Wie Schatten huschten die Gestalten durch die finsteren Gänge. Kaum ein Geräusch zu hören außer das Scheppern und Klirren der schweren Rüstungen und Waffen die sie trugen. Einer nach dem anderen marschierten sie in schnellem Gang über die schmalen Wege der Abwasserkanäle. Man hörte eine leise Stimme: „Schneller! Vorwärts Männer! Bleibt nicht stehen!“ – Einer nach dem anderen, immer mehr sah man an den Ecken und Wölbungen der Kanalisation nun auftauchen. Wie Ratten nutzen sie alle Wege, jede Kreuzung und bewegten sich schnell in den finsteren Gemäuern. Es hatte lange genug gedauert, aber nun waren sie wieder ausgerückt. Sie trugen ihre Farben wieder. Blutrot. Die Legion. Geschlagen, verwundet, gefangen genommen, entkommen, neu erstarkt und nun … nun waren sie wieder hier. Einer der Söldner die sie angeheuert hatten führte sie zu einer Leiter die nach oben ragte. Er deutete hinauf und sprach leise: „Hier rauf.“ – Der Maskierte Mann nickte und wies die Legionäre an: „Legionäre, hinauf! Kein Wort, kein Lärm!“. Die Männer taten wie ihnen befohlen wurde. Jedem konnte man die Anspannung ansehen, voll gerüstet und unter Waffen, aber auch die Genugtuung war ihnen ins Gesicht geschrieben. Einer nach dem anderen traten sie vor die Leiter, setzten die schweren Helme auf und klappten die Visiere runter ehe sie mit raschen Bewegungen die Leiter erklommen.
Der Legionär war einer der Letzten die die Leiter emporstiegen und in den Straßen der Stadt Falkensee auftauchte. Er blickte sich hektisch um, die Legionäre hatten sich an die Hauswände gedrückt, waren in den dunklen Gassen und Ecken verschwunden, hatten sich hinter Zäunen und Mauern versteckt. Endlich waren alle oben, auch die Söldner die kurz zuvor noch angeheuert wurden, den Angriff zu unterstützen. Ein Wort machte die Runde, schon seit Tagen hörte man die Männer nur noch über eines sprechen. „Blutzoll! Sie werden bezahlen!“ – Hörte es man nun leise aus aller Munde. Der Maskierte sah sich um, nickte dann zufrieden und machte eine Handbewegung, deutete die Straße hinunter. „Legionäre, zum Markt! Vorwärts!“. Nun traten sie aus allen Ecken heraus, formierten sich in ihren Reihen, die Legionäre vorne, hinter ihnen die Söldner und Magier. Wieder einmal erklangen die Marschschritte der Legion in den Straßen der Stadt die sie vor nicht allzu langer Zeit erst verlassen hatten. Sie hatten die Stadt zwar verloren. Aber nun waren sie die Angreifer und im Vorteil. Die Stadt war immer noch verwüstet, auch wenn hier und da die Aufbauarbeiten im Gange waren. Er warf einen Blick nach oben, zu den Fenstern der kleinen Bürgerhäuser. Ein unwillkürliches Schmunzeln legte sich auf seine Lippen als er die schockierten Gesichter der Menschen sah die nun auf ihren kleinen Heerhaufen hinunter blickten. „So schnell sieht man sich wieder…“ murmelte er leise in vollem Lauf. Dann bogen sie um die Straßenecke und der Markt war erreicht.
„Los Männer! Holt sie euch! Holt sie euch alle!“ – Mit einem Mal wurde der Lauf der Männer schneller und sie schwärmten über den ganzen Markt aus in alle Richtungen gleichzeitig. Die Menschen die dort versammelt waren schienen gar nicht zu begreifen wie ihnen geschah. Sie blickten starr auf die Legionäre, blieben wie festgefroren auf ihren Plätzen sitzen. Die wenigen die den Mut hatten sich zu bewegen, erstarrten nach kurzer Zeit in ihrem Lauf als der Maskierte und die Magier ihre Hände in deren Richtung wandten. Ein seltsamer Anblick. Der Legionär blickte sich um während er lief. Genügend Menschen. Es würde ausreichend Blutzoll gezahlt werden. Sein Blick fiel auf den Gardehauptmann der Ersonter. Doch er sah nur noch seinen Rücken, als dieser in schnellem Lauf gen Schloss rannte. „Schnappt ihn euch!“ rief der Maskierte und deutete auf den Soldaten. Der Legionär rannte los, versuchte ihn einzuholen, einige seiner Kameraden folgten ihm doch als sie dem Torhaus näher kamen schnellte das Tor herunter und schlug hart auf dem Steinboden auf. Dahinter hatten sich einige Soldaten der Ersonter verbarrikadiert. Er blickte sich zum Maskierten um, ebenso wie seine Kameraden. „Lasst ihn … nehmen wir halt seine Bürger.“ – So ließen sie wieder ab von dem Tor und wandten sich dem Markt zu. Es war an der Zeit…
„Bürger von Falkensee! Ersonter! Ihr wisst dass ihr Blutzoll zahlen müsst für eure Schandtaten! Ein jeder muss bezahlen! Ob heute … ob morgen … wir finden euch. Ihr werdet bezahlen!“ – Sofort begannen die Legionäre die Menschen auf dem Platz zusammen zu treiben. Viele von ihnen wirkten jetzt verängstigt. Glaubten sie etwa, sie würden hier sterben? Nein. So einfach würde es nicht sein. „Macht euch an die Arbeit!“ rief der Maskierte den Männern zu während die Söldner sich daran machten die Straßen zu durchkämmen um nach Flüchtenden zu suchen. Sofort traten die Legionäre an die Menschen heran, zogen ihre Dolche … Sie zerrten gewaltsam an den Händen der Leute, schnitten ihnen in die Arme oder Hände und ließen das tropfende Blut in kleine Fläschchen fließen die sie alle an ihren Gürteln hatten. Die, die bezahlt hatten, wurden kurz darauf in Ruhe und gehen gelassen. Man konnte den Leuten die Verwirrung ob dieses beängstigenden Schauspiels wahrlich ansehen. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Jeder musste bezahlen, aber nicht viel. Ein beinahe symbolischer Preis für ihre Sünden. Er blickte auf dem Markt umher, Schwert und Schild in den Händen, als er plötzlich einen jungen Bellumsanwärter erblickte. Für einen Moment starrte er ihn an. Still stand er auf dem Platz, sein Schwert gezogen, blickte er zu der Übermacht an Legionären die den Marktplatz einnahmen. Das war er. Der Anwärter der ihn beschützt hatte. Vor der wütenden Meute am Tage der Schlacht um Angamonis.
Einer der Söldner trat gerade auf ihn zu mit gezogenen Waffen. Ohne darüber nachzudenken eilte der Legionär über den Platz und schob sich recht grob zwischen die Myte und den Bellumsanwärter, die Myte mit dem Schild wegdrängend sprach er: „Dieser nicht!“. Einen Moment blickte die Myte ihn an, dann wich sie zurück und ließ ihn in Frieden. Das Spektakel erweckte die Aufmerksamkeit des Maskierten. Er näherte sich den beiden mit zwei anderen Legionären. „Was ist mit ihm?“ fragte er.
„Herr, dieser Mann rettete mein Leben als man mich gefangen nahm. Er ist ein Mann von Ehre.“ Sprach der Legionär ruhig mit Blick zum Maskierten. Dieser nickte langsam. „Dann soll er verschont werden.“. Kurz darauf verschwanden die Legionäre wieder, nur er blieb vor dem Anwärter stehen, löste die Schnallen des schweren Helmes und zog ihn langsam herab um dem Mann vor sich in die Augen blicken zu können. Dieser schien verwundert ihn hier wieder zu sehen.
„Erinnert ihr euch an mich? Ein Leben für ein Leben. Denkt daran. Nun geht in den Tempel. Niemand muss hier heute sterben.“ Sprach der Legionär und schenkte dem Mann ein freundliches Lächeln. Dieser sah ihn eine Weile einfach nur an, erwiderte dann ruhig: „Ihr wisst dass ich nicht einfach hier stehen und zusehen kann.“ – Natürlich wusste der Legionär es. Es waren Diener Bellums. Und ihr Gott befahl ihnen zu kämpfen wann immer es nötig war. Aber war es nötig? „Wenn ihr kämpft, werdet ihr sterben. Heute ist nicht der Tag der Schlacht. Wir sind nicht hier um zu töten. Wir werden uns wiedersehen. Meine Schuld ist beglichen. Und wenn wir uns gegenüberstehen, bekommt ihr euren Kampf.“ Einen Moment noch stand der Anwärter still vor ihm, senkte dann aber seine Waffe und wandte sich letztlich zum Tempel, so wie ihm geheißen wurde. Der Legionär setzte den Helm wieder auf und folgte dem Mann ein Stück weit. Vor dem Rathaus stand ein weiterer Bellumsdiener. Ein Geweihter wohl. Die Söldner hatten ihn gestellt und offenbar hatte er ihnen Goldmünzen vorgeworfen um sie zufrieden zu stellen. Was die Söldner glücklich stimmte, war für die Legionäre wertloser Tand , wegen Beute waren sie nicht gekommen. „Holt euch sein Blut…“ sprach der Maskierte. Sogleich wandte der junge Anwärter sich herum um sich schützend vor seinen Herrn zu stellen. „Ihr macht einen Fehler, ER ist kein Mann von Ehre… er wird bezahlen…“ sprach der Legionär fast schon mit Sorge zu dem Anwärter. Dieser jedoch ließ sich nicht von der Seite seines Herren wegbewegen.
Für einen Moment ging der Blick des Legionärs die Marktstraße entlang und seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Dort kam sie, unerwartet. Sie stolperte in die Falle ohne zu wissen was mit ihr geschehen würde. „Birnenfrau …“ sprach er leise unter dem Helm, machte sogleich einige Schritte auf sie zu. Er wandte den Blick zur Seite zu einem der Magier die die Legion unterstützten. Er hob kurz die Hand, deutete dann auf die junge Frau im Bellumsornat. Der Magier wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu, begann seine Formeln zu sprechen und schon kurz darauf erstarrte auch sie vollends. Mit schnellen Schritten trat er auf sie zu und schickte die anderen Legionäre beiseite. „Ich übernehme das. Ich bin sicher sie wird sich nicht wehren.“ Sprach er bestimmend und die Männer nickten, ließen von ihr ab. Er griff an seinen Gürtel, zog seinen Goldbeutel hervor und warf ihm einem der Söldner zu der sich gerade an den Habseligkeiten der Frau zu schaffen machen wollte. „Lasst sie, sie hat nichts. Aber ihr sollt nicht unbezahlt bleiben für euere Hilfe.“ Sprach der Legionär. Der Söldner fing das Beutelchen, blickte einen Moment hinein und sah dass es prall gefüllt war mit Münzen. Grinsend zog er es wieder zu und verstaute es in seiner Tasche. „Vielen Dank, Herr. Ihr seid sehr großzügig!“ sprach er noch und zog sich dann ebenfalls von ihr zurück.
Der Legionär trat auf die junge Frau zu, direkt vor sie. Erschrocken blickte sie zu ihm hoch, noch immer nicht ganz klar was eigentlich vor sich ging. Der Legionär löste erneut die Riemen des Helmes und zog ihn vom Kopf, kurz schnaufend und ein deutliches Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Er musterte ihr Gesicht neugierig und sprach dann ruhig: „Nun sehen wir uns also doch von Angesicht zu Angesicht… Birnenfrau.“ – Man konnte ihm die Freude in der Stimme förmlich anhören. Welch skuriles Bild er doch abgeben musste, er, der Legionär im blutroten Wappenrock der in diese Stadt eingedrungen war, erneut, um das Blut der Menschen zu holen, stand nun vor ihr und freute sich ob ihres ersten Treffens.
Leise wechselten sie einige Worte während er den Dolch zückte, vorsichtig ihre Hand ergriff und einen Schnitt in ihren Finger setzte, dann den Hals der kleinen Phiole an die Wunde legte und einige Tropfen Blut hineinfließen ließ. Während er das Fläschchen wieder verstaute, sprach er leise, letzte Worte: „Vertrau mir…“ – Fürsorglich, fast väterlich. Sein Blick ging zur Seite. Der Streit mit dem Geweihten war eskaliert. Es war zum Kampf gekommen. Auch der junge Anwärter war im Kampf nun zu Boden gegangen. Narr, er hatte ihn gewarnt. Der Blick des Legionärs ging wieder zur Birnenfrau. Sie würden auch vor ihr nicht halt machen. Er packte sie recht grob am Arm und zerrte sie gen der Tempelstufen welche er sie kurz darauf hinauf schubste. Dort würde sie sicher sein. Als er sich dem Kampf zuwandte, war der Bellumsgeweihte offenbar zu voller Kraft erstarkt. Der Maskierte blickte sich eilig auf dem Marktplatz um. „Legionäre! Wir ziehen ab!“. Sie hatten ihr blutiges Werk beendet. Niemand sollte an diesem Tag sterben. Sofort zogen die Legionäre vom Marktplatz ab und hinterließen Bürger, die nicht nur verwirrt sondern auch verängstigt waren. Der Bellumsgeweihte verfolgte sie durch die Straßen, brüllte ihnen wütende Drohungen hinterher, doch schon bald waren sie verklungen als der letzte Legionär die blitzenden Umrisse des Portals durchschritten hatte das die Magier für sie geöffnet hatten.
Es war ein guter Tag gewesen … aber es stand noch immer Blutzoll aus. Sie würden bezahlen. Jeder einzelne. Jeder Schuldige. Die, die nach Blut riefen, würden bezahlen mit Blut…