Späte Rache
„Levara komm‘ schnell, es ist etwas passiert!“Irritiert sah die Königin auf. Sie war im Gespräch mit zwei ihrer Zofen vertieft, als Ferdinand zur Tür hereingeplatzt kam. Levara warf ihm einen warnenden Blick zu.
„Ich muss doch sehr bitten, Bursche!“Ferdinand, der jetzt erst der beiden anderen Frauen im Raum bemerkte, deutete eine Verbeugung an.
„Ich bitte vielmals um Verzeihung, eure Majestät. Dennoch muss ich meine Bitte wiederholen mich schnellstmöglich zu begleiten.“
„Nun gut. So es etwas dermaßen Eiliges gibt, will ich dich nicht warten lassen, Ferdinand.“An ihre beiden Zofen gewandt fuhr Levara fort.
„Ihr beide macht bitte weiter mit der Wahl der Blumengestecke für die Hochzeit. Ich werde mir eure Liste dann später ansehen.“
Ergeben nickten die beiden Zofen ihr zu. Levara erhob sich von ihrem Stuhl.
„Bitte, Mejestät, hier entlang.“Wieder machte Ferdinand einen Diener. Er führte sie im Schnellschritt zu einem der vielen Salons des Palasts.
„Willst du mir vielleicht erklären, warum wir durch den Palast rennen, Ferdinand?“
„Stephan.“
„Was ist mit ihm?“
„Am besten du siehst es selbst.“Levara wurde unruhig. Ein solches Verhalten kannte sie von Ferdinand gar nicht. Normalerweise achtete er peinlichst genau darauf, sie in Anwesenheit Dritter richtig anzusprechen. Und dann diese merkwürdigen Andeutungen.
Ferdinand erreichte vor ihr den Salon und stieß die Tür auf. Drinnen waren bereits einige Personen versammelt. Sie erkannte ihren Onkel Leonhart und Geralt von Morthum. Daneben stand eine Frau in einem enganliegenden grünen Kleid, offensichtlich eine Geweihte Vitamas. Außerdem erkannte sie einen mitgenommen aussehenden Palastwächter. Sie alle standen um ein Sofa herum. Darauf lag eine weitere Gestalt. Erst beim Näherkommen konnte Levara die Gestalt als Stephan identifizieren. Seine Hände ruhten gefaltet auf seiner Brust. Die Augen waren geschlossen. Einige Schrammen verunstalteten das ansonsten friedliche Gesicht. Als die Königin den Raum betrat, hob ihr Onkel den Blick. Er sah überaus ernst aus. In seinen Augen lag etwas, dass die Königin nicht zu deuten vermochte. Leonhart wandte sich an die Frau in Grün.
„Ich danke euch dafür, dass ihr es versucht habt, euer Gnaden. Der Korporal wird euch hinaus geleiten.“Die Dienerin Vitamas neigte ihr Haupt. Als sie an der Königin vorbeikam schlug sie die Augen nieder.
„Mein aufrichtiges Beileid, Majestät.“Levara sah ihr verständnislos hinterher.
„Beileid?“Sie wandte sich zu ihrem Onkel um, der noch immer zusammen mit Geralt neben dem Sofa stand.
„Onkel, was soll das alles? Und warum weckt niemand Stephan auf?“
„Es gab einen Tumult, Levara. Stephan versuchte zu schlichten. Dann gerieten die Menschen in Panik. Stephans Eskorte verlor ihn aus den Augen. Als sich der Staub gelegt hatte, fand die Wache ihn am Boden liegend. Er ist tot, Levara.“Die Königin geriet ins Taumeln. Tot? Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein! Ihr war als würde die Zeit stehen bleiben. Alles was sie sah, roch, spürte und hörte fühlte sich an als wäre es in Watte gepackt. Wie im Traum bemerkte sie, dass Ferdinand neben sie getreten war und ihren Arm stützte. Sie riss sich von ihm los und schwankte zum Sofa hinüber.
„Nein, nein, nein! Ihr irrt euch. Ihr müsst euch einfach irren. Er schläft nur.“Sie kniete sich neben ihren Cousin und griff nach seiner rechten Hand. Sie fühlte sich kalt an. Da erkannte sie, dass ihr Onkel die Wahrheit gesprochen hatte. Ihr schwanden die Sinne.
Als sie wieder erwachte, fand sie sich auf einem nahen Sessel wieder. Sie hatte keine Ahnung, wie sie dort hin gelang wart. Ferdinand reichte ihr ein Glas Wasser.
„Bitte Majestät, trinkt, dann wird es euch besser gehen.“Besser? Wie sollte ihr es jemals wieder besser gehen? Ihr Cousin war tot! Sie hatte nicht nur einen geliebten Menschen verloren, sondern auch die Hoffnung die sein Plan mit sich gebracht hatte. Dennoch griff sie nach dem Glas. Sie trank einen kleinen Schluck. Prompt musste sie husten. Ferdinand legte ihr fürsorglich seine Hand auf die Schulter.
„Vorsichtig, nicht zu schnell.“Leonhart starrte auf seinen toten Sohn hinab.
„Als der Korporal ihn fand, ließ er sogleich einen Heiler holen. Er konnte nicht viel ausrichten. Also schickte man nach einer Geweihten Vitamas. Vergeblich.“
„Wie konnte das nur passieren? Er sieht so friedlich aus. Ich meine, müsste er nicht mehr Verletzungen haben, wenn er…“Levara konnte nicht weiter sprechen. Zu furchtbar war die Vorstellung von einer in Panik geratenen Menge zu Tode getrampelt zu werden.
„Es war kein Unfall. Es war Mord.“Levara brauchte eine Weile, bis sie die Bedeutung der Worte begriff.
„Wer sollte Stephan ermorden wollen, Onkel?“
„Die fünffach verfluchten Galads.“
„Das Haus Galad? Woher weißt du das?“
„Weil sie uns eine Botschaft hinterlassen haben.“Leonhart zog hinter seinem Gürtel einen eingewickelten Gegenstand hervor und warf ihn auf den Tisch. Dumpf scheppernd schlug er dort auf. Levara beugte sich vor und schlug das Tuch beiseite. Zum Vorschein kam ein kunstvoll verzierter Dolch.
„Pass auf, dass du nicht die Klinge berührst. Sie ist vergiftet.“
„Ich verstehe das alles nicht, Onkel.“An dieser Stelle schaltete sich Geralt ein.
„Als ich dem Bericht der Palastwache lauschte, Majestät, erkannte ich die Tat schnell als die Kopie eines Vorfalls, der sich vor etwas mehr als einhundert Jahren zutrug. Damals stritten sich die Häuser Arbam und Galad um den Anspruch auf den Thron, den noch das Haus Morn innehatte. Euer Urururgroßvater Gernod I. Ap Arbam ließ ein Mitglied der Familie Galad durch einen vergifteten Dolch ermorden. Ich habe es zwar noch nicht überprüft, aber das geschätzte Alter des Dolches vor euch deutet darauf hin, dass es derselbe ist.“Levara starrte den Dolch an. Wie konnte jemand so etwas tun? Wut flammte in ihr auf. Warum konnten die verfluchten Galads sie nicht einfach in Ruhe lassen?
„Wir müssen das den anderen Häusern erzählen, Onkel! Das ist ein Angriff auf das Königshaus. Es muss bestraft werden! Die anderen Häuser werden das genauso sehen.“Leonhart schüttelte schwach den Kopf.
„Nein Levara, das können wir nicht. Wir haben keine Beweise.“
„Wir haben den Dolch!“
„Vergiss den Dolch, Levara. Er ist wertlos. Wenn wir ihn als Beweis heranziehen, gestehen wir gleichzeitig die Schuld an dem Mord vor hundert Jahren.“
„Aber das ist doch ewig her!“
„Levara, die Häuser des Reichs kämpfen hinter ihrer glänzenden Fassade ununterbrochen um Macht. Es gibt Spione und Gegenspione, Verrat, Lügen und Betrug. Und manchmal auch Mord. Bei alldem gibt es nur eine Regel: Lass dich niemals erwischen. Wenn das passiert, fallen alle anderen Familien einem Wolfsrudel gleich über dich her.“
„Also können wir gar nichts unternehmen?“Fassungslos starrte die Königin ihren Onkel an.
„Nicht so lange wir keine Beweise haben, die nicht zugleich auch uns belasten.“Verzweifelt sank Levara in ihren Sessel zurück. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Als Königin sollte sie für Recht und Ordnung sorgen. Doch immer wenn es darauf ankam, waren ihr die Hände gebunden.
„Am besten wird es sein, wenn Ferdinand dich zurück in deine Gemächer bringt. Geralt und ich werden uns um alles Weitere kümmern.“Levara kam nicht umhin ihren Onkel zu bewundern. Er hatte gerade seinen Sohn verloren und stand doch wie ein Fels in der Brandung. Dann sah sie seine Augen. Sie waren voller Trauer, Wut und Müdigkeit. In all den Jahren als Großfürst hatte ihr Onkel gelernt den Schein zu wahren. Im Grunde war er aber genauso verzweifelt wie sie. Ohne Widerspruch ließ sie sich von Ferdinand aufhelfen. Er brachte sie zurück in ihr Schlafzimmer.
„Vielleicht solltest du dich ein wenig hinlegen, Levara. Ich werde all deine Termine für heute absagen.“Er war schon halb zur Tür hinaus, als sie ihn zurückrief.
„Bitte bleib, Ferdinand. Verlass mich nicht. Ich brauche dich.“Er nickte und ging mit ihr zum Bett. Dort legte er sich neben sie.
„Halte mich fest, bitte.“Seine Arme schlossen sich um sie. Die Wärme seiner Nähe zu fühlen tat ihr gut.
„Ferdinand, ich will dass wir beide ein Kind bekommen. Am besten gleich Zwillinge.“Ihr Geliebter versteifte sich.
„Ein Kind? Levara, das war ein anstrengender Tag, du stehst noch unter Schock…“
„Nein, das ist es nicht. Denk doch mal nach: Stephan hat uns angeboten deine Kinder als seine anzuerkennen. Wenn ich jetzt schwanger werde, können wir sagen sie wären von ihm.“
„Ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist, Levara.“
„Willst du etwa keine Kinder?“Levara sah Ferdinand verzweifelt an. Wieder schossen ihr Tränen in die Augen.
„Doch, Levara. Ich will Kinder mit dir haben.“Zärtlich küsste er sie auf die Stirn.
„Nur findest du es nicht etwas… pietätlos?“
„Es ist die einzige Möglichkeit die wir haben, Ferdinand! Wie sollte ich sonst jemals erklären, dass ich schwanger bin? Denk an die Worte meines Onkels.“Ferdinand seufzte.
„Lass uns bitte morgen darüber reden, wenn es dir etwas besser geht.“
„Na gut. Aber wenn ich bei meiner Meinung bleibe, dann gehst du gleich morgen noch zu den Geweihten Vitamas und fragst sie nach Kräutern, die uns helfen.“
„Kräuter?“Der Zweifel in Ferdinands Stimme war kaum zu überhören.
„Versprich es mir!“
„Ja, Levara, ich verspreche es dir. Und jetzt versuch ein wenig zu schlafen.“Kaum hatte er die Worte gesprochen, fühlte Levara wie sich bleierne Müdigkeit über sie legte. Sie fiel in einen traumlosen Schlaf.