Atemlos kauert er im dunklen Stollen des längst vergessenen Tunnelsystems, weit ab von dem Ort, an dem ihn sein Meister ausgesetzt hat. Sein Blick ist starr in die stockdüstere Finsternis gerichtet, nichts ist darin auszumachen, nichtmal der Hauch einer Kontur oder der Ansatz eines Schemen, lediglich absolute und vollkommene Dunkelheit. Es ist eine eingeschlossene Dunkelheit, der im Unterschied zur Dunkelheit der Nacht jegliche Tiefe und Weite fehlt. Nur sein Atem, der in den endlosen Wirrungen und Windungen der Gänge wie ein leises Flüstern wiederhallt, durchbricht die angsteinflößende Stille. Seine Hand krallt sich mit aller Macht in den staubigen, trockenen Höhlenboden unter ihm. Er muss seine Gedanken auf etwas anderes richten, sonst wird er hier unten sterben, dass weiss er. Er schließt die Augen. Es macht keinen Unterschied. Bilderfetzen tauchen vor seinem inneren Auge auf, als er krampfhaft versucht seine Gedanken auf etwas anderes zu richten ... irgendetwas ... weit weg von diesem Ort.
Er muss an die letzten Tage denken, die wenigen Stunden in der kleinen Schneiderei, an Isabell. Er konnte sie nicht einschätzen, wusste selber nicht genau wie er zu ihr stand. Machte sie ihn nur zu einem Narren, im wahrsten Sinne des Wortes? Sie hatte es bestritten und schließlich auch auf ihre Art für sein Opfer erkenntlich gezeigt. War sie nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht? Vielleicht, vielleicht hatte er ihr aber auch keine wirkliche Wahl gelassen. Sie hatten durchaus einige angenehme Stunden zusammen verbracht, auch wenn er in den meisten Fällen als Verlierer das kleine Fachwerkhaus verlassen hatte, zumindest kam es ihm so vor. Was wollte sie überhaupt von ihm und noch viel wichtiger was wollte er selbst? Ihr Vertrauen hatte er nicht gewinnen können, warum sollte es auch anders sein, wenn man es im richtigen Blickwinkel betrachtete, kannten sie sich nur flüchtig. Auch bei den Konflikten mit den ungebetenen Gästen hatte er nicht helfen können. Er war wirklich nutzlos, vielleicht hatte sie das einfach erkannt und es nicht über das Herz gebracht es ihm ins Gesicht zu sagen. War das nur das freundschaftliche Verhältnis zwischen zwei Nachbarn? Vermutlich, denn warum sollte es auch anders sein, wer war er denn schon.
Und Viktoria? Sie war das genaue Gegenteil. Wie ein offenes Buch las er aus ihr Wort für Wort, Zeile um Zeile. Ein kurzer Felastrahl der sein Gemüt erhellte, wenn sie mal vor ihm stand. Sie hatte etwas unverbrauchtes und unberührtes an sich, dass ihn irgendwie ansprach. Sie versuchte nicht zu überspielen, was sie dachte oder zumindest war sie so unbeholfen darin, dass er sie auf Anhieb durchschauen konnte, was durchaus seine Vorteile mit sich brachte. Es hatte ihn einiges an Beherrschung gekostet beim Maßnehmen seine Fassade zu wahren, auch wenn er diese Gelegenheit auf die eine oder andere Weise durchaus genossen hätte, war er darauf bedacht das ganze so schnell und reibungslos wie möglich hinter sich zu bringen. Nicht für sich selbst, aber für sie, denn selbst ein Blinder hätte gesehen wie sie darunter litt - die vermeintliche Demütigung nach der ihr ganzes Gebaren förmlich schrie, strafte ihn mehr als alles andere und vertrieb Gedanken an hintergründigere Dinge, ehe sie sich auch nur ansatzweise manifestiert hatten, in die tiefsten Tiefen seines Geistes.
Wie sollte er damit umgehen? Er war es nicht gewohnt mehr als eine flüchtige Bekannschaft zu haben, mehr als einen netten Abend mit der Schankmaid aus der nächsten Taverne oder mehr als die oberflächliche Freundschaft mit einem Reisenden, der zufällig denselben Pfad wie er eingeschlagen hatte. Die Vergangenheit hatte ihn gelehrt, dass es sowas wie die große, die "wahre" Liebe ohnehin nicht gab. Menschen waren aus vielen Gründen zusammen. Aus Gewohnheit, weil sie die Einsamkeit nicht ertragen konnten, weil sie sich dadurch Sicherheit versprachen ... es gab so viele Gründe. Aber bedingungslose Liebe? Das war ein Traum den Dichter und Liedersänger für Narren geschrieben hatten, sich in so einem Traum zu verlaufen ... wohin würde das führen - nein er würde nicht den ersten Schritt in sein eigenes Verderben machen. Er musste sich konzentrieren, wenn er das hier überleben wollte, sich daran erinnern was Meister Stahlhand ihm auf den Weg mitgegeben hatte. Nicht für jemand anderen, sondern für sich selbst. Und das kleine Volk? Er würde hier in zwei Wochenzyklen vermutlich mehr lernen, als bei anderen Meisterschmieden in seinem ganzen Leben. Aber es war nicht so, dass er aus reinem Nutznießen diesen Weg gewählt hatte. Die Dwarschim, sie waren ihm lieber als so mancher Mensch. Man wusste stets woran man bei ihnen war, während Menschen ihre Gewohnheiten und Ansichten änderten, wie der Wind die Richtung wechselte, so waren die Dwarschim fest und unabänderlich, wie das Gestein der Gebirge. Vielleicht wäre es besser gewesen als Dwarschim geboren worden zu sein, das hätte ihm so manches erspart.
Er erinnert sich schlagartig wieder an das Geschehen, welches sich vor wenigen Zyklen abspielte. Tatenlos hatte er in dem oberen Minenschacht der Binge verharrt, nicht bemerkt wie die Grünlinge sich langsam ihren Weg zu ihm gebahnt hatten. Als er sich umgedrehte, war es bereits zu spät gewesen, er eilte durch den Tunnel, seine Fackel seinen Proviant, all das was sein Überleben sichern sollte zurücklassend, während die Orks ihm dicht auf den Fersen folgten. Eine Sackgasse. Mit weit aufgerissen Augen presste er sich an die Höhlenwand, spürte den kalten Stein auf seinen schwitznassen Händen, die sich langsam tastend in die Ecke vorarbeiteten aus der es kein Entrinnen gab. Zähflüssiger Speichel rann dem größten der drei lederhäutigen, stinkenden und abscheuchlich anzusehenden Orks aus den Mundwinkeln und tropfte auf die abgerissen Schrumpfköpfe, die wie eine Trophäenkette um seinen Hals hingen. Seine vorherigen Opfer, denen er bald folgen würde - der Atem stockte ihn bei diesem Gedanken, schnürte ihm die Luft ab. Ruckartig, wie wilde Tiere traten die drei nun auf ihn zu, sich an ihrer in die Enge getrieben Beute ergötzend, ein vollzügliches Festmal würde er abgeben - ja mit Sicherheit. Er erstarrte, presste sich noch enger an die Wand, fast verzweifelt um etwas Abstand zu den Bestien vor ihm zu gewinnen. Er spürte einen Ruck, sah in die nunmehr überraschten fast überfordert wirkenden Fratzen der Drei, nicht begreifend was mit ihm selbst gerade geschah, dann brach er durch die Wand und fiel. Die Dunkelheit fing ihn wie ein sanftes Kissen auf, als er alten Stufen herunterpolterte, weg von den Abscheulichkeiten. Schließlich kam er irgendwo weit unten zum liegen, das letzte Stück war er durch lehmigen, feuchten Erdboden gerutscht, der seinen Aufprall etwas gebremst hatte. Am oberen Ende der Treppe hörte er lautes Gebrüll. Im Lichtkreis der Fackel sah er die Gesichter der Orks wutenbrannt den Schacht hinunterstürmen. Er rannte los, eine Hand immer an der Mauer, so schnell es ihm die Finsternis erlaubte. Langsam verhallten die rauhen Stimmen der Grünhäute weit hinter ihm in dem unterirdischen Gewölbe. Er mäßigte seinen Schritt etwas, Schweiß lief ihm in Strömen über das klitschnasse Hemd. Hier unten war es unerwartet warm, wenn nicht sogar heiß. Doch setzte er seinen Weg unbeirrt fort, in Gedanken immer noch bei Gevatter Tod dem er gerade so nochmal von der Schippe gesprungen war. Der unterirdische Weg verlief fast gerade, nur einmal hatte er eine Biegung nach links und kurz darauf wieder nach rechts gemacht, bemerkte er während er sich weiter vorantastete. Noch einige Zyklen setzt er seinen Weg so fort, bevor ihn seine Erschöpfung endgültig einholt, der schlaffe, von den Strapazen gebeutelte Körper an der Höhlenwand herabgleitet und sich in Lifna' s Arme flüchtet.
_________________ i hate for the glory
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