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 Betreff des Beitrags: Tagebuch Erestan Estheril
BeitragVerfasst: 25.01.10, 11:32 
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Es heisst, dass die erste Nacht an einem neuen Ort darüber entscheidet, wie die Zeit dort sein wird: Ein ruhiger, erholsamer Schlaf verheisst erfolgreiche Tage, getrübte Ruhe kündet dagegen von Schwierigkeiten.

Wäre ich bereit dies als Basis heranzuziehen, dann müßte ich mich damit abfinden, dass Siebenwind alles Andere als erfreulich wird. Ich fand lange keinen Schlaf, wälzte mich ruhelos herum, nur um dann von wirren Träumen geplagt zu werden: In diesen Gesichtern durchstreifte ich noch einmal die Hallen der Akademie, diesmal geführt von einem kleinen Mädchen, dessen beständiges Geplapper einen Vorhang über mein Begreifen legte. Fast erkannte ich sie. Fast.

Es bleibt das Gefühl tiefer Beunruhigung, dem ich weder einen Namen noch eine Richtung zu geben weiss. "Höre auf deinen Bauch!" - meine Lehrmeister wurden nicht müde darauf hinzuweisen, während sie zugleich danach trachteten jede Form von emotionaler Verwicklung aus Magie herauszuhalten.
"Kontrolle ist essentiell." - das Lied kann ich noch heute singen.

Bei nüchterner Betrachtung bin ich geneigt den späten Ereignissen am Wall die Schuld für mein Unbehagen zu geben. Nicht, dass es tatsächlich etwas Berichtenswertes gegeben hätte, aber bisweilen reicht die Natur einer Sache bereits für Kopfschmerzen aus.

Aber gut. Ich habe Pflichten zu erfüllen und sie erfordern, dass ich meine Gedanken in eine gerade Form bringe.

Ich war heilfroh als ich die mir verhasst gewordenen Planken der "Vitamalins Hoffnung" endlich zurücklassen konnte. Die Kälte, der eigenwillig jedem Schritt widerstrebende Boden und die unbekannten Straßen waren ein kleiner Preis dafür die Überfahrt endlich beendet zu haben. Bei der Gnade Vitamas: Wäre mir vorab klargewesen was diese Reise mir abverlangen würde, dann hätte ich zumindest noch ein Wegegeld eingefordert!

Es dauerte nicht lange, bis mir eine hilfreiche Seele den Weg zur Magierakademie gewiesen hatte und mit all der naiven Strebsamkeit, die ich nach dem Verlassen Dornhalts abgelegt geglaubt hatte, nahm ich mir auch nicht die Zeit Falkensee wenigsten etwas zu erkunden. Sei es drum - die Gelegenheit wird sich ganz sicher noch finden.

Ich spürte einen Moment tiefer Befangenheit, als ich durch die Tore in den Hof trat, viel mehr als das selbst bei meinem letzten Aufenthalt im Hain von Dornhalt gewesen war. Dort war ich nur zu Besuch gewesen, ein Reisender, der den Staub von den Füßen schüttelte und die Schatten der Vergangenheit mit wohlwollender Nachsicht betrachtete. Dass mein Baum mich zur Bodenständigkeit mahnte, tat dem keinen Abbruch.

Hier hingegen würde ich erneut ein Schüler sein, abhängig vom Urteil der Lehrmeister, gewogen und gemessen als Einer im Strom der Lernenden. Damals hätte mich nichts mehr schrecken können.

Meine erste Bekanntschaft war ein so weissbärtiger wie weisshaariger junger Mann, höchstens fünfundzwanzig Götterläufe alt, der sich in ein Gewand gelassener Ruhe kleidete. Magister Lergoh, so erfuhr ich, war der Leiter des elementaren Pfades was seinen ungewöhnlichen Gruß erklärte: "Ebbe und Flut" - ich kann mich nicht erinnern, wann ich das zum letzten Mal hörte.

Es sollte nicht das einzige Ungewöhnliche bleiben: Ein elfischer Novize namens Orlo führte mich herum, zeigte mir die Räumlichkeiten der Akademie und geizte dabei nicht mit Zynismus. Eine Eigenart, die ihn deutlich von den wenigen, durchweg abgeklärt und elegisch erscheinenden Geschöpfen seiner Art unterschied, die ich bis dato kennengelernt hatte. Im späteren Gespräch hatte ich mehrfach die Impression eines vor den Pflug gespannten Pferdes, das von Höherem träumt, schnaubt und bebt - ohne sich doch durchringen zu können das Joch abzuwerfen. Ich wäre nicht erstaunt zu sehen, dass er sich so lange schleift, bis er bricht.

Und dann Akora Dur. Eine Tochter des alten Mannes, dem mein vorgeblichstes Interesse zu gelten hat.
Gesegnet mit jenem Schopf roten Haares, den alle Kinder Toran Durs teilen sollen und einer schnellen Zunge, die Ironie wie ein Schild mit sich trägt.

Mhm.
Wer in Fußstapfen tritt, hinterläßt keine eigenen Spuren - und es scheint ohnehin nicht so als hätte der Erzmagier vor seinen zahlreichen Nachkommen bald das Feld zu überlassen. Aber das ist ein anderes Thema.

Sie ist .. interessant. Ich frage mich, wieviel von ihrem Auftreten wirklich und wieviel Fassade ist, inwieweit sie in ihrem Bemühen Schlaglöcher zu vermeiden in Pfützen springt. Eine Rosenzüchterin. Wie traurig, dass das Einzige, was ich mit diesen Blumen assoziiere der Tod ist.

Nach Tod stank auch der Wall, verpestet durch die Ödnis, deren miasmatischer Hauch sich durch aus Stein gebaute Mauern nicht aufhalten läßt. Ich war unvorsichtig genug einen Blick herüber zu werfen - nie zuvor entglitt mir die Kontrolle so rasch und auf so unangenehme Art und Weise. Es gibt eine Wechselwirkung die sich meinem Verständnis noch entzieht.

Noch.


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 Betreff des Beitrags: Re: Tagebuch Erestan Estheril
BeitragVerfasst: 27.01.10, 20:30 
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Am letzten Abend wurde ich Zeuge einer vielsagenden Auseinandersetzung zwischen zwei Adepten und ich fühlte mich ganz unvermittelt an mein letztes Studienjahr in Dornhalt und die damals erfahrenen Lektionen erinnert. Adeptus Aldarim, Akoluth der Grauen Garde und dadurch in einer mir noch nicht bekannten Weise wohl weisungsberechtigt gegenüber Adeptus Comari, dessen ungewöhnliche Aufmachung ganz klar gegen die Gewandungsvorschriften der Akademie verstieß.

Nicht, dass sich zunächst jemand daran zu stören schien - und ich möchte hier gar nicht im Details auswalzen auf welche Weise der Streit zwischen den beiden Männern seinen Anfang nahmen.

Es gibt in erster Linie zwei interessante Punkte:

Zum Einen scheint es neben der klassischen Hierarchie bestehend aus Akademieleitung, Lehrmeistern und Schülern weitere nicht wirklich scharf abtrennbare Stufen zu geben.

Zum Zweiten gibt es die Möglichkeit ein anderes Mitglied der Akademie, in diesem Falle auch einen Höhergestellten, zum Duell zu fordern.

Ich werde sehen, dass ich in den nächsten Tagen mehr darüber hinausfinde - dann mehr dazu.

Auf gewisse Weise passt dieser Aspekt durchaus zu dem, was ich bislang von Toran Dur zu hören bekam und auch wenn Meister Lafaihn mich zweifellos für voreilige Schlüsse tadeln würde, bin ich doch beinahe bereit zu wetten, dass die gesamte Struktur der Akademie - bis hinab zur Grauen Garde - ein Spiegel von dessen Einstellung ist. Das Wesen des "wohlmeinenden Despoten" drückt sich in der Gewissheit aus, die als verbindlich betrachteten Regeln als höchste Instanz ignorieren zu können.

Ich kann noch nicht viel zu den anderen Lehrmeistern sagen, bin aber bereits gespannt auf die erste Lektion. Ich bin noch nicht gewiss, welche Rolle ich dabei spielen soll. Früher oder später wird jemand auf das Siegel aufmerksam werden und Fragen stellen.

Sei es drum, darum kann ich mich später kümmern. Im Augenblick ist anderes wichtiger: Mit Beunruhigung habe ich festgestellt, dass meine Schwierigkeiten im Umgang mit der Kraft nicht abgeklungen sind, obgleich ich mich vom Wall fern hielt. Ein Teil von mir schreibt dies den Nachwirkungen der Schiffsreise zu, weniger hoffnungsvolle Gedanken kreisen um die Präsenz des Ödlandes.

Die reine Logik gebietet, dass dies kein generelles Problem sein kann, oder die Ödnis hätte sich schon längst weiter ausgebreitet. Ich werde sehen, ob ich dazu nicht etwas in Erfahrung bringen kann.


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 Betreff des Beitrags: Re: Tagebuch Erestan Estheril
BeitragVerfasst: 29.01.10, 15:24 
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Dornhalt nahm trotz der bröckelnden Mauern und ungewöhnlich großen Zahl von Waisen und Habenichtsen durchaus für sich in Anspruch eine traditionelle Lehre zu vermitteln. Dazu gehörte auch die Festlegung jedes Schülers auf einen der drei unterrichteten Pfade.

Erst nach der Prüfung zum Novizen des Ersten Grades, wenn die bei der zeremoniellen Aufnahme in die Obhut der Schule gepflanzen Bäume meist schon hoch genug waren, um bis zu den Hüften zu reichen, wurden die Zeichen verliehen, die alsdann die linke Seite der Schulrobe zu schmücken hatten: Das geöffnete, dreistrahlige Auge für die Weissen, die geöffnete Hand für die Grauen und die mit einem doppelten Rahmen versehene Raute für die den Elementen zugeneigten Schüler.

Dafür dass die Lehrmeister offiziell der Meinung waren, dass der Pfad bereits angeboren sei und nur noch der sorgfältigen Freilegung bedürfe, taten sie sich bisweilen erstaunlich schwer mit der Einschätzung welcher Richtung ein Schüler zuzusprechen sei. Ich hatte die Gelegenheit diese Ungewissheit aus erster Hand zu erfahren.

Es gibt bestimmte Hinweise die gemeinhin zur Orientierung genutzt werden. Zuvorderst wird gern die Begabung für bestimmte Spielarten der Zauberei genannt: Wem Entzauberungen und Antimagie gut von der Hand gehen, der wird bereits in die Schublade der weissen Magie eingeordnet, auch die Jünger des Elementaren Pfades sind durch die häufig auftretende Tendenz zu greifbaren Ergebnissen nicht so schwierig zu identifizieren. Und dann gibt es das weite Feld der Grauen.

Gern assoziiert ist hier die Affinität zu minderkomplexen aber kraftraubenden Zaubern, die sich beinahe immer durch eine elemenare Komponente ausdrücken. Die Abgrenzung wird durch zweierlei ermöglicht: Mangelnde Bevorzugung von Magie eines bestimmten Elements und die passende Einstellung.

Magister Lafaihn, selbst ein Vertreter des weissen Pfades, wurde selten müde darüber zu referieren, dass sich bei den Grauen all der Bodensatz sammeln würde, der schlichtweg nicht zu den anderen beiden Ausrichtungen passte, eine Ansicht regelmäßig zum Streit mit den entsprechend diffamierten Kollegen führte. In meinem vierten Studienjahr, kurz bevor ich selbst meinen Pfad zu entdecken hatte, eskalierte der Schwelbrand als mein damaliger Mentor, Magister Markil, in einer Verletzung aller traditionellen Regeln Dornhalts seinen Unmut in den rohen Mustern geradliniger Kampfmagie ausdrückte.

Erfolglos. Bis heute läuft mir ein Schauder über den Rücken, wenn ich an den kalt lächelnden Weissmagier denke, der ungerührt durch das heraufbeschworene elementare Chaos schritt. Als der Staub sich gesenkt hatte, war die ganze Schule Zeuge der unehrenhaften Entlassung meines verbitterten Mentors geworden. Zurückblickend bin ich nicht erstaunt, dass in diesem Jahr überdurchschnittlich viele Schüler plötzlich Talent und Neigung für den Pfad des Siegers zeigten.

Aber ich bin abgeschweift.

Als es bei mir soweit war vor den Dreierrat zu treten und die Zeichen zu empfangen, wurde ich mit Unschlüssigkeit begrüßt. Meine Durchschnittlichkeit spiegelte sich in der Ratlosigkeit der Lehrmeister wieder: Ich besaß keine besonderen Fähigkeiten für Heilung oder Antimagie, bevorzugte kein Element und tat mich mit jenen in erster Linie Kraft und Kontrolle erfordernden Kampfzaubern schwer.

Was ich hatte war ein gewisses Talent für die Manipulation bereits bestehender Magie, für die Analyse von Mustern, so dass die Entscheidung am Ende mangels besserer Möglichkeiten auf weiss gefallen wäre - wenn nicht dieser Pfad durch die Umstände bereits so überfüllt gewesen wäre. Also reichte Magister Garnhelm mir die geöffnete Hand der Grauen. Ein passendes Zeichen: Niemand weiss, ob diese Hand gibt oder nimmt.

In einem Zwischenzeugnis drückte er sich später diplomatisch aus:

"Erestans Stärken liegen eindeutig im Bereich der Metamagie, die Arbeit mit komplexeren Strukturen geht ihm einfacher zur Hand, als selbst die Schaffung einfacher, roh gerichteter Matrices in denen es nur auf Kraft ohne besondere Geschliffenheit ankommt. Die Affinität zu Heilmagie ist noch schwächer ausgeprägt, als zu erwarten wäre. Im Rahmen der allgemeingültigen Erwartungen bewegt sich Erestan dennoch in jenem Spektrum, das einem Magier des grauen Pfades gewöhnlich zugeordnet wird."

Damals hatte ich das Gefühl von meinem Schicksal verraten worden zu sein.

Nein. Verraten klingt zu bitter, zu vorwurfsvoll. Ignoriert.. das trifft es eher.

Wo die anderen Schüler ihre Bestimmung fanden wie Bergleute eine Ader wertvollen Metalls, gab es bei mir nur taubes Gestein. Daran sollte ich kauen, bis einen Götterlauf später unversehens Magister Markil zurückkehrte.


Zuletzt geändert von Ada Dornbrandt: 3.02.10, 13:45, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: Tagebuch Erestan Estheril
BeitragVerfasst: 30.01.10, 17:53 
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Es ist eine Weile her, dass ich das letzte Mal wirkliche Angst empfand, aber jetzt, in der dräuenden Dunkelheit des kommenden Zyklus spüre ich die vertraute kalte Hand wieder an meinem Herzen.

Ich wünschte ich könnte die Ereignisse in Brandenstein dafür verantwortlich machen, aber obgleich sie aufwühlend waren und mir neue Erkenntniss über gewisse strukturelle Schwächen dieser Akademie gaben, sind sie bestenfalls ernüchterndes Beiwerk, die Kulisse für ein Theaterstück dessen Titel lautet: "Was bist du ohne deine Gabe?"

Was bin ich?
Niemand.

Der Abend begann mit Langeweile und Enttäuschung, die angekündigte Vorlesung über Runenkunde entfiel. Dass ich der einzig anwesende Schüler war konnte zweierlei bedeuten: Entweder war die Absage an einem mir unbekanntem Ort veröffentlicht worden, oder es gab schlichtweg weder Bedarf noch Interesse für diese in Dornhalt hochgeschätzten Hilfsmittel. So oder so: Ich hatte das dünne Büchlein, das Marielle mit im vierten Studienjahr geschenkt hatte, umsonst mitgebracht.

Das einzige an privaten Besitztümern, das ich nach Siebenwind mitgebracht hatte. Die anderen Bücher, der lächerliche Stab, sogar diese ungewohnte blaue Robe hatte Meister Garnhelm mir gestellt um damit meine Geschichte zu untermauern. Geschichte. Als wäre das notwendig.

Wenn es eine Konstante gibt, die sich bislang in meiner Einschätzung der Akademie zu Siebenwind durchzieht, dann ist es der Eindruck mehr schlecht als recht gebändigten Chaos. Ein Jahrmarktszauberer als Magister, Adepten die Gehorsam einfordern aber selbst einem Magister Widerworte geben. Ein alter Mann, der es als sein gutes Recht betrachtet die Regeln zu ignorieren.

Ich weiss, dass Magister Lafaihn es keinen Tag hier ausgehalten hätte, gerade da die vergehenden Götterläufe nicht geeignet waren ihn freundlicher werden zu lassen. Aber ich weiss auch, dass bisweilen die schönsten Blumen auf einem Misthaufen blühen, fernab der kundigen Hand eines Gärtners, die danach trachtet die Beete in bester Ordnung zu halten.

Die von Adeptus Aldarim gehaltene Stunde zum Thema Ritualmagie war kurzweilig. Das lag nicht etwa an meinen Mitschülern: Sie mögen vielleicht talentierter sein als ich, aber sie sind auch jünger, ohne die Bürde ungezählter bereits abgeleisteter Lektionen - entsprechend waren ihre Fragen eher ermüdend.
Der Stoff selbst bot bislang keine Überraschung, mein erstes Interesse galt aber ohnehin dem Vortragenden selbst und seiner Herangehensweise an die Thematik: Für eine Einführungsstunde blieben die Definitionen sehr vage, verließen sich weitgehend auf wahrscheinlich falsches Vorwissen. Es ist denkbar dass in dieser Weise der Einstieg erleichtert wird, ich fühlte mich jedoch unbefriedigt, bis ich mich zwang an meine erste Vorlesung zur Ritualkunde zurückzudenken:

In Dornhalt war es Tradition, dass Ritualmagie erst gelehrt wurde, wenn die Runenkunde absolviert, verinnerlicht und geprägt worden war, insofern gab es bereits einen passenden Einstieg der als Beispiel dienen konnte. Und dennoch verstand ich kein Wort von dem, was Magistra Antarel da von "kombinierten Gewohnheitsmustern", "rückwirkenden Schleifen" und "Transition der Elementarachse" erzählte. In den kommenden Götterläufen sollte mir dieses Gefühl noch ein vertrauter Begleiter werden, am Ende waren es fast immer die älteren Schüler, die den Frischlingen erklärten, was genau die hochgeistigen Erklärungen der Magister genau zu bedeuten hatten.

Aber selbst wenn ich ahnungslos vor der Mauer unverständlicher Thesen stand, zweifelte ich doch nie daran, dass ich einst ein Magier sein würde. Jemand, der über die Kraft gebietet, Wünsche zu Wirklichkeit werden läßt.

Der Tod Marielles konnte daran nichts ändern, auch wenn er mir meine Machtlosigkeit vor Augen führte, er spornte mich rückblickend betrachtet sogar noch an.

Diesmal ist es anders und ich bin nicht nur deshalb wach, weil ich auf die Verwundeten aufpassen möchte.

Bislang habe ich die Sorgen ignoriert, aber die Worte Magistra Rhyntarins gehen mir nicht mehr aus dem Geist.

Was, wenn ich wirklich das verloren haben, was einen Magier von einem normalen Menschen scheidet?


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 Betreff des Beitrags: Re: Tagebuch Erestan Estheril
BeitragVerfasst: 1.02.10, 11:27 
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Mittlerweile spiele ich ernsthaft mit dem Gedanken den Tempel der Viere aufzusuchen.

Mhm. Das ist schon der falsche Anfang.
Ich habe den Tempel bereits besucht, die Knie vor dem Altar gebeugt und jedem der Viere ein Opfer dargebracht, aber das ist nicht das, was ich meine.
Meister Garnhelm war stets der Meinung, dass ich die Götter zu wenig achten würde - ich habe sehr wohl die Überraschung in seinen Augen registriert, als er den Kelch auf meinem Arm erblickte - aber in Wahrheit ist das Gegenteil der Fall.

Offenbar bringt die Beschäftigung mit der Kunst der Magie eine ganze Anzahl von Zauberern dazu sich selbst für kleine Götter zu halten, für Meister des Schicksals und Propheten ihrer eigenen Erleuchtung. Dornhalt war traditionsbewußt genug, um solche Ansichten höchstens im Stillen zu dulden, aber während der folgenden Jahre hatte ich mehr als einmal Gelegenheit mich im Zwiegespräch mit Vertretern dieser Philosophie zu finden.

Meine Weigerung zu beten wurde mehr als einmal als Ausprägung dieser herablassenden Ignoranz interpretiert - manchmal zu meinem Vorteil, öfter zu meinem Schaden.

Tatsächlich habe ich zu viel Respekt, als dass ich die Götter um Hilfe anbetteln würde.

Anbetteln. Schon wieder das falsche Wort, denn es klingt nach Stolz und Hochmut.

Also - noch ein Versuch:

Ich ehre die Viere und bin der festen Überzeugung, dass sie eine stabilisierende wohlmeinende Kraft des Guten sind. Ich glaube, dass ihre Macht und ihr Verständnis sie auf eine Ebene heben, die für keinen Sterblichen zu verstehen und zu kritisieren ist. Genausowenig aber auch zu loben. Dass ist der Punkt: Die Lehre, die ich aus den Unterweisungen in Dornhalt zog ist die, dass die Viere keine Menschen sind und keinen menschlichen Beweggründen folgen. Möglicherweise sieht es für uns bisweilen so aus, aber dann handelt es sich allein um die unvollkommene Wahrnehmung des minderbemittelten sterblichen Verständnisses.

Also ehre ich die Viere, erweise den von ihnen geweihten Dienern Respekt und habe mir von ihren Tugenden die gewählt, die am Besten zu mir passen. Aber ich bete nicht. Nicht mehr jedenfalls.

Es gibt keine dramatische Geschichte, die als Grund dafür herhalten muss, kein entsetzlicher, von den Göttern gleichgültig akzeptierter Verlust oder etwas in der Art. Als ich jünger war, bat ich die Viere um alles mögliche: Eine Handvoll Kirschen, Beistand bei einer Zwischenprüfung, Reperatur einer zerbrochenen Phiole, ein Blick unter Senjas Rock. Bisweilen erfüllten sich diese Wünsche. Bei anderen warte ich noch heute darauf.

Ich kam schlichtweg zu der Überzeugung, dass die Viere makellos seien. Und was makellos ist, gehorcht weder aufrichtigen Bitten, noch den verkappten Drohungen mancher Gebete: "Erfülle meinen Wunsch, sonst glaube ich nicht."
Insofern glaubte ich auch nie, dass die Viere eine Übertretung ihrer Gebote mit Hagelschlag, Pest und Ausschlag bestrafen würden.

Es bleiben zwei Schwierigkeiten, die mir besonders im Laufe der letzten beiden Jahre einiges Kopfzerbrechen bereitet haben:

Die Götter können besonders gutes Verhalten belohnen, um damit ein größeres Ziel zu erfüllen.
Aus dem gleichen Grund kann auch ihre Strafe hereinbrechen.

Die Makellosigkeit ihrer Existenz läßt Raum für eine bestimmte Unschärfe in der solche Kleinigkeiten Platz haben, aber die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen bestimmt sich meines Erachtens durch das Leben: Sei ein besonders gläubiger und ergebener Diener und du wirst deine Chancen auf Gnade erhöhen - tritt die Gebote der Viere mit Füßen und lästere ihren Namen, dann werden sie dich als Beispiel für eine Strafe wählen.

Wer aber in der Mitte schwimmt als Durchschnitt, braucht weder das eine noch das andere erwarten. Also bete ich nicht. Warum die Viere behelligen als jemand, der nicht bereit ist, sich willig vollkommen unter ihr Licht zu stellen? Solches Verhalten hat etwas Verächtliches. Ich akzeptiere meine Fehlerhaftigkeit. Unverdient zu fordern - das ist Bettelei.

Es ist gute Tradition, dass sich die meisten Zauberer Astrael als Schirmherr wählen. Aus bestimmten Gründen habe ich mich jedoch nie mit dem Einäugigen anfreunden können und im Laufe der Zeit wurde mir Vitama noch lieber, auch wenn ich befürchte dass meine Auslegung den wenigsten Geweihten wirklich gefallen dürfte.

Und nun spiele ich ernsthaft mit dem Gedanken den Tempel der Viere aufzusuchen.

Ich habe nichts anzubieten, außer Verzweiflung und Hilflosigkeit. Es erscheint verlockend einfach vor dem Altar auf die Knie zu fallen und um Beistand zu bitten. Ich bin vollkommen sicher, dass es in ihrer Macht läge mir die Kraft zurückzugeben. Aber auch in ihrem Plan?

Es ist gefährlich um etwas zu bitten, das wirklich, wirklich, wirklich wichtig ist. Vielleicht gefällt einem die Antwort nicht.

Ich habe noch einige andere Möglichkeiten, die ausgeschöpft sein wollen, bevor ich mich an diese ultimative Schwelle wage. Mögen die Viere geben, dass ich sie nicht bitten muss.

Amüsant. Fast.


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 Betreff des Beitrags: Re: Tagebuch Erestan Estheril
BeitragVerfasst: 3.02.10, 12:17 
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Motiviert durch meine derzeitigen besonderen Umstände habe ich mich auf der Suche nach einer Hinweisen in einigen alten Aufzeichnungen meiner Schülerzeit vergraben und dabei eine damals vermittelten These zum Wirken der Kraft wiederentdeckt. Ich möchte sie hier im Folgenden kurz wiedergeben und anschließend diskutieren.

Vermittelt wurde diese Theorie derzeit durch Magister Jonathan Markil, er selbst bediente sich jedoch anderer Quellen aus denen ich hier leider nicht zu schöpfen vermag. Ich möchte den durch ihn aufgebrachten Namen "Resonanztheorie" ebenfalls gebrauchen.

Die Grundannahme dieser These beruht darin, dass es die besondere Eigenheit jedes beseelten Wesens sei durch die Fähigkeit des Begreifens die Welt zu verändern - und dies geschieht in jedem einzelnen Augenblick myriadenfach. Ungezählte Wünsche und Hoffnungen prasseln unentwegt auf die Schöpfung ein und formen sie um.

Davon nehmen wir nicht das geringste war: Wieviele Menschen auch in den großen Städten Falandriens leben mögen, die Wirklichkeit ist dort nicht weniger zuverlässig, als auf den einsamsten Bergspitzen. Der Grund dafür liegt in der elementargebundenen Trägheit der Welt, die sich weigert die herbeigewünschte Pseudorealität anzuerkennen: Das GESETZ ruht im Herzen der Schöpfung, am Mittelpunkt der Ersten Sphäre von wo aus die Wirklichkeit nach außen wurzelt.

Es ist die Eigenheit - wiewohl nicht die Aufgabe - des GESETZES all diese wurzellosen Wünsche zu korrigieren noch bevor sie in der Lage sind sich auszuwirken.

Wie naheliegend oder fern ein Wunsch auch immer ist, das GESETZ läßt ihn nicht real werden, solange er dabei nicht die Pfade des Gesetzes beschreitet.

Die besondere Fähigkeit eines Magiers liegt nicht darin wünschen zu können, denn dazu ist, wie oben genannt, jedes beseelte Wesen in der Lage. Der Magier hat die Fähigkeit seinen Wunsch vor der Korrektur der Welt zu beschützen.

Dafür braucht es eine bewußte Einstimmung auf den Wunsch, gefolgt von einem Augenblick wirklicher Magie: Nachdem der Wunsch losgelassen ist, in jenem zeitlosen Moment, da die Korrektur der Welt genau ausgleichend auf die entdeckte Störung einwirkt und sie damit spurlos verschwinden läßt, nimmt der Zauberer den Platz eines abschirmenden Schildes ein. Er schiebt das eigene Selbst in den Weg der Korrektur und beschützt damit den nun ungestört in die Wirklichkeit tretenden Wunsch.

Er selbst erleidet in vollem Umfang die Folgen der aufgefangenen Korrektur: War der Wunsch beispielsweise der nach dem Leichterwerden eines Steins, dann würde der Magier genau soviel schwerer, wie der Fels leichter. Diese Veränderung ist logischerweise ebenso unnatürlich und löst damit gleichsam eine Korrektur aus - die Negation einer Negation.

Das GESETZ, wenn auch ohne Intellekt, erkennt doch, dass es weiterhin einen Störfaktor gibt und sendet einen erneuten Korrekturpuls, der wiederum aufgefangen wird und einen zweite Korrektur auslöst - ein Kreislauf, der solange läuft, wie der Zauber endet.

Wenngleich der Magier durch die schnelle Folge von Korrektur und Gegenkorrektur nicht die negierten Auswirkungen des eigenen Wunsches zu ertragen hat, zahlt er doch einen ganz speziellen Preis: Schon das erste Auftreffen von Korrektur und Gegenkorrektur führt dazu, dass der Magier zu "resonieren" beginnt - er wird der maßgeblichen Wirklichkeit zu einem kleinen Teil entrückt und verliert damit einen Teil seiner Fähigkeit Wünsche zu beschützen. Je mehr Magie gewirkt wird, desto stärker fällt diese Resonanz aus, sie kann soweit gehen, dass es dem Magier unmöglich wird noch irgendeinen Effekt zu wirken, ein Zustand der gemeinhin als "astrale Erschöpfung" bezeichnet wird.

Einmal aufgebaute Resonanz verliert sich mit der Zeit wieder, es bedarf der Ruhe und der meditativen Einstimmung auf die Wirklichkeit, um die Gabe wieder voll und ganz einsetzen zu können.

Aufrechterhaltene Magie sorgt gewöhnlich für andauernde Resonanz: Solange der Effekt besteht, gibt es auch Korrektur und Gegenkorrektur. Es ist dem Zauberer möglich sogleich die Resonenz für eine längere Wirkungsdauer auf sich zu nehmen und damit die Strafe anhaltender Resonanz zu umgehen.

Welche Schlüsse ziehe ich aus dieser These nun für mich?

Fakt ist, dass ich seit dem astral gewirkten Blick auf die Ödnis und die Wahrnehmung der Leere nicht mehr in der Lage bin Magie zu wirken. Die Auswirkung stellt sich mir zumindest genauso dar, wie völlige astrale Erschöpfung. Dass ich nicht unter körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Schwindel zu leiden habe, kann als Aspekt dieser besonderen Kraftlosigkeit begriffen werden: Weder Anstrengung noch Konzentration waren nötig um in diesen Zustand zu geraten.

Es ist denkbar, dass die Gegenwart der Leere eine Art Superresonanz auslöste, die seitdem verhindert, dass ich meine Wünsche beschützen und damit Wirklichkeit werden lassen kann. Zumindest theoretisch ließe sich das dadurch erklären, dass die Vorgaben des GESETZES in der Leere keine Wirksamkeit besitzen: Der Einfluss des Verderbten zeugte einen MAKEL, der seine eigenen Gesetzmäßigkeiten besitzt und bei der Anwendung von Magie zu einem Rückschlag führte. Es ist dieser Einfluss, den ich bei meinem Weg zurück unter die Ägide des GESETZES mitbrachte und der sich seitdem als überwältigende Resonanz auswirkt.

An den Haaren herbeigezogen?

Ohne Zweifel. Aber je länger ich in diesem erbärmlichen Zustand verweilen, desto größer wird meine Bereitschaft selbst nach Strohhalmen zu greifen.

Der Grund, dass ich mich überhaupt mit dieser Theorie beschäftige ist, dass sie eine Lösungsmöglichkeit offeriert: Wenn mein Zustand tatsächlich eine Folge des Übergangs ist und durch das GESETZ im Status Quo gehalten wird, dann brauche ich nur eine Leere zu suchen und in sie eintreten.

Die unnatürlichen Umstände könnten dann mit der Zeit die Störung lösen, so dass ich beim Weg zurück wieder über das volle Ausmaß meiner bescheidenen Fähigkeiten gebieten kann. Soweit die positiven Hoffnungen. Leider ist eine Leere nichts, womit man leichtfertig experimentieren sollte - diesem Thema werde ich einen eigenen Beitrag widmen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Tagebuch Erestan Estheril
BeitragVerfasst: 4.02.10, 14:23 
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Ich erinnere mich an das Gefühl von Unzufriedenheit, das der für mich getroffenen Wahl des Pfades folgte. Dass Magister Markil zwangweise Dornhalt verließ trug nicht dazu bei mich zu versöhnen: Über alle Maßen hatte ich den Eindruck auf dem Schlachtfeld der Bürokratie und Lehrpläne geopfert worden zu sein und fühlte mich zudem um die Erleuchtung betrogen, die doch ganz zwangsläufig kommen mußte, wenn der Schüler seine Bestimmung wählte.

Es war Marielle die mir begreiflich machte, dass keiner der Novizen durch die formelle Übergabe in die Obhut der Pfade plötzlich zum vollwertigen weisen Magier gereift war.

Marielle. Die erste Lücke im Hain der Bäume.

Ich hatte genug Zeit um die Erinnerung zu verklären und wenn ich zurückdenke, dann sehe ich ein selbstloses, hilfsbereites, einfühlsames Mädchen. Dass sie zu den Weissen berufen wurde, war nur natürlich. Damals wunderte ich mich, dass sie nicht die Rolle der Sprecherin einnahm, heute verstehe ich, dass es ihr dafür am Willen zu Konfrontation und Auseinandersetzung mangelte.

Während meine Erinnerung darauf beharrt, dass uns schwärmerische Liebe verband, vermutet der Verstand, dass ich zu dieser Zeit wohl in erster Linie ihr Mitleid erregt hatte: Wo alle Anderen irgendeine Bestätigung gefunden hatten und lernten aus eigener Kraft zu schwimmen, trieb ich wie ein lebloses Stück Holz im Grauen Strom.

Ich brauche kaum erwähnen, dass solcherlei Beziehungen an der Schule nicht geduldet wurden und darum stetige Heimlichkeit erforderten. In der Öffentlichkeit war selbst kleine Gesten daher ein Ding der Unmöglichkeit. Ich bildete mir gern ein, dass das gemeinsame Geheimnis uns zusammenschmiede - irgendwie gelang es uns tatsächlich einen Götterlauf zu überstehen.
Es ist natürlich absurd anzunehmen, dass diese heimliche Liebschaft tatsächlich vor allen Augen verborgen blieb. Lehrmeisterin Antarels Scharfsinn konnte aus viel geringeren Kleinigkeiten ein komplettes Bild konstruieren, möglicherweise waren die Magister in diesem Falle tatsächlich bereit eine Ausnahme zuzulassen, solange ihnen der Regelbruch nicht unter die Nase gerieben wurde.

Und dann kam der nächste Festtag Astraels, der sechste Querler des Jahres 10 nach Hilgorad. Jener Tag an dem die nächstjüngeren Schüler ihrem Pfad zugesprochen wurden und dessen Symbole erhalten sollten.

Der Tag an dem Magister Markil nach Dornhalt zurückkehrte.

Offiziell behauptete die Schule später stets, dass er vom Gefühl der Rache getrieben und um die Schmach der erlittenen Niederlage auszuwetzen die Konfrontation mit seinem damaligen Kontrahenten gesucht habe. In dem zum Lehrsaal umgebauten Bergfried fand Markil Magister Lafaihn in einem Kreis seiner Schüler. Es gab einen kurzen verbalen Schlagabtausch, dann ging mein ehemaliger Mentor zum Angriff über. Er hatte einen Götterlauf lang Zeit gehabt nachzudenken, wie sich die überlegene Antimagie Lafaihns durchbrechen ließ.

Ich weiss das, weil ich es mit eigenen Augen sah.
Ich sah es, weil ich Jonathan Markil in den Bergfried geführt hatte.
Ich führte ihn, weil ich nicht im Traum mit dem Folgenden gerechnet hatte.
Ich rechnete nicht damit, weil ich ihn noch immer wertschätzte.

Meine Wahrnehmung öffnete sich ganz unwillkürlich für das Nirgendwo der Magie, zeigte mir, wie sich die völlig verkrüppelt wirkenden Angriffsmuster an den Schutzzaubern brachen, um nur in Fragmenten, Aspekten und Splittern durchzustoßen. Gewöhnlich bedeutete dies das Ende jedes Zaubers: Den bindenden Zusammenhängen beraubt verpuffte jede angedachte Wirkung endgültig.

Diesmal nicht.

Was eine häßliche Raupe gewesen war, wuchs erst durch die Abwehr zum Schmetterling, schliff sich in die angedachte Form. Hinter den gleißenden Kaskaden der aufeinanderprallenden Kraft erkannte ich luftgebundene Aspekte der Bewegung, die kein anderes Ziel hatten, als ein Opfer auseinanderzureissen.

Ich glaube nicht, dass Magister Lafaihn sich schon einmal einem ähnlichen Angriff ausgesetzt gesehen hatte, aber musste bereits erkannt haben, dass sein Schutz durchschlagen werden würde. Während ich noch gaffend das Aufeinanderprallen der Magie bestaunte, adaptierte er einfach die Strategie seines Kontrahenten: Als der zerfetzende Impuls ihn einhüllte, wurde der unbestimmt belassene Aspekte der Bewegung auf einen einzigen Punkt hin ausgerichtet und verschob damit die Wirkung.

Der Sog riss die in seinen Schatten geduckten Schüler mit und verteilte sie überall in der Umgebung: Lafaihn war das Zentrum und konnte daher genau bestimmen, wohin die entfesselte Magie ihn tragen würde. Die Auswirkung auf seine Schützlinge wich deutlich ab: Ihre anschließende Entfernung zu bestimmen, kostet ihn später einigen Aufwand und in einem Fall hoben sich zwei Parameter gegenseitig auf und beschrieben eine Nullbewegung.

Marielle war verschwunden.

Verschwunden.

Gut zwei Monde später wurde ihr Bäumchen aus dem Hain der Schüler entfernt.

-------------

Ich trug bis in den späten Morsan hinein an meiner Trauer und auch später ertappte ich mich manchmal dabei über die Schulter zu blicken in der irrationalen, nie erfüllten Hoffnung sie plötzlich wiederzusehen.

Mit der Zeit verblasste der Kummer ebenso wie der Zorn auf Jonathan Markil, der es geschafft hatte seiner Strafe zu entkommen. Es gab andere Liebschaften, andere Feinde, viel mehr Gelegenheiten Fehler zu machen.

Marielles kleines Büchlein mit Aufzeichnungen über die Runenmagie blieb in meinem Besitz und begleitete mich all die Jahre wie ein mit sentimentalen Erinnerungen überhäuftes Kinderspielzeug.

Ende der Geschichte.

Bis auf die Tatsache, dass ich vor zwei Tagen ihre Stimme hörte.


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 Betreff des Beitrags: Re: Tagebuch Erestan Estheril
BeitragVerfasst: 5.02.10, 17:21 
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Ich bin .. unerfreut.

All meinen Hoffnungen zum Trotz hat sich an meinem aktuellen Status nichts geändert, nach wie vor bin ich absolut unfähig die Kraft in irgendeiner Art und Weise zu berühren. Mittlerweile scheint es kaum mehr wahrscheinlich, dass von selbst eine Besserung dieses Zustandes eintritt.

Die Enttäuschung prägt sich mit jedem vergehenden Tag ein wenig tiefer in mein Begreifen ein, nagt an meiner Laune ebenso wie am dünnen Mantel der Zivilisation über purer Angst. Das hinterläßt greifbare Spuren: Ich ecke an.

Ob nun bei dem tumben Riesen, der mich offengar gern verprügeln würde, oder bei Magister Ekre, dessen Augen ein ganz ähnliches Verlangen ausdrückten - klar ist, dass es so nicht weitergehen kann.

Nicht allein aus Sorge um meinen Ruf.

Der Brand in diesem Abfallhaufen von Siedlung im Windschatten der Südmauer Falkensees war eigentlich kaum der Rede wert, dass Adepta Hohentann sich genötigt sah einzugreifen, schreibe ich dem typisch weichen Herz einer Weissen zu. Und was passiert mit Novizen, die gerade zur Hand sind? Sie werden zum Mithelfen verpflichtet.

Was dann geschah, habe ich noch nicht vollständig aufgearbeitet, die mir zugetragene Schilderung der Ereignisse ist wie folgt:

Der Trottel von Zauberer schleppt einen Wasserbottich herum und ist nicht in der Lage zu bemerken, dass er dabei direkt auf einige vorhin heruntergebrochene brennende Bretter zusteuert. Er spaziert direkt in die Flammen und stolpert schliesslich über das glühende Holz, woraufhin er in einem eleganten Bogen fällt und sich mit dem Gesicht abfängt.

Soweit, so peinlich.

Meine Erinnerung weicht ein klein wenig davon ab:
Ich griff mir einen halbvergammelten Bottich und reihte mich in die Schlange der zwischen dem Brand und einem trüben Tümpelchen Pendelnden ein. Zweimal goss ich dreckiges Wasser in die so schön für Ordnung sorgenden Flammen, dann verlor ich abrupt das Bewußtsein.
Mhm. Das ist nicht korrekt. Mir wurde nicht schwarz vor Augen, ich spürte keinen Schmerz oder etwas in dieser Art: Die Wahrnehmung sprang einfach übergangslos zu einer veränderten Situation:

In dieser fand ich mich auf dem Boden liegend, gepeinigt vom Schmerz verbrannten Fleisches und mit einem schmerzenden Schädel beschenkt. Ein Prachtexemplar von Gardist - hätten die Ersonter mehr davon in ihren Reihen würden die Malthuster sich gewiss freiwillig auf den Rücken werfen und die Bäuche zeigen - schleppte mich zum Heiler hin.

Ich bin mir vollkommen sicher, kein Hindernis gesehen zu haben. Ich bin mir auch sicher, dass ich selbst bei plötzlicher Blindheit nicht einfach in Flammen gelaufen wäre. Und doch ist es genau das, was jeder der Anwesenden beschwören könnte.

Damit auch das, was ich als Erklärung für die verbrannte Robe und das ramponierte Gesicht benutze.

Aber ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken. Nicht aufhören darüber nachzudenken. Meister Garnhelm lobte mich - auch mangels Alternativen - bisweilen für meine Fähigkeit Zusammenhänge zu verstehen. Ich glaube nicht, dass er sich bewußt ist, dass die zwangsweise Suche nach Mustern ein unangenehmer Seiteneffekt ist.

Ich bin jedenfalls besorgt und kann nicht umhin eine Verbindung zwischen meinem Zustand und dieser Störung zu ziehen, selbst mein Eindruck die Stimme einer lange toten Freundin gehört zu haben, erscheint in neuem Licht.

Bislang haben sich einige Möglichkeiten zur Abhilfe präsentiert:

Ich kann die Viere im Allgemeinen und Astrael im Speziellen um Gnade bitten, vielleicht gar etwas anbieten wie lebenslange Dienste, immerwährende Keuschheit oder dergleichen.
Ich kann einen der Magister konkret um Hilfe ersuchen - auf die Gefahr hin, dann als Forschungsobjekt herzuhalten. Ich denke ich sollte damit lieber zu einem der weichherzigen Weissen gehen.
Ich kann versuchen eine Leere aufzuspüren und mich ihr erneut aussetzen - was ohne den Beistand eines anderen Zauberers ohnehin unmöglich ist.
Ich kann, wie Akora Dur vorschlug, nackt im Nachtschattenrausch um ein Feuer tanzen.

Bislang bin ich unschlüssig welche Möglichkeit ich zuerst suchen sollte, denn sie verheissen neben einer möglichen Erlösung auch allesamt gewisse Gefahren.

Wenn es nur nicht so verdammt kalt wäre ...


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 Betreff des Beitrags: Das Erbe des Ungenannten
BeitragVerfasst: 8.02.10, 16:03 
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Die Ursache für mein .. Problem .. wurde durch die vereinten Kräften von Adepta Hohentann und Adeptus Comari binnen zehn Herzschlägen diagnostiziert: Selbstzweifel.

Selbstzweifel.

Ich war glücklicherweise zu perplex um auf diese Feststellung angemessen reagieren zu können, andernfalls wäre ich zu dieser Stunde gewiss schon der Akademie verwiesen. Der heftige Drang wenigstens dem gelehrten Herren Comari ob seiner herablassenden Art ins Gesicht zu spucken, verging als er mir andeutete, dass was auch immer ich noch erleben würde nichts gegen die von ihm bereits durchgemachten Leiden wäre. Ein allzu vertrautes Muster.

Die folgende Lektion bei Adeptus Aldarim über Ritualkunde war geeignet mich noch weiter zu deprimieren und so zog ich mich schliesslich in die Bibliothek zurück um zu nachzudenken. "Brüten" hätte Gornian diese finstere Geistesversunkenheit genannt und damit vollkommen ins Schwarze getroffen - in dieser Stimmung werden tatsächlich die häßlichsten Ideen geboren.

Was ich in der Antwort auf Asmodian Tharamnos so leichtfertig aus den Fingerspitzen geschüttelt hatte, entbehrt nicht einer gewissen Logik, offenbart zugleich eine Sicht auf die Gabe und das Geheimnis der Pfade, die sich mir so bislang noch gezeigt hatte.

Die drei Völker von Menschen, Elfen und Zwergen wurden in einer Zeit geschaffen, da es noch keine Magie gab, wie wir sie heute kennen. Diese Kraft in die Schöpfung zu bringen war ein Bruch, eine Verletzung der Welt, wie sie sich weder die Sahor noch viel weniger die Enhor hätten denken können. Das Zeichen des Ungenannten klebt daran - sind nicht seine Diener, die Dämonen, Wesen die ganz aus Kraft bestehen?

Dass Astrael sich das Auge herausriss, erscheint unter dieser düsteren Voraussetzung völlig anders motiviert: Um die schlimmste Folge des Eingriffes zu verhindern, um ein Gegengewicht zu formen, das den Riss in der Schöpfung wenn schon nicht zu heilen, so doch wenigstens zu kitten vermochte, bedurfte es nicht weniger als des allsehenden Auges und beinahe allen Silbers auf Tare. Der am Himmel strahlende Astreyon ist Wächter und Hüter des verletzten Gesetzes an das zu rühren keiner der Unsterblichen wagte.

Dass gerade die Elfen als das der Überlieferung nach älteste Volk vollständig "vergiftet" wurden, läßt erahnen, warum sie sich in einer jahrtausendelangen Phase des Niedergangs befinden und wie perfekt sie vor der Verunreinigung gewesen sein müssen.

Magie. Ich beginne mich zu fragen, welchen Preis die Welt für unsere Künste tatsächlich zahlt und wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich das Bild eines gewaltigen Staudamms, der an ungezählten Stellen winzige Löcher aufweist.

Ich denke ich sollte meine Vorsätze heute Vorsätze sein lassen und mich betrinken.


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 Betreff des Beitrags: Blanke Wurzeln
BeitragVerfasst: 9.02.10, 15:44 
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Es heisst bisweilen, dass die Gegenwart eines Menschen sich aus seinen Wurzeln bestimmt: Niemand kann der Vergangenheit entrinnen, niemand den Mustern entfliehen, die von Erziehung, Enttäuschung und Liebe in das Sein geschlagen wurden.

Was sagt es also über mich aus, dass meine Geschichte erst beim alten Rudhan beginnt?

Wenn ich die Augen schließe, kann ich noch heute das besorgte, wettergegerbte Gesicht des Alten sehen, jene runzelige nur aus Falten bestehende Fläche aus der das Lächeln sonst niemals weichen wollte. Die spitze, selbstgestrickte Wollmütze sollte mir in den folgenden Monden noch vertraut werden, bei diesem unserem ersten Treffen erschien sie mir noch genauso einschüchternd wie der beschnitzte und mit einer kleinen Kristallkugel geschmückte Stab, mit dem er nach mir stocherte.

"Geht es dir gut, Junge?"

Meine erste Erinnerung. Genauer: meine erste konkrete Erinnerung.

Die Logik verrät, dass es ein davor gegeben haben muss, denn ich war zu diesem Zeitpunkt der galadonischen Zunge soweit mächtig, wie bei einem Knaben von gut zehn Götterläufen eben zu erwarten. Tatsächlich ist da ein nebelhaftes Verständnis ganz am Grunde meines Selbst, Bruchstücke, die sich nicht zu einem vollständigen Bild zusammenfügen lassen. Ich ahne, dass ich Eltern besaß, aber nicht einmal in den tiefsten Träumen erahne ich ihr Gesicht.

Der einzige dürre Wurzelstrang aus dieser Zeit ist mein Name: Erestan.

Meister Garnhelms Versuche Licht in das Dunkel meiner Vergangenheit zu bringen, schreckten nicht einmal davor zurück diesen Namen auf eine verborgene Bedeutung abzuklopfen. Das ist eine recht kurzweilige Aufgabe: "Ere" kann als eine Abwandlung des nicht mehr sonderlich gebräuchlichen "Aar" - Adler - begriffen werden, "stan" ist ein Stein.

Adlerstein. Steinadler. Vogelfelsen.

Ich kann nicht umhin an von Kormoranen zugeschissene Klippen zu denken.

Wahrscheinlich hat die verflossene Zeit genau wie der folgende scharfe Gegensatz zu Dornhalt seinen Anteil daran, dass ich nur glückliche Erinnerungen an den halben Götterlauf als Mündel des wandernden Scharlatans habe. Ich lernte rasch dem alten Mann zur Hand zu gehen, trug Kostüme und Utensilien hinter ihm her - kurz: Ich kam mir unglaublich wichtig vor. Rudhan fragte sowenig nach der Vergangenheit, wie er sich um die Zukunft kümmerte: Wo andere Menschen im Angesicht des nahenden Morsan ängstlich Vorräte horteten und ihre warme Kleidung flickten, lebte er jeden Tag als gäbe es kein Morgen.

Das Erstaunliche ist, dass er damit tatsächlich durchkam - ganz als wäre das Schicksal über die Dreistigkeit des alten Jahrmarktszauberer viel zu perplex um das verdiente Füllhorn des Unheils auszuschütten.

Meine späteren Lehrmeister liebten stets den Verweis auf den alten Mann, um mangelnde Disziplin, ungehöriges Verhalten, enttäuschendes Verhalten bei Experimenten und sonstige unterdurchschnittliche Leistungen zu tadeln, die Drohung dass "ihr noch als alter Scharlatan endet" war eine regelmäßig zur Anstachelung benutzte Peitsche. Der ihr folgende Zwilling war unweigerlich der Verweis auf Madran Estheril, der damals noch die Geschäfte Dornhalts führte und darum das Privileg hatte seinen Nachnamen all jenen Schülern zu spenden, die nicht einmal dies von ihren Eltern empfangen hatten.

"Macht eurem Namen Ehre!" - hieß es dann streng.

Einmal jeden Mond wurden die Mündel zur Akademieleitung bestellt und durften von ihren Fortschritten berichten. Ich denke nicht, dass tatsächlich jemand von verschüchterten Halbwüchsigen da viel mehr als "Ja, Herr" oder "Nein, Herr" erwartete und tatsächlich habe ich diese Stunden nie anders erlebt.

Ich bin abgeschweift.

Meine Vergangenheit blieb ein Rätsel, das den Ehrgeiz verschiedener Lehrmeister herausforderte und sie weit mehr belastete als mich: Insbesondere die Tatsache, dass mein magisches Erwachen ohne die geringste Erinnerung quasi spurlos an mir vorübergegangen war sorgte dafür, dass ich zum Objekt verschiedener Studien und teilweise obskurer Experimente wurde.
Letztlich erfolglos. Mit der Zeit erlahmte dieses Interesse, wahrscheinlich in erster Linie deswegen weil ich mich in allen für relevant erachteten Dingen nicht hervorzutun vermochte.

Zu dieser Zeit hatte ich mir schon längst angewöhnt mit dem Unbekannten zu kokettieren, es als geheimnisvollen Hintergrund wie ein Schild vor mir herzutragen. Während das bei meinen Mitschülern kaum verfing, eignete es sich besonders in den späteren Jahren exzellent um flüchtige Bekanntschaften .. zu vertiefen.

Eine seltsame Diskrepanz: Würde mir jemand so eine Geschichte auftischen, wäre ich in erster Linie misstrauisch, argwöhnisch. Die meisten meiner allesamt flüchtig bleibenden Bekanntschaften waren dagegen fasziniert - beinahe als wäre jede von ihnen der heimlichen Überzeugung gewesen es bräuchte nur ihre Umarmungen, damit der Schleier der Ungewissheit sich löste.

Dazu sollte es nicht kommen.


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 Betreff des Beitrags: Staub
BeitragVerfasst: 25.02.10, 12:15 
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Meine Tage sind von Unleidlichkeit geprägt, die sich mühsam hinter dem Lächeln beherrschter Höflichkeit verbirgt. Aber ich spüre wie die Fassade bröckelt, Risse bekommt, die unweigerlich schließlich zum Bruch führen müssen. Die Zeichen sind mir wohlvertraut: Ironie schleift alle Worte, Sarkasmus tränkt Respekt und Ungeduld wetzt am Ende die Klinge fahriger Rastlosigkeit.

Zahllose Lektionen haben mich das Gegenmittel gelehrt, aber es ist schwerer als früher alles zurückzulassen und alle Konzentration nur auf die wunderbare Abstraktheit von Gedankenspielen auszurichten. Das sehe ich in der von Magistra Solos Nhergas geforderten Hausaufgabe: Unfertige Ansätze, gebrochene Logik, unvollständige Beweisführung - aber ich bringe nicht die Energie auf die Sprünge zu kitten.

All das wäre kein Problem, wenn die Gabe nur endlich zurückkehren würde.

Aus dem Wust von Möglichkeiten habe ich einige erfolglos geprobt und das Unbehagen wird größer je kleiner die Zahl der noch offenen Alternativen. Wie von Magistra Maelve Rhyntarin vorgeschlagen, habe ich mich in Meditation versucht, sowohl in der stets gestörten Unruhe der Akademie, als auch unter offenem Himmel, den Sternen so nah, wie es die zugefrorenen Pfade erlaubten.

Ich habe die Höhe stets gehasst - es sagt einiges über das Maß meines Verlangens aus, dass ich dennoch auf die in Eis erstarrte Spitze des Felsenzahns kletterte. Dort oben dann einen Schrein Ventus' zu finden schien mir ein gutes Omen, aber obgleich ich blieb bis der letzte Rest von Wärme aus meinen steifen Gliedern zu fliehen drohte und zum Sternenzelt hinaufstarrte, fühlte ich nichts.

Nichts. Außer dem Gefühl kalter Enttäuschung, das mich zurück nach Falkensee begleitete.

Adepta Laylira Hohentanns Überzeugung, dass der Verlust der Gabe aus Selbstzweifel geboren wäre, ließ sie nach meiner Rückkehr einen der klassischen Wege beschreiten: Mit genug emotionalem Stress wird unter manchen Umständen ein verschütteter Zugang wieder freigelegt und so spottete und höhnte sie meiner, dass es eine Freude war.

Ich lauschte ihren Tiraden mit wachem Interesse aber ohne den geringsten Ärger, selbst als sie handgreiflich zu werden begann zeugten meine Warnung und das anschließende Gerangel nur von der Fruchtlosigkeit dieses Weges.

Quendan Comari sagte mir, er würde eher seine Kräfte aufgeben, als die Liebe - sollte ich genauso denken oder ihn als Narren verfluchen? Immerhin besteht weiterhin die Möglichkeit Astrael ewige Keuschheit zu schwören und im Gegenzug um die Rückgabe des Verlorenen zu bitten.

Nicht, dass dies etwas mit Liebe an sich zu tun hätte.
Nicht, dass ich die geringste Hoffnung hegen würde, tatsächlich erhört zu werden.

Aber ich würde diesen Preis bezahlen, das ist mir mittlerweile klar. Der Verlust der Macht wiegt schwerer als der Verlust der Männlichkeit.

Macht. Das habe ich tatsächlich geschrieben. Amüsant, wenn es nicht so traurig wäre.

Was mich zu Akora Dur bringt.

Amüsant. Interessant. Und aus verschiedenen Gründen fühle ich mich fatal an die Geschichte mit Lucille erinnert. Nicht, dass es ernstlich etwas zu bedauern gegeben hätte, aber die Muster sind sich ähnlich.

Was direkt zu den Schwierigkeiten führt: Muster.
Es gibt zu viele davon, als dass ich mit Gewissheit auf den richtigen Faden deuten könnte und das konterkariert für mich ihre Aussage von leichter Durchschaubarkeit. Zu viele Möglichkeiten wollen geprüft sein.

Niemals Nicht Niemand.
Immer Niemand.
Niemals Jeder.
Jeder Nicht.

Richtig oder falsch, die Entscheidung spricht viel mehr über den Urteilenden als über das Rätsel.

Zur Zeit lautet es, dass die Aussicht auf einen Tanz mein einziger Lichtblick in einer Traufe zähen Ungemachs ist.


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 Betreff des Beitrags: Reminiszenz
BeitragVerfasst: 3.03.10, 15:44 
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Mein erster Bericht über die Akademie ist beinahe vollständig.

Er sieht gut aus, regelrecht .. professionell. Ich bin sicher Meister Garnhelm wird über das gleichmäßige Schriftbild ebenso erfreut sein wie über die förmliche Anrede und die standesgemäßen Schlussfloskeln. Was den Inhalt betrifft, liegt es in der Natur der Sache, dass er unvollständig ist und das vermittelte Bild zwangsläufig in weiten Teilen inkorrekt. Aber das sind Wogen, die sich durch den zweiten und dritten Bericht glätten werden.

Ich glaube ohnehin nicht, dass es wirklich darauf ankommt.

Es ist Zeit darüber nachzudenken, warum ich hier bin.

Die einfachste Antwort ist: Weil es mir aufgetragen wurde.

Der mir übertragene Auftrag ist gerade plausibel genug um akzeptiert zu werden, weder gegen die Wahl der Mittel noch die Geheimniskrämerei ist etwas einzuwenden - das Muster bricht sich bei der Frage nach der Motivation. Dornhalt ist eine halbe Welt entfernt von hier und wenngleich die Graumäntler viel auf sich halten mögen, ist die Schule an sich doch unbedeutend, ohne das geringste über lokalen Einfluss hinausgehende politische Gewicht.

Es gibt keinen Grund für ein spezielles Interesse. Keinerlei Grund eine Spielfigur hier zu positionieren, wo die Möglichkeiten der Einflussnahme gegen Null gehen. Und genau das zwingt mich nach der eigentlichen Motivation Ausschau zu halten.

Ein kleiner Teil meines Selbst hängt der eitlen Überzeugung an, dass die Entsendung nach Siebenwind Teil einer Prüfung ist, Aspekt eines größeren Plans der sich mir erst noch offenbaren muss. An sich gibt es hier gar nichts zu tun - der Auftrag dient nur dazu festzustellen, wie verläßlich ich außerhalb der Reichweite der Schule arbeite. Wäre der gesamte Plan auf dem Mist Magister Lafaihns gewachsen, würde ich dies ohne weitere Bedenken akzeptieren: Der Weisse war schon immer jemand, der Situationen konstruierte um das Verhalten der Zöglinge dann zu beobachten, zu bewerten, zu beurteilen.

Es war allerdings der alte Garnhelm, der mir den Auftrag übermittelte und das läßt den Schluss zu, dass der Ort tatsächlich eine Rolle spielt. Etwas ist hier oder wird hier sein.

Etwas .. Persönliches.

Wenn meine Grundannahmen korrekt sind, läßt sich relativ leicht antizipieren, was geschehen soll: Ich finde etwas, das bekannt genug ist, um auch ohne Anleitung die gewünschte passende Reaktion hervorzubringen. Der hergestellte Kontakt zur Akademie wird die passende Handhabe erleichtern und am Ende löst sich alles so auf, wie die Graubärte es sich erdachten.

Nur, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, was genau ich finden soll. Nicht einmal, was mich so aus der Fassung bringen könnte.
Kennt der Alte mich wirklich besser als ich selbst?


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 Betreff des Beitrags: Schlaflos
BeitragVerfasst: 8.03.10, 16:26 
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Es ist lange Jahre her, seitdem ich das letzte Mal schlaflos in die Dunkelheit hinein lauschte, gestört von all den kleinen Geräuschen die Ruhende verursachen. Hier ein knarrendes Bett, da ein Seufzen, bisweilen auch halbgare Worte die im Traum den Lippen entfliehen - unter normalen Umständen finde ich darin eher das Versprechen von Geborgenheit. In Dornhalt waren die Schlafräume der einzige echte Rückzugsort, denn jeder Zyklus des Tages war von sorgsam regulierten Pflichten gefüllt, die alle Kreativität und Inspiration in die von Lehrmeister vorgezogenen Rillen gossen.

Die einzige echte Freiheit gab es in den wenigen Minuten des Innehaltens, bevor der Schlaf dann kam.

Damals liebte ich es meine Gedanken treiben und schliesslich versickern zu lassen. Dieses Mal fand ich kein Ende, bis die Unruhe mich schliesslich auf die Beine und herunter in die leblose Mensa trieb.

Es wäre leicht ihr die Schuld dafür zu geben und während ich an einem Becher heisser Milch nippte gefiel mir die Vorstellung sogar der Rothaarigen gegenüber zu gestehen, dass ihr Lächeln, ihre Persönlichkeit und ihre hübschen Brüste mich derart in den Bann geschlagen hätten, dass ich wie ein liebeskranker Narr zu seufzender Schmachterei verurteilt sei.

Dafür ist es noch zu früh. Nur ein bitterer Trunk wird besser dadurch, dass man ihn voller Hast herunterwürgt - was süß mundet braucht Zeit und Geduld. Zumindest in der Theorie.

Mhm. Das liest sich berechnender, als es eigentlich gemeint ist, abgebrüht genug um zynisch zu sein. Es ist .. anders. Tatsächlich passt das Bild gar nicht schlecht: Auch einem herausragenden Wein bringt man Respekt entgegen.

Jedenfalls, auch wenn meine unruhigen Gedanken immer wieder zu ihr zurückkehrten, war doch nicht sie der Grund für meine Schlaflosigkeit und das wurde mir bewußt, als drei Becher warmer Milch schliesslich nach Erleichterung drängten. Meine ersten Schritte auf Siebenwind waren ausnahmlos den Geboten der Pflicht gefolgt, hatten sich an den Notwendigkeiten der mir übertragenen Aufgabe orientiert. Dass ich keine Aufmerksamkeit für das lärmende Falkensee aufbringen wollte oder gar die dort flanierenden Menschen lag in der Natur der Sache.

Nun sind kaum eineinhalb Monde vergangen und schon weicht die klare Trennung zwischen "Hier" und "Dort" auf, macht Platz für jene unbestimmte Beliebigkeit, die der Kern alles lebendigen Strebens zu sein scheint. Irgendwie fühlt sich die Insel mit jedem Tag mehr wie Heimat und weniger wie Arbeit an.

Und ich bin beinahe sicher, dass ich irgendwann in nächster Zeit neue Order erhalten werden. Nicht damit etwas Besonderes geschieht, sondern einfach damit ich nicht vergesse wem meine Loyalität gilt.

Eigentlich ist das alles nichts, was mich um die Nachtruhe bringen sollte, aber die Ahnung mangelnder Orientierung wächst sich zu Nervosität aus. Neben Milch gibt es ein anderes exzellentes Mittel dagegen, aber dafür ist eine Aufbesserung meiner knappen Kasse dringend notwendig.

Morgen vielleicht.


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 Betreff des Beitrags: Nirgendwo Niemals Nicht
BeitragVerfasst: 10.03.10, 16:48 
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Diesmal ist es nicht der Mangel an Müdigkeit der mich davon abhält Ruhe zu finden. Beinahe still liegt Falkensee zu dieser Stunde, der erste Streifen von Helligkeit am Horizont läßt aber erahnen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das sich nun verstohlen verbergende Leben wieder zu großartiger Begeisterung reckt. Weisser Rauch kringelt sich aus dem Schornstein einer Bäckerei - gemahnt mich daran, dass die letzte Mahlzeit schon beinahe einen Tag zurückliegt.
Aus dieser Perspektive wirkt die Stadt friedlich, ein schlafender Gigant, der weder die Ketten namens Stadtwache noch jene namens Graue Garde nötig hat.

Das ist natürlich eine Illusion, die naheliegende Täuschung, weil der Todesschrei eines Beraubten in der blutigen Hand des Mörders erstickt und erst die kommende Helligkeit die häßlichen Spuren der Dunkelzeit enthüllen wird.

Illusionen. Darauf versteht sich mein Stand.

Es ist symptomatisch, dass ich dafür niemals eine besondere Begabung gezeigt habe, das Spiel mit Licht und Schall ging mir ähnlich zäh von der Hand, wie die pure, auf einen Punkt ausgerichtete Kampfmagie, die sich in allererster Linie durch direkte primärelementare Aspekte prägt. Die aus der Irritation dieser Beobachtung folgende Aufmerksamkeit der Lehrmeister war nur zu Beginn angenehm, bald schon zehrten ihre Erklärungsversuche ähnlich an meinen Nerven wie die mit einigem Ehrgeiz betriebene Suche nach der Erinnerung an die Erstemanation.

Ich würde all das sofort in Kauf nehmen, wenn ich meine Kräfte dafür zurückgewinnen könnte, denn wie widerborstig und widerstrebend sie sich mir auch immer beugten: Sie waren .. da. Präsent. Wie ein weiteres Paar Augen, die Finger an einer dritten Hand, vertraut wie das Klopfen meines eigenen Herzens.

Und nun spüre ich zum ersten Mal wieder Hoffnung.

Hoffnung.

Und trotz alles Wissens darüber, dass nur Illusionen mich heimsuchten, bange Furcht.
Zu bekannt war das aus Schemen geformte Antlitz. Zu drängend die zwischen meinen Schläfen hallende Frage.

Jetzt, nachdem beinahe zwei Zyklen verstrichen bin erahne ich die Präsenz in jeder windgezeugten Regung des schweren Vorhangs, jedem unruhigen Flackern der Kerze.

Aber .. zum Beginn.

Radak duckt sich in den Schatten mächtiger, unwirtlicher Berge, die mit schroffen Abhängen und gezackten Spitzen aufwarten, durch den Wind in die Form einer steingemeisselten Drohung geschliffen. Trockener Sand stiebt unter den Füßen und reizt zum Husten, aber dennoch gibt es hier mehr Leben als nur die vertrockneten Ruinen verdorrter Bäume, die wie anklagend aufgerichtete Grabmale daran erinnern, dass es hier früher anders gewesen sein muss: Gut ein Dutzend Häuser trotzen den Entbehrungen, die sich letztlich auf ein einziges Wort reduzieren lassen: Ödland.

Dass es wirklich jemanden freiwillig hierher verschlägt ist kaum anzunehmen und so erscheint mir Radak viel mehr wie das Exil jener, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind und hier, fernab allen Grüns, ein erbärmliches Dasein fristen müssen. Was sagt das über Toran Dur aus? Oder seine Tochter Akora, die immerhin ein Heim im Grünland besitzt?

Es blieb mir wenig Gelegenheit den Kopf darüber zu zerbrechen - es war nicht fauler Müßiggang, der mich nach Radak geführt hatte, sondern der Wille Quendan Comaris, dessen Magie auch die Brücke geschlagen hatte. Ihm folgte ich hinab unter die Erde, hastete durch im Halblicht liegende düstere Gänge, die sich schliesslich wie ein Maul in eine Arena öffneten. Das Bild passte: Nach innen gerichtete Dornen warteten nur auf ein ungeschicktes oder unglückliches Opfer, hier und da verriet eine dunkle Kruste, dass es solche .. Unfälle .. dann und wann geben mußte.

Kein sehr angenehmer Ort, aber meine beiden Begleiter zeigten kein Unbehagen und so mühte auch ich mich um Unbekümmertheit.

Das, was Quendan dann heraufbeschwor, muss mehr gewesen sein als nur ein wenig Spiel mit Licht und Schatten, mehr als die pure Kunst der Illusion, für die das Opfer nicht die geringste Rolle spielt. Ich selbst hatte ihm einen Schwachpunkt verraten, insofern war die Richtung des Angriffs keine Überraschung.

Es gibt mehr als genug Thesen zur Illusionistik, die steif und fest darauf beharren, dass der Glaube des Opfers eine notwendige Bedingung für die Wirksamkeit aller Täuschungen ist. Ich erinnere mich das Für und Wider auseinanderklamüsiert und unter dem gestrengen Blick Magister Lafaihns vorgetragen zu haben - einem Mann, der jede Art von Lüge verabscheute und darum für die Unwirklichkeit von Trugbildern nichts als Verachtung übrig hatte.

Und trotz all dieses Vorwissens, fand ich mich hoffnungslos überwältigt. Ich wußte, dass der Abgrund nicht real war, aber ich konnte es nicht ignorieren. All die endlosen Lektionen eingeprügelter Disziplin verpufften als der rieselnde Sand immer und immer wieder durch meine Finger rutschte. Ich würde stürzen, endlos fallen um dann als zerschmetterter Gallert irgendwo liegenzubleiben, nicht mehr als dünne rote Suppe, da gar die Knochen von der Wucht des Aufschlages zu Staub zerrieben worden wären.

Soviel Druck aufbauen, bis die reine Verzweiflung im wahrsten Sinne des Wortes einen Funken überspringen lassen würde und damit die Blockade lösen - das klingt beinahe wie ein Spaziergang, so nüchtern und klar, das gar nichts übrig bleibt als zustimmend zu nicken.

Ich glaube ich hätte dem Einen meine Seele versprochen, wenn er sich nur die Mühe gemacht hätte einen Vertrag für dieses armselige Menschlein aufzusetzen, aber es war nicht der Dunkle Fürst, der mir aus dem Abgrund entgegenstrebte. Windende Schemen tasteten wie schattengeborene Fangarme nach mir, zerrten an meinen Glieder - nur beseelt vom Wunsch mich in den Abgrund zu reissen, während im Hintergrund beständig Quendans Stimme dröhnte, übermächtig wie der Befehl eines den Himmel verdunkelnden Gottes:

"Tu es! Gebrauche die Kraft!"

Ich versuchte es, wieder und wieder riss ich von Entsetzen überlagerte Vorstellungen zusammen, warf sie in die kalte Asche eines sonst so bereitwillig lodernden Feuers.

Nichts. Nichts. Nichts.

Für einen Moment hatte ich das Gefühl durch einen ausgetrockneten Kanal zu laufen, umringt von rissiger verbrannter Erde, die nie wieder fruchtbar sein würde.

Und dann formten sich vertraute Züge aus den nebelhaften Schemen heraus. Vertraut, auch wenn ich sie so noch nie gesehen hatte und die in Rauchfäden verwehenden Schopfhaare keinen Zweifel an der Unwirklichkeit des Ganzen ließen. Glühender Hass sprühte aus Augen die Zeit ihres Lebens keinen Zorn gekannt hatten, die Schärfe der Gesichtslinien wußte nichts mehr von der weichen, gerundeten Friedfertigkeit eines verblassten Jahrzehnts.

Marielle.

"Du Hast Mich Getötet! Es Ist Deine Schuld! Verdammt Sollst Du Sein In Alle Ewigkeit!"

Mein Protestgeschrei ging im infernalischen Kreischen der Anklage unter. Vordem substanzloses Wabbern schärfte sich zu Klauen, Zähnen und Dornen, sprang aus dem Dunkel auf mich zu. Es gab nicht genug Platz zum Zurückweichen, keinen Raum zur Abwehr - nur die Umarmung des Abgrundes, dem ich haltlos entgegenstürzte.

Manche Menschen sehen ihr Leben vorüberziehen. Andere verlöschen einfach wie ein unachtsam ausgeblasenes Lichtlein. Ich starrte auf einen grünenden Baum, den verdorrte Wurzeln im Boden hielten.

Ich wachte auf .. ja.. ich wachte auf in der unberührten Arena Radaks, erschöpft wie nach einem tagelangen Marsch. Sand knirschte unter meinem Hinterkopf und kratzte auf der Haut, Sand schabte an meinen Gedanken und rieb sie wund.

Frage. Antwort. Gegenfrage. Antwort.

Ich funktionierte.

Die Unruhe kam erst, als ich das körperlose Flüstern in meinem Rücken hörte, die Bewegung des Vorhangs, wo es keinen Wind gab.

Wohin auch immer Quendan Comari mich gebracht hatte, jemand war mir in den Abgrund gefolgt.


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BeitragVerfasst: 17.03.10, 09:47 
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Quendan Comari hatte die Alpträume angekündigt, insofern war ich nicht überrascht davon, dass meine Ruhe ein um das andere Mal durch kreischende Fratzen, saugende Abgründe und unsichtbar bleibende Verfolger im Nacken gestört wurde.

Gestört. Das klingt nach .. Unannehmlichkeiten, nach einem Sprung im guten Porzellan. Tatsächlich blieb mir eher das Gefühl ganze Hauseinrichtungen an Geschirr zu zerschlagen - kaum dass die Müdigkeit mich wegnicken ließ, stellten sich die Zerrbilder mit der klebrigen Präsenz eines ungeliebt lästigen Bekannten wieder ein, stets begleitet von den im Dunkel flammenden Augen des wütenden Geistes.

Selbst ohne meine Kräfte bin ich ein Magier. Das bedeutet ich habe zehn Jahre lang unter der strengen Aufsicht meiner Lehrmeister gelernt Probleme zu lösen.

Insofern war - und ist - mir durchaus bewußt, dass Quendan nicht tatsächlich den Geist Marielles aus dem Totenreich zurückgerufen hatte, sondern mein eigenes Unterbewußtsein dieses Bild wählte. Ich habe nur nicht die geringste Vorstellung, was genau es mir damit sagen möchte, denn ich bilde mir ein durchaus meinen Frieden mit dem traurigen Tod meiner ersten Liebe gemacht zu haben.

Bin ich darin aufrichtig zu mir selbst?

Mhm.

Nachtschattentrunk half mir die ungewünschten Bilder zumindest zeitweilig zu verbannen und als ich nach einem tiefen traumlosen Schlummer wieder erwachte, fühlte ich mich nicht nur erholt, sondern gleichsam .. beglückt. Wie wenig es zuweilen braucht, um dieses flüchtige Gefühl einzufangen, das nicht einmal weichen wollte, als ich der verstohlenen Bewegungen im Augenwinkel gewahr wurde. Natürlich - so einfach würde ich die Nachwirkungen nicht loswerden, selbst jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, weiss ich, dass mich flammende Augen aus den tiefen Schatten hinter dem Bücherregal anstarren.

Ich bin ausdauernder als du es jemals warst, Marielle.

Es gibt Anderes, Wichtigeres, das Platz auf diesen Zeilen finden muss.

Eventuell tut sich eine Möglichkeit auf, die in gewissem Widerspruch zu meinem Auftrag steht und das hat mit Quendan zu tun. Sofern - wie Akora einschränkte - ich ihn nicht verärgere. Was sich unter Umständen als gar nicht so einfach herausstellen könnte: Ich habe ein liebgewonnenes Talent dafür anderen Leuten auf die Füße zu treten, alle möglichen Konsequenzen zu ignorieren und einfach .. etwas anzustoßen nur um sehen zu können, was geschieht.

Das Bild ist zwar nicht ganz korrekt, aber es passt dennoch ganz gut: Rosen ohne Dornen wären langweilig. Sich zu stechen ist eine Möglichkeit sicher zu sein, dass man lebt.

Ah. Dieser Pathos. Dafür sind wir Männer, nicht wahr?

Was mein .. Problem betrifft, habe ich das Gefühl endlich einen Weg zu sehen. Magister Ekre half mir das durch Quendans Illusionen hervorgerufene Sinnbild zu interpretieren, sein Schluss enthält Hoffnung, die gleichzeitig einen riesigen Berg von Arbeit verheisst: Unter Umständen muss ich all die mühsam eingebleuten Lektionen zum Formen der Kraft vergessen und erneut bei Null beginnen, wiederum lernen die Quelle ohne die geringste Vorbelastung zu berühren. Das gesamte Konstrukt meiner kleinen Rituale muss neu aufgebaut werden.

Ich habe nur nicht die geringste Vorstellung davon, wie das möglich sein sollte, wie man einen Muskel spannt, den man nicht einmal fühlt.


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 Betreff des Beitrags: Peregrins Schleier
BeitragVerfasst: 18.03.10, 13:40 
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Peregrins Schleier I

Peregrins Schleier I | Peregrins Schleier II | Peregrins Schleier III | Peregrins Schleier IV

Es war heiss, als ich die bröckelnden Mauern Dornhalts verließ. Nach einem mildem Morsan hatte Vitama ausgiebig geherrscht, um dann doch noch Platz für das gleissende Starren Felas zu machen - während ich den staubtrockenen Fuhrrinnen des Weges folgte, brannte Staub in meinen Lungen und legte sich als feiner Schleier auf Haut und Kleidung. Der spitze Magierhut, den ich im dritten Anlauf dann doch noch errungen hatte, war bereits leicht geknickt und würde die Ankunft in Rothenbucht nicht mehr erleben - während eines heftigen Gewitters nur drei Tage später ging ich seiner verlustig.

Ich erinnere mich an die Erleichterung, die sich mit einem winzigen Hauch von Sorge mischte: Die letzten beiden Studienjahre waren alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen, aber faktisch betrachtet endete meine Welt innerhalb dieses durch die alten Mauern begrenzten Bereiches. Es gab keine Eltern, deren Heim ich stolz aufsuchen konnte, keine Verwandten gegenüber denen ich mich mit meiner frischen Würde brüsten konnte.

Nur mich.

Das im Hain gepflanzte Bäumchen hatte Wurzeln geschlagen und war in den Jahren hoch genug gewachsen, dass die höchsten Blätter gerade meine Schopfhöhe erreichten. Es würde hier warten und sich weiter dem Himmel entgegenstrecken als sichtbares Zeichen dafür, dass ich - egal mit welchen Gedanken ich Dornhalt zurückließ - doch immer mit diesem Ort verbunden sein würde. Mit diesem Ort und den Menschen, die beinahe alle ebenfalls ihr eigenes Bäumchen besaßen.

Und nun spazierte ich geradewegs ins Unbekannte hinein mit nichts beladen als frischen Erinnerungen an die Zeremonie und dem wenigen Besitz, der mühelos in den geschnürten Ranzen gepasst hatte.

All das wäre eigentlich in keinster Weise erwähnenswert, aber es erläutert die Stimmung in der ich mich befand, als ich einen der zahlreichen Kreuzwege erreichte, an denen fleißige Hände ein aus Holz geschnitztes Abbild Vitamas mit einem Haufen von Steinen umgeben hatten. Und dort hockte ein dürres Männchen in bunter, nur aus Flicken bestehender Kleidung. Die Wollmütze war anders als früher, das schon bei unserer ersten Begegnung runzelige Gesicht schien nur noch aus Falten zu bestehen. Der kleine, etwas abseits scharrende Hund schien zur Zeit der Begleiter des alten Scharlatans zu sein.

Ich war .. überrascht.

Der halbe Götterlauf den ich in der Gesellschaft des Gauklers zugebracht hatte, lag mehr als neun Jahre zurück, seit damals hatte ich ihn weder gesehen noch gesprochen und war ganz nebenbei davon ausgegangen, dass er längst schon der Schönen Göttin seine Aufwartung machte. Und nun erhob er sich vor mir.

Die letzten Reste von Grau im schütteren Haar waren ausgeblichen, wie Büschel vertrockneten Grases quollen sie unter der Strickmütze hervor. Die sich damals noch über mich beugende Gestalt schien geschrumpft - heute war es Rudhan, der den Kopf zu mir heben mußte und mich aus wässrigen Augen musterte.

"Groß bist du geworden Junge, aber schneller nicht. Habe den halben Tag schon auf dich gewartet."

Die bereits zurechtgelegte Begrüßung vertrocknete auf meiner Zunge, selbst der Blick eines mit zusammengeknoteten Beinen aus dem Schlummer erwachendes Schafes hätte wahrscheinlich von mehr Intelligenz gekündet als mein Antlitz. Zu sagen ich war überrascht, wäre kaum angemessen.

"Habe den Wind gefragt, wann du kommst und ihn gebeten mich zu wecken, damit ich rechtzeitig hier bin, Junge."

In diesem Moment fand ich meine Sprache wieder.

"Ich bin vor zwei Tagen aufgebrochen..."

Es ist leicht in alte Muster zurückzufallen, wenn das Selbst durch einen einzigen passend gesetzten Stoß erschüttert wird und die sich hier über mich senkende Rolle war die des nicht sonderlich geschickten Findelkindes, dessen einzige Sorge es ist, vor dem scharfen Blick eines gutmütigen Mannes bestehen zu können.

Und er wußte es nicht nur, sondern hatte es genau darauf angelegt.

"Einen Zaubererhut hast du bekommen, viel hübscher als der eines alten Scharlatans und einen Namen, der dich gewiss nicht schlecht kleidet. Aber satt macht weder das Eine noch das Andere, nicht? Also höre mir zu, Erestan, Mündel Madran Estherils: Ich habe etwas für dich zu tun, ja. Nach Rothenbucht sollst du gehen und Peregrins Schleier suchen, der vor gut einem Mond den toten Fingern des vorherigen Besitzers entrissen wurde. Noch hat er den Freihafen nicht verlassen, aber das ist nur eine Frage der Zeit."

Es ist seltsam, das aufzuschreiben. Noch seltsamer darüber nachzudenken und mich zu erinnern, wie betäubt und ungläubig zugleich ich vor dem kleinen alten Männchen stand, und mir prüfend in die Rippen pieken ließ. Damals schien mir das alles völlig absurd. Heute kenne ich einige der Hintergründe ohne hoffen zu können, das gesamte Bild zu überblicken.

Unter anderen Umständen hätte ich mich nicht darauf eingelassen, aber in diesem Moment war ich gänzlich überwältigt und nickte schliesslich - der feine Stich melancholischer Wehmut gab den Ausschlag und erlaubte mir den Strohhalmgriff einer vermuteten Vertrautheit zu packen.
Die Leichtgläubigkeit der Jugend ...

Noch bevor die Dunkelheit des nächsten Zyklus sich herabsenkte, brach ich in Richtung der großen Stadt auf, beseelt von der unbestimmten Erwartung diesen seltsamen Schleier schon finden zu können.


Zuletzt geändert von Ada Dornbrandt: 16.04.10, 08:12, insgesamt 2-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Quecksilber und Blut
BeitragVerfasst: 21.03.10, 21:11 
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Ich denke ich erwachte von den ersten Sonnenstrahlen, vom Gefühl verheissungsvoller Wärme und der sich durch den Bodennebel kämpfenden Helligkeit. Die Dunkelzeit war von klammer Kühle geprägt gewesen, hatte genug Feuchtigkeit gekannt, um ungezählte feine Tropfen wie Perlen auf der Haut zu hinterlassen - als ich mich aufrichtete, sammelten sie sich in winzigen, der Erde entgegenströmenden Bächen.

Wo war ich?

Irgendwo im Wald, halb geschützt durch die Wurzel eines vor Jahresfrist gefallenen Baumes, in einem natürlichen Bett von Moos und spärlichen Gräsern, die hier, im Halbschatten wucherten und sich bei Beginn jedes Hellzyklus erneut Felas Glanz entgegenreckten. Ganz wie ich nun auch.

Wie war ich hierher gekommen?

Dass mein Lager trocken war, verhieß, dass ich mindestens die letzte Dunkelheit hier verbracht hatte, der Hunger in meinem Eingeweiden beharrte darauf, dass der nächste Tag schon längst begonnen haben musste. Hier draussen schien diese menschliche Einteilung, der Wunsch den regelmäßigen Lauf der Zyklen in ein Dikat von Wach- und Schlafzeit zu zwängen, irgendwie absurd.

Ähnlich absurd wie meine Aufmachung selbst: Auf meinem Weg war ich offenbar des größten Teils meiner Kleidung verlustig gegangen, weder die mittlerweile gut eingelaufenen Stiefel noch das neue Schnürhemd ließen sich irgendwo in der Nähe ausmachen, von der Robe ganz zu schweigen. Allein die Hose aus zähem Wildleder war mir geblieben und würde mir bei der Rückkehr in die Zivilisation ein Übermaß von Peinlichkeit ersparen.

Wenn es mir gelang diesen Rückweg zu finden.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte ich für die unberührte Natur nie viel übrig gehabt. Dort, so schien es mir stets, wimmelte es von kleinen und großen Abscheulichkeiten, die entweder auf der Suche nach Nahrung oder einem Nest für ihre Brut waren. Ich hatte wenig Verlangen das Eine oder Andere zu werden. Als ich nun jedoch lauschte, hörte ich .. nichts.

Das ist ungenau. Natürlich hörte ich etwas: Das Zwitschern von Vögeln, das stakkatoartige Hämmern eines Spechtes in unbestimmter Entfernung, das Summen von Insekten und das rascheln der grünenden Blätter, kurz und gut: All das Spektrum an Geräuschen mit denen ein Wald so aufzuwarten weiss. Nur nichts, was auf die Nähe einer menschlichen Behausung hingewiesen hätte. Mit ein wenig mehr Erfahrung in der Kunst des Spurenlesens wäre ich vielleicht in der Lage gewesen meinen Weg zurückzuverfolgen - so aber sahen alle Richtungen gleich gut oder schlecht aus.

Unter diesen Umständen war es sinnvoller erst einmal zu rekapitulieren was mich an diesen Ort gebracht hatte.

Begonnen hatte der Abend im Seiltänzer, wo eine Märchenerzählerin zwei ihrer Geschichten zum Besten gegeben hatte. Es war kurzweilig ihr zuzuhören, auch wenn es mich reizte die einfache Moral der Märchen auseinanderzupflücken und in ihr Gegenteil zu verkehren. Nicht allein um des lieben Friedens Willen hielt ich meine Zunge im Zaum, auch weil es ein andere Schlachtfeld, eine andere Spielwiese gab.

Mustererkennung. Wenn ich den harschen Worten meiner Lehrmeister Glauben schenken möchte, meine einzig halbwegs überzeugende Gabe - nur dass sie in diesem Fall völlig versagte. Es ist nicht so als sähe ich keine Möglichkeiten voraus, tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Ich werde von einem ganzen Wust an Tendenzen erschlagen und kann die Hand bestenfalls zufällig auf eine davon legen. Also muss ich .. anstoßen .. um aus der Richtung der Reaktion eine Ableitung zu treffen. Nicht, dass mir darin bis dato sonderlich viel Erfolg beschieden gewesen wäre.

Aber gut.. das spielt für das Kommende kaum eine Rolle.

Alles lief völlig .. normal - ich bin geneigt auch während eines Angriffs spontan versterbende Bären mittlerweile als "normal" zu bewerten - bis Akora mir die vor kaum einem halben Zyklus erworbene Waffe in die Hand drückte. Diesen "vandrischer Stutzer" hatte ich bereits auf dem Marktplatz beiläufig begutachtet, ohne sonderlich viel Aufmerksamkeit zu investieren: Mein Interesse an geschliffenen Hieb- und Stichwaffen war nie sonderlich ausgeprägt gewesen.

Diesmal war es anders.

Ich starrte auf die Waffe in meiner Hand herab, auf die breite Klinge, die das letzte Licht der untergehenden Sonne einfing und .. spürte etwas.

Spürte etwas.

Ich weiss nicht, wie ich diesen Eindruck auf die richtige Art und Weise auf Pergament bannen soll, nicht einmal die von feingestimmten Begriffen wimmelnde Sprache der Magier kann das korrekt wiedergeben. Es fühlte sich an wie eine distanzierte Erinnerung, wie der Gedanke an das Bild einer Szenerie, statt an die Szenerie - und war dennoch präsent und durchdringend. Vielleicht ist es das, was Götterdiener spüren, wenn sie eine Vision ihres Herren empfangen.

Ich sah meine eigenen Hände - und obwohl es keinen Beweis dafür gibt, ist die Erinnerung völlig überzeugt davon, dass es meine Hände sind - die ein dem vandrischen Stutzer ganz ähnliches Messer hielten. Vielleicht war die Klinge eine Spur schmaler und leicht gebogen, aber das sind Details, die letztlich verblassen: Dieses in der Hand eines Kindes ruhende Messer hobelte Späne von einem Stück Rinde ab, jeder Schnitt des geschärften Metalls entblößte neues, helles Holz.

Links das Holz. Rechts das Messer.

Unter anderen Umständen wäre ich hellauf begeistert gewesen, denn mir war augenblicklich bewußt, dass dieser .. Eindruck .. weder meinen ersten fünf Lebensjahren entstammte, noch der Zeit in Dornhalt oder beim alten Rudhan. Dies war etwas.. dazwischen, ein Fragment der verlorenen Jahre die bislang ein völlig weisser Fleck auf der Landkarte meiner Erinnerung gewesen war.

Oder es hätte ein Fragment sein können, wäre da nicht dieser eine, fundamentale Fehler: Ich bin Linkshänder.

Linkshänder.

Woher auch immer dieses etwas stammt, dass ich nicht guten Gewissens "Erinnerung" nennen kann: Es ist eine Fälschung.

Mir blieb in diesem Moment kaum die Zeit darüber nachzudenken, die wenigen an Akora gerichteten Worte trieben sie zur Eile und ich folgte ihr noch ganz in Gedanken. Ich denke meine Füße fanden den Weg von selbst, ich kann mich kaum daran erinnern den Pfad zu ihrem Turm wirklich beschritten zu haben.

Es fällt mir .. aus anderen Gründen .. nicht weniger schwer aus dem Folgenden die Wahrheit zu ermitteln - wie ein dünner Faden schwimmt sie in einem Meer verhangener Eindrücke.
Da ist der Geschmack von Blut auf meinen Lippen, bevor die Welt sich in eine fließende Idee unbestimmter Gegenwart verwandelt - allein geprägt vom zornigen Kreischen einer den Flammen entsteigenden alten Freundin, in deren glühenden Augen sich das Versprechen der Verdammnis findet. Ein Flüstern zwischen meinen Schläfen, wie das Zischen einer Schlange: "Erinnere dich an das Netz! Erinnere dich an das Netz! Erinnere dich an das Netz!" - unzählige Federn wachsen aus meiner Haut und sinken abbrechend als ein weicher Teppich zu Boden. Heller Schmerz, als die Hitze Felas mir die Haut versengt, bis sie aufspringt und verkrustet wie der Laib eines Brotes im Ofen. Und ein scharfer Stich ins Herz, geführt durch die Waffe die vorhin in meinen Händen lag. Das Leben quillt aus mir heraus, ein Strom hellen Blutes, der sich mit Quecksilber vermischt - erstmals seit jenem Abend am Wall spüre ich die Kraft wieder, aber sie wird mir entrissen, entrissen, entrissen, entrissen. Über den Abgrund des Schmerzes windet sich eine Brücke aus Silber und Rot herüber zum flackernden Schemen einer tanzenden Dryade hin und Jemand beschreitet diesen Pfad mit raschen Blicken. Vertrautheit. Eine Waage schlägt aus, Worte hallen wie der Schlag einer Glocke zwischen meinen Schläfen: "Gemessen. Gewogen. Für nicht gut genug befunden." Vollkommene Leere schluckt alle anderen Eindrücke, bis eine bekannte Stimme sie flüsternd füllt: "Erestan.. du musst dich konzentrieren, du musst den Weg zu deinen Mächten zurückfinden. Verstehst du mich?" Das Nichts zerfällt klirrend in Scherben, die ungezählte Wunden in meine Haut reissen, Kälte kratzt .. ich friere.

Und dann.. Wirklichkeit.

Warme Nähe, das Gefühl schmerzhafter Geborgenheit für einen stechenden Moment, geschürrt noch durch einen Kuss.

Alles wird anders dadurch, verkehrt sich in etwas, das auf eine bestimmte Weise dem Nachtschattenrausch nicht einmal so unähnlich ist. Der Turm bleibt zurück als ich laufe und laufe, gejagt, befreit, fürchtend. Werde ich sterben, wenn ich stehenbleibe?

Auch diese Gedanken weichen letztlich und danach gibt es nur noch die Dunkelheit des Schlafes.

Mhm.

Ich kannte noch immer nicht an den Weg, der mich hierher geführt hatte, aber das schien bedeutungslos in der Erinnerung an das Gefühl der strömenden Kraft. Irgendwie war es mir gelungen den Quell zu berühren. Mochte ich die Gabe auch sinnlos verschwendet haben, hatte sie doch erstmals wieder die Adern dieses Körpers durchflossen - Quecksilber mit Blut vermischt.

Was wollte ich mehr?

Mein Magen wies ganz unromantisch darauf hin, dass ihn meine Begeisterung nicht zufriedenstellte.

Zeit zurückzugehen. Etwas zu essen und etwas zum Anziehen zu finden.

In dieser Reihenfolge.


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 Betreff des Beitrags: Grau
BeitragVerfasst: 23.03.10, 11:08 
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Ich habe Kopfweh.

Nicht schlimm, aber lästig, unangenehm genug, dass ich diesen Tagebucheintrag kurz halten werde und mich dann dem Halbdunkel des Schlafsaales überantworte.

Der im Rausch erlangte Zugriff auf die Quelle ist mir im wachen, nüchternen Zustand nicht möglich - aber das ist nur eine Frage von Zeit und Übung. Nicht mehr lange, dann werde ich wie vordem auch wieder über die Kraft gebieten.

Davon habe ich Magister Ekre nichts erzählt, in erster Linie, weil ich mit der Bewertung dieses Abends noch nicht fertig bin - und ich fürchte ohne ihre Hilfe werde ich die verschiedenen Teile auch kaum korrekt zusammensetzen.

Und dann ist da .. diese kleine verstörende Sache.

Der Verlust der Gabe füllte mich mit Zorn, Verbitterung, Unleidlichkeit und Ärger. Die endlich greifbare Aussicht auf ihre Rückkehr zeugt .. Nichts. Sicherlich, da ist eine bestimmte Zufriedenheit, eine Form von Genugtuung, wie sie ein reicher Krämer empfunden mag, der seine Dukaten zählt. Aber keine überschäumende Freude, keine mitreissende Begeisterung, keine auf Knien dargebrachte Dankgebete an gewisse rotbeschopfte Göttinnen.

Habe ich die Fähigkeit ehrliche Freude zu empfinden irgendwie verloren?

Der Versuch zu lächeln schmerzt, das Hämmern zwischen den Schläfen gewinnt an Intensität, als hätte ich es damit herausgefordert.

Genug für heute.


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 Betreff des Beitrags: Peregrins Schleier II
BeitragVerfasst: 25.03.10, 11:46 
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Peregrins Schleier II

Peregrins Schleier I | Peregrins Schleier II | Peregrins Schleier III | Peregrins Schleier IV

Peregrins Schleier also.

Als ich in die Straßen Rothenbuchts eintauchte, hatte ich bereits all mein spärliches Wissen über dieses Artefakt zusammengekratzt: Vor knapp 120 Götterläufen hatte ein Zauberer namens Turudan Brenais einen erheblichen Teil seiner Zeit, seines Wissens und seines Vermögen in die Erschaffung eines Artefaktes investiert. Dabei handelte es sich um einen Stirnreif aus Kupfer, verziert mit zwei der vier Elementaren Symbole: Feuer und Luft zogen sich in mehrfacher Wiederholung über die gesamte Aussenseite. Dieser Reif wurde "Peregrins Schleier" getauft. Die ihm zugesprochenen Fähigkeiten waren in den mir damals verfügbaren Quellen nicht sonderlich gut dokumentiert - ohne auf die Funktionsweise einzugehen, wurde Unsichtbarkeit genannt, an einer Stelle auch noch über "allgemeine Beflügelung" spekuliert.

Dass sich der alte Rudhan für dieses Stück interessierte war seltsam, aber immerhin pflegte er den Lebensstil eines "Peregrinus" - eines Wanderer. Der vormalige Besitzer dagegen hatte sich darauf beschränkt dieses Stück nebst anderen Erwerbungen in seinem Haus, geschützt durch missmutige Wächter und teures Kristallglas, auszustellen.

Das war auch meine einzige persönliche Verbindung zu diesem Stück: Als eines der Mündel Madran Estherils hatte ich gelegentlich die Pflicht gehabt ihn bei seinen Reisen zu begleiten und einer dieser Besuche hatte ihn nach Rothenbucht in das Haus des reichen Händlers Gisbert Zaahngracht geführt. Dass ich mit dem Namen "Peregrins Schleier" überhaupt etwas anzufangen wußte, war vermutlich diesem Ereignis zu verdanken, ich erinnerte mich noch gut an meine damalige sprachlose Empörung bei der Besichtigung der ausgestellten Sammlung.

Aber wie passte der Scharlatan da hinein?

Natürlich, der alte Mann zog ruhelos von Ort zu Ort, aber dafür hatte er in all den Götterläufen zuvor kein Artefakt nötig gehabt und allein die Vorstellung, dass er vorhatte den Schleier zu Geld zu machen, war absurd. Genau genommen hatte er mich nicht einmal damit beauftragt ihm den Reif zu bringen - ich sollte ihn suchen. Suchen. Um dann was zu tun?

Von solcherlei Überlegungen geplagt durchwanderte ich die belebten Straßen Rothenbuchts, trieb mit dem Strom der Menge durch die gepflasterten Adern der Stadt, bis sie mich zu einem der Plätze spülte. Die Fassaden der hier stehenden Häuser verrieten Wohlstand von jener Art, der noch durch Arbeit verdient ist: Die Einfahrten waren breit genug, um einen Karren hereinzulassen, statt sich aber noch weiter auszudehnen, zogen die Bauten sich lieber in die Höhe und öffneten sich hinten in Höfe. Für einen Ware hereinbringenden Kutscher gab es keine Möglichkeit zu wenden, aber auch nicht die Notwendigkeit: Ein weniger hübsch aufgemachtes Tor öffnete sich nach der Überquerung des Hofes und der Passage durch das nächste Haus auf eine Straße.

Ich hatte erwartet zumindest bei einem Haus Anzeichen eines gestörten Betriebes zu bemerken, aber dem war nicht der Fall: Kunden kamen und gingen - nichts hier vermittelte mir den Eindruck eines erst kürzlich zurückliegenden Todesfalles - und ich spürte widerwilligen Respekt für die Chuzpe des Händlervolkes, die nicht einmal für einen Besuch Galtors die Geschäfte ruhen ließen. Auf der anderen Seite war nun beinahe ein Mond vergangen, wahrscheinlich genug um alle echten und falschen Tränen zu trocken.

Ich hätte wahrscheinlich noch ein Weilchen da gestanden und die herausstechende lachsfarbene Fassade angestarrt, wenn nicht einer der durch das Tor tretenden Männer meine ungläubige Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Fetter als zwei Jahre zuvor, aber ähnlich bunt gekleidet mit jener zielsicheren Geschmacklosigkeit, die man nur bei Emporkömmlingen und Scharlatanen trifft. Das runde Gesicht offenbarte mit hektischer Betriebsamkeit gepaarte Sorge, Schweiss glänzte auf der geröteten Stirn. Es mußte heiss sein unter dem sich auftürmenden Hut und heiss war mir in diesem Augenblick auch: Wer da so eifrig schwatzend auf einen dürren Nebenmann einredete, war Gisbert Zaahnbracht persönlich.

Nach Rothenbucht sollst du gehen und Peregrins Schleier suchen, der vor gut einem Mond den toten Fingern des vorherigen Besitzers entrissen wurde.

Nur, dass dieser vormalige Besitzer quicklebendig war.


Zuletzt geändert von Ada Dornbrandt: 16.04.10, 08:12, insgesamt 3-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Und hier geschieht ein Wunder
BeitragVerfasst: 29.03.10, 13:35 
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Ich denke mittlerweile, dass Magister Ekres Einschätzung meiner Situation nicht vollständig korrekt ist. Der Grund dafür ist einfach: Die zurückliegenden Tage haben mir einige Erkenntnisse beschert. Nach diesem ersten Abend am Feuer - ich bin immer noch nicht darüber im Klaren, was dort eigentlich geschehen ist - konnte ich ein weiteres Mal auf die Quelle zugreifen. Bedauerlicherweise in einem Zustand der Volltrunkenheit, so dass die verschwommenen Erinnerung unvermeidlich mit Übelkeit und Kopfweh vermischt sind. Nichtsdestotrotz: Ein gewaltiger Fortschritt.

Unglücklicherweise könnte es sein, dass ich dennoch den vom ihm bezeichneten Pfad beschreiten muss.

Trotz des hochtrabenden Anspruchs meiner Zunft an die Kraft, all der Seiten theoretischer Ergüsse und allen endlosen Übungen zum Hohn, bleibt da dieser eine, unfassbare Punkt, an dem jede Erklärung zu schwimmen beginnt.
"Und hier geschieht ein Wunder." - ich erinnere mich selbst jetzt, da beinahe fünfzehn Jahre vergangen sind, an diese Worte in einer meiner ersten Lektionen zum Thema Magietheorie.

"Und hier geschieht ein Wunder."

Mhm.

Egal wie weit man sich dem Vorgang des Zauberns durch abstrakte Erklärungen, durch Metaphern und Allegorien auch nähert, gleichgültig ob man Gefühle investiert oder lieber versucht in der Eiseskälte des ungerührten Verstandes zu wirken: Diese Brücke über den Abgrund von Sein und Werden wird immer durch einen letzten Schritt von .. Intuition .. beendet.
Auch wenn das Bild nicht völlig korrekt ist, habe ich dies gern mit dem Spannen eines Muskeln verglichen: Man kann sich bewußt dafür entscheiden wie stark man ihn spannt und wie weit. Aber die Handlung selbst ist davon losgelöst. Es ist nicht der Verstand, der die Finger streckt, sondern ein tiefer gehendes Begreifen, eine natürliche Einsicht.

Und so ähnlich ist es mit der Magie auch. Die Erstemanation, jenes oft abrupte Erwachen der Gabe in einer Explosion vollständig verströmter Kraft, kennzeichnet den ersten Kontakt mit diesem neuen "Muskel". Dadurch erlernt unser Unterbewußtsein, dass dort etwas ist. Danach ist der Weg geebnet, was oft genug der Anlass für Sorge ist. Ein Träumender kann im Schlaf um sich schlagen. Ein Zauberer setzt vielleicht seine Geliebte in Flammen..

Während meiner Ausbildung lernte ich, dass jeder Akt der Magie auf diesen Moment der Erstemanation zurückgeht - wir gebrauchen den damals erstmals zuckenden Muskel. Magistra Antarel vertrat gar die These, dass die Ausprägung der Gabe auf die Umstände dieses Erwachens zurückgeht: Man wird nicht als Weissmagier geboren, sondern entwickelt diese spezielle .. Richtung .. eben auf Grundlage jenes ersten Wirkens. Meister Garnhelm argumentierte andersherum: Die Art der ersten Magie wird durch die bereits vorhandene Prägung ausgerichtet.

Es ist vielleicht verständlich, dass mich diese Erklärungen nie sonderlich begeisterten. Zum einen, weil ich meine spätere Zuordnung zum Grauen Pfad als gänzlich willkürlich empfand. Zum Anderen, weil ich nicht die geringste bewußte Erinnerung an mein eigenes Erwachen besitze.
Der Großteil der Lehrmeister von Dornhalt war der Ansicht, dass meine Gabe aus diesem Grunde verkümmert sein müßte und die Magister investierten eine Menge Zeit und Geduld um diesen Schleier zu lüften.

Vergeblich.

Wenngleich man mir das Vorhandensein der Gabe im Rahmen normaler Parameter bescheinigte, zeigte ich nie jene besonderen Tendenzen, die gemeinhin zur Identifizierung eines Pfades genutzt wurden. Keine Affinitität zu Heilmagie. Keine Begabung für die Fokussierung von viel Kraft durch einfache Matrizen. Schon gar keine Tendenz zu einem der elementaren Pfade.

"Und hier geschieht ein Wunder."

Mhm.

Fakt ist: Ich konnte zaubern, auch wenn ich nie in Erfahrung brachte, wie es zum ersten Mal geschehen war. Etwas an mir mußte sich also erinnern, auch wenn mein Begreifen nur Leere umfasst.

Und dann verlor ich den Zugriff auf die Gabe.

Nicht wegen irgendeines unterbewußten Zweifels an der Wirksamkeit der zurechtgelegten Thesen. Sicherlich auch nicht vor lauter Schreck über den Anblick des Ödlandes oder das mich umfließende "Nichts". Am Anfang glaubte ich, es wäre irgendeine Art von Schock, eine unerfreuliche Wechselwirkung, die zu etwas wie Hyperresonanz führte - aber davon bin ich nicht mehr überzeugt.

Jetzt denke ich, es war der erste Riss im nie zuvor gesprengten Panzer meiner Erinnerung.

Vielleicht erkannte etwas in mir die Umstände wieder, entzündete einen Funken von Erkenntnis am tiefsten Grund meines Seins. Eine Kleinigkeit nur, nicht einmal bedeutsam genug, um den Weg ins Bewußtsein zu finden - wäre da nicht ein fataler Zusammenhang: Dieser Funken von Erinnerung brachte die Erstemanation zurück und veränderte damit auf immer die Art und Weise, wie ich den letzten Schritt über die Brücke gehen muss.

Das Muster ist von bedrückender Aussicht: Vielleicht war der Eindruck des in meiner Hand ruhenden Messers doch eine Erinnerung. Ist das möglich - vom Rechts- zum Linkshänder zu werden? Die Symbolik ist in jedem Fall nicht sonderlich erfreulich.

Was mich - über einige Umwege - zum Anfang zurückführt.

Unglücklicherweise könnte es durchaus sein, dass ich den von Magister Ekre bezeichneten Pfad beschreiten muss. All die mühsam aufgebauten Assoziationsketten sind auf einen bestimmten Zugriff hin ausgerichtet. Ändert sich diese Grundlage, ist es notwendig sie zu korrigieren. Ich denke es ist einfacher sie völlig niederzureissen und neu zu errichten.

Einfacher auch, als sich den Kopf über das zu zerbrechen, was noch wartet.


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 Betreff des Beitrags: Alte Besen, neue Besen
BeitragVerfasst: 31.03.10, 13:37 
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Gestern wurde mir schmerzlich bewußt, dass meine ohnehin bescheidenen Geldmittel langsam erschöpft sind. Unter anderen Umständen hätte ich mich schon wesentlich eher damit beschäftigen müssen - die Tatsache, dass Unterkunft und Verpflegung durch die Akademie gedeckt sind, verzögerte den Zeitpunkt.

Man lebt nicht nur vom Brot allein - das wurde mir schmerzlich bewußt, als die dralle, schwarzhaarige Hure mit den feurigen Augen ihre Preisvorstellung äußerte.
Ich werde mir etwas ausdenken müssen, um diese Durststrecke zu überwinden.

Unglücklicherweise sind meine Talente ziemlich überschaubar und zudem gerade weitgehend .. eingeschränkt. Und ich glaube kaum, dass jemand einen Zauberer einstellt, der sich erst einmal sinnlos betrinken muss, bevor er auch nur den kleinsten Funken Magie versprühen kann.

Sei es drum, es gibt noch Anderes.

Ich bin mir noch immer nicht im Klaren darüber, wie ich mit ihr weiter verfahren soll. Unter normalen Umständen würde sich diese Frage überhaupt nicht stellen, denn bis auf zwei Ausnahmen folgte jeder meiner .. Beziehungen .. einem ganz einfachen Schema, am Beispiel von Leda will ich es hier kurz skizzieren:

Als Begleiter eines reisenden Krämers war ich nach Kalamudus gelangt, hatte dort meinen Sold empfangen und mich auf den Rückweg Richtung Draconis gemacht. Nicht, dass mich dort etwas erwartet hätte, aber die Hauptstadt war ein guter Ort um alte Kontakte zu pflegen und neue Aufträge an Land zu ziehen. Gut eine Tagesreise vor der Grenze zur Grafschaft Lichtenfeld traf ich sie dann in einer dieser aus groben Baumstämmen zusammengezimmerten Tavernen. Es war nichts .. romantisches .. an diesem Zusammentreffen: Mir gefielen der hochgesteckte Schopf nussbraunen Haares, die lebhaften Augen, das verschlagene Grinsen und die lebhaften Flüche, die sie immer dann von sich gab, wenn das Kartenglück ihr nicht so ganz zugeneigt war. Ihr drei Partner mußten Einheimische sein, alternde Männer mit drahtigem, bereits ergrauendem Barthaar, die einen Gutteil ihrer Aufmerksamkeit dem Ausschnitt ihrer Gegenspielerin opferten und dafür letztlich mit mancher Münze bezahlten.

Ich starrte sie durch den Raum hinweg an und spürte wieder dieses .. Kribbeln. Begeisterung ist ein zu starkes Wort dafür, vielleicht ist "Angeregtheit" besser. Wir hatten noch nicht ein Wort gewechselt und ich stellte mir bereits vor, wie es wäre mit ihr zu vögeln.

Also wartete ich, bis einer ihrer Gegenspieler seine Geldkatze bis zur Neige geleert hatte und mit hängenden Schultern nach Hause schlich, bereit dort den unvermeidlichen Tadel der harrenden Gattin entgegenzunehmen, um den frei werdenden Platz einzunehmen.

Zugegeben: Ich war niemals ein sonderlich guter Spieler, aber ich vermochte mir zu merken, welche Karten bereits gespielt worden waren. Und dann gab es noch die kleine, nicht sehr feine Möglichkeit an der Unbestimmtheit des verdeckten Stapels zu ziehen, bis er sich auf die richtige Art und Weise präsentierte.
Ich glaube nicht, dass Meister Garnhelm an so etwas dachte, als er über Unscheinbarkeitsmagie referierte.

Wie auch immer: Ich schlug mich gut genug, um mein gerade verdientes Wegegeld nicht zu belasten, zog das ganze Spiel in die Länge, bis die Gäste nach und nach in der Dunkelheit versickerten und nur wir beide unter den strafenden Blicken des müden Wirtes übrigblieben. Wir trennten uns mit der gegenseitigen Versicherung den Anderen beim nächsten Mal bis auf das Hemd auszunehmen.

Am nächsten Tag reisten wir gemeinsam weiter: Leda wurde in Linhafen erwartet um dort, wie sie knapp ausführte "eine Erbschaft anzutreten". Ein Umweg für mich, aber angesichts der Tatsache, dass mich sonst nichts erwartete, war ich gern bereit eine Woche Zeit als Preis für die Aussicht auf ein wenig Kurzweil zu entrichten. Zwei Tage lang unterhielten wir uns auf das Beste, tauschten Anekdoten und Geschichten aus, diskutierten über Möglichkeiten beim Kartenspiel geschickt zu betrügen oder Falschspieler aufzudecken. Wir hatten den Lauf des Ionbar gerade erreicht, als sie meinem Drängen nachgab.

Als der Rausch verflogen war, spürte ich neben satter Zufriedenheit schon wieder den Wunsch weiterzuziehen. Die Jagd war beendet, das Interesse verflogen. Mein Verlangen Leda zu begleiten, verflüchtigte sich mit jedem Moment ein wenig mehr. Ich glaube sie verstand es, anders als viele meiner früheren .. Bekanntschaften .. blieb sie gelassen, als ich verkündete, dass unsere Wege sich nun trennen würden.

Und so war es immer. Ich bekomme nicht einmal mehr alle Namen zusammen, selbst die Gesichter verblassen in der Asche längst erkalteter Erregung.

Nun, nicht immer: Lucille und Marielle stechen heraus.

Und nun sie.

Das .. Kribbeln .. ist da. Ein Teil von mir möchte nichts anderes, als bei nächster Gelegenheit herauszufinden, wie gut dieser Besen tatsächlich kehrt. Das ist gleichzeitig das, was mich zurückschrecken läßt: Ich kenne das Muster nur zu gut, weiss wie sich mein vormaliges Interesse in fade Langeweile verwandelt.

Angesichts der Tatsache, dass sie mich mehr als nur ein wenig an Lucille erinnert, habe ich überlegt, ob meine Abweichung vom Muster einen ähnlichen Grund hat wie damals. Der Anschein spricht dagegen.

Wahrscheinlich werde ich einfach nur alt.

Ich sollte in der Zwischenzeit einfach jemand Anderen vögeln - was den Kreis schließt. Ich muss mich wirklich nach irgendeiner Arbeit umsehen.


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 Betreff des Beitrags: Peregrins Schleier III
BeitragVerfasst: 1.04.10, 13:37 
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Peregrins Schleier III

Peregrins Schleier I | Peregrins Schleier II | Peregrins Schleier III | Peregrins Schleier IV

Ich verpasste den richtigen Moment um den eigentlich tot geglaubten Händler Gisbert Zaahnbracht anzusprechen, bevor ich in der Lage war die Verwunderung abzuschütteln, hatte sich die betriebsame Menge eilenden Volkes schon um ihn und seinen dürren Begleiter geschlossen.

Und da stand ich nun vor der lachsfarbenen Fassade des prächtig herausgeputzten Hauses, rollte mit den Augen und kämpfte gegen das nagende Gefühl der Verunsicherung an.

Hatte ich etwas an meiner Aufgabe missverstanden? War meine Interpretation durch Vorwissen getrübt oder in die falsche Bahn gelenkt worden?

Nach Rothenbucht sollst du gehen und Peregrins Schleier suchen, der vor gut einem Mond den toten Fingern des vorherigen Besitzers entrissen wurde.

Ich glaube zu wissen, was Peregrins Schleier ist.
Ich glaube zu wissen, wer der vormalige Besitzer ist.
Ich glaube zu wissen, dass dieser Mann lebt.

Jeder dieser drei Punkte benötigt eine Überprüfung.

Setzen wir zunächst voraus, dass es sich bei Peregrins Schleier um den mir bekannten Stirnreif handelt, dann ergeben sich in Bezug auf die zweite Frage verschiedene Möglichkeiten: Der Stirnreif könnte ein Fälschung sein, das echte Stück in anderen Händen. In der Zwischenzeit könnte das Artefakt den Besitzer gewechselt haben - die wahrscheinlichste Möglichkeit. Sollte es sich bei dem vormaligen Besitzer aber um den reichen Händler handeln, dann war entweder die mir gestellte Aufgabe in sich schon fehlerhaft, oder mein Augenschein hatte mich getrogen. Nicht, dass ich ernsthaft daran glaubte.

Hier Maulaffen feil zu halten, würde mich in keinem Fall weiterbringen.

----------------------------

Manche Häuser besitzen einen ganz speziellen Geruch, der durch nichts, was der Besitzer tut, gänzlich verdrängt oder gar ausgelöscht werden kann. Als ich durch die zweiflügelige Spitzbogentür in den von Buntglasfenstern erhellten Raum trat, bemerkte ich es sofort wieder: Diese feine Note wie von angerösteten Mandeln, die ich nie wirklich zu identifizieren in der Lage gewesen war.
Seit meinem letzten Besuch war die Empfangshalle umgeräumt worden: Der die halbe Westwand einnehmende Tresen aus im Laufe der Zeit abgedunkeltem Holz war ebenso verschwunden wie die bärbeissige alte Jungfer die von diesem Platz aus allen möglichen Kunden ihre gebleckten Zähne gezeigt hatte. Es war stets mein Verdacht gewesen, dass ihre Aufgabe viel eher im Verscheuchen eventueller Laufkundschaft bestand, als einem herzlichen Willkommen: In den Bereichen in denen Gisbert Zaahnbracht handelte, spielte der einfache Mann von der Straße quasi keine Rolle.

Der Fortschritt war offenbar auch hier angekommen.

Eine Gruppe von Sitzmöbeln vor einem neuen, erloschenen Kamin. Verschiedene Stilleben und Stadtszenen zeigende Bilder in striktem Wechsel. Ein Tisch, der viel mehr zu einem gemütlichen Glas Wein einlud, als zu harten Verhandlungen. Und - nicht zu vergessen - die platinblonde Schönheit in dem gerade noch als züchtig zu bezeichnendem Kleid, die mir ein verheissungsvolles Lächeln schenkte.

Irgendwie sah das plötzlich viel mehr nach einem Ableben von Frau Zaahnbracht aus, die - um ganz offen zu sein - in ihrer Art wahrscheinlich selbst den Einen noch in Angst und Schrecken versetzt hätte.

An der Art und Weise, wie sich das Lächeln der jungen Frau veränderte, erkannte ich, dass sie etwas gesagt hatte und nun auf Antwort wartete.

"Erestan Estheril ist mein Name. Ich würde gern mit dem Herren oder der Dame des Hauses sprechen."

"Herr Zaahnbracht ist gerade in Geschäften unterwegs, aber die Herrin ist zugegen. Werdet ihr denn erwartet?"

Verdammt.
Ich hatte mich gerade mit der Vorstellung angefreundet den sehr wahrscheinlich um das Grab der alten Vettel ausgestreuten Salzkreis zu stören.

"Nicht direkt. Ich komme direkt aus Dornhalt, von der Graumäntler Schule."

Damit wußte sie offenbar etwas anzufangen, das Lächeln gewann noch eine Nuance mehr an Entgegenkommen.

"Ihr seht, mit Verlaub, erstaunlich jung aus für einen Akademieleiter. Ich bin sofort zurück."

Ah. Wunderbares Halbwissen.
Ich sparte mir die Korrektur und konzentrierte mich lieber auf den Anblick des sich eilig entfernenden Hinterteils. Ja .. so muss sich ein Ertrinkender fühlen, der das letzte Licht schwinden sieht und gewiss ist, gleich die giftigen Fänge einer Muräne zu spüren.

----------------------------

"Das war ein sehr billiger Trick, Mündel."

Frau Zaahnbracht erfreute sich bester Gesundheit, sofern man das von einer Dame bereits fortgeschrittenen mittleren Alters behaupten durfte. Im Gegensatz zu ihrem mit den Jahren immer ausladender werdenden Mann wurde sie immer dürrer, der Preis dafür war ein Gesicht, das nur noch aus missmutigen Falten, vertrockneten Lippen, einem spitzen Kinn und boshaft funkelnden Augen zu bestehen schien. Und eben diese starrten mich nun mit unverhohlener Missbilligung an.

"Erestan Estheril ist der Name. Ich habe meine Ausbildung abgeschlossen und bin daher nicht länger ein Mündel der Schule."

"Aber dennoch tragt ihr den Namen, Mündel. Also, was wollt ihr?"

Ich ließ mir Zeit mit der Antwort, benutzte den Moment des Innehaltens um meine Gedanken zu ordnen. Dass die Zaahnbrachts allesamt am Leben waren verschloss gewisse Tore meiner Erwartungen. Nun galt es also sich auf das Artefakt zu konzentrieren.

"Zunächst erlaubt mir Euch zum Umbau der Empfangshalle zu gratulieren. Die Wahl der Möbel, des Teppichs und der Bilder offenbaren Geschmack und Kompositionsgabe."

Wenn überhaupt möglich, wurden die Züge noch finsterer, das feindselige Funkeln in den Augen steigerte sich zum Flackern eines drohenden Wetterleuchtens.

"Eure Wertschätzung ist zur Kenntnis genommen, Mündel. Ich werde sie an meinen Ehegatten weitertragen."

Scheinbar war der Umbau nicht ganz ohne internen Zwist abgegangen.

"Im Rahmen meiner Abschlussarbeit habe ich mich ausführlich mit Techniken zur Verzauberung von Gegenständen beschäftigt, insbesondere jenen, die der Aufrechterhaltung und Pflege bereits bestehender Artefakte dienen. Magie neigt dazu im Laufe der Zeit auszudünnen, Matrizen werden unzuverlässig bis zu einem Punkt hin, der den gänzlichen Verlust der besonderen Wirkung zur Folge hat. Ich habe vor meine erworbenen Kenntnisse zum Nutzen der Allgemeinheit zu verwenden und dachte, ich könnte durch eine - selbstverständlich kostenfreie - Demonstration im Hause Zaahnbracht, entsprechende Referenzen erwerben. Was sagt ihr dazu?"

Nun war es an ihr zu schweigen. Ich hüllte mich in lächelnde Geduld und widerstand dem Drang zu schnuppern: Der feine Geruch wie von gerösteten Mandeln schien hier stärker zu sein als unten.

"Schön, Mündel. Ihr werdet einen ausführlichen Bericht über die Stücke im Speisezimmer erstellen, nebst Hinweisen zur Pflege und möglichen Behebung von Mängeln. Ihr werdet unter gar keinen Umständen selbsttätig irgendwelche Veränderungen vornehmen. Macht Eure Arbeit gut, dann denke ich vielleicht darüber nach, ob wir auch anderweitig Nutzen für Euch haben."

Und dann lächelte sie plötzlich. Ein feines, hinterhältiges Lächeln, das ich in diesem Moment nicht verstand und darum einfach als schrullige Eigenheit hinnahm. Umso mehr, wegen des abschließenden Satzes:

"Fräulein Kriehmwan wird Euch herüberführen. Und nun fort mit Euch!"


Zuletzt geändert von Ada Dornbrandt: 16.04.10, 08:11, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Auf Siebenwind nichts Neues
BeitragVerfasst: 6.04.10, 14:03 
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Die Korrektur der Korrektur meines ersten Berichtes hat zusammen mit günstigen Winden an Board eines mehr als klapperigen Seelenverkäufers Siebenwind verlassen und ist auf dem Weg zum Festland. Wenn man genauer darüber nachdenkt, hat es schon etwas absurdes, dass wir Magie für alle möglichen Aufgaben nutzen - aber es dennoch keinen mir bekannten Zauber gibt, der einen Austausch über Entfernung hinweg ermöglicht. Ich schätze, dass mein erstes Schreiben gerade dieser Tage in Dornhalt angekommen sein muss, längst obsolet durch die später erfolgten Ereignisse.

Es kribbelt mich in den Fingern diese sich präsentierende Aufgabenstellung ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen, aber im Moment gebricht es mir dafür an der rechten Motivation: Auch wenn die Weiten überspannende Kommunikation ihren Reiz hat, ist sie doch ein Messer ohne Griff: Es kann auch die Hand schneiden, die danach greift.

Dazu kommt, dass ich andere Dinge im Kopf habe.

An die damaligen Ereignisse um Peregrins Schleier zu denken hat mich irgendwie ... beunruhigt. Ich finde keinen Namen dafür, obwohl ich weiss, dass all dies nun bald sieben Jahre zurückliegt, bleibt ein Gefühl von Unrast. Als wäre etwas unerledigt geblieben und hätte all die Zeit geschlummert, um nun der Oberfläche entgegenzustreben. Was könnte das sein? Und gibt es einen Zusammenhang zu der Tatsache, dass ich mich noch immer vom Geist einer lange toten Freundin verfolgt fühle? Warum gelingt es mir nur im Zustand völliger .. Unkontrolliertheit .. die Gabe zu greifen?

Fragen. Fragen. Keine Antworten, nur das heisere, unverständliche Flüstern einer verblassten Stimme, die sich hinter den schweren Vorhängen des Aufenthaltsraumes versteckt und mit hungrigen Augen aus den Falten herüberstarrt. Der nüchterne Verstand rät mir einen der Magister um Hilfe zu bitten, vielleicht auch einen der Diener des Schweigenden.
Was dagegen spricht bleibt ohne Worte, ist nicht mehr und nicht weniger, als das Zusammenklumpen des Magens. Ist das Scham? Ist das Reue? Ich bin ungewiss.

Ungewiss.

Die meisten meiner Bekannten würden sagen, dass dies die einzige Konstante meines Lebens sei, aber sie sehen die Sache aus der falschen Perspektive: Meine Risiken waren stets kalkuliert und absehbar. Sicher: Ich irrte mich, sah Wendungen nicht voraus und wurde überrascht. Aber, bis auf das mit Peregrins Schleier war ich davon niemals .. überwältigt. Nun habe ich das erste Mal wirklich das Gefühl, dass mir die Fäden - und damit die Entscheidungsmöglichkeit - entgleiten. Die Grundlage, auf der mein Sein fußt ist ins Schwanken geraten und ich kann noch nicht einmal sehen warum.

Ah. Dieser wunderbare Pathos.

Ich kann nicht einmal meine Sorgen ernstnehmen.

Magister Lafaihn und ich waren einander nie sonderlich grün, aber das ist der Punkt, der ihn am meisten verärgerte: Ich lernte irgendwann mir nichts zu Herzen zu nehmen. Ich füllte die mir zugedachten Rollen mit Sorgfalt aber ohne Überzeugung. Ich verteidigte meine Thesen mit allen notwendigen Mitteln, aber mein Herz schlug nicht für sie. Magister Lafaihn nun forderte von seinen Schülern - selbst den bedauernswerten grauen Zöglingen - aufrechte Loyalität, Anerkennung und Bewunderung. Damit hatte ich meine Schwierigkeiten. Nicht etwa wegen der Sache an sich: Der Weisse war ein ausgezeichneter Magier, gewohnt schnell und präzise zu denken und zu adaptieren. Ich versuchte immer eine ähnliche Sichtweise auf die Magie zu gewinnen, aber das reichte nicht. Technik, Kenntnisse und Errungenschaften waren nicht genug, weil all das die Person ignorierte.

Genug davon - ich habe bereits hinreichend Erinnerungen aufgewühlt.

Nachtrag: Ich habe daran gedacht mir noch einmal, diesmal ausführlicher, die Karten legen zu lassen. Ich mochte Kartentricks früher schon und theoretisch könnten sie sich abwandeln lassen, um etwas Passendes hervorzulocken. Schlecht nur, dass ich dafür zu betrunken sein muss, um mich im Falle des Falles dann noch an diesen Vorsatz zu erinnern.


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 Betreff des Beitrags: Peregrins Schleier IV
BeitragVerfasst: 16.04.10, 08:09 
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Peregrins Schleier IV

Peregrins Schleier I | Peregrins Schleier II | Peregrins Schleier III | Peregrins Schleier IV

Und da lag er vor mir: Peregrins Schleier.

Noch immer hübsch auf einem roten Samtkissen drapiert und durch Quarzglasscheiben vor der Berührung unbefugter Finger geschützt, machte der Reif nicht den Anschein diesen Platz innerhalb der letzten beiden Jahre verlassen zu haben. Eine hübsche Bronzeplatte mit eingravierten Buchstaben machte mehr als deutlich, dass der Besitzer auch nicht vorhatte sich so bald von diesem Stück zu trennen.

"Peregrins Schleier" stand dort in großen, verschnörkelten Buchstaben, gefolgt von einigen nüchternen Informationen, die Auskunft über den Erschaffer, die vermutete Wirkung, das Gesamtgewicht des guten Stücks und das Erwerbsdatum gaben.

Wie bei meinem letzten Besuch auch, glänzte das Kupfer wie frisch poliert, die eingeätzten Symbole von Luft und Feuer zogen sich immer abwechselnd über die Außenseite. Ganz hübsch anzusehen, nicht unbedingt bequem zu tragen, ganz so wie man es bei dem Meisterstück eines verschrobenen alten Zauberers erwarten kann.

Das Interessante lag aber ohnehin unterhalb der Oberfläche.

Wie leicht, wie selbstverständlich war es damals die Sinne zu weiten, über die Grenze hinaus auszudehnen und dann erneut auf das Artefakt herabzusehen. Die wirkliche Welt war noch immer vorhanden, aber verblasst, ein wenig als bestünde eigentlich solide Materie aus Nebel, der mit einer Handbewegung davongeweht werden könnte. Nicht einmal das den Fluss der Kraft störende Metall machte da eine Ausnahme - aber dem galt meine Aufmerksamkeit ohnehin nicht. Das Quarzglas präsentierte sich hier als viel weniger durchsichtig, war zu einem grauen Schleier geworden, an dem .. vorbeizusehen .. mich ein bewußtes Blinzeln kostete. Und dahinter lag der Stirnreif.

Hatte ich bis jetzt noch vermutet, dass ein geschickter Langfinger das Artefakt gegen eine gutgemachte Fälschung ausgetauscht hatte, starrte ich nun in den Glanz ruhender Magie. Auf Anhieb vermochte ich die als Kaskade angebrachten Muster einer sekundären Luftbeschwörung zu identifizieren, die jeweils zwei Gegenstücke in Form kleinerer Feueranrufungen besaßen - auch hier in einer sekundären Abwandlung. Dazwischen die spiralig in sich verdrehten Fäden von Speicherelementen..

Ohne Zweifel: Dies mußte das Original sein, denn die Residualstrahlung der Magie war schon längst in das Metall eingesickert, hatte jene faserigen Fragmente unbestimmter Nachwirkung gebildet, die typischerweise nach etwa einhundert Jahren auftraten und sich später wieder verflüchtigten. Soweit also alles gut. Nur, dass ich mir keinen Reim auf die Verzauberung zu machen wußte.

Die Luftaspekte sollten die Grundlage für eine Verschleierung wirken, die irgendwie mit den Feuerbeschwörungen einher gingen. Auf den Primäraspekt konzentriert hätte das vielleicht soetwas wie die Verwandlung in eine Flamme oder besser: Die Illusion einer Flamme sein können, aber hier waren die Muster durchbrochen, verdrehten sich auf eine Weise, wie sie in manchen Segenszaubern zur Ermunterung - oder zum Schaffen eines Berserkers - benutzt wurden. Die Illusion von Mut vielleicht? Und wieso in Kaskaden angeordnet, zusätzlich mit Speicherelementen verbunden und kombiniert mit weiteren Mustern, die grob an einen eingestimmten Hüter erinnerten?
Sinn machte eigentlich nur die herausgearbeitete Hellsichtfunktion, die wahrscheinlich als Auslöser fungieren sollte und sich dabei nach innen richtete. Gewöhnlich diente so ein Konstrukt zum Auffangen eines bestimmten Gedankens. Hier wirktes es mehr wie die Spitze eines treibenden Eisbergs.

Je länger ich den Reif anstarrte, desto weniger Sinn ergab das Ganze, selbst wenn ich mir vorstellte, dass es einen die Muster ergänzenden Schlüssel gab, ergab sich noch kein vollständiges Bild.

Ein unvollständiges Bild.. ja. Ich hatte zu keiner Zeit den Eindruck, dass die Magie wahllos zusammengewürfelt worden wäre, die Anordnung der Muster, ihre Verbindung miteinander verriet eindeutig, dass der Schöpfer gewußt hatte, was er tat. Ganz sicher war es dabei jedenfalls nicht um schnöde Unsichtbarkeit gegangen.

"Erestan Estheril."

Wieviel Zeit war vergangen, seit ich mich in den Anblick des Stirnreifs versenkt hatte? Der brummende Bariton in meinem Rücken erinnerte mich daran, dass die letzte Mahlzeit bereits einige Zyklen zurück lag. Ich schiebe es der Anstrengung geschuldeter Unkonzentriertheit zu, dass ich mich umwandte ohne die Wahrnehmung aus der Zwischenwelt zu lösen. Gisbert Zaahnbracht hatte seine zwischenzeitlichen Geschäfte offenkundig erledigt, die auf dem Bauch ruhenden Hände verrieten die Zufriedenheit eines Mannes, der sein Tagewerk bereits vollbracht weiss.

Es gibt immer wieder Gerüchte darüber, dass es einem erfahrenen Magier möglich sei, das Vorhandensein der Gabe ebenso wie den gewählten Pfad durch einen einzigen Blick auf die Aura seines Gegenüber zu bestimmen. Ich für meinen Teil bemerkte bei diesem langen Blick nichts dergleichen, aber vielleicht war ich zu abgelenkt: Die gesamte astrale Präsenz des reichen Händlers zeigte die glühenden Muster wirkender Magie.

Sieh an.


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 Betreff des Beitrags: Bluten
BeitragVerfasst: 16.04.10, 11:10 
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Die letzten Tage waren angefüllt von Arbeit. Mein Versuch eine Form der magischen Weitstreckenkommunikation zu entwickeln, ist bislang dennoch nicht über das Stadium kläglicher Gedankenspiele hinauszugewachsen. Die Schwierigkeit ist, dass mir die richtige Vorstellung fehlt.

Meine Lehrmeister in Dornhalt wurden nie müde darauf hinzuweisen, dass Magie nicht mehr als ein Werkzeug ist. Ohne Bewußtsein, Intelligenz oder gar Wissen, ist Magie immer der Spiegel unseres Geistes - die gewirkten Zaubern sind Reflexionen von Ansichten und Methoden. Gerade darum ist Kontrolle essentiell: Es ist einem Magier durchaus möglich aus einem Impuls heraus zu wirken, aber dann ist der eingeschlagene Weg völlig zufällig und das kann ungewünschte Seiteneffekte nach sich ziehen. Der Weg zu sauberer Effizienz wird beschritten durch sorgsame Visualisierung des gewählten Werkzeuges.

Soweit.. die Ideologie, an der zu zweifeln ich niemals Grund hatte. Bis jetzt zumindest. Bevor ich alle Kontrolle fahren lassen mußte, um überhaupt etwas von der Gegenwart der Kraft zu spüren.

Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass Marielle nicht real ist. Kein rächender Geist aus den Tiefen der Zwischenwelt, kein Gefäß eines arglistigen Dämons, der dieses Bild gewählt hat, um mich zu quälen, sondern schlichtweg eine Einbildung, eine Illusion - vielleicht ein Relikt der durch Quendan gewirkten Magie.
Die Hinweise sind offenkundig: Keinerlei Reaktion auf Schutzzeichen, nicht die geringste Affektion durch die dreifach verwobenen Muster eines Bannkreises. Marielle kommt und geht wie sie will, flüstert mir aus den Schatten düstere Drohungen zu und wartet bis der Schlaf mich endlich übermannt. Manchmal erwache ich dann Nachts durch das Gefühl von Atemnot, halb erstickt durch einen würgenden, die Brust eng machenden Alp.

Gleich kommen mir die Tränen ..

Wenn all das eine Ausgeburt meines Unterbewußtseins ist, dann spricht es in unverständlichen Zungen. Ich ahne, dass es ein Muster gibt, aber mir fehlt die Möglichkeit einen Blick von aussen darauf zu werfen. Was auch geschieht, ich bin ein Teil davon.

Ein Teil davon. Mhm.

Ich muss tiefer in der Bibliothek graben, um mich abzulenken - wenn ich vollständig auf etwas konzentriert ist, zieht die Erinnerung an Marielle sich in den Hintergrund zurück. An der Ausarbeitung zu feilen ist eine Möglichkeit dies zu erreichen. Die andere trägt den Namen "Akora" und ist auf ihre Weise .. schwierig.

Ich war überrascht, als sie von Eroberungen und dem Gift der Gleichgültigkeit sprach, überrascht und - ehrlicherweise zugegeben - auch ein wenig verärgert. In einem Spiel, wo gewöhnlich abwechselnd je ein Stein gezogen wird, räumte sie eine gesamte Front ab. Das ist genau der Punkt, an dem ich denke, dass Will Serav sich irrt: Man spielt nicht unbedingt um zu gewinnen oder zu verlieren, sondern vielleicht einfach aus Freude am Spiel an sich. Mein Grund die Sache in die Länge zu ziehen.

Das klingt, wenn ich so darüber hinweglese, gar nicht so schlecht. Bei Lichte betrachtet ist es allerdings jämmerlich - die Vorabkapitulation vor der bereits als unausweichlich akzeptierten Niederlage. Ich weiss, worauf es am Ende hinausläuft. Mehr noch: Ich verspüre nicht einmal die Ambition dieses Mal doch in ein anderes Finale hineinzulaufen.

Also: Verzögerung. Kokettieren mit den Möglichkeiten ohne sie ernsthaft zu ergreifen, weil das so oder so die Schalen der bislang balancierten Waage senken würde.
All das löste sich auf durch ihre freimütige Interpretation der Situation.

Meine Einschätzung, dass damit übergangslos das Ende angestoßen sei, ließ mich den Entschluss fassen, dann wenigstens noch die Belohnung mitzunehmen. Die Situation passte, das Ambiente war geeignet und Sie hätte ich schon noch überzeugt.

Mhm. Wenn ich zurückblättere finde ich den mit "Grau" betitelten Eintrag und die unter dieser Überschrift angeordneten Worte.

Der Verlust der Gabe füllte mich mit Zorn, Verbitterung, Unleidlichkeit und Ärger. Die endlich greifbare Aussicht auf ihre Rückkehr zeugt .. Nichts. Sicherlich, da ist eine bestimmte Zufriedenheit, eine Form von Genugtuung, wie sie ein reicher Krämer empfunden mag, der seine Dukaten zählt. Aber keine überschäumende Freude, keine mitreissende Begeisterung, keine auf Knien dargebrachte Dankgebete an gewisse rotbeschopfte Göttinnen.
Habe ich die Fähigkeit ehrliche Freude zu empfinden irgendwie verloren?


Nichts. Nach Wochen des Herumschleichens und Tändelns endlich das schöne Mädchen auf dem Schoß, nah genug um ihr Herz schlagen zu hören - und mit so wenig verbleibendem Stoff, dass es nur eines Rucks bedürfte, um sie gänzlich zu entblößen.

Nichts. Ein Steinbrocken hätte nicht weniger erregt sein können als ich.

Zuerst war ich irritiert, perplex wie es ein Mann sein muss, der eines Morgens aufwacht und feststellt, dass ihm über Nacht die Hände abhanden gekommen sind. Dann kam der Ärger, füllte meine Aders mit wunderbarem, belebendem Zorn. Ich stieß sie zurück und ging, beinahe rasend unter der frostigen Oberfläche. Die Wut hatte mich überrumpelt, aber nun erlaubte ich ihr nicht mehr zu gehen, hielt sie fest bis alles aschene Erschöpfung wurde.

Marielle wartete bereits auf mich, versteckt unter dem alten Strohsack, der mir als Matraze diente und flüsterte mir heiseren Hohn zu.


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