Wie gefällt Euch Euer Leben eigentlich, Vela?
Diese Frage allein sorgte dafür, dass ihre wohlgefeilte Maske, die sie sich über Jahr um Jahr der Maskerade angeeignet hatte, für den Moment verschwand. Sie konnte die Muskeln ihrer Mundwinkel nicht mehr dazu bringen sie nach oben zu drücken und sie dort zu belassen. Sie wusste, sie war für den Moment verletzbar und die Panik begann wieder in ihren Zehen zu kribbeln.
Ich habe ein Haus, ich habe meine Arbeit, ich muss nicht hunger leiden, bin gesund und lebe nicht allein. Ich denke, da kann ich mehr aufweisen als so mancher auf Tare.
Adrian wusste, dass sie die Wahrheit sprach, und dass dies durchaus eine positive Antwort war. Denn das war mehr als sie zuvor wirklich je ihr Eigen nennen konnte.
Die Zeit in der sie nicht mehr hatte als ein Bett in einer Dachbodenkammer, die im Astrael stets viel zu heiß war und sie dort litt, dort alleine sein musste, doch „er“ ließ sie nicht heraus, wenn er nicht da war. Sie verbrachte ihre Zeit dort damit die Tränen zu unterdrücken, damit sie nicht noch mehr von dem Wasser, nach dem es ihr so dürstete, verlor. Im Morsan legte sie sich in voller Gewandung ins Bett, denn einen Ofen hatte die Kammer nicht. Es versteht sich wohl von selbst, dass sie stets Ärger bekam, wenn er am nächsten Tag die Tür aufschloss, ihre Decke zurückschlug, und er sie nicht in ihrem Nachthemd sah. Aber was waren ein paar Schläge, wenn man diese Nacht wieder um den sicheren Tod herumkam und nicht erfror?
Jetzt hingegen konnte sie jederzeit rein und raus in ihrem Haus. War es ihr zu warm, nahm sie sich etwas zu trinken – aus ihrem eigenem Vorrat an Getränken -, war es ihr zu kalt, konnte sie sich einen Tee genehmigen und eine weitere Decke über ihre Schultern ziehen, oder gar die Nähe von Adrian suchen.
Morgens aufstehen. Sich zurechtmachen, vielleicht einen Happen Essen. Den Laden betreuen und sonstiges Geschäftliches erledigen. Die wenige Zeit der Muße wird von euren Liebschaften und eurem Begleiter, letzterem vor allem, definiert und vorbestimmt. Variable Bettzeiten, Lifnas Webereien betrachten, dann wieder von vorne.
Was war daran schlimm? Sie tat nichts unrechtes? Die Panik kroch immer mehr ihre Beine hinauf, bald würde sie an ihrem Bauch angelangt sein.
Adrian, sag’ was, hilf mir! Sie hörte das Germurmel in ihrem Kopf, es kündigte sich an, wie eine Armee die auf den Hügel hinaufrannte und man unten im Tal stand und nur das Getrampel, Geschepper und Gebrülle vernahm, aber noch nichts sah.
Es war doch ruhig, warum jetzt, warum jetzt? ..Gundula.., wisperte es und sie unterdrückte den Instinkt sich nach rechts umzuschauen, sie wusste, sie würde niemanden sehen.
Sie hielt standhaft ihre Maske und nach außen hin hielt sie sich ruhig, den kleinen Faden der Vernunft anpackend und mit beiden Händen fest umschlossen.
... und?
Es war nicht so, als hätte sie nicht verstanden worauf er hinaus will, oder was er sagen wollte, doch sie konnte nichts mehr sagen, hätte sie mehr gesagt, dann würde ihre Panik um ein vielfaches ansteigen und sie wusste, was dann geschieht. Adrian war da. Er würde sie vor sich selbst beschützen.
Und daran verwundert euch nichts? Es fehlt nicht eine ganz kleine.. Wichtigkeit?
An ihrem Bauch angelangt spürte sie die anbahnende Übelkeit die nur deutlich machte, dass es nun keinen Weg mehr zurückgibt. Die Stimmen wurden lauter, sie hatte Schwierigkeiten Lazalantin fokussiert anzublicken, nicht in sich zu kehren um den Stimmen zu lauschen, um zu verstehen was sie sagten. Es war ein Streit? Ein Streit. Wieder mal, sie hasste es wenn sie stritten. Ihre ganze Konzentration brachte sie auf um so ruhig wie möglich zu verharren. Die Säure ihrer Übelkeit kroch ihr langsam in der Brust hoch zu ihrem Kehlkopf.
Die… wäre?
Schon die Worte trieben die Übelkeit immer höher, sie darf nichts mehr sagen, er soll endlich schweigen, er soll ruhig sein.
Schweigen. Schweigen. Sei ruhig! Verlang noch mehr Wein.., wieder die Stimme von rechts. Nein, sie wollte keinen Wein.
Tu es.., säuselte es verführerisch. Sie wollte Wein, aber sie könnte die Worte nun nicht formulieren, wenn sie nun noch Caeth angesprochen hätte, ihre Angst, ihre Nervosität gesehen hätte. Sie wusste, es würde etwas schlimmes passieren. Nein, sie wollte keinen Wein – nicht jetzt.
Nein, das wüsstet ihr natürlich nicht.
Der Bastard hält dich für dumm, du bist für ihn nichts weiter als eine Dirne, Dirne!, sprach es nun von links. Die Worte schneidend und bissig. Verbohrten sich wie scharfe Krallen und Zähne in ihrem Herzen.
Natürlich hält er mich für dumm, was habe ich denn auch schon vorzuweisen? Warum wollte ich ihn sehen? Ich will hier raus, bitte, Adrian bring mich raus..Ihr Herz begann schneller zu klopfen. Ein Rauschen in ihrem Kopf füllte die Leere und Stille, in denen die Stimmen stumm waren. Weiterhin krallte sie sich an dem dünnen Seidenfaden der Vernunft fest, doch sie sah wie sich die Fasern langsam auflösten. Wie jede Faser riss, riss, riss.
Bitte nicht… nicht jetzt, bitte, bitte, bitte..
Dann… klärt mich auf?
Ihre Zunge fühlte sich an, als wäre sie um ein doppeltes angeschwollen. Jede einzelne Silbe schien ihren trockenen Mund lauter kleine Risse zuzufügen. Sie blieb stocksteif sitzen. Der Faden war nur noch von einer einzelnen Faser gehalten…
Plötzlich packte jemand ihre rechte Schulter. Sie hatte jede seiner Bewegungen gesehen, doch sie hat sie nicht mehr wahrgenommen. Es war für sie vollkommen überraschend als Lazalantin ihre Schulter durchrüttelte und mit einem mal regelrecht brüllte:
DAS SOLLTET IHR, VERDAMMT NOCH MAL, WISSEN! DARUM GEHT ES!
Ihr war, als hätte sie das leise „pling“, als der Faden endgültig riss, gehört.
Nimm das Glas..…zerbrich es an der Tischkante!!!
Du solltest nach mehr Wein fragen……zieh ihm die Scherben durch das Gesicht!!!
Beruhig dich… …schlitz dem Bastard seine dreckige Kehle auf!!!
Du müsstest Caeth ebenso töten……und dann vergeh dich an ihr wenn sie wimmernd verblutet!!!
Sie kämpfte mit der Ohnmacht. Sie wollte beiden Stimmen nachgeben. Sie wollte vor allem zweiteres. Ihre Panik wurde langsam von etwas ganz anderem ersetzt…
Lust…
Mehr denn je, wollte sie Lazalantin unter sich wissen. Sie wollte ihn entweihen, besitzen und schließlich...
vernichten.