicherheit natürlich.“
Bei diesen Aussichten beschloss Veridon etwas zu riskieren.
„Ich weiß etwas über Blutschwert.“
Fast fürchtete schon die Klinge würde ihm noch näher kommen und in seinen Hals dringen, doch eine Reaktion blieb aus. Vielmehr wirkte der Unbekannte tatsächlich für einige Augenblicke überrascht. Dann kehrte seine Fassung zurück.
„Jetzt hast du mich neugierig gemacht, erzähl mir…“
„Hauptmann!“
Der Unbekannte wurde von der Stimme eines Dritten unterbrochen. Also hatte sich Veridon getäuscht und sie waren doch nicht allein. Ohne den Blick von ihm abzuwenden wandte sich der Schwertträger an den unsichtbaren Dritten.
„Was ist, Leutnant?“
„Der Späher hat im Süden einige Reiter ausgemacht. Sie nähern sich schnell.“
„Verstanden. Sagen sie dem Magier er soll ein Portal ins Lager öffnen.“
„Sehr wohl, Hauptmann.“
Der Hauptmann richtete seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf Veridon.
„Nun, Bursche, mir scheint als hättest du dir gerade eben eine magische Reise verdient. Auf die Beine mit dir!“
Das Schwert entfernte sich von seiner Kehle und mühsam begann Veridon sich zu erheben.
„Geht das auch ein wenig schneller? Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“
Als er schließlich auf die Beine kam, sah Veridon das in der Näher noch vier weitere Männer standen. Sie alle trugen wie der Hauptmann grüne Kleidung. Einer von ihnen – wohl der Magier – war damit beschäftigt einige komplizierte Formeln zu rezitieren. Daneben stand ein Mann mit der für Späher üblichen Bewaffnung eines Kurzbogens. Die anderen beiden standen etwas weiter abseits. Einer von ihnen musste wohl der „Leutnant“ sein, der das Wort an den Hauptmann gerichtet hatte.
Als Veridon den Blick nach Süden wandte, konnte er dort mehrere schwarze Schatten wahrnehmen, die er niemals als Reiter hätte ausmachen können. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von einem Knall beansprucht, mit dem die Luft vor dem Magier zerriss und das magische Portal freigab. Der Späher und die beiden anderen Männer eilten hindurch.
„Nach dir, Bursche. Und versuch keine Dummheiten. Mein Freund hier ist ausgebildeter Kampfmagier und macht aus dir schneller ein Häufchen Asche, als du deinen Namen sprechen kannst.“
So angetrieben eilte Veridon in Richtung des Risses in der Luft. Er war noch nicht sehr oft auf diese Weise gereist. Aus gutem Grund: Ihm wurde jedes Mal schlecht dabei. Noch einmal atmete er tief durch und trat ins Portal.

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 19.01.10, 16:53 
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Vandrien, Lager der Königlich Kirchlichen Streitkräfte östlich von Pas

Gelangweilt kaute Veridon auf dem Stück harten Brot herum, dass man ihm gegeben hatte. Sein Blick schweifte zwischen den Eisenstäben hindurch zu den Wänden des Gefängniszeltes, in das man ihn gesteckt hatte. Durch die Zeltplane hindurch konnte er erkennen, dass sich Fela langsam dem Horizont näherte.
Kurz nach seiner Ankunft im Lager durch das magische Portal war er vom Hauptmann und seinem Trupp einem General der Königlichen Armee vorgeführt worden. An das Gespräch erinnerte sich Veridon noch recht gut.
Als die Truppe vor dem General Aufstellung bezog, musterte er sie nacheinander streng und richtete dann seinen Blick auf den Anführer.
„Bericht, Hauptmann!“
„Herr, wie befohlen haben wir die nördliche Route um den Ausläufer der Klauenberge herum ausgekundschaftet. Während der gesamten Zeit blieben wir ohne Feindkontakt. Allerdings sichteten wir am zweiten Tag einige Krähen am Himmel. Ob diese unter dem Einfluss des Feindes standen ist unbekannt. Sie waren zu weit weg um eine magische Betrachtung durchzuführen und wir fürchteten dadurch unsere Position zu verraten. Als wir uns aus nördlicher Richtung der Handelsstraße nach Pas näherten griffen wir diesen Zivilisten hier auf als er ein Mittagsschläfchen hielt. Kurz darauf stießen wir auf den Feind, weshalb ich den Befehl zum Rückzug gab.“
Die Augen des Generals legten sich bohrend auf Veridon.
„Hauptmann, habe ich euch nicht verboten Haustiere mitzubringen?“
„Herr, ja Herr. Allerdings hat der Zivilist angegeben etwas über Blutschwert zu wissen, Herr. In Anbetracht dessen hielt ich es für Weise ihn für eine Befragung ins Lager zu bringen.“
„Habt ihr schon sichergestellt, dass er kein Anker ist, Hauptmann?“
Der Hauptmann zögerte kurz.
„Nein, Herr, habe ich nicht.“
„Hauptmann! Muss ich euch an die Vorschriften zum Umgang mit Gefangenen erinnern?“
Der General richtete sein Augenmerk auf den Kampfmagier des Spähtrupps.
„Magus, führt die Untersuchung durch.“
Daraufhin war der Magier vor Veridon getreten und hatte begonnen einige Formel zu rezitieren. Ein stechender Schmerz und das Gefühl von innen nach außen gewendet zu werden hatte von Veridon Besitz ergriffen. Er hatte das Bewusstsein verloren und war daraufhin in diesem Käfig aufgewacht, vor sich ein Stück Brot und eine Schale mit Wasser. Scheinbar war er kein „Anker“, was auch immer das sein mochte, sonst wäre er wohl nicht mehr aufgewacht.
In diesem Augenblick wurde die Zeltplane am Eingang zurückgeschlagen und der Hauptmann trat in Begleitung eines weiteren Mannes ein. Offensichtlich hatte der Anführer des Spähtrupps die Zeit genutzt und sich die grüne Farbe abzuwaschen und frische Kleidung anzulegen. Er trug jetzt die Uniform eines Hauptmanns der Königlichen Armee. Sein Begleiter hingegen war in eine blaue Robe gehüllt. Zwar war Veridon schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Kirche tätig, aber es fiel ihm nicht schwer das Kleidungsstück als Kampfrobe eines Diener Astraels zu identifizieren. Dieser holte dann sogleich auch einen Stapel Pergamente aus einer Umhängetasche hervor und machte es sich am Zelteingang auf einem Hocker gemütlich.
Der Hauptmann trat näher an den Käfig heran und richtete seinen Blick auf Veridon.
„Bitte verzeiht die Umstände. Wir haben in der Vergangenheit lernen müssen, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, wenn wir mit den Dienern des Monsters zu tun haben. Bis wir uns sicher sind, dass ihr nicht zu ihnen gehört, werdet ihr in diesem Käfig bleiben. Natürlich können wir schneller eine Entscheidung fällen, wenn ihr mit uns zusammen arbeitet.“
„Das werde ich gern versuchen, Hauptmann. Aber dann hoffe ich, dass ihr zukünftig auf die Anwendung von Magie verzichtet. Mir brummt jetzt noch der Schädel.“
„Auch darum bitte ich euch um Verzeihung. Wir mussten sicherstellen, dass ihr kein Anker für ein magisches Portal seid. Der Feind hat sich angewöhnt die Ankerrunen im Körper von ahnungslosen Zivilisten zu verstecken. Wenn wir diese dann bei uns aufnehmen, öffnet sich ein magisches Portal und die Soldaten der Schwarzen Legion strömen hindurch. Es ist unnötig zu erwähnen, dass die Opfer dieser verderbten Magie dabei von innen heraus zerrissen werden. Auf diese Weise haben wir schon zwei Heereslager und Flüchtlingslager verloren.“
Veridon wurde ein Stück blasser und legte das Brot beiseite.
„Nun, vielleicht sollten wir beginnen. Euer Name ist Veridon?“
Der angesprochene nickte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass der Hauptmann vom abwertenden „du“ auf das höfliche „euch“ umgestiegen war. Er deutete dies als Zeichen, dass es mit seiner Situation bergauf ging.
„Ja, so ist es, Hauptmann.“
„Und ursprünglich kommt ihr aus Bernstein?“
„Ja.“
Im Hintergrund machte sich der Diener Astraels eifrig Notizen auf seinen Pergamentblättern.
„Was bringt euch dann nach Vandris, mitten ins Herz des Bürgerkriegs?“
„Wie ich schon sagte, befinde ich mich auf der Durchreise.“
Der Hauptmann setzte einen skeptischen Blick auf.
„So geht das nicht, Veridon. Ihr müsst schon etwas mehr Willen zur Kooperation zeigen. Ihr könnt mir doch nicht erzählen, dass irgendjemand mit ein bisschen Verstand freiwillig den schlimmsten Ort Tares durchquert!“
„Vielleicht mangelt es mir ja tatsächlich an Verstand, Hauptmann.“, meinte Veridon schulterzuckend.
„Ihr seid kein Mann, der gern viel über sich redet, was?“
„Nein.“
„Normalerweise würde mir das nichts ausmachen. Ich selbst bin kein Mann vieler Worte. Aber wenn ihr mir nicht einen triftigen Grund dafür nennt, dass ihr mitten durch ein Kriegsgebiet marschiert, dann haben wir nichts weiter zu besprechen.“
Veridon seufzte schwer.
„Ich reise seit Jahren durchs Land, verdinge mich hier und das als Kesselflicker und versuche auf diesem Weg meiner Vergangenheit zu entkommen. Ich habe kein festes Ziel. Vor einigen Monaten befand ich mich noch in Malthust. Von dort aus haben mich meine Schritte immer weiter nach Norden gelenkt. Die Menschen sind hier sehr dankbar, wenn sich jemand findet der ihnen Töpfe oder Werkzeuge verkaufen kann und noch nicht von der einen oder anderen Seite eingezogen wurde um Schwerter und Schilde zu schmieden. Und wenn man vorsichtig ist, kann man den Gefahren ganz gut aus dem Weg gehen. Dann allerdings hat sich das Einflussgebiet der Schwarzen Legion immer weiter ausgebreitet und ich bevor ich mich versah war ich mitten drin. Seit dem versuche ich mich nach Ersont durchzuschlagen, wurde aber vom Krieg überholt.“
„Seht ihr Veridon, das war doch gar nicht so schwer.“, meinte der Hauptmann zufrieden nickend.
„Und jetzt erzählt mir etwas über Blutschwert.“
„Ich bin ihm, kurz bevor ihr mich aufgegriffen habt, begegnet.“
Der Hauptmann wirkte von einem Augenblick auf den anderen alamiert.
„Wo war das?“
„Im Dorf Sturmloch, kurz nachdem die Schwarz Legion es für sich beansprucht hat.“
Der Mann vor dem Käfig nickte, wandte sich um zum Schreiber und gab ihm ein Zeichen. Daraufhin erhob dieser sich vom Stuhl und eilte zum Zelt hinaus.
„Was hat es mit diesem Blutschwert auf sich, Hauptmann?“
„Nun, zu allererst einmal ist er der Kopf der Schwarzen Legion, ihr Anführer. Darüber hinaus haben wir es hier leider nicht mit einem normalen Menschen, Elfen oder Zwergen zu tun, sondern mit einem Dämon. Ein überaus gefährlicher Dämon sogar, aus der Gegendomäne Bellums. Wie und ob er mit dem Einen zusammenarbeite wissen wir nicht. Sein Ziel ist das Errichten eines eigenen Königreichs in dem nur die Stärksten der Starken überleben.“
Kurz hielt der Hauptmann inne und ließ diese Worte wirken.
„Wir haben schon etliche Male versucht ihm und seiner Reiterei eine Falle zu stellen. Doch jedes Mal wenn er das Schlachtfeld betritt werden Schwerter brüchig und unsere Rüstungen rostig. Die Männer verliert der Kampfesmut und das Schlachtenglück wendet sich gegen uns. Wir beschäftigen eine ganze Armee von Schmieden, die sich nur um das Ausbessern und Ersetzen der Waffen und Rüstungen beschäftigt. Wenn Blutschwert sich nun auf dem Weg hier her befindet, ist Pas nicht mehr zurück zu erobern. Unter Umständen könnte das den Krieg bis nach Ersont ausweiten.“
„Mhm.“
Veridon versuchte diese Informationen zu verdauen. Das mit diesem Blutschwert etwas nicht in Ordnung war, hatte er gleich gewusst. Allerdings hätte er nicht vermutet, dass es sich um solch einen mächtigen Dämon handelte. Das zumindest erklärte, warum die Königlich Kirchlichen Streitkräfte bisher keinen Fortschritt hatten erzielen können.
In diesem Augenblick kehrte der Diener Astraels in das Zelt zurück und flüsterte dem Hauptmann etwas ins Ohr. Dieser nickte und wandte sich wieder Veridon zu.
„Es wurde eine Dringlichkeitssitzung der Stabsführung einberufen. Bitte entschuldigt mich.“
Damit wandte er sich um und eilte aus dem Zelt heraus, dicht gefolgt von dem Mann in der blauen Robe. Kurz bevor auch dieser das Zelt verlies, drehte er sich herum und warf dem Gefangenen einen abschätzenden Blick zu, dann war auch er verschwunden.
So blieb Veridon nichts anderes übrig als es sich mit dem Rest des Brotes auf der Pritsche gemütlich zu machen. Als auch nach längerer Zeit niemand kam, um nach ihm zu sehen, schlummerte er langsam ein.
In seinem Traum fand er sich zurückversetzt in den vom Nebel verhangenen Wald.
„Hallo?“, rief er.
Statt einer Antwort schälte sich vor ihm einer der beeindruckenden Klauenwölfe aus dem Nebel. Kurz spielte er mit dem Gedanken davon zu laufen, doch irgendetwas sagte ihm, dass dieses Tier nichts böses von ihm wollte. Umso erstaunter war er, als der Wolf zu sprechen begann.
„Weißt du wer du bist?“
„Ich verstehe die Frage nicht.“
„Weißt du wer du bist?“
„Meine Name ist Veridon.“
„Das ist ein Name. Weißt du wer du bist?“
Veridon fiel es schwer sich der Komik zu entziehen. Er stand mitten in einem nebeligen Wald und wurde von einem sprechenden Wolf ausgefragt. Immer wenn dieser das Wort an ihn richtete, verzog er merkwürdig das Maul. Es sah aus wie eine Mischung aus Bellen und dem Bewegen von Lippen, wie es bei den Völkern Tares üblich war. Allerdings erinnerten ihn die scharfen Zähne im Maul des Wolfes daran, dass Lachen außerordentlich unangebracht war.
„Ich bin ein Kesselflicker auf der Durchreise.“
„Das ist falsch. Weißt du wer du bist?“
„Was willst du eigentlich von mir?“
„Weißt du wer du bist?“
„Jetzt hör m…“
„Weißt du wer du bist?“
„Würdest d..“
„Weißt du wer du bist?“
„Ich…“
„Weißt du wer du bist? Weißt du wer du bist? Weißtduwerdubist?“
Damit löste sich der Wolf und sein Traum im Grau des Nebels auf.

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 13.02.10, 21:16 
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Vandrien, Lager der Königlich Kirchlichen Streitkräfte östlich von Pas

Die Tage vergingen und Veridon saß weiter im Gefängniszelt. Ab und zu kam ein Soldat vorbei und brachte ihm etwas frisches Wasser und Brot. Mit der Zeit wurde das Essen etwas besser und schließlich wurde dem Brot sogar ein großes Stück Schinken beigelegt. Fragen danach wie es weitergehen sollte wurden Veridon freilich nicht beantwortet. Weder der Hauptmann noch der Diener Astraels ließen sich ein weiteres Mal blicken.
So ging fast eine Woche ins Land, bis an einem kühlen Morgen der Hauptmann wieder in das Zelt trat. Er sah mitgenommen aus, hatte tiefe Ringe unter den Augen und trug einen Verband um den rechten Oberarm. Veridon nahm gerade sein Frühstück zu sich. Als er das bekannte Gesicht sah, erhob er sich von seiner Pritsche.
„Ich grüße euch, Veridon.“
„Den Vieren zum Gruße, Hauptmann. Ihr seht schlecht aus.“
Der Offizier verzog das Gesicht.
„Ich muss mich bei euch entschuldigen, dass ich euch hier so allein gelassen habe. Als Reaktion auf euren Bericht entschied die Stabsführung sofort einen Ausfall gegen die gegnerischen Truppen zu wagen. Doch was als Angriff geplant war, wurde ziemlich schnell zu einem ungeordneten Rückzug. Wir haben hohe Verluste erlitten. Der Feind hat Pas eingenommen und ist dabei sich dort häuslich einzurichten. Er kontrolliert jetzt das Tor nach Vandrien. Wir haben die Hoffnung aufgegeben ihn noch vor dem nahenden Morsan zurückzuschlagen und mit Verstärkung ist erst im Vitama zu rechnen…“
Er machte kurz eine Pause und langte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Verband.
„Mir persönlich graut die Vorstellung vor dem kommenden Dunkeltief. Wir werden uns vermutlich bis in die großen Festungen an der Grenze zu Ersont zurückziehen müssen.“
„Es tut mir leid das zu hören, Hauptmann.“
Stille herrschte, als beide für einige Augenblicke ihren eigenen Gedanken nachhingen.
„Nun, was euch angeht, Veridon, habe ich zumindest eine gute Nachricht. Wir haben entschieden euch eures Weges ziehen zu lassen. Man glaubt der Geschichte, die ihr mir erzählt habt. Auch wenn ich vermute, dass mehr dahinter steckt als ihr zugeben wollt.“
Er machte eine Pause und schien Veridon die Gelegenheit geben zu wollen, etwas dazu zu sagen. Doch dieser schwieg beharrlich.
„Wie dem auch sei. Ihr habt mir gesagt, dass ihr euch nach Ersont durchschlagen wollt. Die Handelsstraße hinter dem Heereslager ist unter unser Kontrolle. Ihr könnt in einer Woche in Ersont sein. Wenn ihr einen Händler findet, der euch auf seinem Karren mitnimmt, vielleicht sogar schon übermorgen.“
In diesem Augenblick betrat ein Soldat das Zelt. Bei sich trug er Veridons Reisegepäck. Zackig salutierte er von dem Hauptmann. Nach einem kurzen Wortwechsel übergab der Soldat das Reisegepäck. Der Hauptmann seinerseits trat auf die Tür des Käfigs zu und öffnete sie.
„Hiermit lasse ich euch also frei. Ich bitte noch einmal um Verzeihung dafür, dass wir euch so lange hier eingesperrt haben. Ihr versteht hoffentlich, dass wir aufgrund der aktuellen Lage dazu gezwungen waren. Als Entschädigung haben wir euer Reisegepäck um einige Rationen bereichert. Der Soldat hier wird euch vor das Lager zum Stützpunkt der Händler führen.“
Als Veridon aus seiner Zelle heraustrat, wurde ihm die Hand entgegen gestreckt.
„Ich wünsche euch noch alles Gute.“
Veridon ergriff die Hand und nickt dem Hauptmann zu.
„Danke, Hauptmann. Doch eine Frage habe ich noch.“
„Ja?“
„Wie ist euer Name?“
„Oh…“, der Hauptmann lachte, „Hauptmann Rudger Holtheem“
„Es freut mich, Hauptmann Holthemm.“
„Wisst ihr, Veridion, ich beneide euch. Im Gegensatz zu mir habt ihr die Wahl diesem verfluchten Krieg den Rücken zu kehren…“

Am Mittag hatte Veridon das Lager schon ein gutes Stück hinter sich zurückgelassen. Er hatte es abgelehnt sich einem der fahrenden Händler anzuschließen. Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihm zugesetzt und er brauchte etwas Zeit für sich. In der Woche, die er im Lager verbracht hatte, war das Wetter merklich kühler geworden. Hier oben im Norden Tares war der Bellum sehr kurz, der Morsan kam früh und war streng. Doch Veridon würde noch vor dem ersten Schnee die Grenze nach Ersont hinter sich bringen.
Als sich der Abend ankündigte erreichte er einen Handelsposten. Etliche Karren standen auf dem Platz neben dem großen Gasthaus. Der Krieg zog die Händler an wie Mist die Fliegen. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass er beim Öffnen der Gasthaustüre von einem atemberaubenden Gemisch aus lauten Stimmen und verschiedenen Gerüchen empfangen wurde. Mit etwas Glück fand er einen Platz an einem kleinen Tisch in der Ecke des Schankraums. Als die gestresst wirkende Bedienung ihren Weg zu ihm fand, bestellte er sich ein Bier und erkundigte sich nach der Möglichkeit eines Schlafplatzes. Die Preise, die dafür verlangt wurden, verschlugen ihm dann allerdings fast den Appetit. Glücklicherweise konnte er sich mit der Bedienung dann auf einen Schlafplatz bei den Knechten des Handelsposten einigen. Der Raum dort war zwar beengt und mit Sicherheit Flohverseucht, aber immerhin würde er nicht frieren müssen.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis man ihm sein bestelltes Bier brachte. Noch dazu schmeckte es nicht sonderlich gut. Verdrießlich setzte Veridon den Humpen wieder auf dem Tisch ab, als er einer Gruppe Leute zwei Tische weiter gewahr wurde, die zu ihm hinüber blickte. Ihre Kleidung unterschied sie deutlich von den Händlern im Rest des Schankraums. Sie wirkte mitgenommen, wies hier und da Flickstellen auf. Als sie sich seiner Aufmerksamkeit bewusst wurden, erhoben sich drei Männer vom Tisch und kamen hinüber zu Veridon. Ihre Gesichter waren vom Alkohol gerötet. Alles deutete darauf hin, dass es gleich Ärger geben würde. Der größte der drei, ein stämmiger Kerl der offenbar mehr Muskeln als Gehirnzellen hatte, ergriff das Wort.
„He du, ich kenne dich!“
Veridon versuchte gelassen zu bleiben und den dreien keinen Grund für eine Schlägerei zu geben.
„Das muss ein Irrtum sein. Ich kenne euch nicht.“
„Doch klar! Du bist auf dem Weg vor Pas ein Stück mit der Siljana gereist. Dann hast du sie dir genommen und sie anschließend wie ein Stück Abfall weggeworfen!“
Der Kerl zog geräuschvoll Schnodder hoch und spuckte neben den Tisch auf den Boden. Jetzt glaubte sich Veridon zu erinnern. Es musste sich bei den Leuten vom anderen Tisch um einige der Flüchtlinge handeln.
„Hört mir zu, meine Herren, ich…“
„Schnauze! Du Scheißkerl hast ihr das Herz gebrochen! Und dann hast du ihr noch geraten nach Norden zu gehen. Pah! Ein Teil von uns ist mir ihr mit und die sind direkt in die Arme der Schwarzen gerannt. Die haben die verschleppt, nur Gernod hier konnte ihnen entkommen.“
Mit seinem dreckigen Daumen deutete er zu einem seiner beiden Begleiter, der Veridon einen bösen Blick zu warf. Er machte einen Schritt auf den Sitzenden zu.
„In die Falle hast du uns gelockt! Dafür pollier ich dir die Fresse, du Schwein!“
Im Chaos des Schankraums schien niemand den anbahnenden Streit zwischen den vier Männern zu bemerken. Veridon war also auf sich allein gestellt. Er spannte sich innerlich an. Keinen Augenblick zu früh, denn im nächsten Moment stürmten die beiden Begleiter des Stämmigen auf ihn zu und versuchten ihn an den Armen zu packen. Blitzschnell griff Veridon unter den Tisch und kippte ihnen den beiden in den Weg. Der Angreifer zu seiner linken geriet ins Stolpern, rutschte auf dem verschütteten Bier aus und prallte mit einem anderen Gast zusammen. Der andere konnte dem Tisch gerade noch ausweichen, erhob seine Faust und schlug kräftig in Richtung Veridons Gesicht.
Dieser konnte seinen Kopf gerade noch beiseite ziehen, so dass die Knöchel der Hand nur sein Ohr streiften. Mit einem schnellen Schlag in die Nieren des Angreifers setzte er ihn außer Gefecht. Nun mischte sich auch der dritte Flüchtling in den Kampf ein. Die anderen Flüchtlinge am Tisch wurden auf das Geschehen aufmerksam und machten sich auf den Weg ihren Gefährten zur Seite zu stehen. Doch sie kamen nicht sehr weit, denn die Schlägerei griff zunehmend um sich. Darauf konnte sich Veridon freilich nicht konzentrieren, denn in diesem Augenblick sauste ihm eine weitere Faust entgegen und bohrte sich in seine Magengrube. Keuchend wankte er einen Stück zurück und erhob seine Arme um seinen Kopf zu schützen, der das nächste Ziel seines Angreifers war. Ganz offensichtlich hatte dieser Mann etwas mehr Erfahrung in Tavernenschlägereien als seine beiden Kumpel. Immer weiter wurde Veridon mit Faustschlägen eingedeckt, bis er eine Lücke im Angriff des Mannes erkannte. Geschickt lenkte er den letzten Schlag seines Angreifers zur Seite hin ab und konterte mit einem wuchtigen Kinnhaken, der seinen Gegenüber zu Boden schickte. Ein stechender Schmerz sagte ihm, dass er sich seine Knöchel an dem harten Kinn gestaucht hatte.
In diesem Augenblick stürmten einige Männer in leichten Lederrüstungen in den Schankraum. Offenbar gehörten sie zum Wachpersonal des Handelspostens. Sie trieben die streitsüchtigen Gäste auseinander und brachten die Situation wieder unter Kontrolle. Einer der Gäste musste den Streit zwischen Veridon und den drei Flüchtlingen beobachtet haben. Daraufhin wurden alle vier Männer des Hauses verwiesen.
So stand Veridon nun da. Seinen Schlafplatz hatte er wegen dieser betrunkenen Idioten eingebüßt. Die Nacht war längst hereingebrochen und bis zur nächsten warmen Unterkunft wäre er fast die halbe Nacht lang unterwegs. So fasste er einen Entschluss. Vorsichtig schlich er sich hinüber zu den Ställen. Dort angekommen suchte er die Leiter hinauf zum Heuboden. In der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen, doch schließlich fand er ein stilles Plätzchen hinter einigen Heuballen. Erschöpft ließ er sich dort nieder und schon kurze Zeit später waren seine Augen zugefallen.
Mitten in der Nacht erwachte er, als er ein leises Lachen hörte.
„Nicht, Ferto, wenn uns jemand hier findet…!“
„Ach du und deine Sorgen. Wer soll schon mitten in der Nacht hier hinauf in den Heuboden kommen?“
Er hörte ein eindeutig weibliches Kichern.
„Na vielleicht ein junges Paar, dass ein stilles Örtchen sucht?“
„Mach dir keine Sorgen, unser Herr wird uns hier nicht finden.“
Das leise Rascheln von Kleidung ertönte. Dann ein leises sehnsüchtiges Seufzen.
„Oh, Ferto…“
Die Augen verdrehend drehte sich Veridon auf die andere Seite und versuchte die Geräusche der beiden Liebenden zu ignorieren, die nun folgten. Zum Glück schien dieser Ferto kein sehr erfahrener Liebhaber zu sein, denn das Ganze war nach kurzer Zeit schon wieder vorbei. Schließlich fiel Veridon wieder in einen unruhigen und traumlosen Schlaf.

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 19.02.10, 20:02 
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Vandrien, Handelsposten östlich von Pas

Als Veridon am nächsten Morgen erwachte, schien sein ganzer Körper zu schmerzen. Der Bluterguss an seiner Hüfte, das Andenken aus dem Kampf gegen die Räuber, war zwar inzwischen zurückgegangen, der Schmerz aber schien sich entschlossen zu haben noch ein wenig länger zu bleiben. So kämpfte er sich mit verzogenem Gesicht in die Höhe und humpelte aus seinem provisorischen Lager.
Vor den Toren der Ställe herrschte Chaos. Hier wurde ein Wagen mit Gütern beladen, dort die Pferde von einer gerade eben erst eingetroffenen Kutsche abgespannt. Knechte und Mägde eilten umher, versorgten die Pferde und ordneten Waren neu an. Der Anblick erinnerte Veridon entfernt an einen Ameisenhaufen. Ihm konnte das nur recht sein, denn in dem Durcheinander schenkte ihm niemand Beachtung.
Einige Schritte entfernt wurde er auf einen Händler aufmerksam, der vor einem jungen Mann und einer jungen Frau stand. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet. Er schien den beiden eine Standpauke zu halten, denn sie hatten beide den Kopf gesenkt. Veridon konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Hatte sich das Abenteuer letzte Nacht also doch noch herumgesprochen.
Schwerfällig ließ er die Szene hinter sich und wandte sich der Handelsstraße Richtung Ersont zu. Nur langsam wurden die Schmerzen in seiner Hüfte besser. Als er an dem Gasthaus vorbei kam, traten dahinter drei Gestalten hervor und ihm in den Weg.
„Sieh an, wen haben wir denn da?“
Das hatte Veridon gerade noch gefehlt. Vor ihm standen die drei Unruhestifter von gestern Abend.
„Lasst mich in Frieden, ich will nur meines Weges ziehen.“
„Das könnte dir wohl so passen, wir haben noch eine Rechnung mit dir offen!“
Seufzend hob Veridon etwas die Arme an und ließ sie wieder hinab sacken.
„Reicht euch die Tracht Prügel, die ihr gestern bezogen habt, noch nicht aus?“
„Da waren wir betrunken!“, meinte der Mann namens Gernod. Seine Begleiter nickten einstimmig.
„Dieses Mal sind wir besser vorbereitet.“
„Ich warne euch, lasst mich in Frieden, oder…“, versuchte Veridon die Situation zu retten, doch die drei Männer waren nicht zu bremsen. Sie stürmten auf Veridon zu, da ertönte ein Schlag wie von einem Donner. Veridon wurde von einem hellen Licht geblendet, ausgestrahlt von einem Riss in der Realität der mitten durch den Mann namens Gernod verlief. Der Unglückliche wurde von einer magischen Entladung entzwei gerissen. Blaue Flammen zuckten den sich schnell verbreiternden Riss entlang. Das was von dem Mann noch übrig war, wurde von der Schwärze geschluckt, die sich zwischen den Rändern des Risses ausbreitete.
„Ein Hexer! Bringt euch in Sicherheit!“, kreischten die Freunde des Toten und wandten sich zur Flucht. Veridon aber wusste es besser. Ganz genau erinnerte er sich an das Schauermärchen über Ankerrunen in Körpern nichtsahnender Flüchtlinge. Ohne nachzudenken hechtete er an dem Tor vorbei in den mit Gestrüpp zugewachsenen Graben neben der Handelsstraße. Äste und Dornen zerrten an seinen Kleidern und Haaren, verfingen sich in seiner Haut und ritzten sie auf. Doch das war Veridon egal. Immer tiefer wühlte er sich unter die Büsche. Keinen Augenblick zu spät, wie es schien. Als er den Kopf vorsichtig über den Rand des Grabens hob, erkannte er ein Trupp Soldaten, die durch das magische Tor traten. Sie alle trugen schwere schwarze Rüstungen und auf ihren Umhängen und Schilden prangerte das Symbol der Schwarzen Legion. Sie brauchten einige Augenblicke, um sich zu orientieren. Die Menschen auf dem Handelsposten brachen in Panik aus. Hastig wurden Pferde gesattelt, andere suchten ihr Glück zu Fuß. Doch es half wenig. Während sich das magische Tor schloss, bezogen die Soldaten Stellung. Einige von ihnen verfügten über Bögen und Pfeile, die sie nun zielsicher in Richtung der Flüchtenden sandten. Unterdessen zog ein weiterer Soldat, seine Rüstung wies mehrere magische Runen auf, einen weiteren Runenstein hervor und legte ihn in einigem Abstand ab. Erneut öffnete sich ein magisches Tor, dieses Mal ein Stück größer. Hindurch kam eine Gruppe von etwa zwanzig Reitern, welche zusätzlich zu den Bogenschützen Jagd auf die Flüchtenden machte. Erbarmungslos wurden Männer und Frauen, Jung und Alt niedergestreckt.
Veridon hatte genug von dem Morden und rutschte tiefer in den Graben. Er schickte ein Stoßgebete nach dem anderen zu den Vieren, darauf hoffend nicht entdeckt zu werden. Ein Kampf gegen eine solche Übermacht war aussichtslos. Und so lag er im Graben, betete leise und hörte die Schreie der Sterbenden und Anweisungen der Kommandanten. Es schien als würden sich die Wächter des Handelsposten erfolgreich im Gasthaus verschanzen. Kurzerhand wurde es niedergebrannt, mit allen darin verbliebenen Menschen. Das gleiche Schicksal traf auch die anderen Gebäude. Schwerer Rauch und der Geruch nach verbranntem Fleisch legte sich über das Schlachtfeld. Veridon musste einen Hustenreiz unterdrücken und rezitierte weiter alle Gebete an die Viere, die ihm in den Sinn kamen. Nach einer Weile hörte er erneut den Donnerschlag eines sich öffnenden magischen Tores. Das metallische Schaben von Rüstungen ertönte, dann kehrte Stille ein.
Als Veridon sich schließlich wieder aus dem Graben heraus wagte, zeigte sich ihm ein Bild der Verwüstung. Das Gasthaus war nur noch eine kokelnde Ruine, die Ställe brannten immer noch. Überall lagen erschlagene und mit Pfeilen gespickte Menschen und Pferde. Ein Handelskarren war umgestürzt und hatte zwei Männer unter sich begraben. Dann musste sie ein flüchtendes Pferd am Kopf getroffen haben…
Veridon spürte den Brechreiz und kämpfte nicht länger dagegen an.
Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, suchte er das Schlachtfeld nach Überlebenden ab – vergebens. Er fand den Händler, der vorhin seine Angestellten ausgeschimpft hatte. Von den beiden fehlte jedoch jede Spur. Veridon konnte nur hoffen, dass ihnen die Flucht gelungen war und sie sich nicht im Gasthaus befunden hatten.
Bei den Schweinegehegen fand er dann doch noch einen Überlebenden. Die Soldaten der Legion hatten selbst diese Tiere abgestochen. Eine mit Pfeilen gespickte Frau lag neben dem umgestürzten Wassertrog. Darunter hervor ertönte ein dumpfes Brüllen. Veridon stieß den Trog beiseite und barg das darunter verborgen Kleinkind. Es war über und über mit Matsch besudelt und weinte bitterlich, ansonsten schien ihm aber nichts zu fehlen. Veridon schätzte es auf etwa ein Jahr. Seufzend sah er zu der Toten hinab. Vorsichtig befreite er das schreiende Bündel von dem gröbsten Schmutz. Dann blieb ihm nichts anderes als sich auf den Trog zu setzen, zu warten und das Kind so gut es ging zu beruhigen.
Es dauerte nicht lange, dann preschte eine Reiterei aus dem Heerlager weiter westlich heran. Enttäuscht musste Veridon hören, dass sie nicht etwa durch einen Flüchtling gewarnt worden waren, sondern durch den aufsteigenden Rauch. Die Reiter machten sich daran die Ruinen noch einmal gründlich nach Überlebenden abzusuchen, während man Veridon ein Pferd gab und ihn und den kleinen Jungen in das Lager geleitete.
Nun da sich der Schock legte, begann es in Veridon zu brodeln. Ein Gefühl der Hilflosigkeit angesichts all dieser Zerstörung machte sich in ihm breit. Er dachte an den Krieg, den die Schwarze Legion über das Land gebracht hatte, an die Flüchtlinge, die ohne Besitz durch das Land zogen, nur um von den Soldaten aufgegriffen und zu wandelnden magischen Toren gemacht zu werden. Er dachte an Siljana, die durch seinen Rat in genau so eine Falle geraten war. Und er dachte an all die Toten auf dem Handelsposten, an das junge Paar dessen Schicksal ungewiss war und das Kind in seinen Armen, das nun ohne Mutter aufwachsen musste.
Im Lager angekommen nahm man ihm den Säugling ab und gab ihn einer der Hebammen, welche im Tross der Händler und Handwerker und ihrer Familien mitreisten. Veridon wurde in ein Zelt gebracht, wo er ein bekanntes Gesicht erblickte.
„Den Vieren zum Gruße und dem König zur Ehr, Veridon.“
„Hauptmann Holtheem.“, Veridon nickte knapp. In schnellen Worten berichtete er von den Geschehnissen am Handelsposten.
„Scheint als würdet ihr vom Pech verfolgt.“, meinte der Hauptmann, als er den Bericht zu Ende gehört hatte.
„Hauptmann, ich würde mich gerne für die Armee melden.“
Der Offizier sah Veridon überrascht an.
„Seid ihr euch sicher? Ich meine, eure Hilfe ist sicher willkommen, wir können immer einen fähigen Kesselflicker gebrauchen… Aber der Krieg verläuft wirklich nicht sehr gut und ihr habt die Wahl.“
Veridon musste nicht lange nachdenken. Sein Zorn brodelte genau so heiß wie zuvor – ein reinigender, gerechter Zorn. Bekräftigend nickte er.
„Ja, ich melde mich freiwillig. Aber nicht als Kesselflicker, sondern als Soldat.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 10.03.10, 14:11 
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Tut mir leid, dass es hier im Moment nicht voran geht. Ich stelle derzeit meine Abschlussarbeit fertig und suche nach einer Wohnung. Deswegen komme ich nicht zum Schreiben. Sobald es wieder etwas besser aussieht, geht es hier aber weiter, versprochen.

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BeitragVerfasst: 24.03.10, 15:26 
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Vandrien, vor den Osttoren von Pas

Vorsichtig schlich der kleine Truppe durch das Unterholz. Zwischen den Bäumen hindurch sah man die Stadtmauern von Pas, auf deren Zinnen das Banner der Schwarzen Legion wehte. Etwa ein Monat war vergangen, seit dem der Feind die Stadt unter seine Kontrolle gebracht hatte. Er hatte die Mauern mit neuen Katapulten und Pfeilschleudern bestückt. Bei einem erfolglosen Angriff der geeinten Truppen von König und Kirche war es zu hohen Verlusten gekommen. Nun versuchte man den Feind zumindest an einer weiteren Expansion zu hindern, doch der nahende Morsan zehrte an den Kräften. Immer wieder schickte die Schwarze Legion kleine Reiterverbände und ließ die Nachschublinien der königlichen Truppen überfallen. Und erst letzte Woche war ein weiteres Flüchtlingslager durch einen Angriff mit Hilfe eines Portalankers verloren gegangen. So hatten die Generäle beschlossen noch einen letzten Angriff auf die Stadt zu wagen. Sollte dieser misslingen, mussten sich die Truppen in die Grenzfesten nach Ersont zurückziehen. Aufgabe der kleinen Truppe war es nun, etwaige Schwächen in den Befestigungen des Feindes ausfindig zu machen.
Teil des Spähtrupps war auch Veridon, der in den letzten Wochen eine harte Grundausbildung durchlaufen hatte. Seine Verletzungen waren zum größten Teil verheilt und mit jedem Tag kehrten mehr Erinnerungen aus seinem Leben als Diener Bellums zurück. Seine Ausbildung in Kriegskunst und Taktik brachte ihm schon bald die Position eines Unteroffiziers ein. Als solcher war er nun beauftragt worden den kleinen Spähtrupp anzuführen.
Langsam näherte sich der Trupp von zehn Mann dem Rand des Waldgebietes. Veridon ging hinter einem Busch in die Hocke und zog sein Fernrohr aus der Tasche. Auf der Mauer konnte er einige Wachen sehen, ansonsten war alles ruhig. Aus dem Bereich der Stadt, in dem die Schmieden untergebracht waren, stieg dichter Rauch auf – kein sehr gutes Zeichen. Unterdessen gesellte sich einer der Männer zu Veridon.
„Feldwebel Veridon?“
„Gefreiter?“
„Glaubt ihr, es gibt überhaupt eine Möglichkeit die Stadt einzunehmen?“
„Es gibt immer eine Möglichkeit, Gefreiter. Vertraut in Bellum.“
„Sehr wohl, Feldwebel. Verzeiht meine Anmaßung, Feldwebel.“
Nachdenklich ließ Veridon das Fernrohr wieder sinken. Im Stillen musste er dem Soldaten recht geben. Pas war eine außerordentlich gut zu verteidigende Stadt, gelegen zwischen zwei hohen Bergen. Die Stadtmauer spannte sich von einer Bergflanke zur anderen und war zickzack förmig angelegt. Wollte man Sturmleitern oder Belagerungstürme in Position bringen, so konnte der Feind stets von zwei Seiten angreifen. Die Belagerungsmaschinen auf den Türmen der Mauer verhinderten außerdem ein geordnetes Aufstellen der Truppen in Front der Stadt. Aber es musste einfach eine Schwachstelle geben – es musste!
Noch einmal ging Veridon den Plan der Stadt in seinem Kopf durch. Waren die Mauern der Stadt erst einmal gefallen und das große Tor geöffnet, gab es keine weiteren Verteidigungsanlagen. Ein direkter Angriff auf das Stadttor war aber unmöglich. Es war gegenüber der Stadtmauer nach hinten versetzt. Würde man einen Rammbock in Position bringen wollen, würden von links und rechts Steine, Pech und Schwefel auf die Angreifer hinab regnen. Nein… ein direkter Angriff auf die Stadtmauer war aussichtslos. Doch was wäre, wenn man eine kleine Einheit hinter die Stadtmauer bringen könnte? Wenn diese Männer das Stadttor unter ihre Kontrolle bringen könnten, wäre die schnelle Reiterei in der Stadt bevor der Feind reagieren konnte. Ob man eine magisches Portal hinter der Mauer öffnen konnte? Nein, den Gedanken musste Veridon schnell wieder verwerfen. Kurz nach der Eroberung der Stadt hatte eine Gruppe Magier genau das versucht, war aber gescheitert. Offenbar hatten die Schwarzen Magier entsprechende Vorkehrungen getroffen. Wie sie das dauerhaft bei einer so großen Stadt schafften, blieb allerdings ein Rätsel…
„Gefreiter?“
„Ja, Feldwebel?“
„Ihr stammt ursprünglich aus Pas, richtig?“
„Ja, Feldwebel!“
„Woher bezieht die Stadt ihr Trinkwasser?“
„Das war schon immer ein Problem, Feldwebel. Direkt unter der Stadt befindet sich massiver Fels, der Grabungen nach Grundwasser nahezu unmöglich macht. Hier und da konnten Brunnen angelegt werden, der größte Teil des Wassers stammt aber aus den Klauenbergen. In der Vergangenheit wurden Schächte und Aquädukte angelegt, um das Wasser aus den Bergseen in die Stadt herab zu führen.“
Veridon kräuselte die Stirn.
„Ich dachte die Felswände links und rechts von Pas wären sehr steil, so dass ein Angriff von dieser Seite aus ausgeschlossen ist.“
„Das ist richtig, Feldwebel. Die südliche Gebirgswand ist allerdings aus etwas weicherem Gestein. Mit Hilfe der Zwerge konnte dort ein unterirdisches Tunnelsystem angelegt werden. Dadurch ist das Wasser auch vor Vergiftung geschützt.“
„Dieses Tunnelsystem muss doch sicher von Zeit zu Zeit gewartet werden.“
„Nur sehr selten, Feldwebel. Die Zwerge haben sehr gute Arbeit geleistet.“
„Aber gibt es entsprechende Zugänge?“
„Feldwebel?“
„Na ob es Zugänge zu dem Tunnelsystem gibt.“
„Nun, ich nehme schon an, Feldwebel. Allerdings kann ich euch über deren Lage nichts erzählen.“
„Hm… danke, Gefreiter. Teilt den anderen mit, dass wir uns zum Lager zurückziehen.“
„Jawohl, Feldwebel!“
Nachdenklich ließ Veridon seinen Blick zurück zu der Stadt schweifen. Ein unterirdisches Tunnelsystem zur Wasserversorgung. Ob der Feind davon bereits wusste? Oder hatte er es bis jetzt übersehen?
Zurück im Lager berichtete er Hauptmann Holtheem von seiner Entdeckung. Er war nicht sehr begeistert, aber angesichts des fortschreitenden Jahres und der sinkenden Moral innerhalb der Truppe, war er gewillt den Vorschlag dem Offiziersrat vorzutragen. Unterdessen wurde ein Bote zu den Zwergen im östlichen Teil der Klauenberge geschickt. Sie galten als die ursprünglichen Erbauer des Tunnelsystems. Die Zwerge waren bekannt dafür, detaillierte Karten von den von ihnen gegrabenen Stollen anzufertigen.
Als Veridon am Abend endlich eingeschlafen war, suchte ihn erneut ein merkwürdiger Traum heim, von denen er seit nunmehr einem Monat verschont wurde. Er saß in der Hütte der Kräuterhexe, vor sich eine Tasse mit einem duftenden Gebräu. Ihm gegenüber saß die alte Frau und lächelte ihn mit ihren gelben und krummen Zähnen an.
„Weißt du, wer du bist?“
„Immer wieder fragt ihr mich das, warum?“
„Weil du es vergessen hast.“
„Ich bin Feldwebel der königlich-kirchlichen Truppen Galadons.“
„Das ist dein Beruf. Doch Berufe sind wie Kleider, sie können jederzeit gewechselt werden. Das bist nicht du.“
„Nun ich stamme aus…“
Die Frau hob ihre Hand an.
„Das ist deine Herkunft. Viele Menschen definieren sich selbst über ihre Herkunft. Ob sie aus Galadon kommen oder aus Endophal, ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen kommen. Welche Hautfarbe sie haben und welche Sprache sie sprechen. Doch das ist nicht ihr selbst.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Nehm einen Apfel aus Ersont und einen Apfel aus Falkenstein. Der Ersonter Apfel ist klein und schrumpelig, eignet sich aber sehr gut für die Herstellung von Most. Der Falkensteiner Apfel ist groß, rundlich und süß. Ein wahrer Traum. Und doch sind beides Äpfel. Die alte Ilja mag Äpfel.“
„Hm… Kannst du mir nicht sagen, wer ich bin?“
Die Alte lachte und trank einem Schluck aus dem Becher, der vor ihr stand.
„Nein, Dummerchen. Nur du kannst das herausfinden.“
„Aber wie?“
„Schon bald wirst du es erfahren.“
„Ihr nanntet mich einmal Nebelklinge…“
„Tat die alte Ilja das? Hm… ihr Gedächtnis ist so schlecht.“
„Was bedeutet das: Nebelklinge?“
„Es ist Teil deiner selbst.“
„Also bin ich Nebelklinge?“
Die Alte packte sich einen Gehstock, der in der Nähe an der Wand lehnte, und schlug damit auf den Fuß des Mannes.
„Au!“
„Hör besser zu, Jungchen! Die alte Ilja sagt: Teil deiner selbst!“
„Schon gut, schon gut… tut mir leid.“
Ächzend erhob sich die Frau und wankte hinüber zu einem Regal im hinteren Teil des kleinen Raumes.
„Die alte Ilja hat etwas für dich.“
Zurück kam sie mit einem etwa zwei Hand breit langem Dolch.
„Was ist das?“
„Das ist Nebelklinge.“
Verwirrt sah Veridon zu der Frau auf.
„Aber ich dachte…“
„Du denkst zu viel! Und jetzt geh! Und erinnere dich an dein Versprechen!“
Blinzelnd erwachte Veridon aus dem Traum. An seiner Hand fühlte er etwas kaltes metallisches. Voller Verwunderung stellte er fest, dass es sich dabei um den Dolch aus seinem Traum handelte.

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 25.04.10, 20:36 
Altratler
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Vandrien, irgendwo im Gebirge südlich von Pas

Misstrauisch sah das Murmeltier zu der sich nähernden Gruppe Zweibeiner hinüber. Einen fiependen Warnton ausstoßend verschwand es in seine Höhle. Die aus Menschen und Zwergen bestehende Gruppe hatte indes anderes zu tun, als Jagd auf Murmeltiere zu machen. Dick in Felle eingepackt und wegen der dünnen Luft schwer schnaufend, stapften die Menschen hinter den Zwergen drein. Die luftigen Gipfel des Klauengebirges wurden fest von Morsans Faust umklammert. Umso mehr wunderte sich Veridon, dass die Zwerge in ihren Kettenhemden so mühelos voran kamen. Sie schienen nicht einmal zu schwitzen – ganz im Gegensatz zu ihm. Unter dem dicken Fell floss ihm der Schweiß in Strömen am Körper hinab. Doch er konnte sich nicht erlauben die Kleidung abzulegen. In dem kalten Wind würde er in kurzer Zeit erfrieren. Er beschleunigte seine Schritte etwas und schloss zu dem nächsten Zwerg auf. An seinen Namen konnte er sich nicht mehr erinnern, irgendetwas mit Brum. Brumil? Brumgal? Er entschied sich die Anrede einfach wegzulassen.
„Wie lange ist es noch bis zum Eingang in die Wartungsschächte?“
Brummend wandte der Zwerg ihm den Kopf zu.
„Seid ihr Khaela immer so ungeduldig? Genießt die frische Luft und die Aussicht!“
„Mit Verlaub, wir sind nicht zum Vergnügen hier, sondern weil wir eine Stadt erobern müssen.“
Der Zwerg lachte kehlig auf und versetze Veridon einen kräftigen Schlag auf den Rücken. Er taumelte einen Schritt vorwärts, ehe er wieder sein Gleichgewicht gefunden hatte.
„Schon gut, Khaela, sollte nur ein Scherz sein! Nein, weit ist es nicht mehr. Siehst du den großen Brocken da vorne, der aussieht wie ein eingeschlagenes Rhazzmaul? Gleich dahinter befindet sich die Türe.“
Veridon sah sich um, konnte aber keinen entsprechenden Felsen entdecken. Also hob er seinen Blick etwas an und wurde tatsächlich fündig… etwa weitere einhundert Fuß bergauf. Stöhnend ließ sich Veridon wieder zu seiner Truppe zurückfallen, um sie weiter anzutreiben.

Als sie schließlich ihr Ziel erreichten, war nichts von einer Türe zu sehen. Auch kein Loch oder sonst eine Öffnung verriet, dass es hier einen Zugang zu einem unterirdischen Höhlensystem gab. Die Zwerge ließen sich davon jedoch nicht irritieren. Einer von ihnen, der den Soldaten als Baumeister ersten Grades vorgestellt worden war, löste die Waffe von seinem Rücken. Schon zu Beginn ihrer Reise hatte Veridon sie bestaunt. Sie ähnelte einer zweischneidigen Axt, nur das eines der Axtblätter durch einen Pickel ausgetauscht worden war. Am Griff der Axt befand sich zudem ein spitz zulaufender Dorn. Eben jenen nahm der Zwerg nun und stieß ihn in eine unscheinbar aussehende Vertiefung. Erstaunt beobachteten die Menschen, wie sich ein Teil des Felsens lautlos beiseiteschob und sich ein Loch in die Finsternis des Berges auftat. Die anderen Zwerge griffen unterdessen nach mitgebrachten Fackeln und Grubenlaternen, entzündeten sie geschickt und verschwanden einer nach dem anderen in der Dunkelheit. Daraufhin entzündeten die Soldaten des Königs weit weniger geschickt ihre eigenen Lampen und Fackeln und taten es ihren Führern gleich.
Hinter der Steintüre (die sich im Übrigen wie durch Geisterhand lautlos hinter dem letzten schloss) führte eine steile und enge Treppe weiter in den Fels hinab. Durch den nun fehlenden Wind war es zwar kühl, aber nicht mehr kalt. Veridon riskierte seine Fellkleidung etwas zu lockern. Er musste aufpassen, dass er auf den engen Stufen nicht stürzte. Hinzu kam eine gebückte Haltung. Ganz offensichtlich waren diese Gänge niemals für Menschen gedacht gewesen. Erneut wandte er sich an den Zwergen, dessen Namen ihm entfallen war.
„Gibt es viele solche Gänge in den Bergen?“
Der Zwerg drehte ihm grinsend den Kopf zu.
„Mehr als du denkst.“
Veridon wurde mulmig bei der Vorstellung eines vollkommen durchlöcherten Berges – ja, von ganzen Städten unterhalb der Erde. Zum Glück waren die Zwerge nicht der Feind. In den engen Tunneln wäre es unmöglich eine Schlachtordnung aufzustellen. Es würde auf einen Kampf Mann gegen Mann, beziehungsweise Mann gegen Zwerg hinaus laufen. Und im Zweikampf waren die Zwerge fürchterliche Gegner. Die trüben Gedanken vertreiben konzentrierte sich Veridon wieder auf dem vor ihm liegenden Weg. Doch nach einiger Zeit musste er feststellen, dass seine Gedanken durch das monotone bergab immer wieder abschweiften. Beinahe wäre ihm das zum Verhängnis geworden, als er eine Stufe übersah und plötzlich mit dem Fuß in der Luft schwebte. Im letzten Augenblick konnte er jedoch sein Gleichgewicht zurückgewinnen. Nicht auszudenken was geschehen würde, würde er sich hier oben das Bein brechen oder auch nur den Knöchel verstauchen.
Nach schier endloser Zeit erreichte die Gruppe schließlich einen quadratischen Raum von etwa dreißig mal dreißig Fuß Größe. In der Mitte stand ein kleiner Holztisch und an den Wänden Regale mit Verpflegung. Die Zwerge erklärten, dass man hier nun eine Pause einlegen würde. Auf seine Nachfrage bekam Veridon gesagt, dass sie etwa die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatten. Es drängte ihn weiterzugehen, doch die Zwerge erklärten ihm, dass sie bald auf die Wassertunnel stoßen würden. Der Boden dort war sehr glitschig und ein unbedachter Schritt konnte einem Kopf und Kragen kosten. Daher war es besser zunächst eine Rast einzulegen. So befahl Veridon seinen Männern ihr Gepäck abzulegen und etwas auszuruhen, was diese mit dankbaren Blicken quittierten. Die Zwerge setzen sich in eine Ecke des Raums, packten gepökeltes Fleisch aus und unterhielten sich leise in ihrer Sprache.
Veridon erwachte, als er unsanft an der Schulter geschüttelt wurde. Vor sich sah er das bärtige Grinsen des Zwergen von vorhin.
„Aufstehen Khaela! Wir müssen weiter.“
Müde rieb sich Veridon über sein Gesicht.
„Wie lange habe ich geschlafen?“
„Etwa einen Zyklus.“
Veridon verzichtete darauf nachzufragen, wie der Zwerg sich ohne Tageslicht so sicher sein konnte. Stattdessen machte er sich daran seine Männer zu wecken und sich auf den weiteren Abstieg vorzubereiten. Die Soldaten tauschten ihre dicke Fellkleidung gegen dunkle Lederrüstungen. Es war geplant, dass sie während der Nacht das Tunnelsystem in Pas verließen, sich zum Tor schlichen und es öffneten. Der Rest der königlichen Armee hatte unterdessen in einiger Entfernung zu der Stadt Aufstellung bezogen und wartete auf ein entsprechendes Signal.
Seufzend setzte sich Veridon wieder in Bewegung. So also begann die Schlacht um Pas. Unwillkürlich fuhr seine Hand zu seiner Hüfte, wo er den Dolch Nebelklinge befestigt hatte.
Kurz darauf erreichte die Gruppe die Wassertunnel. Tatsächlich war das vorankommen an dieser Stelle schwierig. Ab und zu mussten sie durch das Wasser waten. Doch endlose weitere Treppenstufen später wurde die Strecke ein gutes Stück flacher. Die Zwerge ließen verlautbaren, dass sie ihr Ziel fast erreicht hatten. Und tatsächlich, einige Augenblicke später bogen sie um eine Kurve und standen vor einer unterirdischen Grotte, in der sich ein dunkler See erstreckte. Um ihn herum führte ein Weg, der scheinbar in einer Sackgasse endete. Doch an der Wand befand sich ein großer Hebel. Der Baumeister erklärte Veridon, dass er nur an diesem Hebel zu ziehen brauche, um eine weitere Steintüre zu öffnen. Sie würden am anderen Ende in einer dunklen Gasse landen, nicht sehr weit von der Ostmauer entfernt.
„Werdet ihr uns nicht begleiten?“
Der Baumeister schüttelte den Kopf.
„Jemand muss zurückbleiben und aufpassen, dass die Tunnel der Dwarschim sauber bleiben von dunklem Pack. Außerdem mögen wir Dwarschim es nicht, uns irgendwo anzuschleichen. Wir sind mehr für die offene Schlacht gemacht.“
Lachend klopfte er sich auf sein klirrendes Kettenhemd.
Also verabschiedeten sich die Menschen von ihren Führern und bezogen vor dem Tor Aufstellung. Wie der Baumeister gesagt hatte, kamen sie in einer dunklen Gasse heraus. Veridon winkte den einheimischen Gefreiten zu sich. Er würde von hier an die Führung übernehmen und die Gruppe durch Hinterhöfe und kleine Gassen zur Stadtmauer bringen.
Offenbar führten die Diener des Ungenannten ein strammes Regiment. Kein einziger Bürger war in der Dunkelheit auf der Straße unterwegs, was das Fortkommen des kleinen Trupps erheblich erleichterte. Ab und zu hörten sie in der Ferne das Stampfen schwerer Stiefel. Doch die Patrouillen der Schwarzen Legion gaben sich mit den Hauptwegen ab. So gelangte Veridon mit seinen Mannen unbehelligt bis zu einem Turm an der Mauer. Stumm winkte Veridon einen seiner Männer heran, der Spezialist im Knacken von Schlössern war. Dieser zog unter seiner Lederweste einige Werkzeuge hervor und machte sich sogleich an der Tür zum Turm zu schaffen. Doch schon nach wenigen Augenblicken brach er ab und kam zu Veridon zurück. Leise flüsternd erstattete er Bericht.
„Das Schloss ist bereits offen, Feldwebel.“
Stirnrunzelnd warf Veridon einen Blick den Turm hinauf. Waren die Legionäre tatsächlich so unachtsam? Oder waren sie sich sicher, dass ihnen von innerhalb der Stadt keine Gefahr drohte? Veridon schmeckte es nicht, dass der Feind einen so strategischen Punkt ohne Schutz zurückließ. Aber er konnte sich in dieser Phase des Plans keine Zweifel erlauben. Die Armee hatte sicher bereits Aufstellung bezogen und wartete sehnsüchtig auf das Signal zum Angriff. Also schob er das ungute Gefühl beiseite und befahl seinen Männern den Turm so leise wie möglich zu stürmen.
Doch auch im Turm stießen sie auf keinen Widerstand. Sie erklommen eine Treppe nach der anderen, warfen Blicke in Räume – nichts, alles schien ausgestorben zu sein. Das schlechte Gefühl kehrte zurück, aber sie waren kurz vor dem Torraum. Schließlich erreichten sie die letzte Türe. Noch einmal zögerte Veridon. Vermutlich hatte der Feind ihnen eine Falle gestellt und seine gesamte Armee in dem kleinen Torraum versammelt. Sobald sie die Türe öffneten würden sie alle von Pfeilen durchsiebt werden. Als er seinen ganzen Mut zusammen nahm und die Türe öffnete, geschah jedoch nichts dergleichen. Der Raum hinter der Türe war, abgesehen von den großen Holzrädern zum Aufrollen der Eisenketten an denen das Fallgitter der Stadt befestigt war, leer. Vorsichtig erkundeten die Soldaten den Raum. Der einheimische Gefreite wandte sich leise an Veridon.
„Feldwebel, was hat das zu bedeuten?“
„Ich wünschte ich wüsste es, Gefreiter.“
Und in diesem Augenblick schnappte die Falle zu. Ein schriller Pfeifton war zu hören, gefolgt von einem dumpfen Klatschen, als ein Pfeil in den Rücken des vor Veridon stehenden Gefreiten einschlug. Die Augen des jungen Mannes wurden glasig, er röchelte und kippte dann nach vorn, direkt in Veridons Arme. Dem Pfeil folgten stürmten unter lautem Geschrei eine große Gruppe der Schwarzen Legionäre mit gezogenen Schwertern durch die offene Türe in den Raum. Sie töteten zwei weitere Soldaten, bevor Veridons Männer sich von dem Schreck erholten und ihrerseits zu den Waffen griffen. Auch die Türe auf der anderen Seite des Raumes öffnete sich unterdessen und spuckte weitere Feinde aus, die den königlichen Soldaten in den Rücken fielen. Unter ihnen war auch ein kräftig gebauter Mann mit einem blutroten Umhang. Im Gegensatz zu dem Rest der Legionäre trug er keinen Helm. Dieser Umstand und sein Auftreten identifizierten ihn als Anführer des Überfallkommandos. Er bestätigte diesen Verdacht, in dem er seinen Männern Befehle zurief.
„Nehmt den Feldwebel gefangen. Für die anderen haben wir keine Verwendung mehr!“
Veridon und seine Männer kämpften tapfer, doch es waren einfach zu viele Angreifer. Nach und nach fielen sie, bis nur noch Veridon selbst übrig war. Schließlich wurde auch er überwältigt und gefesselt. Soweit also zum Plan, dachte er mürrisch.

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 24.05.10, 19:43 
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Vandrien, Pas

Die Soldaten führten Veridon aus der Stadtmauer heraus. Die vor kurzem noch so ruhigen Straßen, waren nun von hektischem Treiben erfüllt. Gruppen von Soldaten spurteten Richtung Stadtmauer, Karren mit Teerfässern und großen Gesteinsbrocken wurden herangeschafft. Veridon bekam davon nur wenig mit. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Es musste ihm gelingen sich zu befreien, damit er die anrückende Streitmacht warnen konnte. Seine momentane Lage war jedoch recht ernüchternd. Umgeben von sechs Soldaten der Schwarzen Legion, die Hände gefesselt und all seiner Waffen beraubt, standen ihm nicht sehr viele Optionen offen. Genau genommen gar keine. So wurde er schließlich in einen Seitenflügel der Feste Pas gebracht. Nach einer nahezu endlos erscheinenden Treppe hinab in die Gewölbe der Burg, erreichten sie den Kerker. Veridon rechnete damit, dass man ihn nun verhören oder gar foltern würde, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen schaffte man ihn in einen dunklen Raum, befreite ihn von den Fesseln und schloss dann die Türen hinter ihm.
„He, was hat das zu bedeuten? Was habt ihr mit mir vor?“, verlangte er zu wissen. Doch niemand antwortete. Also wandte Veridon sich von der Türe ab und spähte in die Finsternis der Zelle. Vorsichtig tastete er sich voran. War da nicht eine kleine Holzpritsche gewesen? Tatsächlich. Er fand sie, als er unsanft mit seinem Schienbein dagegen stieß. Einen leisen Fluch ausstoßend, ließ er sich darauf sinken. Eine Weile machte er sich Gedanken darüber, wie er aus diesem finsteren Ort zu fliehen vermochte, dann verlangte der anstrengende Weg nach Pas seinen Tribut und Veridon nickte ein.
Er wurde von wirren Träumen geplagt, in dem es um Dolche, große Wölfe und alte Frauen ging. Über allem prangerten zwei gespenstische rote Augen, die auf ihn hinab blickten. Schließlich erwachte er schweißgebadet. Sein Puls raste. Im ersten Augenblick wusste er nicht, wo er sich befand. Dann fiel ihm alles wieder ein. Verzweiflung packte ihn und erinnerte ihn an seine Ausbildung zum Schwert Bellums. Er ließ sich mit den Knien auf den kalten Boden der Zelle sinken, kreuzte die Arme vor der Brust und begann innbrünstig zu beten.
„Oh Herr Bellum, Ehrhafter, Mutiger, gib mir die Kraft deinem Weg zu folgen…“
So betete er lange Zeit. Erst als er Geräusche aus Richtung der Türe hörte, blickt er auf. Er hörte, wie sich ein Schlüssel in das Schloss geschoben wurde, dann klackte es und die Tür wurde aufgeschoben. Das schwache Licht der Fackeln im Gang blendete Veridon nach der langen Zeit in der Dunkelheit. So konnte er von der Person an der Türe nur Schemen erkennen. Merkwürdig, warum kam sie nicht herein? Im nächsten Moment hörte er eine ihm sehr vertraute Stimme.
„Willst du da ewig sitzen bleiben, Nebelklinge? Die alte Ilja wird nicht jünger, weißt du?“
Völlig überrascht kam Veridon auf die Beine und näherte sich dem Ausgang. Tatsächlich stand dort die alte Frau.
„Wie kommt ihr hier her, Ilja?“
„Das ist jetzt nicht wichtig. Die alte Ilja hilft dir nur, dein Versprechen zu erfüllen.“
Mit diesen Wort drückte sie ihm sein Schwert und den Dolch in die Hand. Als sie Veridons Blick bemerkte, fügte sie hinzu: „Die Wachen sollten nicht alles trinken, was die alte Ilja ihnen zu trinken gibt.“
Dann wandte sie sich gackernd lachend ab und schlürfte den Gang entlang davon.
„Halt, wo wollt ihr hin?“
„Iljas Aufgabe ist erledigt.“
„Ich werde euch begleiten.“
„Du Dummerchen, glaubst du die Ilja kann sich nicht verteidigen? Nein, dein Weg ist ein anderer.“
Mit ihren krummen Fingern deutete sie den Gang in die entgegengesetze Richtung.
„Folge deinem Weg, Nebelklinge.“
Damit setze sie ihren Weg fort.
„Wenn du an die Kreuzung kommst, öffne die erste Türe links. Dort gibt es noch etwas zu erledigen für dich.“, rief ihm die alte Frau über die Schulter hinweg zu. Dann war sie verschwunden und Veridon sah sie nie wieder.
Freilich hatte er im Augenblick andere Sorgen, als sich darüber Gedanken zu machen. Er folgte dem Verlauf des Ganges. Als er an der Wachstube vorbei kam, warf er vorsichtig einen Blick hinein. Ein Soldat lag halb auf dem Tisch, in einer Hand noch einen Becher haltend. Der andere Soldat war von der Bank gekippt. Dem Schaum an ihrem Mund sah ziemlich ungesund aus. Schulterzuckend ging Veridon weiter. Zwei Männer weniger, gegen die er heute Abend kämpfen musste.
So kam er schließlich zu der Kreuzung, dort wandte er sich nach links und öffnete die Türe, die nur durch einen einfachen Riegel gesichert worden war. Vorsichtshalber zog er sein Schwert. Doch es erwarteten ihn keine Soldaten, sondern nur ein weiterer Kerkerraum. Ein erschrockenes Wimmer ertönte aus einer der dunklen Ecken.
„Hallo? Ist da jemand?“, rief Veridon in den kleinen Raum hinein.
„Bitte, tut mir nichts! Verschont mich!“, ertönte die leise Stimme einer Frau. Seltsam, Veridon kam sie irgendwie bekannt vor.
„Ich bin nicht hier um euch etwas anzutun, sondern um euch zu befreien!“
„Nein, nein, ihr lügt, ihr wollt mich wegbringen und mir einen dieser Runensteine einsetzen, wie ihr es mit den anderen gemacht habt!“
Jetzt erinnerte sich Veridon.
„Siljana? Bist du es?“
Überrascht ließ er sein Schwert sinken.
„V…Veridon? Welch verabscheuenswürdiger Trick des Ungenannten ist das?“
„Es ist kein Trick, Siljana, ich bin es wirklich!“
Eilig trat Veridon in die Zelle herein und fand die junge Frau am Boden hockend, die Arme um ihre Beine geschlungen. Erschrocken wich sie von ihm zurück.
„Geh! Lass mich in Frieden!“
Veridon wurde langsamer.
„Sieh mich an.“
Langsam gewöhnten sich die Augen der Frau an das Licht. Ein Hoffnungsschimmer zeigte sich in ihren Augen.
„Du… du bist es wirklich, oder?“
„Ja, Siljana, ich bin es! So glaube mir doch!“
Langsam erhob sie sich, wankte auf ihn zu und schloss die Arme um ihn.
„Oh Veridon!“, seufzte sie.
Im durch die Türe hereinfallenden Licht sah Veridon, wie schlecht es um sie bestellt war. Ihre Kleidung war die selbe wie jene, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Nur war sie inzwischen mit Rissen übersät und schmutzig. Siljana trug keine Schuhe und ihr Haar war zerzaust. Irgendetwas war anders an ihr, aber Veridon schob es auf ihren langen Aufenthalt hier im Kerker. Ihr ganzer Körper zitterte. Als sie sich beruhigt hatte, löste Veridon sich vorsichtig von ihr.
„Komm, ich bringen dich hier heraus.“
„Veridon… Veridon, du glaubst gar nicht, wie oft ich mir gewünscht habe, dass du kommst um mich zu befreien. Und jetzt bist du hier.“
„Ja. Und wir müssen uns beeilen, bevor die toten Wachen entdeckt werden. Ich werde dich hinaus bringen.“
So setzten sie ihren Weg gemeinsam fort. Der Weg war mühselig, denn Siljana war nach all der Zeit schwach und nur langsam zu Fuß. Doch schließlich erreichten sie die frische Luft ohne von Wachen gestört zu werden. Der Morgen graute bereits, also würde das Herr der könglichen und kirchlichen Armee bald mit ihrem Angriff beginnen. Veridon wandte sich an seine Begleiterin.
„Siljana, hör mir gut zu. Du musst dir ein sicheres Versteck suchen. Bald wird hier gekämpft werden.“
„Kann… kann ich nicht mit dir kommen?“
„Nein, das wäre zu gefährlich. Verstecke dich und komm erst wieder heraus, wenn alles vorbei ist.“
Zögerlich nickte die junge Frau.
„Veridon, eines muss ich dir noch sagen…“
„Nicht jetzt, es eilt, Siljana. Ich muss die Truppen warnen, dass unser Plan fehlgeschlagen ist.“
„Aber…“
„Wenn alles vorbei ist, können wir ausführlich über alles sprechen.“
Die Frau biss sich auf die Unterlippe und nickte stumm. Schnell beugte sie sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, dann eilte sie davon in Richtung Rand der Stadt. Seufzend sah Veridon ihr nach. Wie sollte er ihr nur beibringen, dass das damals nur ein Ausrutscher war und er sich noch immer seiner toten Frau verbunden fühlte?
Er schalt sich selbst für solche Gedanken. Im Moment gab es anderes, wichtigeres zu tun. Und so machte er sich auf in Richtung Mauer. Er eilte um eine Ecke…
… und stand plötzlich in Mitten einer Gruppe berittener Soldaten, angeführt von Blutschwert persönlich. Der Dämon richtete seine roten Augen auf ihn hinab.
„Ah, der Säufer…“

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 30.05.10, 19:37 
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Vandrien, Pas

„Ah, der Säufer…“
Ehe Veridon an Flucht denken konnte, umringten ihn die Leiber der Pferde und er sah sich einem Wald von Speerspitzen gegenüber. Die Soldaten der Legion schienen nur auf einen Befehl zu warten, ihn aufzuspießen. Der Dämon aber saß still auf seinem Pferd und richtete die roten Augen auf seinen Gefangenen. Sein Blick saugte sich tief in Veridons Kopf, der zunehmend die Geduld verlor. Es bestand keine Hoffnung auf Rettung. Er würde sterben und das vereinigte Heer der Kirche und des Königs würde sich an den Mauern der Stadt zu Tode rennen. Warum also brachte er es nicht gleich zu Ende? Wenigstens hatte er Siljana retten können. Ob ihr die Flucht aus der besetzten Stadt gelingen konnte?
„Wie ich sehe, bist du stärker geworden. Ich bin stolz auf dich. Endlich hast du begriffen, dass nur die Stärksten überleben können. Nur leider hast du dich für die falsche Seite entschieden. Wie bedauerlich.“
„Verflucht seist du, Dämon!“
Veridon ließ sich dazu hinreißen in Richtung des Dämons zu spucken, kam allerdings nicht annähernd weit genug und erntete dafür nur das Lachen des Dämons und seiner Männer.
„Ein feuriges Temperament hast du. Daher will ich dir das Ende eines Kriegers gewähren. Bildet einen Kreis!“
Die Reiter der Legion wichen zurück und bildeten einen etwa zehn Schritt durchmessenden Kreis um Veridon.
„Zum Glück“, fuhr der Dämon fort, „haben meine beiden Hündchen heute noch nichts zum Fressen gehabt. Ygir! Wygr! Fressen!“
Aus dem Schatten hinter dem Dämon lösten sich zwei weit größere Schatten. Es waren die beiden Veridon nur allzu bekannten Klauenwölfe. Bedrohlich knurrend kamen sie näher – zwei der klügsten und gefährlichsten Raubtiere Tares – und Veridon war nur mit einem Schwert und einem Dolch bewaffnet. Lakonisch dachte er daran, dass er nun wenigstens Gelegenheit hatte sein Versprechen zu erfüllen. Dummerweise würde er dabei als Frühstück enden. Das Schwert fester packend führte er es vor seine Stirn und küsste es knapp über der Parierstange.
„Oh Bellum, schütze deine Krieger. Sei mein Schwert. Sei mein Schild. Sei meine Rüstung immerdar.“
Der Dämon lachte auf.
„Dein falscher Gott wird dich nicht vor den scharfen Zähnen eines Klauenwolfes schützen.“
Mit der anderen Hand zog Veridon den Dolch Nebelklinge hervor und ging in Verteidigungsposition. So wie man es ihn vor Jahren in den Ausbildungsräumen des Tempels gelehrt hatte. Es kam Veridon vor, als wäre es eine halbe Ewigkeit her. Was war in dieser Zeit alles geschehen? Sein Aufstieg zum Noviziat, dann seine Weihe. Er hatte damals eine Verschwörung der Diener des Ungenannten am Königshof aufgedeckt. Kurz darauf wurde er von der Oculus Ecclesiae, einer Geheimorganisation zum Schutz der Kirche und des Glaubens, angeworben. Ein Fehler wie sich im Nachhinein herausstellte. Zwar wurde er ein erfolgreicher Agent, doch verriet er dafür die Prinzipien Bellums. Letztendlich kostete es ihn seine Frau und seinen Sohn, als er von einem alten Freund verraten wurde. Dann die Jahre in denen er sinnlos durchs Land zog, bis er irgendwann beschloss nach Vandrien zu reisen. Das alles war jetzt nicht mehr wichtig. Er würde sterben. Zerfleischt von den Zähnen zweier abtrünniger Wölfe. Er erinnerte sich an die Worte der alten Ilja: „Wann immer du Blutschwert gegenüber trittst, muss jemand sterben.“
Aber warum ausgerechnet er?
Die Wölfe waren bis auf wenige Schritte an ihn heran. Einer von ihnen, der größere der beiden, dessen Nackenhaare grau verfärbt waren, wich nach links aus um Veridon zu umgehen. Wenn er überhaupt eine Chance haben wollte, begriff dieser, musste er jetzt handeln. Ein schneller Ausfallschritt brachte ihn in Schwertreichweite zum kleineren der beiden Wölfe. Aber er war nicht schnell genug. Der Wolf machte einen Satz nach hinten und gleichzeitig sprang sein Gefährte Veridon von der Seite an. Im letzten Moment gelang es ihm sich zu ducken, so dass das Tier sich statt in seiner Kehle zu verbeißen über ihn hinweg segelte und auf der anderen Straßenseite landete. Veridon hatte jedoch keine Gelegenheit sich über seinen Erfolg zu freuen, denn der Kleinere machte nun seinerseits einen Satz nach vorn und schnappte nach Veridons Schwerthand. Er holte mit der linken aus und schlug in Richtung der Schnauze des Wolfes. Als seine Finger auf den Kieferknochen prallte, knacken seine Finger bedrohlich. Hätte er nicht den Dolch umfasst gehalten, wären sie wohl gebrochen. So jedoch blieben sie heil. Der Wolf jaulte erschrocken auf und wich einige Schritte zurück.
Von der Seite nahm Veridon einen Schatten wahr, der in seine Richtung flog. Dann wurde von dem massigen Leib des größeren Wolfes getroffen und zu Boden gestürzt. Der Wolf schnappte nach seinem Gesicht, verfehlte es aber um Haaresbreite. Einem Reflex folgend stieß Veridon mit seinem Knie in die Magengrube des Wolfes, was diesen zur Seite weichen ließ. So bot sich dem Mann die Gelegenheit sich wieder aufzurappeln. Gerade rechtzeitig, denn der kleine Klauenwolf hatte sich von dem Schlag auf die Schnauze bereits erholt und näherte sich. Bedrohlich die Zähne fletschend setzte er zum Sprung an. Dieses Mal jedoch war Veridon schnell genug. Ein Schritt zur Seite brachte ihn aus der Sprungbahn des Tieres und noch während es an ihm vorbeiflog schlug er mit dem Schwert zu. Er traf das Tier knapp unterhalb der Hüfte. Der dadurch behinderte Wolf verlor bei der Landung das Gleichgewicht und überschlug sich. Er versuchte wieder hoch zu kommen, doch das hintere rechte Bein versagte ihm den Dienst.
In diesem Augenblick spürte Veridon einen heißen Stich im rechten Oberschenkel, als der Klauenwolf mit dem grauen Fell ihm seine Zähne ins Fleisch schlug. Veridons Kehle entwich ein lauter Schrei. Unbeholfen schlug er mit dem Dolch hinter sich und erwischt den Wolf hinter sich am Ohr. Daraufhin lockerte sich sein Biss und Veridon gelang es sich zu befreien. Humpelnd wich er einige Schritte von den beiden Wölfen zurück. Er spürte wie im warmes Blut am Schenkel hinab lief. Hoffentlich war nicht die Hauptschlagader verletzt worden, schoss es ihm durch den Kopf. Es bereitete ihm allerdings Genugtuung, das auch die beiden Wölfe nicht unbeschadet davon gekommen waren. Der kleinere der beiden versuchte immer noch unbeholfen auf die Beine zu kommen, während das Ohr des größeren recht mitgenommen aussah. Doch durch seine Verletzung hatte Veridon einiges an Beweglichkeit eingebüßt. So würde er sich nicht mehr lange gegen die beiden Klauenwölfe zur Wehr setzen können. Kaum wurde ihm dies bewusst, setzte der größere auch schon wieder zum Angriff an. Zwar gelang es Veridon noch sich zur Seite zu drehen, aber der Wolf riss ihm das Schwert aus der Hand, dass daraufhin scheppernd zu Boden fiel. Die Reiter der Schwarzen Legion jubelten. Laute „Ygir! Ygir!“ Rufe ertönten. Das schien den Wolf weiter anzufeuern. Mit einem Satz sprang er Veridon an, der taumelte und unsanft auf dem Rücken landete. Die Füße des massigen Tieres auf die Brust gesetzt, fiel es ihm schwer sich zu bewegen. Er spürte wie sich die Klauen des Tieres in seine Brust gruben. Es gelang ihm seine Arme schützend vor seinen Hals zu bringen, ehe der Wolf zuschnappen konnte. Stattdessen verpasste Veridon ihm nun einen Kinnschlag, der den Kopf des Klauenwolfes ein Stück zurückweichen ließ. Veridon nutzte die sich bietende Gelegenheit und stieß den Dolch mit aller Kraft in die ungeschützte Halsbeuge des Wolfes. Warmes Blut schoss aus der klaffenden Wunde hervor. Ygir taumelte jaulend zur Seite, verlor das Gleichgewicht und brach schließlich zusammen. Mühsam rappelte sich Veridon auf. Das Blut in seinen Adern brannte. In seiner Jugend hatte ein Geweihter ihm von diesem Zustand erzählt, der sich „Bellums Feuer“ nannte. Manchmal kam Bellum Kriegern in höchster Not zur Hilfe, in dem er ihr Blut in flüssiges Metall verwandelte. Die dadurch gestärkten Krieger kämpften wie im Rausch, spürten keine Verletzung und bezwangen selbst übermächtige Gegner. Wie in Schritt Veridon zum am Boden liegenden Schwert und hob es auf. Dann näherte er sich dem immer noch am Boden liegenden zweiten Wolf. Verzweifelt versuchte das Tier auf die Beine zu kommen. Veridon hob das Schwert über den Kopf und ließ es nieder saußen. Röchelnd brach aus der Zweite der Klauenwölfe zusammen.
Schwer keuchend stand Veridon da. Noch immer floss Blut aus seinem Oberschenkel. Langsam kühlte sich sein Blut wieder ab und er wurde der wütenden Rufe der Soldaten um sich herum bewusst. Einer von ihnen machte sich gar daran, mit seinem Speer auszuholen und ihn nach Veridon zu schleudern.
„HALT!“
Augenblicklich verstummten die wütenden Schreie. Stattdessen richteten sich alle Augenpaare auf den Anführer der Schwarzen Legion. Mit zorniger Grimasse blickte der Dämon auf Veridon hinab.
„Du wagst es, meine Wölfe zu töten?“
Es war so still, dass man es hätte hören können wäre in diesem Augenblick eine Nadel zu Boden gefallen. Geschmeidig glitt der Dämon von seinem Ross hinab.
„Dafür werde ich dir persönlich deine wertlose Seele entreißen und sie zu meinen Brüdern schicken!“
Er zog sein blutrotes Schwert hervor und umfasste es fest mit beiden Händen. Noch ehe Veridon in Verteidigungsstellung gehen konnte, rannte Blutschwert auf ihn zu. Was nun folgte glich eher einem Tanz als einem Kampf. Der Kriegsdämon war ein meisterhafter Kämpfer, dem Veridon kaum etwas entgegen zu setzen hatte. Er wich zur Seite, fing Schläge Blutschwerts ab und dreht sich um seine Achse. Bei jedem Schritt pochte sein Schenkel schmerzhaft. Dann geschah es: Veridon hatte gerade einen besonders wuchtigen Schlag seines Gegners pariert, als sein Schwert von einem roten Glühen erfasst wurde und einfach in der Mitte zerbrach. Der Fluch des Dämons hatte es getroffen. Triumphierend stieß dieser sein Schwert nach vorn und tief in den Bauch Veridons. Keuchend sank er auf die Knie, noch immer das Schwert in sich. Ihm wurde schummrig vor Augen. Ein Teil seines Verstandes stellte sich ein Stück neben ihn, blickte auf ihn hinab und stellte fest: Das war es also. So sieht also dein Ende aus.
Ein bestialisches Grinsen auf den Lippen beugte sich der Dämon zu dem Knienden hinab.
„Kein Sterblicher besiegt Blutschwert. Sag mir deinen Namen, damit ich ihn auf alle Zeiten verfluchen kann.“
„Ich bin…“, presste Veridon hervor. Hustend erbrach er einen Schwall Blut. „Ich bin Veridon. Diener Bellums. Ich bin… Nebelklinge.“
Das Gesicht des Dämons veränderte sich. Anstelle der Siegesgewissheit trat Panik. Blanke Panik. Seine letzte Kraftreserven mobilisierend stieß Veridon mit dem ihm verbliebenen Dolch Nebelklinge zu. Es war kein sehr guter Stoß. Normalerweise wäre er von der Rüstung des Dämons abgeprallte und hätte höchstens einen Kratzer zurückgelassen. Doch bei dem Dolch handelte es sich um keinen gewöhnlichen Dolch. Als er die Rüstung des Dämons berührte erstrahlte er plötzlich in einem grellen Licht und glitt einfach durch sie hindurch. Der Dämon wich vor Schmerz brüllend einen Schritt zurück. Seinen Blick gen Himmel gewandt, presste er seine Hände an die Stirn. Noch immer gleiste helles Licht aus der Wunde hervor, breitete sich in seinem ganzen Körper aus und brach durch die Haut. Der Körper des Dämons veränderte sich: wurde größer, grobschlächtiger. Seine Beine nahmen die Form von Ziegenbeinen an und fledermausartige Flügel sprossen aus seinem Rücken hervor. Sein Gesicht verformte sich, ähnelte nun eher der Schnauze eines Wolfes. Und noch immer strahlte der goldene Glanz aus ihm hervor, wurde noch heller. Die umstehenden Soldaten mussten ihre Blicke abwenden. Der Schrei des Wesens wurde unmenschlich und war selbst noch vor den Toren der Stadt bei den anrückenden Streitkräften zu hören, die irritiert einige Augenblicke innehielten.
Als das helle Licht verblasste, war auch der Dämon verschwunden. Panikartig ergriffen die Reiter der Legion die Flucht. Veridon bekam davon nicht mehr viel mit. Die Welt um ihn herum wurde immer kleiner, konzentrierte sich ganz auf ihn. Seine Hände tasteten zu dem Schwert des Dämons und zogen es langsam heraus. Der Schmerz ließ seine Sinne noch einmal klar werden und er dachte: „Delia, ich komme.“
Dann wurde es dunkel und sein Körper fiel auf den kalten Boden der Straße.



Anmerkung des Autors: Nein, die Geschichte ist noch nicht zu Ende.

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 Betreff des Beitrags: Re: Blutschwert
BeitragVerfasst: 3.06.10, 13:44 
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Epilog


Vandrien, Pas

Nach dem Ende des Dämons war es für die Soldaten der königlichen und kirchlichen Truppen ein leichtes Pas einzunehmen. Der Bann, der die Soldaten der Schwarzen Legion zur absoluten Treue verpflichtete hatte, war gebrochen. Die meisten ergriffen daraufhin die Flucht oder ergaben sich. Nur einige wenige, die aus freiem Willen dem Dämon gedient hatten lieferten sich eine harte und verlustreiche Schlacht. Schließlich aber wehte erneut das Banner des Königs über den Wipfeln Pas‘.
Bis zum endgültigem Einbruch des Morsan wurden weite Teile Vandriens zurückerobert. Friede kehrte ein in das umkämpfte Lehen… So lange bis sich der nächste herrschsüchtige Mann erhob und erneut Verderben brachte.


Bernstein, Draconis

In der Hauptstadt des galadonischen Reiches, in einem prunkvollen Gebäude direkt am Platz der Heiligen Viere, öffnete sich eine Türe. Herein kam ein dürrer Mann, gewandet mit der blauen Robe eines Dieners des Astrael. Eilig zog er eine Raute vor sich in die Luft und verbeugte sich dann tief vor dem Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches. Von seinen Unterlagen aufblickend winkte dieser dem Diener Astraels zu.
„Eminenz wir haben soeben ein Schreiben aus der umkämpften Stadt Pas erhalten.“
„Wie lautet der Inhalt, Secretarius?“
„Die Stadt konnte zurückerobert werden, Eminenz. Der Dämon Namens Blutschwert wurde gebannt. Die Verluste halten sich in Grenzen.“
„Hervorragend. Entsendet meine Glückwünsche an die Agenten vor Ort.“
„Wie ihr wünscht, Herr.“
Der Erzgeweihte wandte sich wieder den vor ihm liegenden Berichten zu. Der Sekretär jedoch machte keine Anstalten zu gehen.
„Ist noch etwas, Secretarius?“, fragte der Erzgeweihte ohne aufzusehen.
„Unser… Agent vor Ort berichtet, dass der Dämon von einem einzigen Mann besiegt wurde.“
Stirnrunzelnd sah der Mann hinter dem Schreibtisch auf.
„Von einem einzigen Mann, sagt ihr? Wer soll dieses Wunder vollbracht haben?“
„Nun, die Identifizierung war schwierig, aber nach Prüfung aller Fakten…“
„Secretarius.“
„Ja, Herr. Offenbar handelt es sich um einen fahnenflüchtigen Agenten, der bisher als Tod galt, Eminenz. Sein Name lautet Veridon.“
Stille kehrte ein in dem prunkvoll ausgestatteten Büro des Erzgeweihten.
„Veridon?“
„Es hat den Anschein, Eminenz.“
„Die Agenten vor Ort sollen ihn festsetzen und hier her bringen.“
„Das wird nicht möglich sein, Eminenz.“
„Nicht möglich?“
„Er ist tot, Eminenz. Gestorben im Kampf gegen den Dämon.“
„Hm.“
Mit einem Winken wurde der Sekretär entlassen. Der Erzgeweihte warf einen nachdenklichen Blick zum Fenster hinaus. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder den mit dem Zeichen der Oculus Ecclesiae verzierten Berichten zu.


Irgendwo

Blinzelnd schlug Veridon die Augen auf. Er brauchte einige Augenblicke bis er sich erinnerte wer er war und was geschehen war. Vorsichtig glitt seine Hand zu der Stelle hinab, an der von dem Schwert des Dämonen durchbohrt worden war. Er war unversehrt. Merkwürdig. Und das war nicht das einzige, was merkwürdig war. Als er sich aufrichtete, erkannte er, dass rund um ihn Nebel wogte. Nicht einmal die Wände der an die Straße angrenzenden Häuser konnte er erkennen. Und auch das raue Kopfsteinpflaster war verschwunden und wurde durch einen flachen erdigen Boden ersetzt. Mühevoll stemmte Veridon sich in die Höhe. Nebel soweit das Auge reichte. Versuchsweise hob er die Hände an den Mund und rief:
„Hallo? Ist da jemand?“
Prompt reagierte der Nebel vor ihm darauf. Er geriet in Wallung, wehte beiseite und gab den Blick auf eine beeindruckende Gestalt preis. Vor Veridon stand ein in eine weiße Plattenrüstung gewandeter Mann mit alterslosem Gesicht. Die Rüstung war mit abstrakten Mustern reich verziert. An seinem linken Arm baumelte ein großer blutroter Turmschild. In der Mitte zeigte sich, ebenfalls in weißer Farbe, das Bild eines weißen Schwertes. Ein eben solches hielt der Mann in der rechten Hand – und es zeigte in Richtung Veridon.
Hastig hob Veridon schützend seine Hände vor sich in die Höhe.
„Halt, tut mir nichts, ich bin unbewaffnet!“
„Was ist dein Begehr?“, sprach der Gerüstete mit einer Stimme, die einer Urgewalt glich.
„Bitte? Ich verstehe nicht.“
„Ich frage: Was ist dein Begehr?“
Seufzend rieb sich Veridon mit den Händen über sein Gesicht. War das wieder ein Trick dieser alten Ilja? Dann aber bemerkte er, dass er nicht mehr seine alte abgetragene Kleidung am Leib trug, sondern stattdessen in einer weißen Robe steckte.
„Was ist mit mir? Wo bin ich?“, wandte er sich überrascht an den Gerüsteten.
„Du befindest dich an den Grenzen Vidors.“
„Vidor? Das heißt ich bin… tot?“
„Offensichtlich.“
„Und wer bist du?“
„Ich bin der Wächter.“
„Der Wächter?“
„Der Wächter Vidors. Was ist dein Begehr?“
Veridon erinnerte sich an seine Ausbildung. Legenden nach wurde das Reich Morsans, Vidor, von einem mächtigen Wächter bewacht, der nur die reinen und tadellosen Seelen einließ. Dieser Wächter trat jeweils in einer zur Seele des Verstorbenen passenden Gestalt auf. Das erklärte zumindest die Rüstung, den Schild und das Schwert. Er wurde also einer Prüfung unterzogen. Doch was sollte die Frage nach seinem Begehr? War das nicht offensichtlich? Aber nein! Bellum war der Gott des Willens, der Tatkraft. Er musste seinen Wunsch äußern.
„Ich begehre Einlass nach Vidor.“
„Deine Seele ist mir bekannt, Veridon, Diener des Bellum. Sie ist voller Schandflecke. Du bist vom rechten Pfad abgekommen. Mut und Ehre hast du verleugnet, dich der Sauferei hingegeben. Warum sollte ich so jemanden nach Vidor einlassen?“
Das traf Veridon schwer. Wenn ihm der Einlass verwehrt wurde, war er gezwungen für immer zwischen den Sphären zu wandeln. Fieberhaft dachte er nach… Was konnte ihm helfen? Gerechtigkeit!
„Ich bin schuldig all dessen, was du mich bezichtigst, Wächter.“
Drohend wurde das Schwert gehoben.
„Aber ich habe diese Sünden beglichen, in dem ich einen Dämon besiegte und zurück in die Niederhöllen schickte.“
Das Schwert sank wieder ein Stück hinab.
„Dein Eingeständnis zeugt von Ehre, dass du dich dem Dämon gestellt hast, von Mut. Doch deine Sünden wiegen zu schwer, als das ich dich vorbeilassen könnte.“
„Was? Aber...“
„Zu deinem Glück, gibt es einen Fürsprecher. Sein Wort ist, der dir den Zugang zu Vidor gewährt.“
Der Wächter senkte sein Schwert ganz und nahm eine entspannte Haltung ein. Gleichzeitig geriet der Nebel neben ihm wieder in Wallung. Heraus trat eine Veridon nur allzu bekannte Gestalt: seine Frau Delia.


Lichtenfeld, ein Bauernhof auf halbem Weg zwischen Io und Swa

Nach einer langen Reise war Siljana froh, endlich eine neue Heimat gefunden zu haben. Nachdem die königlichen Truppen Pas erobert und sie von dem Tod Veridons erfahren hatte, war sie erst nach Ersont und dann nach Süden gezogen. Lange hatte sie überlegt, wo sie in ihrem Zustand hingehen sollte. Durch Zufall war sie einem Händler begegnet, der ihr anbot sie mit nach Lichtenfeld zu nehmen. Dort angekommen hatte sie nach einigen Fehlschlägen einen Bauern gefunden, der sich nicht an den besonderen Umständen störte. Er gab ihr Arbeit als Magd und ein kleines, aber warmes Zimmer. Und dort saß sie nun, erholte sich von der anstrengenden Reise und faltete die Hände über ihren nun doch schon deutlich gewölbten Bauch. In ihm wuchs die Frucht der mit Veridon verbrachten Nacht heran.



Anmerkung des Autors: Dies also nun ist das Ende von Blutschwert. Mein Dank geht an alle treuen Leser, die es bis hierhin geschafft haben. Ich hoffe die Geschichte hat euch gefallen. Über Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.

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Benion - vita et amor - Pater Brown Verschnitt, Häretiker und Lord der Vitamith - Geburtshelfer: 8 mal - Ehejahre-Rekordhalter
Querdenker aus Leidenschaft.


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