Leise rollte die Kugel über den hölzernen Boden, wurde von einer schmalen Hand, welche mit einer blassen Haut überspannt war, aufgefangen und erneut zur anderen Seite gerollt, wo eine ähnliche Hand sie auffing und sie erneut zurückstubste. Der Blick aus Altheas hellblauen und halbgeöffneten Augen war indes aus dem Fenster gegenüber gerichtet, wo sie am sich verdunkelnden Himmel die ersten Sterne auszumachen glaubte. Was, bei Astrael, war das für ein Tag? Sie glaubte sich selber gar nicht so wirklich wiederzuerkennen. Die letzten Götterläufe hatte sie sich bemüht, ihre Emotionen im Griff zu halten, nichts allzu nah an sich ranzulassen und selbst wenn, es mit Gelassenheit abzudämpfen. Sie wusste nicht einmal, wann sie das letzte Mal kurz davor gewesen war, wahrlich zu weinen. Sie hatte die Tränen gerade noch fortblinzeln können, den Kloß hinabgeschluckt, aber wann war es das letzte Mal gewesen? Nun, das vorletzte Mal, um ehrlich zu sein. Das letzte Mal war heute gewesen, als Nuir sie fragte, ob sie genug Rücklagen hätte, um das Haus zumindest für eine Weile zahlen zu können. Dieser Moment, als ihr klar war, was diese verdammten Vorgänge an der Akademie mit sich bringen würden, hatte sie mit einer solchen Wucht erwischt, die sie kaum für möglich gehalten hätte.
Nun, einige Zyklen später, war sie halbwegs ruhiger geworden. Nervös zwar, aber sie ließ sich nicht mehr allzu viel anmerken. Vielleicht hatte es auch einfach gut getan, diese Zeilen, die der vernünftige Teil in ihr schon beim Schreiben bereute, niederzuschreiben und in die eh schon volle Akte zu legen. Leise schnaubte Althea und etwas flotter, angetrieben durch einen etwas energischeren Stoß, rollte die Glaskugel zur anderen Hand. Natürlich gab es immer Problemfälle in der Akademie. Natürlich machte jeder Fehler (wenn sie allein schon an ihre dachte, wovon glücklicherweise eh nur ein Bruchteil bekannt wurde). Als sie selber noch ein Studiosi war, war dort beispielsweise Raisha mit ihrem kopflosen, feurigen Temperament, geschützt durch einen Ritter. Später Sephira, die ihr darin teils auch noch glich und eine gefährliche Liebe zur Macht gehabt hatte. Es gab immer wieder Studiosi, welche sich allzu selbstsicher über diese Insel bewegten, glaubten, sie hätten mit ihrer Kraft alle Macht der Welt, brachten tatsächlich einiges zustande, was durchaus Anerkennung fand... bis sie stürzten und das nicht selten über ihre eigenen Füsse. Es sorgte immer für Wirbel, doch dieser Wirbel, der einfach kein Ende zu nehmen schien, war langsam zuviel und es ging ihr nun zu nahe. Nunmehr ging es um ihren Mann, ausgerechnet um ihn und ausgerechnet um etwas, was so dermaßen verdreht wurde, dass sie dahinter nichts weiter mehr als pure Intrige sah.
Einen Moment stoppte die Kugel. Sie hielt sie fest, fast krallenartig umklammert, während sie den Blick starr hinausgerichtet hielt. Die Zähne waren zusammengepresst und innerlich kochten Enttäuschung und ein Anflug von Wut auf. Wie konnte Nuir nur erwarten, sie würde sich zurückhalten? Wieso...
Leise und langgezogen atmete Althea aus und rutschte an der Wand etwas hinab, während ihr Blick und ihre Züge müde wurden. Weil es an sich ihre Art war, sich zurückzuhalten, Ruhe zu bewahren, Gespräche zu führen, nicht kopflos in die Schlacht zu rennen und nicht, auch nicht in Gedanken, einer gewissen Person genüsslich die Zunge rauszuschneiden. Irgendwie kannte sie sich selber nicht mehr. Eine gewisse Emotionalität hatte sie natürlich auch früher gehabt, keine Frage, doch strebte sie mit der Zeit immer mehr nach Ruhe, inneren Einklang und Gleichgewicht, um ihre Kraft nicht im unbedachten Moment zu nutzen. Diese Emotionen hingen auch nicht unbedingt mit Nuir zusammen. Natürlich war sie auch enttäuscht darüber, wie sich manche Schüler vor noch wenigen Wochen verhielten und einfach nicht verstanden, welchen Schaden sie sich selber mit ihrem rebellischen Verhalten aufluden. Aber auch da blieb sie halbwegs gelassen. Andererseits hatte sie da noch etwas mehr Abstand gehabt. Nun gedachte sie wieder zu unterrichten und würde zwangsweise gewisse Personen im Unterricht sitzen haben, die sie am liebsten mit einem Tritt in den Feuerberg befördern würde, weißer Pfad hin oder her! Leise murrend rieb sich die kleine Weißhaarige die Stirn. Sie musste zur Ruhe kommen und diese Gedanken abstreifen. Ihr Onkel würde sich doch wahrlich ins Fäustchen lachen, wenn er sie so sehen, ihre Gedanken hören würde und allein, dass sie jetzt, nach all der Zeit, an diesen menschgewordenen Geier denken musste, war schon besorgniserregend genug.
Althea drückte sich hoch, griff zum Umhang und nur wenige Augenblicke später, als sie das Haus verlassen, die Straße hinab gegangen war und den Tempel angesteuert hatte, umfing sie die kühlende Ruhe des Astraelsschrein zu Falkensee, wo sie sich für eine Weile zur Meditation niederließ, um Gefühle zur Ruhe kommen und kühles Kalkül die Oberhand gewinnen zu lassen.
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