Peregrins Schleier IIIPeregrins Schleier I | Peregrins Schleier II | Peregrins Schleier III | Peregrins Schleier IV Ich verpasste den richtigen Moment um den eigentlich tot geglaubten Händler Gisbert Zaahnbracht anzusprechen, bevor ich in der Lage war die Verwunderung abzuschütteln, hatte sich die betriebsame Menge eilenden Volkes schon um ihn und seinen dürren Begleiter geschlossen.
Und da stand ich nun vor der lachsfarbenen Fassade des prächtig herausgeputzten Hauses, rollte mit den Augen und kämpfte gegen das nagende Gefühl der Verunsicherung an.
Hatte ich etwas an meiner Aufgabe missverstanden? War meine Interpretation durch Vorwissen getrübt oder in die falsche Bahn gelenkt worden?
Nach Rothenbucht sollst du gehen und Peregrins Schleier suchen, der vor gut einem Mond den toten Fingern des vorherigen Besitzers entrissen wurde.
Ich glaube zu wissen, was Peregrins Schleier ist.
Ich glaube zu wissen, wer der vormalige Besitzer ist.
Ich glaube zu wissen, dass dieser Mann lebt.
Jeder dieser drei Punkte benötigt eine Überprüfung.
Setzen wir zunächst voraus, dass es sich bei Peregrins Schleier um den mir bekannten Stirnreif handelt, dann ergeben sich in Bezug auf die zweite Frage verschiedene Möglichkeiten: Der Stirnreif könnte ein Fälschung sein, das echte Stück in anderen Händen. In der Zwischenzeit könnte das Artefakt den Besitzer gewechselt haben - die wahrscheinlichste Möglichkeit. Sollte es sich bei dem vormaligen Besitzer aber um den reichen Händler handeln, dann war entweder die mir gestellte Aufgabe in sich schon fehlerhaft, oder mein Augenschein hatte mich getrogen. Nicht, dass ich ernsthaft daran glaubte.
Hier Maulaffen feil zu halten, würde mich in keinem Fall weiterbringen.
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Manche Häuser besitzen einen ganz speziellen Geruch, der durch nichts, was der Besitzer tut, gänzlich verdrängt oder gar ausgelöscht werden kann. Als ich durch die zweiflügelige Spitzbogentür in den von Buntglasfenstern erhellten Raum trat, bemerkte ich es sofort wieder: Diese feine Note wie von angerösteten Mandeln, die ich nie wirklich zu identifizieren in der Lage gewesen war.
Seit meinem letzten Besuch war die Empfangshalle umgeräumt worden: Der die halbe Westwand einnehmende Tresen aus im Laufe der Zeit abgedunkeltem Holz war ebenso verschwunden wie die bärbeissige alte Jungfer die von diesem Platz aus allen möglichen Kunden ihre gebleckten Zähne gezeigt hatte. Es war stets mein Verdacht gewesen, dass ihre Aufgabe viel eher im Verscheuchen eventueller Laufkundschaft bestand, als einem herzlichen Willkommen: In den Bereichen in denen Gisbert Zaahnbracht handelte, spielte der einfache Mann von der Straße quasi keine Rolle.
Der Fortschritt war offenbar auch hier angekommen.
Eine Gruppe von Sitzmöbeln vor einem neuen, erloschenen Kamin. Verschiedene Stilleben und Stadtszenen zeigende Bilder in striktem Wechsel. Ein Tisch, der viel mehr zu einem gemütlichen Glas Wein einlud, als zu harten Verhandlungen. Und - nicht zu vergessen - die platinblonde Schönheit in dem gerade noch als züchtig zu bezeichnendem Kleid, die mir ein verheissungsvolles Lächeln schenkte.
Irgendwie sah das plötzlich viel mehr nach einem Ableben von Frau Zaahnbracht aus, die - um ganz offen zu sein - in ihrer Art wahrscheinlich selbst den Einen noch in Angst und Schrecken versetzt hätte.
An der Art und Weise, wie sich das Lächeln der jungen Frau veränderte, erkannte ich, dass sie etwas gesagt hatte und nun auf Antwort wartete.
"Erestan Estheril ist mein Name. Ich würde gern mit dem Herren oder der Dame des Hauses sprechen.""Herr Zaahnbracht ist gerade in Geschäften unterwegs, aber die Herrin ist zugegen. Werdet ihr denn erwartet?"Verdammt.
Ich hatte mich gerade mit der Vorstellung angefreundet den sehr wahrscheinlich um das Grab der alten Vettel ausgestreuten Salzkreis zu stören.
"Nicht direkt. Ich komme direkt aus Dornhalt, von der Graumäntler Schule."Damit wußte sie offenbar etwas anzufangen, das Lächeln gewann noch eine Nuance mehr an Entgegenkommen.
"Ihr seht, mit Verlaub, erstaunlich jung aus für einen Akademieleiter. Ich bin sofort zurück."Ah. Wunderbares Halbwissen.
Ich sparte mir die Korrektur und konzentrierte mich lieber auf den Anblick des sich eilig entfernenden Hinterteils. Ja .. so muss sich ein Ertrinkender fühlen, der das letzte Licht schwinden sieht und gewiss ist, gleich die giftigen Fänge einer Muräne zu spüren.
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"Das war ein sehr billiger Trick, Mündel."Frau Zaahnbracht erfreute sich bester Gesundheit, sofern man das von einer Dame bereits fortgeschrittenen mittleren Alters behaupten durfte. Im Gegensatz zu ihrem mit den Jahren immer ausladender werdenden Mann wurde sie immer dürrer, der Preis dafür war ein Gesicht, das nur noch aus missmutigen Falten, vertrockneten Lippen, einem spitzen Kinn und boshaft funkelnden Augen zu bestehen schien. Und eben diese starrten mich nun mit unverhohlener Missbilligung an.
"Erestan Estheril ist der Name. Ich habe meine Ausbildung abgeschlossen und bin daher nicht länger ein Mündel der Schule.""Aber dennoch tragt ihr den Namen, Mündel. Also, was wollt ihr?"Ich ließ mir Zeit mit der Antwort, benutzte den Moment des Innehaltens um meine Gedanken zu ordnen. Dass die Zaahnbrachts allesamt am Leben waren verschloss gewisse Tore meiner Erwartungen. Nun galt es also sich auf das Artefakt zu konzentrieren.
"Zunächst erlaubt mir Euch zum Umbau der Empfangshalle zu gratulieren. Die Wahl der Möbel, des Teppichs und der Bilder offenbaren Geschmack und Kompositionsgabe."Wenn überhaupt möglich, wurden die Züge noch finsterer, das feindselige Funkeln in den Augen steigerte sich zum Flackern eines drohenden Wetterleuchtens.
"Eure Wertschätzung ist zur Kenntnis genommen, Mündel. Ich werde sie an meinen Ehegatten weitertragen."Scheinbar war der Umbau nicht ganz ohne internen Zwist abgegangen.
"Im Rahmen meiner Abschlussarbeit habe ich mich ausführlich mit Techniken zur Verzauberung von Gegenständen beschäftigt, insbesondere jenen, die der Aufrechterhaltung und Pflege bereits bestehender Artefakte dienen. Magie neigt dazu im Laufe der Zeit auszudünnen, Matrizen werden unzuverlässig bis zu einem Punkt hin, der den gänzlichen Verlust der besonderen Wirkung zur Folge hat. Ich habe vor meine erworbenen Kenntnisse zum Nutzen der Allgemeinheit zu verwenden und dachte, ich könnte durch eine - selbstverständlich kostenfreie - Demonstration im Hause Zaahnbracht, entsprechende Referenzen erwerben. Was sagt ihr dazu?"Nun war es an ihr zu schweigen. Ich hüllte mich in lächelnde Geduld und widerstand dem Drang zu schnuppern: Der feine Geruch wie von gerösteten Mandeln schien hier stärker zu sein als unten.
"Schön, Mündel. Ihr werdet einen ausführlichen Bericht über die Stücke im Speisezimmer erstellen, nebst Hinweisen zur Pflege und möglichen Behebung von Mängeln. Ihr werdet unter gar keinen Umständen selbsttätig irgendwelche Veränderungen vornehmen. Macht Eure Arbeit gut, dann denke ich vielleicht darüber nach, ob wir auch anderweitig Nutzen für Euch haben."Und dann lächelte sie plötzlich. Ein feines, hinterhältiges Lächeln, das ich in diesem Moment nicht verstand und darum einfach als schrullige Eigenheit hinnahm. Umso mehr, wegen des abschließenden Satzes:
"Fräulein Kriehmwan wird Euch herüberführen. Und nun fort mit Euch!"